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O bittersüßes Weihnachtsfest

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08.11.2004
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O bittersüßes Weihnachtsfest

Hannah war wie in jedem Jahr zu Weihnachten bei ihren geliebten Großeltern. Sie lebten auf einer kleinen ostfriesischen Insel. Sie war noch nie der typische Feiertagsmensch gewesen und so war es auch kein Wunder, dass sie lieber dem kleinen Strandhaus, wo sie wohnte, entfloh und mit Mantel und Handschuhen am Strand saß und das wundervolle Panorama genoss.


Marcus lebte nun schon seit ein paar Jahren in Bremen. Er war die Hektik anfangs nicht gewohnt, doch nun ging es allmählich. Die Festtage bedeuteten für ihn nur Stress. So vielen Menschen galt es, eine Freude zu bereiten, zu imponieren. Also dachte er stets an passende Geschenke für einen seiner Onkel oder eine seiner Tanten. Und weil er ständig etwas Besseres für den einen oder anderen fand, musste er sich immer wieder neue Gedanken machen, sodass er begann, eine Liste zu schreiben. Bald wurden es zwei Listen. Später drei. Und da er dennoch immer etwas ändern musste, schmiss er die Listen, oder was davon noch übrig war, in seinen Papierkorb.


Weit entfernt von dem Trubel gab es dann noch einen alten Mann. Früher war er einmal ein gefeierter Pianist gewesen. Zog mit seiner Frau, einer Französin, von Stadt zu Stadt, von Bühne zu Bühne. Die Auftritte waren sein Leben gewesen. Er liebte die kleinen, schlecht beleuchteten Bühnen in den Nachtclubs. Rauchschwaden von Zigaretten zogen an den Deckenlichtern vorbei, seine Frau stets im Publikum. Als sie starb, starben auch seine Arbeit und die Freude daran. Das blieb seinem Publikum nicht verborgen. Und so verließ es ihn.
Die Jahre vergingen, er war alt geworden, schwach geworden, krank geworden. In einem Krankenhaus lebte er nun, Herr Franke. Vor allem in dieser kalten Jahreszeit erging es ihm und seiner Gesundheit schlecht. Er atmete nur noch schwer, verzichtete aber auf jegliche mechanische Spielereien, die doch eh nur laut waren und ihm vom Denken abhielten. Diese Tätigkeit war doch noch die einzige, die ihm blieb. Sprechen konnte er kaum noch. Und der Wortwechsel mit den Krankenschwestern wäre eh nur vergeudete Zeit gewesen. Zeit, die er nur in verschwindend kleinen Maßen besaß. Und da er so wenig davon besaß, teilte er sie ein und zählte die ihm verbleibenden Stunden.


Es waren lediglich ein paar Tage bis Weihnachten und Hannah saß wie üblich am Meer. Es war schon recht dunkel und plötzlich spürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben die furchtbare Kälte, die das Meer mit sich brachte. Sie lief zum nicht weit entfernten Strandhaus, klopfte an die Tür. Beim Öffnen der Tür, empfing Hannah warmes, helles Licht und das wundervolle Lächeln der Großmutter. Ihr Blick fiel wenig später auf den gerade fertig geschmückten Tannenbaum. Sie legte sich auf das grüne Sofa im Wohnzimmer und bekam eine heiße Schokolade angeboten. Natürlich trank sie davon und bemerkte, dass sie sich ganz auf Weihnachten eingelassen hatte.


Indes war Marcus in einer Boutique, dann in einem Kaufhaus und schließlich doch noch in seiner Wohnung. Sie war kalt, grau, klein.
Er hörte die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter ab, löschte etwa die Hälfte der Nachrichten und ging ins Bett. Stand ein paar Stunden später wieder auf, weil sein Gewissen ihn plagte und er rechnete aus, wie viel er denn für welchen Verwandten oder Bekannten ausgegeben hatte. Zu allem Übel fiel ihm bald auf, dass das Präsent für seine Cousine etwa doppelt so teuer war wie das für seine Mutter.
Marcus musste am nächsten Tag also wieder in Boutiquen und Kaufhäusern nach passenden Geschenken stöbern.
Und so ging er in ein überteuertes Geschäft und kaufte ein stark verziertes Etwas für seine Mutter und war nun auf dem Weg zu einem alten Freund, der Heiligabend zu seinen Eltern fahren wollte, und somit kaum noch zu erreichen sein würde. Dieser Freund wohnte irgendwo im Zentrum der Stadt, den Weg kannte Marcus noch genau.


Herr Franke lag im Bett, atmete schwer. Die Aussicht zum Fenster war ihm noch geblieben. Schnee sah er immer gern. Vor allem mit seiner Frau.


Hannah saß im Strandhaus der Großeltern, schaute aus dem Fenster. Und obwohl es ihr drinnen nun doch recht gut gefiel, trieb sie etwas nach draußen. Vielleicht war es die leicht süßliche Langeweile, die die Großeltern weihnachtliche Vorfreunde nannten.
Hannah ging zur Garderobe und zog sich Mantel und Handschuhe an. Als sie den letzten Knopf ihres Mantels schloss, erblickte sie die rot-weiße Zipfelmütze des Großvaters, an deren Ende ein kleines goldenes Glöckchen befestigt war. An jedem normalen Tag im Jahr würde Hannah so etwas kitschig finden, aber nicht heute.
Sie ging stolz mit der Zipfelmütze und dem Glöckchen nach draußen und spazierte am Wasser entlang. Irgendwann gelangte sie an einen nassen Holzsteg, der sich weit ins dunkle Meer erstreckte. Hannah betrat den Steg. Mit Vorsicht ging sie Brett für Brett nach vorn. Am Ende des Stegs angelangt, holte sie tief Luft. Etwas unwohl war ihr schon, doch wollte sie einmal die Wellen betrachten, die am Pfahl des Stegs brachen. Hannah beugte sich sacht nach vorne. Sie konnte kaum etwas sehen. Zu dunkel sah das Wasser aus. Hannah wollte jetzt schnell heimkehren, das Unbehagen war zu groß geworden.
Zu schnell drehte sie sich um, rutschte auf einem der nassen Bretter aus. Und da sie immer noch am Ende des Stegs war, fiel sie hinab ins Dunkle. Im Fall suchte sie noch letzten Halt, doch vergeblich. Nicht einmal ein letzter Schrei blieb ihr.
So versank ihr Körper behutsam im einskalten Meer.
Als man Hannahs nassen und bleichen Körper später fand, war das kleine goldene Glöckchen schon ganz rostig.


Auf dem Weg zu seinem Freund, trug Marcus ein großes Geschenk mit Gläsern darin mit sich. Tausend Gedanken spukten in seinem Kopf herum. Würde er alle zufrieden stellen können? So wenig hatte er bei der Familie von sich hören lassen. Irgendwie musste man das ja gut machen können. Anrufen oder ein bloßer Besuch wären zu wenig. Ein Geschenk war besser. Natürlich war der einfache Gedanke daran nicht mehr viel wert. Es war nun einmal nicht mehr der Gedanke, der zählte. Es war die Größe, der Wert.
Er war schon fast da. Marcus musste noch über ein, zwei Straßen und er war angekommen. Bei diesem Freund. Bekannten.
Vielleicht waren die Geschenke auch nicht gut genug. Er hatte ja immer viel zutun. Seine Wohnung war genauso winzig wie sein Erspartes. Seine Familie wusste das aber nicht. Es war ihm ein wenig peinlich. Und mit „ein wenig peinlich“ ist selbstverständlich „sehr peinlich“ gemeint.
Absolut zerstreut ging er über eine der vielen Straßen. Dabei sah er sich nicht um.
Ein Bus erfasste ihn. Mit dem Bild eines lachenden Weihnachtsmannes daran.
Marcus war natürlich sofort tot. Und sein schönes Geschenk war ruiniert. Er konnte in diesem Jahr wohl niemanden zufrieden stellen.


An Heiligabend konnte Herr Franke kaum noch die Augen öffnen. Sein Körper verlangte nach Ruhe.
Die Krankenschwestern stellten ein altes Radio auf den Nachttisch des alten Mannes. Der Ton war monoton und es war stets ein störendes Surren während der Musik zu vernehmen.
Bald schlief Herr Franke ein. Er sollte nicht wieder aufwachen.
Das Radio surrte weiter. Die Musik erfüllte den Raum. Ein Piano war zu hören.

Und so verging für einen jeden das Weihnachtsfest.

 

Anubis737,

was mich am letzten Satz stört, ist einfach, dass er zu rund klingt. Vielleicht könnte schon die Änderung der Formulierung

... für einen jeden...
etwas bewirken. Dieser Ausdruck klingt mir zu allgemein. Ich glaube, es wäre besser, hier noch einmal auf die drei Charaktere zurückzukommen.
Vorschlag: "Und so verging für drei Menschen das Weihnachtsfest."
Damit ist der Bezug zur Geschichte stärker und man hat nicht das Gefühl, einen Abschluss vor die Nase gesetzt zu bekommen.
Es wird nicht davon gesprochen, wie schade das alles doch ist.
Ich weiß, dass du es darauf anlegst, im letzten Satz auf unwichtige Details oder völlig unrelevante Sachen einzugehen. Das ist auch gut so, weil es die Dramatik sehr schön zum Ausdruck bringt. Allerdings finde ich das Ende hier einfach zu Allgemein.

Grúß, Saffron.

 

Saffron,

irgendwie habe ich mir das mit der allgemeinen Moral noch einmal überlegt, doch mag ich so etwas nicht wirklich.
Gabe es nicht noch eine schönere Möglichkeit?
Ich hatte noch an eine Art Aufzählung der Kosequenzen aus dem Tod gedacht, doch jene scheinen mir zu unwichtig.
Ich bin dankbar für jeden Vorschlag!

 

Auch wenn es für den einen oder anderen überflüssig klingen mag:

Glaubt ihr, dass man diese Geschichte gut fortsetzen/erweitern könnte?
Einfach nur, um noch mehr Fassetten der "anderen Seite von Weihnachten" darzustellen...

 

Anubis737,

wenn du von allgemeiner Moral schreibst, beziehst du dich auf einen meiner Beiträge. Ich hatte dir aber später den Vorschlag gemacht, auf die drei Charaktere zurückzukommen. Vielleicht so: "Und so verging für drei Menschen das Weihnachtsfest."
Damit hast du keine Moral, sondern einen direkten Bezug zur Geschichte. Natürlich kannst du das anders formulieren, ich denke auch gerne noch über weitere Vorschläge nach, wenn dir dieser nicht gefällt.
Was eine Erweiterung der Geschichte betrifft: Wenn du die Ideen dazu hast, kannst du die Sache gerne weiterspinnen. Dabei musst du allerdings aufpassen, dass du dich nicht
wiederholst und auch noch etwas Neues zu sagen hast. Kommt dir aber noch eine wirklich originelle Idee, lohnt sich eine Erweiterung mit Sicherheit.

Gruß, Saffron.

 

Guten Mittag Anubis

Ein Bus erfasste ihn. Mit dem Bild eines lachenden Weihnachtsmannes daran. Marcus war natürlich sofort tot. Und sein schönes Geschenk war ruiniert. Er konnte in diesem Jahr wohl niemanden glücklich stellen.
Dieser Absatz gefällt mir nicht so. Das "natürlich" sticht irgendwie im Auge. Und auch der letzte mit dem glücklich stellen, nun... ich weiß nicht. Aber gut.
Ansonsten finde ich deine Geschichte (Episode) echt super. Leicht zu lesen, flüssig. Nun, interessant wäre es bestimmt, noch mehr Menschen, vielleicht auch aus anderen Ländern, mit reinzubringen. Ich finde die Idee total super.
:thumbsup: Tolle Story :)

Grüße
Leana

 

Deine Geschichte finde ich wirklich sehr schoen. Du erzaehlst in weihnachtlicher Ruhe diese drei Schicksale, die an Weihnachten alle sterben. Gut, dass du uns einmal daran erinnerst, was auch Schlechtes an Weihnachten geschieht. Auch sehr gelungen, halte ich die Charakterisierung deiner Protagonisten: der anfaengliche "Weihnachtsmuffel", der Mann, der so handelt wie die meisten Menschen an Weihnachten und wider dem Sinn des Festes agiert und der Sterbende, fuer den Weihnachten gar keine Bedeutung mehr hat.
Ein wirklich einfuehlsame Geschichte, bei der es gut ist, sie in Episoden zu erzaehlen. Hat mir ausserordentlich gut gefallen.

 

Hallo anubis,

ein in ansprechender Ruhe geschriebener Text.

„Natürlich trank sie davon und bemerkte, dass sie sich ganz auf Weihnachten eingelassen hatte.“

- Ein wichtiger Punkt, dieses „einlassen“.

„Es war ihm ein wenig peinlich. Und mit „ein wenig peinlich“ ist selbstverständlich „sehr peinlich“ gemeint.“

- Gut ausgedrückt.

Auch wenn die einzelnen Szenen gut ausgesucht und beschrieben sind, exemplarisch für verschiedene Charaktere und Situationen stehen, ist mir die Aneinanderreihung von Episoden zu wenig für eine Geschichte. Der letzte Satz verbindet zwar ein wenig, aber letztlich weiß der Leser schon, was passiert. Die Episoden müssten auf eine übergeordneten Punkt zustreben (in diesem Fall wohl eine Deflation). Deshalb nur zum Teil zufrieden.

Hier würde ich ändern:

„Er konnte in diesem Jahr wohl niemanden glücklich stellen.“

- Es gibt `ruhig stellen´, `zufrieden stellen´. Aber: Glücklich machen.

LG,

tschüß… Woltochinon


PS: Na, um dein Selbstlob mal einzuengen: "Perfekt", auch noch bei "kleinen Kindern" - überleg´ mal... (Oder dein ";)" sitzt an falscher Stelle.

 

"Glücklich stellen" wie komme ich denn auf so etwas...Mensch, nein. Das habe ich erst einmal geändert. Dankeschön.^^

 

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