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Ohne Feigenblatt

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29.01.2010
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Ohne Feigenblatt

Jan Seiboldt wurde nach Rückkehr aus seinen Ferien in der Sitzung herzlich begrüsst. Seine Sozial-Liberalen Parteikollegen schätzten ihn als Vorsitzenden und die joviale Art mit der er Probleme jeweils anging.

Peter Markward, der in seiner Abwesenheit die Geschäfte führte, ergriff das Wort. «Jan, Du hast wahrscheinlich noch nicht davon gehört, dass Schafroth polizeilich einvernommen und von seinem Bischof inzwischen zu einer Klausur einberufen wurde. Leider hat die peinliche Welle nun auch unsere Stadt erreicht. Schafroth kam mir ja immer etwas bigott vor. Ich denke, Dich wird es freuen.»

Jan schaute Peter fragend an. «Was meinst Du damit, es freue mich?» Er ahnte, auf was dieser anspielte, kannte er doch seine manchmal verletzende Ironie.

«Nun, Du bist doch Atheist. Und wenn einem scheinheiligen Kleriker die Maske dem wahren Gesicht entrissen wird, ist doch Situationskomik gewährleistet.»

Auf Jans Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. «Von den Vorwürfen gegenüber Schafroth habe ich Kenntnis erhalten. Die Angelegenheit liegt über zwanzig Jahre zurück und betrifft seine Zeit im Internat. Nach mir vorliegenden Informationen war er daselbst noch Schüler, der zu einem der Lehrer in sehr vertraulichem Verhältnis stand. Dieser soll sich im Umgang mit seinen Schülern nicht immer korrekt verhalten haben. Wieweit etwas daran ist und ob es sich nicht nur um einen späten Racheakt gegen seine gezeigte Strenge handelt, müssen die Untersuchungsbehörden klären. Gegenüber Schafroth liegen meines Wissens keine gesicherten Erkenntnisse vor, dass er sich damals an den behaupteten Vorkommnissen aktiv beteiligte.»

Erika Steiner, die selbst den Lehrerberuf ausübt, warf ein: «Es ist aber schon bedenklich, was in den letzten zwei Jahren publik wurde. Es ist höchste Zeit, dass dies ein für alle Mal unterbunden wird. Es darf nicht sein, dass sich Verantwortliche hinter Kirchenportalen verstecken und auf Verjährung warten.»

Die Sitzungsteilnehmer sprachen alle durcheinander, Erika weitgehend zustimmend, bis Jan sich durchsetzen konnte.

«Ich bin ebenso schockiert wie Ihr über das, was an die Öffentlichkeit kam. Doch bin ich der Meinung, man müsse einen klaren Kopf bewahren und diese Vorkommen differenziert betrachten. Wir wurden mit Medienberichten überflutet, von Kurzmeldungen bis zu aufbauschenden Detailschilderungen in Boulevardmedien, deren Quellen vielleicht auch nicht immer astrein waren. Aber selbst wenn wir Abstriche vornehmen, scheint die Gewalt, welche ausgeübt wurde, zweifellos enorm. Dies ist eine Tatsache, vor der wir nicht wegsehen dürfen. In den konkreten Fällen ist jedoch die Justiz gefordert und eine Vorverurteilung im Einzelfall steht uns nicht zu.»

«Aber es wurden ja selbst in Rom Eingeständnisse gemacht wenn auch höchst halbherzig,» warf André Hartmann ein.

Sonja Ebert, die auch in der Kirchenpflege tätig ist, stimmte ihm zu, ergänzte aber zugleich: «Es hatten sich auch verschiedene namhafte Exponenten der Kirche zu Wort gemeldet, welche klar und unmissverständlich für die Opfer Stellung bezogen und ein hartes Vorgehen verlangten.»

«Wir wissen ja, wie die Institution Kirche mit aufmüpfigen Querulanten in ihren Reihen umgeht und zum Schweigen bringt,» gab Lukas Bisig kritisch zu bedenken.

«Bei uns, wie auch in andern Ländern, hat die Kirche sich zur Zusammenarbeit mit den Behörden entschieden,» brachte sich Arthur Haarmann beschwichtigend ein.

Jan hatte wieder das Wort übernommen. «Mir ist das zu einseitig und zu engstirnig, wie das Thema hier diskutiert wird. Fakt ist, dass die Kirche in den Fokus kam, da Vertreter aus ihren Reihen sich teils massive Übergriffe zuschulden kommen liessen. Dies fällt insbesondere dadurch auf, da sie mit ihrem Dogma in Anspruch nehmen hohe ethische Werte vorzuleben. Weiterer Fakt ist aber, dass eine vermutlich viel höhere Anzahl an Personen, welche keine Funktionen in den Kirchen ausübten, gleichartige Übergriffe begingen, wie Euch durch immer wiederkehrende Meldungen aus den Medien bekannt sein dürfte. Insofern denke ich, dass es die intime Nähe zum andern Menschen ist, die manchen Personen ein enormes Spannungsfeld erzeugt, das sie die Kontrolle über sich verlieren lässt. Zu deren Labilität kommt wahrscheinlich begünstigend hinzu, dass in vergangenen Zeiten sich die Gesellschaftsnormen zur Sexualität als auch zur Gewalt teils desorientierend veränderten.»

«Es entschuldigt derartige Übergriffe aber nicht,» entgegnete Hans Metzler unwirsch.

«Nein,» fuhr Jan fort, «entschuldigen kann es so etwas nie, denn es ist brutale Gewalt gegen die körperliche und seelische Integrität eines andern Menschen.»

Jan legte bedachtsam eine Pause ein. «Als politische Partei haben wir den Auftrag der Gesellschaft, Missstände zu benennen, aber vor allem Lösungen anzustreben. Eine Patentlösung zu diesem Thema sehe ich keine, und wir stehen alle in der Mitverantwortung, da wir die heutige Gesellschaftsnorm mitprägten.»

Diese Worte führten zu einem Sturm der Entrüstung, die ein Stimmengewirr erzeugten. Als sich die Lage wieder etwas beruhigte, ergriff Erika das Wort. «Ich bin schon auch der Meinung, dass die gesellschaftliche Entwicklung so manches begünstigte, das aus dem Ruder gelaufen ist. Die Schwierigkeit ist, dass vermehrt Extreme aufgekommen sind, die nur schwer kontrollierbar sind. Ich sehe es bei den Jugendlichen, nicht wenige verstehen Drogen, Sex und Gewalt als Teil einer Spassgesellschaft. Es ist nicht einfach ihnen nachhaltige Werte zu vermitteln, die sie akzeptieren, denn so manches nicht Gelingendes entlehnen sie ja bei den Erwachsenen.»

«Also meine Kinder sind auch in diesem Alter, doch Gott sei Dank, sind sie wohlerzogen und dennoch eigenständig,» brachte Arthur ein. Lukas und Hans stimmten ihm auf ihre Kinder verweisend zu.

«Es ist mir unverständlich, wie man ein Kind zum Objekt seiner Begierde machen kann, selbst wenn es allenfalls nur begrapscht wird,» fügte Lukas an, das „nur“ ausdrücklich betonend.

Ein Moment herrschte Stille, bis Jan sich wieder zu Wort meldete. «Wir können und müssen nicht die Rolle der Psychiater übernehmen, denen sich die pathologischen Tiefen solcher Menschen erschliessen. Doch überlegen wir mal, wie wir selbst auf manche Reize reagieren. Wir näherten uns selbst auch schon Grenzen, die wir wohlweislich nicht überschritten. Es gibt im Leben eines jeden Menschen Situationen, in denen ihm Versuchungen auftraten, und sei es nur in der gemässigten Form eines Gedankens, eines Blicks oder einer Berührung. Welcher Mann schaut weg, wenn ein junges Mädchen in gewagter Kleidung seinen Weg kreuzt. Welche Frau übersieht den knackigen Po eines Jungen, der in engen Jeans vor ihr hergeht. Oder erinnern wir uns, als wir selbst noch Kinder waren. Unsere Eltern liessen uns in den ersten Jahren pudelnackt herumtollen, wenn wir am Badestrand waren, obwohl andere Erwachsene zugegen waren. Mancher von uns gestand diese Unbefangenheit auch seinen Kindern zu. Es ist undenkbar, dass da nicht eindeutige Blicke auftraten, über die man nicht sprach, die aber jedermann bewusst waren. Seit es Menschen gab, waren solche Versuchungen wahrscheinlich immer gegenwärtig, die Literatur liefert hierfür viele Belege. Ich will damit nicht Unrecht beschönigen, aber wir müssen uns an der Realität orientieren, wenn wir nach praktikablen Lösungsansätzen suchen.»

«Die literarischen Auswüchse entsprangen aber den wirren Vorstellungen von Schriftstellern,» warf Erika ein. «Auch wenn wir selbst nicht perfekt sind, besteht doch ein gewaltiger Unterschied zur Haltlosigkeit, um die es hier geht. Alle von uns haben ordentliche Wertvorstellungen, sind teilweise in der Kirche aktiv, und bemühen uns unseren Kindern ein Vorbild zu sein. Dies ist doch die Realität.»

«Du gibst das Stichwort, Erika,» bemerkte Jan. «Als Partei müssen wir uns vor allem fragen, welche Werte sind für uns wegweisend. Der Ansatz, der mir vorschwebt, ist hierbei vor allem jener, der gegen Formen von Gewalt angeht. Wenn ein Erwachsener sich ein Kind gefügig macht, ist dies brutale Gewalt. Wenn zwei Jugendliche sich freiwillig aus sexueller Neugierde aufeinander einlassen, von denen die eine Person die Schutzaltersgrenze noch nicht überschritten hat, besteht ein strafbares Vergehen. Dabei ist dies allenfalls unbedacht, nicht aber Gewalt. Wir klären unsere Kinder zwar über Sex, Verhütung und Aids auf, aber gleichzeitig verstecken wir uns hinter einem Feigenblatt vorgeblich moralischer Entrüstung, wenn sie ihre eigenen Erfahrungen machen wollen. Das Spektrum zu diesem Thema ist äusserst fragil und sehr breit, aber durch und durch mit unserer Gesellschaftsmoral verstrickt.

«Wenn nicht klare und strenge Massstäbe gesetzt werden, animiert dies die Täter ja direkt,» erregte sich André. «Ich denke man sollte mal systematisch durchgehen, wo der rechtliche Spielraum zu locker ist.»

«Es macht keinen Sinn, wenn wir uns auf Ansätze festlegen, die sich mit Details befassen. Es bestehen ausreichend Gesetze. Und wenn Anpassungen notwendig sind, müssen sie kongruent zur Gesellschaftsnorm erfolgen. Was mir hier vorschwebt, ist, wie können wir eine umwälzende gesellschaftliche Neuorientierung initiieren, ohne dass wir die Vorzüge der in den letzten Jahrzehnten errungenen Freiheiten aufgeben. Es müssen also praktikable Überlegungen sein, die unserem sozialliberalen Denken entspringen und weit über unsere Parteigrenze hinaus Möglichkeiten der Orientierung zu weisen vermögen. Für Recht und Ordnung machen sich die Populisten stark, doch einzig zu eigener Machtgewinnung, ohne dass sie wirklich Lösungen vorweisen. Dies ist unsere Chance, Werte zu setzen, die ein gedeihliches Zusammenleben sichern und zugleich die liberale Idee stärken.»

Peter meldete sich zynisch zu Wort. «Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass wir die Gesellschaft mit Worten zu verändern vermögen? In der Öffentlichkeit würden wir als Utopisten belächelt.»

«Ich widerspreche Dir nicht, aber jemand muss einen Anfang wagen,» antwortete Jan. «Also denkt darüber nach, ob Euch prägnante Leitsätze einfallen. Es müssen richtungsweisende Sätze sein, ohne Feigenblatt, aber fair, konstruktiv und zukunftsorientiert. Vorerst genügt es, diese mit einem skizzenhaften Argumentarium zu untermauern. Im Nachhinein werden wir die Inhalte dann sorgfältig füllen. Nächste Woche erwarte ich erste Vorschläge, die wir dann besprechen.»

Die Sitzungsteilnehmer äusserten sich gemischt, doch mehrheitlich zustimmend, auch wenn der Konsens brüchig schien.

Jan ergriff nochmals das Wort. «Noch etwas Persönliches, das ich klarstellen möchte. Peter, Du erwähntest zu Beginn unserer Diskussion, ich sei Atheist. Es ist richtig, dass ich fern einer religiösen Orientierung bin. Ich meide aber für mich diesen einem altgriechische Adjektiv entlehnten Begriff, da er mir der theologischen Terminologie zu nahe steht, die es mit der Leugnung Gottes interpretiert. Ich kann nicht etwas leugnen, dass es meines Erachtens nicht gibt. Also ist mir der Begriff auf meine Person bezogen nichtig.»

Ein Lächeln trat vorübergehend in sein Gesicht. «Ein Vorteil, den ich in letzter Zeit aus meiner Ungläubigkeit ziehen konnte, ist, dass ich bei den jüngsten Diskussionen um die Institution Kirche unbelastet meine Meinung bilden konnte, nicht aber beim zugrunde liegenden Thema an sich.»

 

Auf dem Weg in die ZAR (nl),

lieber Anakreon,

seh ich Deinen klugen Dialog zu einem brisanten und aktuellen Thema, das gleichwohl so alt ist wie jede Pädagogik/Erziehung überhaupt, denen immer asymmetrische Beziehungen zugrunde liegen (nach einem Wort von Hartmut von Hentig hat Erziehung zudem allemal von Liebe auszugehn, egal an welchem Ort und durch wen - und wer will sich dem verschließen?). Inzwischen ist der bloße Verdacht ein Hebel geworden, unliebsame Mitarbeiter (etwa in Kindergärten) zu stigmatisieren.

Aber darauf werd ich nächste Woche zurückkommen.

Auch Deine Einlassung zum Atheismus ist klug. Da möcht ich noch an Brecht erinnern, dem der Glaube wurscht war, es kommt doch drauf an, was einer tut, und an Gottfried Keller, der seinen Werdegang zum Irreligiösen haarklein im Grünen Heinrich (beide Fassungen!) darstellt.

Wie gesagt, ich kaum wieder drauf zurück!

Bis dann & ein schönes Wochenende wünscht

Friedel

 
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Hallo Anakreon

zunächst ein Hinweis zur persönlichen Anrede in Texten: "Du" wird grundsätzlich klein geschrieben.

Dein Text beinhaltet interessante Gedanken zu einem aktuellen und gesellschaftlich bedeutsamen Thema, dass sich mittlerweile allerdings auch schon einer inflationären Behandlung erfreuen musste. Du siedelst das Ganze in der Sitzung einer Partei an und lässt einen Haufen unterschiedlicher Personen darüber reden, die sich aber nur durch ihre Namen, nicht aber durch die Art wie sie reden, unterscheiden, und benutzt ausschließlich den Dialog als Stilmittel, um dein Thema "abzuarbeiten".

Das empfinde ich insgesamt als informativ, aber leider auch sehr langweilig, gleichförmig und spannungsarm. Solche Texte/Konzepte kommen über die engagierte und oft lobenswerte Grundidee nicht hinaus, sie wirken blutleer und wie ein Referat, das - eine Geschichte vortäuschend - auf einen nur aus Dialogen aufgebauten Text verstreut wurde. Was viele konturlose Personen sagen, könnte letztendlich auch von einer Person vorgetragen werden. Die vielen Personen haben nur Namen, ohne wirklich eine Rolle zu spielen. Sie wirken leblos und die Dialoge gestelzt und allein dem Thema verpflichtet, nicht aber der Authentizität einer realistischen Unterhaltung echter Menschen. Das Thema ist die "Hauptperson" in diesem Stück, brisant und aktuell - aber auf diese Weise in den Fokus der Leser gerückt, nicht wirklich packend und ansprechend dargeboten. Meiner Meinung nach.

Ich habe die Erfahrung schon oft gemacht und sehe sie durch deinen Text wieder einmal bestätigt: Wenn einem Autor ein Thema unter den Nägeln brennt, aber die Idee zu einer "echten" Geschichte fehlt, flüchtet man sich bevorzugt in eine eine Dialoggeschichte. Man hofft, dass Dialoge an sich den Mangel an Konzept und Dramatik wettmachen, dass sie aus sich heraus Dynamik erzeugen, und man meint offensichtlich (und fälschlicherweise), man könne x-beliebig vielen Personen bequem all das in den Mund legen, was man als Autor zum gewählten Thema an Meinung, Konflikt und Brisanz zu sagen hat und verbreiten möchte.

Ich halte das für einen Trugschluss. Es gibt meiner Ansicht nach kaum etwas Schwierigeres, als gute und glaubwürdige Dialoge zu schreiben. Und wenn man sich fast nur auf wörtliche Rede verlässt, dann müssen sich die Personen, die durch nichts weiter charakterisiert werden, auch entsprechend unterscheiden, auch und besonders durch die Art, wie sie reden, wie sie formulieren, wie sie auftreten und natürlich auch was sie letztendlich von sich geben.

Diesen Anforderungen wird deine Geschichte nicht gerecht, und das ist der Hauptpunkt meiner Kritik. Und so möchte ich dir auch erklären, warum ich weiter oben mein Gefühl beschrieb, dass hier ein Thema eher "abgearbeitet" wird.

Ob da nun zwei, sechs oder zwölf Personen diskutieren, das spielt keine Rolle. Und wer was sagt, spielt auch keine Rolle. Das macht dein Konzept am Ende willkürlich und banal, und das wiederum schadet deinem Anspruch, ein aktuelles und interessantes Thema literarisch angemessen und für den Leser spannend aufzubereiten.

Unabhängig davon finde ich, dass deine Gedanken zu diesem Thema sehr wohl klug, vielschichtig und ansprechend geäußert werden, aber die lahme und uninspirierte Verpackung lässt diese Wirkung leider weitgehend verpuffen. Das wirkt größtenteils eher geschwätzig als eindringlich. Und so ist die von dir gewählte Form der Geschichte aus literarischer Sicht auch nichts anderes als ein Feigenblatt.

Rick

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anakreon,

ich habe insgesamt drei Ansätze gebraucht, um diesen Text zu Ende zu kriegen und habe lange rumüberlegt, was ich Dir dazu schreiben soll. Es fällt mir ziemlich schwer, überhaupt etwas zu schreiben.
Daran merkst Du vermutlich schon, dass mir Deine Geschichte nicht sonderlich zugesagt hat.

Mehrere Sachen irritieren mich. Zum einen ist es die gestelze Sprache, über die ich immer wieder während des Lesens gestolpert bin und die mich zweimal abbrechen ließ, weil ich einfach nicht weiterlesen konnte.

Es fängt schon mit dem allerersten Satz an:

Mit Herzlichkeit wurde Jan Seiboldt an der Sitzung begrüsst und sein gebräuntes Gesicht, welches, von längeren Ferien zeugte, mit scherzhaften Äusserungen vermerkt.

Klar, kann man das so ausdrücken und es soll ja in einer Geschichte nicht "umgangssprachlich" zugehen, aber trotzdem ist die Wortwahl für meine Begriffe so antiquiert. Ich würde aus dem Satz vielleicht folgendes machen:

Die Sitzungsmitglieder begrüßten Jan Seiboldt herzlich und scherzten wegen seiner Bräune, er wäre wohl länger im Urlaub gewesen.

Oder so ähnlich, war jetzt nur ein spontaner Gedanke.
Aber in dem Stil geht Dein Text weiter und macht es mir richtig schwer, ihn durchzuhalten.
Ich habe auch mal eine andere Geschichte von Dir angelesen und aus den gleichen Gründen nicht zu Ende bekommen. Das finde ich schade, denn Du könntest vieles einfacher ausdrücken, weniger umständlich. Ich hoffe, Du verstehst mich nicht falsch.

Das hier z.B. hat mit gar nicht gefallen:

Jan hatte wieder das Wort übernommen. «Dies ist mir ganz klar zu einseitig, wie das Thema hier diskutiert wird. Fakt ist, dass die Kirche in den Fokus kam, da Vertreter aus ihren Reihen sich teils massive Übergriffe zuschulden kommen liessen. Dies fällt insbesondere dadurch auf, da sie mit ihrem Dogma in Anspruch nehmen hohe ethische Werte vorzuleben. Die strafrechtliche Konsequenz obliegt, wie ich bereits erwähnte, der Justiz. Eine Neubesinnung und Aufarbeitung der internen Gegebenheiten der Kirche ist jedoch deren Sache und die ihrer Mitglieder, welche durchaus in der Lage sein sollten Druck auszuüben.
Weiterer Fakt ist aber auch, dass eine vermutlich viel höhere Anzahl an Personen, welche keine Funktionen in den Kirchen ausübten, gleichartige Übergriffe begingen. Wie mir durch Zeitungsmeldungen aufgefallen ist, waren diese nicht selten in Ausbildungsstätten oder Sportvereinen tätig, soweit es um Kinder und Jugendliche ging. Übergriffe gegen Frauen zeichneten sich eher durch Vertreter medizinischer Berufe als auch in nicht berufsspezifischen Machtpositionen ab. Insofern denke ich, dass es die intime Nähe zum andern Menschen ist, die manchen Personen ein enormes Spannungsfeld erzeugt, das sie die Kontrolle über sich verlieren lässt. Zu deren Labilität kommt wahrscheinlich begünstigend hinzu, dass in vergangenen Zeiten sich die Gesellschaftsnormen zur Sexualität als auch zur Gewalt teils desorientierend veränderten.»

Das ist zwar eine wörtliche Rede, aber Du hast da soooo viel an Infos vergraben, dass es sich eher wie ein Bericht aus der Zeitung liest.

Klar, ich kenne das auch von mir. Ich habe ein Thema und ich will es erzählen, will es dem Leser in der Geschichte vermitteln und packe alle Infos und was mir wichtig ist zusammen und bombardiere den Leser in der Geschichte damit. Auch wenn es innerhalb eines Dialoges stattfindet, für mich ist das much too much. Es erschlägt mich und das, obwohl ich das Thema wichtig und richtig finde, aber nicht in der Form, damit erreichst Du mich nicht.

Es ist doch so, wir kennen die Problematik ja alle aus der Tagespresse, das Thema ist seit Wochen on top, also niemandem hier fremd. Da kannst Du Dich auf das Wesentliche konzentrieren, finde ich.
Auch sind es für meine Begriffe zu viele Personen (Rick hat es bereits erwähnt) mit so gut wie keiner Persönlichkeit im einzelnen. Lieber wenige, die ich als Leser kennenlernen kann und einen konkreten Fall, der die Geschichte trägt, das fände ich viel besser. Es muss mitnichten das ganze Spektrum eines Themas in eine einzelne Geschichte gepackt werden, auch wenn's einen in den Fingern juckt und glaube mir, ich verstehe das sehr gut.

Liebe Grüße
Giraffe :)

 

Rick schreibt >zunächst ein Hinweis zur persönlichen Anrede in Texten: "Du" wird grundsätzlich klein geschrieben<, was "grundsätzlich" in der Form NICHT korrekt ist. Da ist der Duden "freier" als Rick, denn der stellt es einem frei, wie "vertraulich" einer in der Anrede mit dem andern umgeht, also das förmliche (Großschreibung also) oder das vertrauliche vorziehe.

Auf vier Seiten Manuskript DINA 4 einzeilig unter TNR 12 pt beschreibstu.

lieber Anakreon,

eine parteiliche sozialliberale Sitzung, wie sie zum Thema Gewalt/Missbrauch ablaufen könnte. Dabei hält die Runde sich nicht bei populistischen Thesen des Boulevard fest, selbst als mich bei der Namenswahl wie >Schafroth<, also das rote, und somit sündige Schaf des Klerus oder auch >Erika Steiner, die selbst den Lehrerberuf …< als Anspielung auf Rudolf Steiner (u. a. Pädagoge) wenige Bedenken kamen, womit auch schon der ganze Pfeffer der Geschichte verbraucht zu sein scheint. Denn in der Tat, da haben Rick und Giraffe nicht Unrecht, das kommt sehr förmlich rüber und es ist unwahrscheinlich, dass eine Partei nicht wenigstens ein wenig Polemik aufkommen lässt. Da beißt nix. Da stolziert Herr Seiboldt hinein und ungestört, weil in Wohlgefallen badend, wieder hinaus. Selbst ein Weichei wie die Westernwelle weiß zu ärgern, zu polarisieren. Gib noch'n bisschen Würze hinzu (muss ja nicht gleich wie Pfeffer brennen), ich bin sicher, dass das geht!

Die Kleinkrämerseele vermeint jedoch, einige Schnitzer gefunden zu haben, was direkt mit dem einführenden Satz beginnt: >Mit Herzlichkeit wurde Jan Seiboldt an der Sitzung begrüsst und sein gebräuntes Gesicht, welches, von längeren Ferien zeugte, mit scherzhaften Äusserungen vermerkt.<
Der einleitende Satz will mir durch die substantivierte Floskel >mit Herzlichkeit< geradezu „bürokratisch steif“ erscheinen - da schon liegt das Stolzierende zu Tage. Tät’s nicht einfaches „herzlich …“ im gleichen Sinne?

Vielleicht ist das >an< „lokal“ durchaus korrekt gewählt, hierorts bedeutet es eher ein „auf/entlang“ >der Sitzung<, dass ein „in“ i. S. des „drin(nen)“ sinnvoller erscheint: „… Seiboldt in der Sitzung …“

Letztlich ist das Komma hinterm Relativpronomen entbehrlich.

Beim Komma bei auslaufender wörtlicher Rede HINTERM Anführungszeichen (zB >«Aber es wurden ja selbst in Rom Eingeständnisse gemacht, wenn auch höchst halbherzig,» warf André Hartmann ein.< korrekt „ … wenn auch höchst halbherzig»KOMMA warf André …“; da dies als Serie geschieht nehm ich an, dass da eine ältere oder eigene gramm. Regel vorliegt).

Und noch ein letzter Schnitzer. Besser: >Doch überlegen wir malKOMMA wie wir selbst auf manche Reize reagieren<, wobei ich auch fehlbar bin und auch keine Gewähr auf Vollständigkeit gegeben werden kann.

Gruß

Friedel

 
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Hallo Rick

Danke für Deine fundierte Kritik, die ich in Analyse und Deutung weitgehend als erfrischend anspruchsvoll wahrnahm. Sie spiegelt teils auch Zweifel, welche mir nach mehrfachen Überarbeitungen am Schluss auftraten, die ich dann wohl zu Unrecht negierte. „Die Literatur hat mich streitfähig gemacht“, diese Äusserung von Peter Bichsel an den diesjährigen Solothurner Literaturtagen, war mir allzu verführerisch im Gedächtnis. Nach distanzierter Überlegung denke ich jedoch, dies ist nicht gegen eigene Zweifel anwendbar. Im Ringen um die Kunst des Erzählens werde ich mich wieder vermehrt auf jene Formen konzentrieren, zu denen ich vorbehaltlos und streitfähig stehe.

Die Grossschreibung des Du ist mir subjektiv sympathischer und höflicher, weshalb ich in dieser Gewohnheit verhaftet blieb. Es ist wie die Gemse, welche zur Gämse wurde, dem Bayern der immer schon vom Gamsbart sprach vielleicht vertrauter, auch wenn der Gämsbart da nun gleichwertig ist.

Gruss

Anakreon


Hallo Giraffe

Danke, dass Du Dir Zeit nahmst für eine Kritik, obwohl der Stil Dich Überwindung kostete, es durchgehend zu lesen. Deine Empfindungen sind mir nachvollziehbar und stringent auf den Punkt gebracht: Weniger wäre mehr. Du hast auch den wundesten Punkt herausgegriffen, die überladenen Informationen. Diese schienen mir bedeutungsvoll, da die Medienperspektiven – soweit mir bekannt – kaum differenziert daherkamen. Aber ich sehe schon, meine eigene Perspektive war hier wohl etwas eng. Ich werde mir noch Gedanken dazu machen und die „Baustelle“ retuschierend öffnen, wobei ich mich auch beim gestelzten Stil an der Nase nehme.

Gruss

Anakreon


Hallo Friedel

Nach Zweieinhalbwöchigem abtauchen an das Mittelmeer, habe ich den PC wieder eingeschaltet, um die Schelte „ohne Feigenblatt“ einzustecken.

Es war wirklich zu verlockend, dem sündigen Schaf einen schamhaft geröteten Stempel aufzudrücken. Bei Steiner war der Griff wohl eher unbewusst, ist mir die These des Herrn Rudolf insgesamt doch etwas suspekt, wenngleich die praktizierte Pädagogik für einige Kinder der rettende Strohhalm ist. Den Westerwelle sah ich in der Figur von Seiboldt nicht, auch wenn es zu solchen Assoziationen kommen kann. Ich hatte mich vorab versichert, dass es keine aktive Partei mit angeführtem Namen gibt, um mögliche Verwechslungen mit existierenden Personen zu vermeiden. Die vorgegebene Thematik erforderte aber eine Parteirichtung, in der es glaubwürdig so abgehandelt sein könnte. Doch da sieht man meine Unerfahrenheit in Bezug auf Parteipolitik und deren Sitzungen, es fehlte an Heftigkeit und war zu wenig spitz. Es lehrt mich, man sollte nicht die Leichen in fremden Gräbern fleddern, oder hiess es wohl sich nicht mit fremden Federn schmücken. Nun ja, ich werde auch diese „Baustelle“ wieder öffnen und in jeder Hinsicht die Inhalte prüfen. Danke für Deine wie immer konstruktive Meinung und Hinweise.

Gruss

Anakreon

 

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