Was ist neu

Ohne Titel

Mitglied
Beitritt
02.07.2001
Beiträge
37

Ohne Titel

Erzähl' mir vom Krieg, bat das Kind den Mann und ich schenk' dir den Frieden dafür. Der Mann erzählte vom Krieg, aber als er endete, trug das Kind schon die Uniform am Leib und die Waffe in der Hand und starb in den Feuern einer blutigen Schlacht.


Ohne Titel

"Geteiltes Leid ist halbes Leid!" lachte er fröhlich und nahm sie sanft in seine Arme. "Erzähl mir einfach, was dich drückt und wir gehen zusammen dagegen an!" Seine Stimme klang fest und optimistisch. Es war Frühling und sie war bereit, ihm einfach zu glauben.
Es war ihr eigener Lebensunmut, ihr ständiger Trübsinn, verbunden mit der Einsicht, daß es nichts gab in der Welt, wofür es sich wirklich zu leben lohnte. Bevor sie ihn kennengelernt hatte, waren alle ihre Beziehungen eine Enttäuschung gewesen. Und nach und nach war in ihr die Überzeugung gewachsen, daß kein Mensch ihr geben konnte, wonach sie suchte. Also hatte sie es mit Gott versucht, hatte sich an verschiedene Religionen gewandt, hatte sich mit der Magie beschäftigt, unterschiedliche Totenkulte erforscht, zahlreiche Bücher über Philosophie gelesen und war trotzdem keinen Schritt weiter gekommen: das Leben - ihr eigenes und das der Menschen allgemein - hatte keinen Sinn. Es gab keinen einsehbaren Grund, warum und wofür sie existierte, es gab keinen Zweck, den sie in der Welt erfüllte, weil es keinen Zweck gab, den die Welt im Universum und den dieses in einem möglicherweise noch größeren Zusammenhang erfüllte. Aus diesen Überlegungen heraus, war ihr aller Lebensmut, alle Freude am Sein verloren gegangen. Bei allem, was sie tat, sah sie nur die sinnlose Verschwendung kostbarer Lebenszeit, durchlitt ständig die Angst, etwas größeres, wichtigeres zu verpassen und wurde endlich so rastlos und so deprimiert, daß ihre Eltern sich entschlossen, einen Arzt aufzusuchen. Der Arzt war ein junger freundlicher Mensch, der ihr aufmerksam zuhörte und ein paar Medikamente gegen Depressionen verschrieb. Er hatte Verständnis für ihre Sorgen, aber er teilte sie nicht: sein Leben war ausgefüllt und hatte durchaus einen Sinn: eine liebe Frau und zwei kleine Kinder, ein guter Beruf und das Gefühl im Dienste der Menschen zu stehen - das war doch etwas. Er fragte nicht nach dem Sinn der Menschheit und der Bedeutung seiner selbst für das Universum: er half, wenn jemand krank war, freute sich an seiner Arbeit ebenso wie an seiner Familie und dem verdienten Urlaub und hatte einen seiner größten Wünsche erst vor Kurzem erfüllt: ein eigenes Haus mit Garten und Swimmingpool.
Die Medikamente schienen zunächst zu helfen. Sie dachte weniger nach, lebte mehr für die aktuellen Ereignissen und entdeckte ihr altes Hobby - die Malerei - wieder. Sie traf sich öfter mit Freunden, entdeckte die leichte Unterhaltung, die Kino oder Disco boten und genoß es einfach, zu leben, ohne ständig darüber nachzudenken.
Aber als es Herbst wurde, die Vögel in Scharen das Land verließen, die ersten Schneestürme durch die Straßen fegten und die Bäume immer trauriger und kahler wurden, kamen auch die Zweifel und der Unmut zurück. Wo war der Sommer geblieben? Was hatte sie alles Sinnloses getan? Wie hatte sie ihre Zeit nur so verschwenden können und was war sie den Menschen eigentlich wert, die sie ihre Freunde nannte? Ganz deutlich sah sie die eigene Zukunft vor Augen: Schulabschluß, Studium, einen Mann kennenlernen und heiraten, Kinder kriegen, arbeiten, alt werden und sterben. Dazwischen Alltag und Langeweile, seichte Unterhaltung, einige wenige Höhepunkte in der Liebe oder bei der Arbeit und das war's dann auch schon. Trist und ohne viele Tränen die Beerdigung auf einem Friedhof irgendwo in der Stadt und schon am nächsten Tag würde man sie vergessen haben.

Als sie ihn kennenlernte, wiederholte sich die Wirkung der Medikamente, nur hielt sie diesmal an. Die ersten Strahlen der milden Frühlingssonne konnten ihr Gemüt so weit erhellen, daß sie sich entschloß, die düster-verhangene, räucherstäbchennebel-durchzogene Höhle, zu der ihr Zimmer während des Winters geworden war, zu verlassen und in dem weiten Park ihrer schönen Stadt nach dem zu suchen, was ihr die Enge der eigenen vier Wände all die Monate hindurch vorenthalten hatte. Sie fand es. Und wie sie es fand! Auf einer Bank sitzend, die Beine übereinandergeschlagen, mit geschlossenen Augen und einer halb abgebrannten Zigarette im Mund, den Kopf zurückgebeugt, der vollen Sonne im schönen Gesicht und einer Hundeleine in der Hand, an deren anderem Ende ein riesiges Tier den halben Fußweg versperrte. Die erste Begegnung wurde zu einer etwas mißglückten Mischung sämtlicher bekannter Hollywoodstreifen, in denen eine Frau, ein Mann und ein Haustier vorkommen und endete mit einem zerbissenen Turnschuh und einer neuen Telefonnummer in ihrem Adressbuch.
Man traf sich wieder, lernte sich kennen, tauschte CDs, Erfahrungen und Zärtlichkeit, man erfuhr die Schwächen und Fehler des anderen und verliebte sich am Ende.
Aber die Bedenken kamen zurück, die Sorgen und Ängste, die Zweifel und die Unrast. Mit anderen Inhalten manchmal, in fremder Verkleidung, weniger theoretisch und mehr dem Leben nah - aber im Grunde immer noch die selben: es gab keinen Sinn und es gab kein Ziel und auch wenn sie wußte, wie lächerlich sich ihre Probleme gegenüber denen der restlichen Welt ausnahmen, wurde sie nicht fertig damit.
"Geteiltes Leid ist halbes Leid!" lachte er fröhlich und nahm sie sanft in seine Arme. "Erzähl mir einfach, was dich drückt und wir gehen zusammen dagegen an!"
Das hatte er gesagt und weil es Frühling gewesen war und sie doch so lange auf genau diese Aufforderung gewartet hatte, erzählte sie ihm, was sie sorgte, sprach sie von ihrer Angst, befreite sich mit jedem Wort, das an die Welt und an sein Ohr drang ein wenig mehr und endete mit einem erleichterten Seufzer. Plötzlich hatte sie es begriffen. Plötzlich war es ihr sonnenklar, plötzlich wußte sie es, als hätte es ihr jemand geradewegs ins Gesicht gesagt. Plötzlich war die Lösung zum Greifen nah und sie griff zu, mit beiden Händen, faßte, packte ihr neues Glück, ihre Erkenntnis mit aller Entschlossenheit und aller Kraft.
"Du bist mein Sinn! Du allein und wir beide sind es, für die sich die Erde dreht. Unseretwegen existieren Sonne, Mond und Sterne, unseretwegen erschuf Gott die Welt. Unser Leben ist das Universum und mit uns stirbt das Licht. Aber solange man uns nicht trennt, werden wir unsterblich sein!"
In diesem Augenblick war aus ihrem Verliebtsein Liebe geworden und sie genoß es, freute sich daran, erstrahlte in ihrem Glück.
In diesem Moment wurde aus seiner Liebe Gleichgültigkeit.
Er hatte sich gewünscht, ihr Herz zu kennen. Er hatte sich gewünscht, zu wissen über sie. Sein höchstes Ziel war gewesen, zu erfahren, was tief in ihrer Seele war. Nun hatte sie es gesagt. Wort für Wort in aller Offenheit. Sie hatte nichts ausgelassen, kein Geheimnis bewahrt. Sie hatte zu sprechen begonnen und nicht geendet, bevor alles gesagt war. Sie hatte sich ihm völlig entleert. Zurückgeblieben war eine dünne Hülle, schön zwar, aber uninteressant. Ein edler Rahmen ohne Bild, eine teure Vase ohne Blumen, ein perfekter Körper ohne Herz.
Sein Ziel war erreicht, sein Leben erfüllt. Er hatte gekannt für einen Augenblick, einen Menschen genau so, wie er sich selbst kannte. Nun war dieser Mensch für ihn tot und er selbst nicht mehr lebensfähig.

"Ich habe meinen Sinn verloren. Mein Universum ist erloschen. Wenn alles gesagt ist, kommt die Zeit des Schweigens. Ich habe Dich gekannt."

Der Abschiedsbrief, den sie am nächsten Tag fand und erst nach vielem Zureden von Seiten ihrer Eltern der Polizei auslieferte war in säuberlichen Druckbuchstaben verfaßt.
Der Arzt, der wenige Stunden später ihren Tod feststellte, verwendete eine ähnliche Schrift.

 

Hallo,

gar nicht mal so schlecht, der Gedankengang und wie es beschrieben ist. Eine Beziehung in Zeitraffer, so wie man sie draußen über Jahre verfolgen kann. Da lernt man sich im Laufe der Jahre immer besser kennen und kriegt Langeweile vom anderen. Langeweile, ein harmloses Wort, aber ein schleichendes Gift. Alles zu kennen, um es dann abzuheften, ist Langeweile. Man muß jeden Tag dagegen ankämpfen - auch ein Sinn.

Weiter so schreiben ... ist auch ein Sinn.

Heiko

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom