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Ohnmacht
Ohnmacht
„Warum sind Sie wieder nach Schottland zurückgekehrt?“
„Ich habe mich von meiner Frau scheiden lassen und brauchte einen Neuanfang. Ich habe das mit dem Beruflichen verbinden können und hatte das Glück mich versetzen lassen zu können.“
„Lebt Ihre Frau noch in Spanien?“
„Ja. Sie ist zu ihrem neuen Freund gezogen. Sie leben in Barcelona.“
„Wie lange sind Sie jetzt in Aberdeen?“
„Drei Monate.“
„Können sie mir erklären was genau geschehen ist?“
„…ich bin mir nicht sicher. Ich habe das alles nicht mehr vor Augen und kann mich nicht allzu gut daran erinnern. Ich habe manchmal diese Blackouts und weiß einfach nichts mehr.“
„Sie müssen es aber versuchen. Immerhin sind Sie der einzige der diesbezüglich aussagekräftig ist.“
„Ich habe es ja versucht. Die ganze Zeit. Immer und immer wieder. Ich habe alles andere ausgeblendet, um mich darauf zu konzentrieren… aber es geht nicht!“
„Mr. Slevin, es ist nicht gerade einfach für mich mit dieser Situation umzugehen. Es liegen drei Leichen in ihrem Haus. Ihre beiden Kinder und Elaine wurden übel zugerichtet und auf bestialische Art ermordet. Sie sind der einzige Überlebende und das ist gleich bedeutend mit: Sie sind der einzige Verdächtige. Ist Ihnen das bewusst?“
„Ja. Ich bin mir dessen Bewusst.“
Jess Slevin hätte es nie für möglich gehalten, dass seine beiden Kinder sich dermaßen schnell an die neue Umgebung gewöhnen würden. Nach all den Schwierigkeiten während der Scheidungsphase mit seiner Ex-Frau und den unzumutbaren Zuständen, war diese Tatsache ein absolutes Wunder. Nun bewohnten die Drei ein schickes Haus und wurden von den Nachbarn, die Jess teilweise noch aus seiner Kindheit kannte, herzlich aufgenommen und es schien, dass sich alles dem Positiven zuwendet. Shanice und Timmy fühlten sich scheinbar rundum wohl. Die Verbindung die die beiden Kinder zueinander hatten war in der Tat eine sehr besondere. Timmy, 10 Jahre alt, war Jess´ leiblicher Sohn. Shanice, Sieben Jahre alt, wurde von Jess und seiner Ex-Frau adoptiert als sie drei war. Sie konnte nicht reden. Ein stummes, sehr hübsches Kind. Timmy fühlte sich sofort für das kleine Mädchen verantwortlich und ging sehr Fürsorglich mit ihr um. Er liebte sie abgöttisch und verbrachte so viel Zeit wie möglich mit ihr. Shanice hingegen, das wurde allen schnell klar, war anders. Sie war sehr introvertiert und zeigte nie Gefühlsregungen. Es war unmöglich genau zu bestimmen wie sie sich fühlte. Jess Ex-Frau bezeichnete sie demnach auch mal als „ein herumlaufender Eisblock“. Warum das so war wusste niemand. Sie waren bei verschiedenen Ärzten aber keiner konnte ihnen helfen. Man versuchte sich damit zu arrangieren und kümmerte sich dementsprechend um Shanice. Vielleicht war sie auch der ausschlaggebende Punkt, der zur Trennung von Jess und seiner Frau führte. Sich das eingestehen wollte jedoch keiner der Beiden. Es war jedoch ziemlich überraschend, dass Jess eher kampflos das Sorgerecht für beide Kinder erhielt. Seiner Ex-Frau schien das nicht allzu wichtig zu sein.
„…meine Tochter, Shanice, hat ein ernsthaftes Problem. Sie ist nicht in der Lage Gefühle zu entwickeln. Man kann sie loben, anschreien und was auch immer, es berührt sie einfach nicht. Sie braucht nicht mal Körpernähe. Es ist ihr egal. Manchmal kommt sie mitten in der Nacht in mein Zimmer und sagt seltsame Dinge.“
„Was für Dinge?“
„Ich kann das nicht genau wiedergeben. Es ist meist wirres Zeug und macht keinen Sinn.“
„Nennen Sie mir doch ein Beispiel.“
„Es wird in der Nacht geschehen, Daddy!“
„Mehr nicht?“
„Lassen Sie mich kurz nachdenken.“
„OK. Lassen Sie sich Zeit… aber Moment! Wie meinen Sie mit: sie sagte seltsame Dinge? Ich dachte sie wäre stumm!“
„Hatte ich das erwähnt?“
Jess hatte Elaine in der Bücherei kennen gelernt und sie auch bald zum Abendessen eingeladen. Timmy war ihr gegenüber gleich sehr zugänglich. Shanice war jedoch reserviert und hielt sich zurück. Schon in der kommenden Zeit kam Elaine oft zu Besuch und begann eine Liaison mit Jess. Stets kritisch beäugt von Shanice. Elaine war eine ziemlich gut aussehende und von freundlichem Wesen gezeichnete Frau. Sie hatte ein unaufgeregtes und ihren Ansprüchen genügendes Leben. Die große weite Welt war nicht ihr Ding. Sie liebte die Übersichtlichkeit und unspektakuläre Lebensweise in Aberdeen. Und nun? Nun war da plötzlich ein geschiedener Lebemann mit zwei Kindern und hatte ihr den Kopf verdreht. Das größte Abenteuer ihres Lebens. Es vergingen mehrere Wochen und Shanice hatte nach wie vor keinerlei Interesse sich mit Elaine zu befassen. Elaine wiederum tat ihr bestes und bemühte sich diesbezüglich. Für Jess war diese Situation nicht einfach. Er nahm sich vor, mehr Zeit mit seiner kleinen Tochter zu verbringen und kümmerte sich in erster Linie um sie. Elaine und Timmy hatten vollstes Verständnis und unterstützen Jess in seinem Vorhaben. Das Shanice nicht sprechen konnte stellte kein großes Problem dar. Man verstand sich mit Händen und Füssen. Gerade in dieser Phase schien sie, für ihre Verhältnisse, sehr anhänglich zu sein und kam öfter in der Nacht zu Jess und wollte in seinem Bett schlafen. Er ließ sie gewähren.
„Sie sagten, dass die Kleine seit Geburt an Stumm gewesen sei.“
„Kann sein. Vielleicht habe ich mir nur eingeredet, sie hätte was gesagt. Sie war kein normales Kind, verstehen Sie? Sie war krankhaft eifersüchtig wegen Elaine. Ich glaube sie hat Elaine gehasst.“
„Hat Shanice was damit zu tun, was in der besagten Nacht geschehen ist?“
„Absolut. Sie war ein abgrundtief Böse.“
„Was genau hat sie getan?“
„Sie hat mit mir gesprochen. Zumindest habe ich es mir eingeredet.“
„Was wollte Sie?“
„Sie sagte eben diese seltsamen Dinge. Das schwirrte mir die ganze Zeit durch den Kopf. Ich war besessen von den Dingen die sie sagte.“
„Daddy? Mit wem redest Du?“
Timmy stand an der Tür des Schlafzimmers und beobachtete seinen Vater, der vor dem Spiegel saß. Er hörte nicht was sein Vater sagte, aber irgendwas hatte er gehört.
„Ach ich habe nur mit mir selbst gesprochen. Ich bin einwenig fertig und gestresst. Das mit der Arbeit und Shanice setzt mir ziemlich zu.“
Ohne weiter darauf einzugehen ging Timmy in sein Zimmer. Kurze Zeit später ging Shanice in Jess´ Zimmer und legte sich zu ihrem Vater. Timmy konnte hören wie Jess mit ihr sprach. Natürlich konnte Shanice nichts sagen, aber sein Vater schien ein ganz normales Gespräch mit ihr zu führen. Er hörte auch seinen Namen und den von Elaine. Worum es genau ging, konnte er nicht hören. Es war jedoch ziemlich seltsam. Elaine war an diesem Tag nicht da und hatte sich für den nächsten Abend angekündigt. Timmy freute sich zumindest darauf. So war er nicht ganz auf sich allein gestellt.
„Lassen Sie uns über den besagten Tag sprechen. Ist Ihnen etwas eingefallen? Können Sie mir jetzt was dazu sagen?“
„Shanice kam mittags in mein Zimmer. Sie sprach von Elaine und ihrer bevorstehenden Ankunft am Abend. Wir sollten sie unbedingt mit was Besonderem überraschen…“
„…sprach sie nun oder war das jetzt ihre Einbildung?“
„…ich… ich bin mir nicht sicher. Ich könnte schwören, sie hätte ihre Lippen bewegt. Ich weiß, dass das unmöglich ist. Aber was soll ich Ihnen sagen?“
„OK. Reden Sie ruhig weiter.“
„Sie sagte ich solle das große Messer benutzen und ihr die Kehle durchschneiden. Ich solle ihren Körper in die Badewanne legen und zerstückeln. Ich war wie besessen und tat was der kleine Teufel sagte. Ihre Augen! Sie hätten ihre Augen sehen sollen. Ich war wie gelähmt. Ich fühlte mich ohnmächtig und nicht in der Lage etwas dagegen zu tun. Ich fühlte diese Ohnmacht!“
„Was ist dann passiert?“
Bestimmt und wie in Trance ging Jess die Treppe hoch. Das Messer hielt er in der rechten Hand, mit der blutigen Linken streifte er über das Treppengeländer. Als er vor Timmys Tür stand schaute er sich noch mal kurz um und erblickte Shanice die unten am Treppenaufgang zu ihm hinaufschaute. Sie lächelte und zwinkerte ihm zu. Sie schien etwas zu flüstern, was er jedoch nicht verstand. Auch verwarf er diesen Gedanken, da Shanice ja nicht in der Lage sein konnte zu sprechen. Er wandte sich wieder von Ihr und nahm die letzten Stufen der Treppe. Aus dem Zimmer seines Sohnes ertönte leise Musik und die Schreibtischlampe schien die einzigste Lichtquelle zu sein. Wahrscheinlich saß Timmy am PC. Jess öffnete die Tür und erblickte seinen Sohn, der sich vom Schreibtisch aus zu ihm drehte.
„Dad? Was ist los? Geht es Dir gut? Du blutest!“
Jess lächelte und flüsterte. „Nein mein Sohn. Ich blute nicht. Das ist Elaines Blut. Ich habe sie abgeschlachtet.“
Timmy schrie plötzlich hysterisch und hatte unendliche Angst. Er versuchte zu fliehen und rannte wie von Sinnen in den Schrank. Er hörte wie die Schritte seines Vaters näher kamen. Schreiend, weinend und in absolutem Angstzustand presste er seinen kleinen Körper in die hinterste Ecke des Schrankes.
„Sie haben Ihren eigenen Sohn ermordet!“
„Shanice wollte es so.“
„Wollte Shanice auch, dass Sie sie töten?“
„Ja. Das war der krönende Abschluss ihres Plans. Alle sollten sterben. Auch ich!“
„Wieso leben Sie noch?“
„Noch! Ich werde den Plan schon irgendwie zu Ende bringen. Da bin ich mir ziemlich sicher!“
Nachdem Jess auch Shanice tötete, zerstückelte er auch ihren kleinen Körper. Sie wehrte sich nicht mal und schien sich nicht zu fürchten. Nun hatte er alle drei Leichen in die Badewanne gesteckt und Beine, Hände und Arme ragten aus der Wanne. Das gesamte Badezimmer voller Blut und kleineren Körperteilen. Zufrieden und glücklich darüber, dass es nun vorbei war und er seine Aufgabe erfolgreich zu Ende gebracht hatte, ging Jess unter die Dusche. Anschließend rasierte er sich und zog sich einen Anzug an. Er fühlte sich wie Neugeboren und ging in sein Schlafzimmer. Er zündete sich eine Zigarre an und genehmigte sich einen Schluck Cognac. Nun saß Jess vor dem Spiegel und schaute seinem Spiegelbild tief in die Augen. Er lächelte und schien zufrieden zu sein. Dann begann er mit seinem Spiegelbild zu reden:
„Warum sind Sie wieder nach Schottland zurückgekehrt?“
„Ich habe mich von meiner Frau scheiden lassen und brauchte einen Neuanfang. Ich habe das mit dem beruflichen verbinden können und hatte das Glück, mich versetzen lassen zu können.“
„Lebt Ihre Frau noch in Spanien?“
„Ja. Sie ist zu ihrem neuen Freund gezogen. Sie leben in Barcelona.“
„Wie lange sind Sie jetzt in Aberdeen?“
„Drei Monate.“
„Können sie mir erklären was genau geschehen ist?“
„…ich bin mir nicht sicher. Ich habe das alles nicht mehr…“
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