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Onkel Fred

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01.05.2009
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Onkel Fred

Onkel Fred


Die Kinder waren gerade in die Schule gegangen, sie hatte die Küche geputzt.
Jetzt würde sie noch einen Kuchen für Onkel Fred backen.
Heute Mittag sollte er ankommen, wie ihr Mann gesagt hatte.
Da klingelte es, sie schaute aus dem Fenster, sah einen Mann mit einem Koffer. Onkel Fred war also schon früher angekommen, war wohl die Nacht mit dem Zug durchgefahren.
Sie öffnete die Haustür, umarmte Onkel Fred, den sie noch nicht kennen gelernt hatte und gab ihm einen Kuss.
Onkel Fred erschien ihr ein bisschen überrascht wegen der stürmischen Begrüßung.
Ihr Mann hatte oft von Onkel Fred gesprochen, dem Bruder seiner Mutter. Als Kind war er in den Ferien oft bei ihm gewesen, auf seinem Bauernhof. Er züchtete Schweine. Seine Frau war vor einem halben Jahr gestorben.
Onkel Fred musste jetzt wohl um die sechzig sein, hatte sich aber gut gehalten, sah jünger aus.
Das Leben auf dem Land ist eben doch gesünder, dachte sie.
Robert hatte ihr erzählt, dass Onkel Fred immer nach Schweinestall gerochen hatte, das hätte sich durch seine so Arbeit ergeben. Sie nahm aber keinen Geruch wahr.

Sie bat Onkel Fred gleich ins Wohnzimmer, wollte ihm vorher seinen Koffer abnehmen, aber er wollte ihn nicht abgeben.
Seinen Mantel hing sie an die Garderobe.
Sie setzte sich zu ihm und fragte ihn, ob sie ihm etwas zu trinken bringen solle.
Onkel Fred schaute etwas verwundert drein, sagte dann aber: „Ja, gerne, vielleicht ein kleines Bier, ich habe immer Durst, das macht wohl der viele Staub, den ich schon in meinem Leben geschluckt habe.“
Sie brachte ihm das Bier, schenkte auch für sich ein halbes Glas ein, prostete ihm zu, sagte, sie sollten am besten gleich auf „du“ trinken.
Onkel Fred war wohl etwas irritiert, stimmte aber dann freudig zu.
„Also denn, ich heiße Gerda“, sagte sie, „ich habe dich ja bisher noch nicht kennen gelernt.“
„Friedrich, angenehm,“ antwortete er.
Ob die Reise anstrengend gewesen sei, fragte sie ihn. Er schüttelte den Kopf, er sei ja nicht so lange unterwegs gewesen.
Die Zeit schien bei Landbewohnern auch keine Rolle zu spielen, vermutete sie, Fred musste doch mindestens acht Stunden im Zug gewesen sein.
Onkel Fred hatte sein Bier ziemlich schell ausgetrunken, sie holte eine neue Flasche.
„Sag mal Gerda, hast du nicht vielleicht etwas Kräftigeres? Der Arzt hat nämlich gesagt, dass ich nicht so viel Flüssigkeit zu mir nehmen darf, das ist ungesund für meine Nieren.“

Aus dem Schrank brachte sie ihm eine Flasche Kirschwasser, er schenkte sich gleich ein, goss sein leer gewordenes Bierglas halbvoll.

„ Der Robert kommt erst am späten Nachmittag von seiner Arbeit zurück. Vielleicht sollten wir jetzt nach oben ins Gästezimmer gehen. Da haben wir ein bequemes Bett, ein Doppelbett. Manchmal besucht uns Ehepaare“, sagte sie. Onkel Fred war sicherlich von der anstrengenden Reise müde.
Fred verschluckte sich am Schnaps, schüttelte dann aber den Kopf.
„ Ich würde zuerst lieber noch ein Bier trinken, vielleicht auch noch einen Schluck von dem guten Kirschwasser und dann muss ich dir noch zeigen, was ich mitgebracht habe.
Meine Hände sind heute etwas zittrig, mein Magen flau, ich muss mich noch etwas entspannen. Hatte gestern einen anstrengenden Tag. Aber dann können wir gerne nach oben gehen.“

Gerda holte noch eine Flasche Bier, einen Schnaps goss er sich alleine ein.

„Sag mal Gerda, hast du nicht einen kleinen Bissen zu essen“, fragte er sie.
Sie lief in die Küche und richtete schnell eine Wurstplatte an, stellte sie auf den Couchtisch. Er fing sofort an zu essen.
„Habt ihr auch etwas Käse?“
Als sie fast in der Küche war, rief er ihr noch hinterher, dass sie noch ein Schnapsglas mitbringen solle.
Aha, dachte sie, er will aus einem kleinen Glas weniger trinken.
Alles stellte sie auf den Tisch, er goss das kleine Schnapsglas voll, sich füllte er wieder etwas Schnaps in sein Bierglas und drückte ihr das kleinere Glas in die Hand.
Zusammen müssten sie etwas trinken, sagte er, alleine mache es keinen Spaß, nicht nur beim Trinken fügte er hinzu und brach in lautes Gelächter aus.
Die Schnapsflasche war schon erheblich leerer geworden, er setzte sich dann näher zu ihr, füllte ihr noch ein Glas ein, drückte sie etwas an sich und lachte ihr zu.
Robert hatte ihr erzählt, dass Onkel Fred ein sehr herzlicher Mensch sei. Da sie nicht weniger herzlicher erscheinen wollte, gab sie ihm einen Kuss auf die Wange.
Dann wandte sich Fred wieder dem Essen zu, aß alles auf und schenkte beiden kräftig ein.
Schnaps war sie nicht gewöhnt, schon gar nicht auf nüchternen Magen und am Vormittag, sie spürte die Wirkung, ihr war schon etwas schwindlig, sie musste ununterbrochen lachen.
Die Schnapsflasche war jetzt fast leer, Onkel Fred rülpste, stand auf und sagte, dass sie jetzt wohl am besten ins Gästezimmer gehen sollten.
Sein Jackett hatte er schon ausgezogen, es lag auf dem Fußboden neben seinen Schuhen.
Sie war froh, dass Onkel Fred kein Bier mehr verlangte, Schnaps hätte sie auch keinen mehr gehabt.
Onkel Fred löste dann seine Krawatte und stand etwas schwankend auf.
„Jetzt bin ich bereit“, sagte er. „Jetzt kann es dann richtig losgehen.“

Sie gingen zusammen zur Treppe, aber plötzlich blieb Fred stehen.

„Ja das Wichtigste hätte ich ja fast vergessen.“

Er ging zu seinem Koffer zurück, hatte Schwierigkeiten dabei.
Jetzt würde er die Geschenke auspacken, dachte sie.
Er schaute sie an und öffnete dann den Koffer. Sie sah einen Staubsauger. Den könnten sie gut gebrauchen, ihr alter war erst gestern kaputt gegangen.
Sie nahm ihm das Gerät ab, sagte, sie wolle es gleich in die Besenkammer stellen.
Onkel Fred aber nahm ihr den Staubsauger wieder ab.
„Ich werde dir mal zeigen, wie das Gerät funktioniert. Eins kann ich dir aber gleich sagen, das ist einer der besten Staubsauger der Welt“, sagte er.
Er suchte eine Steckdose und schaltete den Staubsauger ein. Er lief viel leiser als ihr alter, fand sie und sagte ihm das auch.
Onkel Fred strahlte. Er fegte mit der Hand alle Krümel vom Tisch, alles lag jetzt auf dem Teppich, den ihr Tante Irma zu Ostern geschenkt hatte.
Onkel Fred nickte ihr zu.
„Jetzt wirst du mal was sehen“, rief er fröhlich, setzte den Staubsauger ein, der allen Dreck sofort aufsaugte, der saugte so stark, dass sogar noch ein Stück Teppich rausgerissen wurde.
Onkel Fred schaute ein bisschen bekümmert drein, sagte, man müsse den Staubsauger dann eben schwächer bei Teppichen von minderer Qualität einstellen.
Dann rannte er in die Küche, brachte eine Tasse mit dreckigem Wasser mit, er hatte wohl Leitungswasser mit Müll vermischt, goss es auf den Teppich, der Sauger saugte wirklich alles auf.
„Dein Teppich sieht jetzt wieder wie neu aus, wenn man mal von dem rausgerissenen Stück absieht“, behauptete er, „man kann wirklich genau sehen, wo ich gesaugt habe.“
Ja, das konnte man wirklich sehen, dachte sie.
Sie schaute auf die Uhr, es war fast zwölf, die Kinder würden aus der Schule kommen und sie hatte noch kein Mittagessen zubereitet. Auch den Kuchen für Onkel Fred hatte sie noch nicht gebacken und leicht benommen war sie auch.
Sie könnte jetzt mit ihm ins Gästezimmer gehen, sagte sie zu Onkel Fred, hoffte ihn los zu werden.
„Ja, gleich“, meinte Fred, „als letztes muss ich dir noch etwas ganz Außergewöhnliches zeigen, der Staubsauger kann wirklich alles, er ist seinen hohen Preis wert.
Den kann man auch nicht im Laden kaufen, die Firma verkauft nur durch kompetente Vertreter.“
Er rannte in die Küche, kam mit dem Mülleimer wieder und schüttete den ganzen Müll auf den Teppich.
Es klingelte an der Haustür, die Kinder waren also schon da, dachte sie, öffnete, sah einen Mann mit einem Koffer, etwa sechzig, er roch nach Schweinestall.
„Hallo, ich bin der Onkel Fred!“

 

Hallo Kurtchen,

an dieser Geschichte mochte ich erstens den klaren Stil und die gute Gliederung. Zweitens fand ich die Figur des schamlosen Staubsaugervertreters sehr erheiternd. Dass die Frau nicht merkt, mit wem sie es zu tun hat, als er von Preisen redet und seine Demonstration startet, zieht das Ganze ein wenig runter: Als Hausfrau dürfte Gerda mit Staubsaugervertretern bestens vertraut sein. Das allerletzte Stück des Endes fand ich etwas unbefriedigend:

„Hallo, ich bin der Onkel Fred!“

Du könntest schreiben, dass sich in diesem Moment ein etwa 60-jähriger Mann, der nach Schweinestall roch, dem Haus näherte oder die Geschichte weitererzählen und zeigen, wie der Staubsaugervertreter sich da rausredet. Genau solche Szenen, bei denen man sich fragt: Wie kommt er da wieder raus? liest man gern. ;) Ich glaube, der Erfolg der James-Bond-Filme beruht zum Teil darauf.

Hat mir gefallen.

Freundliche Grüße,

Berg

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Berg,

danke für deinen Kommenar. Bei einer Überarbeitung des Textes werde ich sicherlich Anregungen von dir aufnehmen.

Gruß

Kurtchen

P.S.: Dass die Frau nicht merkt, mit wem sie es zu tun hat, als er von Preisen redet und seine Demonstration startet, zieht das Ganze ein wenig runter:
(Sie hat schon etwas Alkohol intus)

 

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