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Oskars Kindheit

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28.03.2022
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Anmerkungen zum Text

Hallo, ich wünsche mir ein Feedback, welches sich hauptsächlich auf Lesbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Logik bezieht.
Vielen Dank für eure Zeit :)

Oskars Kindheit

„Retten Sie den Hund, Heimlich!“
Harald, Graf von Falkenstein versuchte, mit seinem Kreischen das Prasseln der Flammen zu übertönen. Gemeint war sein Leibdiener Viktor, der, wie die Gräfin und die Hausangestellten, mit rasendem Herzen und schreckengeweiteten Augen vor dem brennenden Familiensitz stand.
„Aber Herr Graf!“ Johanna Heimlich griff verzweifelt nach dem Ärmel ihres Dienstherren. Er riss den Kopf herum und funkelte sie an. Es schien, als ob das Feuer aus seinen Augen schlüge.
„Sie scheinen sich zu vergessen!“, schrie er und machte sich los.
Dicke, schwarze Wolken flohen aus der aufgerissenen Eingangstür und den Fenstern und im ersten Stock leckte goldene Feuerzungen die Simse darüber.
Gustav Heimlich schaute kurz herüber, atmete tief durch und stürzte unter dem Aufheulen seiner Frau in die quellenden Schwaden. Sie presste Oskar, den gemeinsamen Sohn an ihren Rockschoß, bedeckte seine Augen, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Der Wind fachte das Inferno an, es krachte und heulte und fraß sich lebendig durch das Gebäude.
Sekunden wurden zu Minuten, zogen sich wie Honig, bis Johanna es nicht mehr aushielt und sich zu ihrem Sohn beugte. Nahm sein rußverschmiertes Gesicht in beide Hände und sagte: „Oskar, Du läufst jetzt ganz schnell zu eurem Baumhaus und wartest dort auf mich! Verstanden!?“
Er nickte mit verschleiertem Blick, sah wie das immer freundliche, jetzt verzerrte Antlitz das Flackern des Feuers reflektierte.
„Aber Papa?“, flüsterte er.
Die Mutter drehte ihn die Nacht, gab ihm einen Klaps und der achtjährige Junge begann zu laufen. Immer, wenn er seinen Kopf wandte, wurde das verzehrende Lichtspiel kleiner, die Geräusche leiser und als er den Waldrand erreichte, war es nur noch ein zuckend tanzendes Irrlicht, in dem er aufgewachsen war.
Am nächsten Vormittag weckten ihn die Rufe des Dienstmädchens Elli, die seinen, aus den Ästen hervorlugenden Kopf entdeckte. Langsam stieg sie die knarrende Holzleiter zum roh gezimmerten Baumhaus empor und mit tieftraurigen Ringen unter den Augen, schloss sie den Jungen in die Arme.
„Mein kleiner Oskar. Es tut mir so leid“, flüsterte sie, schwer schluckend und ein Schluchzen unterdrückend. „Ich verspreche Dir, von nun an auf Dich aufzupassen.“ Dabei strich sie sein Haar. Die grauen Augen im verschmierten Gesicht des Kindes blieben ängstlich an ihr hängen.
Seit jener Nacht, in der Oskar seine Eltern verlor, war der stille Junge nur noch ein geduldeter Gast auf Schloss Falkenstein. Graf und Gräfin plagte offenbar das schlechte Gewissen, ein Kind zur Waise gemacht zu haben, für einen Hund, der längst außer Gefahr gewesen war. Deshalb kam er nicht in ein Waisenhaus, sondern man ließen ihn in Ellis Obhut. Dazu kam, dass der verwöhnte und verweichlichte Nachkomme, Ludwig, Graf von Falkenstein, einen Spielgefährten brauchte. Der jüngere Oskar ertrug die Launen des gräflichen Nachwuchses, der nur wenige Regeln zu befolgen hatte und das Personal oft seine Stellung spüren ließ. Mal waren ihm die Hemden nicht frisch genug, dann war die Suppe zu kalt oder das Badewasser zu heiß. Manchmal brüstete er sich mit seiner Bildung durch einen Privatlehrer und fragte die Angestellten heuchlerisch um Rat, nur um sie dann verächtlich bloßzustellen.
Solches Verhalten war weniger die Schuld des Lehrers, der sich täglich mühte, etwas Anstand und Erziehung in Ludwig hineinzubekommen. Dieser Johann Riedel verlegte den Unterricht im Sommer manchmal in einen der versteckten Pavillons in die im französischem Stil angelegten Gartenanlage. Dort, hinter einer dichten Hecke konnte man einen großen Springbrunnen rauschen hören, den alle Beete, Bäume, Büsche und Wege umringten.
Der Lehrer achtete darauf, dass niemand sah, wie er Oskar, den Bedienstetensohn heranwinkte und einlud, den Geschichten von Perseus, Achilles und Odysseus zu lauschen. Anfangs noch verwundert, bald aber aufgeregt diese Momente erwartend, fesselten den Jungen diese Stunden bis ins Tiefste. So etwas kannte er nicht aus der Dorfschule, die von einer älteren Lehrerin geführt wurde. Dort lernten die Kinder der einfachen Leute nur das Nötigste an Schreiben, Lesen, Rechnen und Kirchenlieder. Aber im Schatten uralter Kastanienbäume, auf einer schmalen Holzbank gelangte er in eine längst versunkene Welt. Da kämpften und starben Männer, bei dem Versuch, Länder und Frauen zu erobern. Es wurden Monster abgeschlachtet und Feinde hinters Licht geführt, es wurde geliebt und gestorben.
Bis eines Tages der Graf zufällig an dieser Bank vorbeikam. Sein Sohn lag etwas entfernt auf der Wiese. Die Arme hinter dem Kopf, wippte ein Strohhalm in dessen Mundwinkel, während er so vor sich hindämmerte. Die Vergangenheit interessierte ihn wenig, wie auch seine Zukunft. Er, der Grafensohn würde, ob mit oder ohne Schulabschluss bis zum Lebensende versorgt sein. Wen kümmert es, was dieser alte Riedel zu erzählen hatte.
Der Graf stutzte, stemmte die Hände in die Seite und erfasste die Situation sofort.
„Was hat der Stallbursche hier verloren? Dafür gebe ich ihm morgens nicht frei, um ihn nachmittags auch noch von einem Privatlehrer unterrichten zu lassen!“, schrie er rot angelaufen.
Der Lehrer erbleichte, sah seine Stellung in Gefahr. Die Jungen waren zeitgleich aufgesprungen, Oskar einige Schritte zurückgewichen, stieß mit dem Rücken gegen einen Baum. Ludwig schlurfte über den Rasen heran.
Von Falkenstein baute sich vor den beiden hängenden Köpfen auf und mit ungewohnter Heftigkeit schlug er dem einen links, dem anderen rechts ins Gesicht. Schnaufend holte er Luft und brüllte: „Wenn ich Dich hier noch einmal erwische, fliegst Du vom Gut.“ Speicheltropfen regneten auf Oskar, der den Kopf tiefer einzog. „Du bist ein Nichts! Verschwinde, wo Du hingehörst!“
Dann packte er seinen Sohn am Kragen: „Und Du sollst eines Tages unseren Besitz behüten! Wie willst Du das als Analphabet machen? Meinst Du, das Geld wächst auf Bäumen, dass wir es einem Lehrer einfach hinterherwerfen könnten? Du setzt Dich jetzt auf Deinen Hosenboden und wenn ich auch nur die Andeutung einer schlechten Leistung, egal in welchem Fach, höre, prügle ich Dich windelweich.“
Er stieß seinen Sohn von sich, holte kurz Luft und fuchtelte mit den Händen: „Ich kann Dich ganz schnell enterben lassen, dann landest Du bei dem da im Pferdestall!“ Und deutete auf den davonlaufenden Oskar.
Trotz der folgenden Standpauke und der Drohung, den Posten des Privatlehrers zu verlieren, lud Herr Riedel Oskar danach manchmal heimlich zu sich nach Hause ein. Denn anders, als bei dem verwöhnten und gelangweilten Ludwig, sah der Lehrer die Begeisterung in in dessen Augen und konnte oft gar nicht schnell auf all die Fragen antworten. Bei aufgeregten Erstaunen erfuhr der Junge, dass man bis heute Spuren und Hinweise auf all diese Legenden im Schutt der Geschichte finden konnte. Zum seinem elften Geburtstag steckte der Lehrer ihm ein ausgelesenes Exemplar von Gustav Schwabs „Schönsten Sagen“ zu. Von diesem Tag an war das Oskars größter Schatz, den er bald auswendig kannte.
Nach der Schule arbeitete er fleißig im Stall, half bei Besorgungen und Reparaturen. Doch abends in seiner Dachkammer, wenn die Sterne durch das kleine schräge Fenster funkelten, spürte er, dass er an Grenzen stieß. Das Schloss, obwohl 50 Zimmer groß, wurde ihm immer enger. Die ausweichenden Blicke der Herrschaften, die dümmlichen Gespräche mit Ludwig über das Unvermögen des Schneiders aus der Stadt und die täglichen Routinen, ließen Zweifel aufkommen, dass es im Leben nichts anderes mehr geben könnte.
Hektor, Sohn des Priamos und durch das Schwert des Achilles getötet, brauchte doch keine Ställe ausmisten und Türscharniere ölen. Genauso wenig wie Iason sein Schiff selbst baute oder Theseus und Herakles den Amazonen Tee servieren mussten. Oskars Vorbilder waren schlau, mutig und vor allem frei.
Dazu kam, dass außer Elli, die zum Obersten Dienstmädchen aufgestiegen war, sich niemand für seine Leistungen interessierte. Ziemlich früh schon hatte er die Schulkameraden überflügelt und die Lehrerin merkte an seinen Blicken aus dem Fenster oder dem lustlosen Kritzeln auf der Schiefertafel, dass Oskar unterfordert war.
Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung, die Mittel für ein neues Dach der Schule erbringen sollte, wagte die Frau es, den anwesenden Grafen auf die schlummernden Talente Oskars hinzuweisen.
Dieser musterte ihre einfache Kleidung von oben bis unten und antwortete: „Der Junge bekommt bei uns alles, was ein guter Dienstangestellter braucht. Ein Pferdeknecht oder eine Küchenhilfe müssen keine Universität besucht haben, sondern mit den Tieren gut umzugehen wissen und das Geschirr spülen können. Vielleicht wäre es sogar besser, Oskar schneller auf sein zukünftiges Leben bei uns im Schloss vorzubereiten und ihm den Schulbesuch zu verbieten.“
Die Frau überlegte einen Moment: „Der Junge könnte aber eines Tages vielleicht selbst ein Lehrer werden. Er zeigt so viel Wissbegier.“
Der Graf verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „So etwas brauchen wir auf Schloss Falkenstein nicht. Guten Tag!“
Und wandte sich ab.
Doch die Lehrerin ließ es nicht darauf beruhen. Wenn es ihre Zeit erlaubte, gab sie Oskar zusätzliche Aufgaben zum Rechnen und Schreiben und veranlasste Herrn Riedel, ihm heimlich Bücher aus der großen von Falkensteiner Bibliothek zukommen zu lassen. Diese war für die Familie nur Dekoration, um vor den adeligen Besuchern als gebildet dazustehen, denn weder der Graf noch sein Nachwuchs lasen gern. Deshalb bemerkte niemand das zeitweilige Fehlen einiger Bücher über Geschichte, Tierwelt und Astronomie. So lernte Oskar Don Quijchote, Long John Silver und Oliver Twist kennen. Seinen Schulkameraden hatte er Jules Verne und Jonathan Swift voraus, aber auch Kopernikus und Newton.
Trotz dieser Unterstützung kam die Ernüchterung, als die Schule nach acht Jahren für den 14-Jährigen endete. Da er als arme Waise galt, kamen eine weiterführende Ausbildung oder ein späteres Studium für ihn nicht in Frage. Seine Niedergeschlagenheit wurde noch vergrößert, als er erfuhr, dass ein Heinrich Schliemann Troja entdeckt hatte und dabei war, es auszugraben. Sofort erwachte in Oskar der Schlachtenlärm um den Mauern dieser Stadt im fernen Kleinasien. Vor seinem inneren Auge sah er, wie die Helden gegeneinander anstanden. Wie die Trojaner das hölzerne Pferd durch das Tor zogen und letztlich alles in einem Feuersturm zu Asche zerfiel.
Ihm wurde klar - das war seine Berufung! Weder gehörte er in die ärmliche Schule, noch in den Pferdestall oder eine Werkstatt. Und gleich gar nicht in die Nähe solcher Ignoranten wie Ludwig. Er selbst musste es sein, der die Schätze der Vergangenheit, die Geschichte der Menschheit ans Licht bringt! Der sich einen Platz neben Schliemann, Winckelmann und Belzoni in die erste Reihe der Entdecker sicherte. Vielleicht würde es ihm sogar gelingen, auf eine Stufe mit Champollion zu treten, in dem er fremde Schriften und Zeichen unbekannter Zivilisationen entzifferte? Doch sofort sank sein Mut. Er hatte nichts und war ein Nichts.
Mit Ludwigs Eintritt in die ansässige „Arminia – Burschenschaft“ hatte dieser endlich Kameraden gefunden und musste schon lange nicht mehr auf Oskar als Unterhalter zurückgreifen. Dieser, inzwischen in die Höhe geschossen und durch die Arbeit kräftiger, war das nur recht gewesen, so hatte er Zeit zum Lesen und Träumen gehabt. Allerdings bemerkten auch Graf und Gräfin, dass der ehemalige Spielgefährte ihres Sohnes immer entbehrlicher wurde. Die Schuld am Tod seiner Eltern sahen sie mittlerweile als verjährt und getilgt und so begann sich die Schelte an Oskars Arbeit zu häufen. Er ahnte, dass sein Rausschmiss bevorstand und suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Lieber wollte er heute als morgen diesen Sumpf aus Dekadenz und Hochnäsigkeit verlassen, aber er war mittellos. Ein Diebstahl des gräflichen Schmucks oder Tafelsilbers kamen ihm nie in den Sinn und selbst, wenn man ihm ein gutes Arbeitszeugnis ausstellen würde, wäre das keine Garantie zum Geldverdienen.
Unter solchen umherirrenden Gedanken verrichtete Oskar seine Arbeiten als gräflicher Stallbursche, wurde älter und es kam der 12. Mai 1899. Ein Freitag, der seinem Leben eine völlig andere Richtung geben sollte.
Ludwigs Hochzeit mit Brigitte Gräfin zu Breitenfels stand an. Seit Wochen liefen die Vorbereitungen, das Haus summte und brummte ununterbrochen. Im Park waren große Zelte errichtet worden, unter denen sich die Tische mit mannigfaltigen Gerichten für über dreihundert geladene Gäste biegen sollten. Blumenbouquets wurden hin und her geschleppt, Girlanden gezogen, Fackeln aufgestellt. Das Wetter versprach mild und trocken zu werden und dieses Ereignis ein voller Erfolg. Da die Breitenfelschen Güter eine knappe Tagesreise per Eisenbahn entfernt lagen, übernachtete die Braut und ihre Eltern, sowie eine Handvoll Gäste, z.B. aus Liechtenstein und Monaco bereits im Schloss.
Wie jeden Abend kontrollierte Oskar auch diesmal den langgezogenen Pferdestall. Unruhiges Getrappel und Schnaufen aus den hinteren Boxen ließ ihn neugierig näherkommen und die Tür aufstoßen. Ludwig starrten ihn rotgesichtig und halbnackt aus den aufgeschichteten Strohballen an, zwischen denen sich das dickliche Zimmermädchen Rosa zu verstecken suchte.
„Verschwinde!“, brüllte der Grafensohn mit schwerer Zunge, mühsam mit seiner heruntergelassenen Hose kämpfend, während das Mädchen nur kicherte.
„Aber Herr Graf ...“, sprach Oskar betont entrüstet, seine Stimme triefte vor Spott.
„Halt’s Maul!“, fuhr der Grafensohn ihn an und sprang auf, seine Kleidung festhaltend. Auge in Auge standen sie sich gegenüber, als es aus Ludwig herausplatzte: „Das war heute Dein letzter Tag hier! Wir wollen Dich sowieso schon lange loswerden! Mach Dich vom Acker, ein Zeugnis gibt es nicht! Bist Du morgen noch hier, hole ich die Polizei. Irgendeinen Diebstahl werden wir Dir schon unterschieben können.“
Stieß Oskar vor die Brust und knallte die Boxentür wieder zu. Dieser zuckte mit den Schultern und trottete davon. Hinter sich hörte er nur noch: „Du komm her und mach weiter!“
Kaum eine Stunde später, kurz vor Mitternacht war das ganze Anwesen auf den Beinen, denn der Stall stand lichterloh in Flammen. Personal und Gäste rannten wild gestikulierend durcheinander, die Löscharbeiten mit unzähligen Eimern kamen nur langsam in Gang. Das Feuer fraß sich durch das Gebälk, die Tiere schrien und das Poltern der Hufe übertönte das Prasseln der Flammen.
Im Vorbeirennen packte der aufgelöste Graf im Nachthemd den eilenden Oskar am Arm und schrie: „Retten Sie Pegasus, Heimlich!“
Das Lieblingspferd der Falkensteiner befand sich in einer der hintersten Boxen. Der Graf, obwohl er gern ritt, hatte sonst keine Ahnung von diesen Tieren und deren Zucht. Wohl aber der Brautvater, der beim ersten Anblick in stummer Bewunderung den Mund bewegt und dieses Pferd abgetastet, geradezu liebkost hatte. Leider erkannte er, nach vorsichtigen Andeutungen, dass sich der Graf nicht von seinem Schmuckstück trennen würde und vermied es zukünftig, den Hengst zu sehr zu loben.
Da stolperten Ludwig und Rosa qualmend und in mit versengter Kleidung hustend aus dem Rauch hervor.
„Was machst Du hier?“ Das Gesicht des Grafen verzerrte sich in Unverständnis, gleichzeitig schien er die Situation zu erfassen. „Macht, dass ihr mir aus den Augen verschwindet. Darüber reden wir morgen!“, bellte er, während um ihn herum, die Menschen hetzten und staunten und der Stall mit lautem Krachen in sich zusammenfiel. Wie ein Tier heulte der Graf auf.
Am nächsten Morgen standen er, Ludwig, der Stallmeister Burghardt und einige Burschen vor den schwelenden Überresten. Aufrecht, einen Arm auf dem Rücken, stocherte von Falkenstein mit seinem Gehstock in der Asche und fragte mit müder Stimme: „Wie viele Pferde haben wir verloren?“
Burghardt räusperte sich und murmelte: „Fünf. Drei Stuten, zwei Hengste.“
„Pegasus?“ Der Graf sah auf, flehend hingen seine Augen an dem Stallmeister. Der senkte den Kopf. „Er ist nicht unter den geretteten Tieren.“
Von Falkenstein stöhnte auf, stützte sich schwer und wackelig auf seine Gehhilfe, zwei Burschen sprangen herbei, ihn aufzufangen.
Unwillig schlug er ihre helfenden Hände beiseite. „Was war die Ursache?“, verlangte er zu wissen. Der Stallmeister druckste mit auf den Boden gerichteten Augen herum. „Das Feuer brach wohl in einer der Boxen aus ...“
Ludwig wurde munter: „Würde mich nicht wundern, wenn das sein Werk war! Er trieb sich gestern Abend hier herum!“, verkündete er und schaute, Bestätigung suchend, in die Runde.
„Oskar ist auch ein Stallbursche. So etwas würde ...“, versuchte Burghardt einzuwenden, doch eine Handbewegung des Grafen schnitt ihm das Wort ab.
„Was meinst Du damit?“ Seine Stimme klang scharf, er straffte sich vor seinem Sohn. Dieser schluckte mehrfach und platzte heraus: „Wir hatten einen Streit und ich habe ihn rausgeschmissen. Früher oder später wolltest Du das doch eh tun!“, versuchte er sich zu verteidigen.
Der Graf packte ihn am Jackenaufschlag und zischte: „Was hast Du zu ihm gesagt?“
Ludwig riss die Augen auf und hob abwehrend die Hände. „Nichts, Vater. Ich habe ihm gar nichts erzählt. Hältst Du mich für dumm?“
Weitere Augenblicke der Musterung folgten, dann wurde der Griff des Grafen schlaff. Er wandte sich ab und murmelte: „Dein Auftritt hier letzte Nacht war kein Beweis für das Gegenteil.“
„Sollen wir nach ihm suchen?“, bot der Stallmeister an. Die Augen des Grafen glitten über die verkohlte Ruine, sein Blick verschleierte sich und er winkte ab. „Nein, das brauchen Sie nicht. Wahrscheinlich hat ihn das gleiche Schicksal ...“, er brach ab. Und riss sich erneut zusammen. „Ist sonst jemand verletzt?“ Sein Blick ging in die Runde, aber Burghardt schüttelte nur stumm den gesenkten Kopf.
„Gut“, sagte der Graf. „Räumt das hier auf und ich werde um Pegasus weinen.“ Mit schleppendem Schritt und kurz darauf von seinem Sohn gestützt, ging er ins Schloss zurück.
Zwei Tage später saß ein neugekleideter Oskar im Zug nach Osten. Auf dem Schoss eine bauchige Ledertasche, die seinen ganzen Besitz enthielt. Der Waggon ruckelte gemütlich die Strecke in Richtung Sachsen, draußen zogen Dörfer und Felder vorüber. In Gedanken fühlte er noch den galoppierenden Hengst zwischen seinen Schenkeln. Dieses Pferd hatte ihn an das Ziel seiner Wünsche gebracht. Schon lange wollte Oskar es den von Falkensteins heimzahlen, denn Elli hatte ihm auf dem Sterbebett vom Schicksal seiner Eltern berichtet. Nur mit Mühe konnte er der ersten Wut und Bestürzung widerstehen und musste seiner Ziehmutter versprechen, weder den Grafen noch dessen Familie zu töten. So schmiedete Oskar Pläne über Pläne, doch nichts schien den Verlust seiner Eltern aufzuwiegen. Dazu kam, dass er nirgendwo Anschluss oder Verbündeten fand. Er, die Waise, gehörte zu niemandem. Zu klug für die Stallburschen, zu belesen für den Koch, zu schlau für Ludwig. Keiner, außer ihm, las so oft oder hatte so viele Fragen über das Leben und die Welt. Meist saß er einsam in einer der Pferdeboxen und grübelte, wie er diesem Gefängnis entkommen konnte. Schließlich war er kurz davor, auch ohne Geld und Papiere das Weite zu suchen.
Auf die Idee, Pegasus zu stehlen, brachte ihn der Graf zu Breitenfels. Bei jedem Besuch hatte Oskar dessen Verlangen nach diesem Tier sehen können. Wie er sich die trockenen Lippen beleckte, wenn er bewundernd das Fell des Pferdes strich. Von Falkenstein erlaubte ihm einmal, Pegasus zu reiten und zu Breitenfels kam mit einem seeligen Lächeln zurück, ein Traum war für ihn in Erfüllung gegangen. Umso misstrauischer war er zunächst, als Oskar andeutete, ihm das Pferd beschaffen zu können. Aber die Habgier, dieses Tier unbedingt im eigenen Stall haben zu wollen, wurde immer größer, bis sie den Vorabend der Hochzeit zur Übergabe vereinbarten. Der Graf war sogar bereit, die astronomische Forderung von 10.000 Goldmark für Pegasus zu zahlen.
Während Oskar mit wachen Augen die Landschaft beobachtete, wusste er, dass das Pferd in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war. Vielleicht befand es sich schon in Belgien oder sogar Frankreich? Zu Breitenfels hatte es gar nicht erwarten können, Pegasus so schnell wie möglich aus Deutschland zu entführen.
Der Gedanke, dass bei seiner Brandstiftung auch andere Tiere ums Leben gekommen waren, versetzte Oskar einen anhaltenden kalten Stich ins Herz. Pegasus war schon längst am Waldrand angebunden, als er einen Sack alter Pferdeknochen in dessen Box verteilt und dort das Feuer gelegt hatte. War er besonders leise und vorsichtig gewesen, weil er noch den emsig beschäftigten Ludwig und die willige Rosa hören konnte? Der Tod des Grafensohns ... In Oskar stritten zwei Stimmen. Mit dieser Handlung war er wahrscheinlich zum Tiermörder geworden. Und, waren dabei vielleicht Menschen zu Schaden gekommen? Andererseits, wenn es Ludwig getroffen hatte, dann fühlten die von Falkensteins, wie es ist, seine Familie in einem Feuer zu verlieren. Aber Rosa ... die hatte das nicht verdient.
Mit dem Gedanken, dass alles irgendwie gutgegangen sein musste, atmete Oskar tief aus. Zärtlich strich er die über das Leder der Tasche, in der er frische Kleidung, das Empfehlungsschreiben der alten Lehrerin für das Gymnasium und seinen Reichtum hortete. Erschöpft von der Anspannung, legte er den Kopf an die Scheibe und das Schuckeln der Bahn trieb ihn in einen erholsamen Halbschlaf.

 

Hallo @Max Mustermann

ich habe deine Anmerkungen ins Info-Fenster verschoben. Bitte ins Geschichten-Fenster nur die Geschichte. Zu deiner Frage bzgl. Tag Abenteuer: Gibt es nicht und wird es in naher Zukunft auch nicht geben.

Gruss,
GoMusic

 

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