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Partytime

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30.11.2009
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Partytime

Ich stelle das Glas ab und greife direkt zum nächsten, diesmal gefüllt mit Cola, um den widerlichen fast schmerzhaften Geschmack zu kompensieren. Während mein Trommelfell mit monotonen House-Bässen malträtiert wird, stelle ich mir, gehüllt in einen bunt beleuchteten Nebel, zum dritten mal an diesem Abend die Frage, warum ich so etwas nicht einfach lasse. Morgen wird mir mein Kopf jeden einzelnen Schluck Escorial heimzahlen, das ist sicher. Und doch gehört dieses Ritual zu einer erfolgreichen Partynacht wie die Musik, das Tanzen und das Flirten.
Als sich meine Speiseröhre allmählich wieder erholt, schaue ich mich um und mir wird wieder einmal bewusst, warum ich mich schon die ganze Woche auf diesen Abend gefreut habe. Es ist einfach umwerfend. Der DJ bemüht sich ein möglichst breit gefächertes Spektrum an Musikrichtungen abzudecken, womit er ab und an selbst meinen Geschmack trifft, die Leute sind weitaus flirtfreundlicher als bei den letzten eher unterkühlten Partys und hier und da erspähe ich sogar ein Gesicht, das ich nicht schon seit fünf Jahren kenne. Im Kreis meiner Freunde und mit dem mittlerweile vierten Wodka auf Eis fühle ich mich einfach nur fabelhaft. Das Outfit, das mich den halben Nachmittag und eine Expedition durch meinen gesamten Kleiderschrank gekostet hat, strahlt dieses Selbstvertrauen geradezu für mich aus und auch dieser absolut hinreißende Mann, mit dem ich mich noch bis vor zehn Minuten unterhalten habe, trägt erheblich zu meinem Stimmungshoch bei. Alles ist fast wieder wie damals, geradeso als wäre nie etwas gewesen. Nein, es ist sogar besser.
"Noch eine Runde, Mädels?" Durch eine Wand aus Smalltalk, Gelächter und Bässen dringt Stephans Stimme an mein Ohr. Reflexartig drehe ich mich um und schreie in einem Anflug von Endorphinüberproduktion.
"Und loooos!"
Wieder dieser stechende Schmerz in der Rachengegend, wieder dieses erlösende Gefühl, wenn die Cola direkt hinterher fließt und wieder die gleiche Frage wie zuvor, die ich dieses mal allerdings durch eine andere sofort im Keim ersticke.
"Wie wär’s jetzt mal mit Tanzen, oder wollen wir uns einfach nur besaufen?"
Es ist Andreas, der sich zuerst aus seiner Schnapsgrimasse lösen kann und antwortet.
"Nein, Tanzen klingt gut. Ich kann sowieso nicht mehr."
Gesagt, getan. Zu viert versuchen wir, uns von der Bar durch die Menge Richtung Tanzfläche zu schieben. Wie sich herausstellt ein eher schwieriges Unterfangen, denn nach dem dritten Schritt steigt die mittlerweile nicht unerhebliche Menge Alkohol von meinem Magen direkt in den Kopf. Ein kleines Schwanken hier und ein großes Stolpern da und schon bin ich mitten im Geschehen und versuche, dabei ein noch halbwegs nüchternes Gesicht zur Schau zu stellen.
Schätzungsweise fünf Meter vor dem gelobten Podest, das von den drei anderen bereits unter lautem Gejohle bestiegen wird, tippt mir jemand von hinten auf die Schulter und ich höre meinen Namen.
Nach einer ungeschickten Schwungdrehung erstarre ich zu Eis.
Mein Magen verkrampft sich, ich spüre regelrecht das Adrenalin durch meinen Körper schießen und schlagartig bin ich wieder klar im Kopf. Zu einem akuten Gefühlschaos mischt sich ein Bilderschwall, der in sekundenschnelle an meinem inneren Auge vorbeizieht und jede Erinnerung, die mich in den letzten fünf Jahren mal hier mal dort begleitet hat, prasselt jetzt gleichzeitig auf mich ein. Ich sehe die Lounge-Ecke, in der wir, in der ersten Nacht, die gesamte Party über gesessen und geredet haben, sehe den kleinen Gartenpfad zu seinem Haus, den ich täglich mit einem unbeschreiblichen Gefühl von Vorfreude gegangen bin, das Wohnzimmer mit dem Schlafsofa, auf dem wir uns stundenlang ineinander verschlungen kitschige Liebesfilme angeschaut haben, die Dusche, in der wir den leidenschaftlichsten Sex meines Lebens hatten. Und ich sehe die Tränen. Seine Tränen als er sich von mir trennte, weil ihm alles irgendwie zu eng wurde und meine Tränen als ich ihm seinen Schlüssel zurückgab, ihn auf den Tisch legte, den wir gemeinsam ausgesucht hatten, und mir endgültig bewusst wurde, dass es vorbei ist.
"Manuel?" Meine Stimme zittert, seine ist klar und fest.
"Mein Gott, ist das lange her. Wie geht's dir denn? Ich hätte dich ja fast nicht wieder erkannt. Du hast dich aber ganz schön verändert."
Er nicht. Er sieht genauso umwerfend aus wie damals und er hat es noch immer, dieses Lächeln, das mich dazu bringt, einfach nur debil grinsend zu nicken.
"So... Sorry. Ich bin gerade etwas schockiert. Du bist so ziemlich der letzte Mensch mit dem ich hier gerechnet hätte."
"Na das klingt aber nicht gerade erfreut." Und da ist es schon wieder. Reiß dich zusammen.
"Nein. Quatsch. So war das nicht gemeint. Ich freu mich natürlich." Wenn er nur wüsste wie sehr. "Aber was treibt dich denn mal wieder hier her?"
"Ach, wir wollten einfach mal etwas Abwechslung. Normalerweise gehen wir so gut wie gar nicht mehr aus, aber heute hatte ich irgendwie Lust dazu. Ich wohn ja mittlerweile in Frankfurt, aber da ist auch überhaupt nichts mehr los."
Wir. Hat er „Wir“ gesagt, oder war ich in Gedanken so sehr bei unserem "Wir", dass ich mich verhört habe. Noch im gleichen Moment, in dem ich die Frage stelle, bereue ich es und mein Magen verkrampft sich ein zweites mal.
"Wir? Wer ist denn wir?"
"Ich und Karsten. Mein Mann."
Dritter Krampf. Und diesmal haut es so richtig rein. Mit dieser Antwort hätte ich dann doch nicht gerechnet und ich spüre, wie sich schlagartig alles um mich herum in ein Chaos aus Licht, Geräuschen und stickiger Luft verwandelt. Der Mann, der sich mit den Worten "Es ist alles viel zu eng. Ich habe das Gefühl, dass ich keine Luft mehr bekomme." von mir getrennt hat, ist verheiratet? Das glaube ich nicht. Das kann ich nicht glauben, nein, das will ich nicht glauben. Noch hätte ich die Möglichkeit, das Gespräch einfach zu beenden, ihm noch einen schönen Abend zu wünschen, mich umzudrehen und wieder gemeinsam mit meinen Freunden Spaß zu haben. Dann könnte ich so tun, als wäre das alles nie passiert und weiter in meiner Illusion Leben. In einer Illusion, in der wir uns irgendwann wieder begegnen, in der es so ist als wären wir nie getrennt gewesen und in der wir, vielleicht nach zwei oder drei Dates wieder zu einander finden. Schließlich hat er es damals genau so gesagt. "Es ist einfach noch nicht die richtige Zeit für uns. Aber irgendwann werden wir uns bestimmt wieder sehen und vielleicht sind wir dann bereit." Während diese Worte noch in meinem Kopf hallen, höre ich, zu kraftlos um es zu unterdrücken, mich fragen.
"Mann? Du bist verheiratet? Wie ist das denn passiert?“ Mein kläglicher Versuch den Schock mit einer flapsigen Bemerkung zu verbergen, hätte ich mir getrost sparen können.
"Na ja, wie so etwas eben passiert. Kurz nachdem wir uns getrennt hatten, habe ich Karsten kennen gelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick und von Anfang an einfach nur perfekt. Ich bin dann relativ schnell zu ihm gezogen und vor einem halben Jahr haben wir uns dazu entschlossen zu heiraten. Es ist Wahnsinn. Er ist der Eine für mich.“

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich es bis hierher geschafft habe. Nachdem ich den ersten Brechreiz gerade noch unterdrücken konnte, bin ich einfach losgerannt. Vorbei an tanzenden Menschen, an plauschenden Grüppchen und knutschenden Pärchen. Es hatte den Anschein, als wollte mir jeder den Weg versperren, wie eine gewaltige Mauer aus Lebensfreude, die ich durchbrechen sollte um hierher zu kommen, zu mir.
Eine halbe Stunde liege ich mittlerweile schon kauernd neben der Kloschüssel. Die Klopfgeräusche sowie die wütenden Rufe, ob ich denn endlich mal fertig werden würde da drin, habe ich ignoriert, nicht wirklich wahrgenommen, denn hier gibt es nur noch mich, meine Gedanken, meinen Schmerz, meine Trauer, mein Leben.
„Er ist der Eine für mich.“
Es war genau dieser Satz, der meine Fassade zum Einsturz gebracht hat, der im Bruchteil einer Sekunde alles zerstört hat, was ich mir in den letzten Monaten so hart erarbeitet habe und nun spüre ich wieder diese große Leere, diese Ausweglosigkeit, von der ich dachte, ich hätte sie hinter mir gelassen. Oder war es doch noch zu früh? Hätte ich all die gut gemeinten Ratschläge befolgen sollen und mir Hilfe suchen, mich meinem inneren Nichts stellen? Natürlich, den Krankenhausaufenthalt habe ich hinter mich gebracht, die Wunden sind mittlerweile verheilt und die blassen Narben bezeugen meine wieder gewonnene Lebensenergie verknüpft mit der Erkenntnis, dass jede Niederlage nicht wirklich tragisch ist, wenn ich mir nur selbst genug bin. Meine Wohnung sieht endlich wieder Tageslicht und zum ersten mal seit Wochen antwortete ich meinen Freunden „Ja, ich komme mit.“
„Er ist der Eine für mich.“
Er ist das was ich nie für dich war, das was ich nie für irgendjemanden war, das was ich niemals sein werde.
Das finale Erbrechen leert letztendlich nicht nur meinen Magen sondern auch meine Seele und schafft Platz für ein mir altbekanntes, erdrückendes Gefühl. Einsamkeit.
Wieder ein stechender Schmerz, direkt neben mir auf dem Boden das erlösende Cola-Glas. Zerbrochen. Kraftlos greife ich danach und berühre mit meiner Fingerspitze die scharfe Kante. Wie durch eine Betonwand höre ich ein Klopfen und Andreas’ Stimme. „Erik? Ist alles in Ordnung?“

 

Hallo und herzlich Willkommen auf kg.de, highking!

Über Schwule zu schreiben hat oft etwas Effekthascherisches (ein Wort für den Vollrausch), ähnlich wie Selbstmord oder Drogenmissbrauch, sooooo abgefahren ungewöhnlich, dass es gerade bei Nachwuchsautoren gehäuft vorkommt und damit wieder etwas entsetzlich Banales hat. Diesen Vorwurf kann man dir eigentlich nicht machen, deine Geschichte ist ein "normales" Beziehungskistending, in dem die sexuelle Orientierung der Prots quasi nicht mal eine untergeordnete Rolle spielt. Du könntest Manuel problemlos mit einer Manuela austauschen, und das würde eigentlich nichts an der Geschichte ändern. Ich weiß gar nicht, ob das gut oder schlecht ist, ist nur so eine Feststellung.

Einzig an der Stelle

Zu viert versuchen wir, uns von der Bar durch die homosexuelle Menge Richtung Tanzfläche zu schieben.

musste ich die Augen rollen. Das ist so ein expliziter Hinweis, der sich liest wie "Ja, ich schreibe über Schwule, welche von euch Pfeifen hat das sonst wohl noch im Ei?"

Davon ab hält einen der weitestgehend flüssige Stil beim Lesen. Die Angst, allein zu bleiben, die einen befällt, wenn man um sich herum Verflossene den/die einzig Wahre/n finden sieht, sollte ja eigentlich einen wunden Punkt in meiner Altersgruppe treffen. Das hat hier aber irgendwie nicht geklappt.
Der Ton der Geschichte ist sehr negativ, da stelle ich die Ohren gern mal auf Durchzug. Verzweiflung, Einsamkeit, unerwiderte Liebe, alles wichtige Themen, aber wenn's dabei bleibt, finde ich das immer ein bisschen, weiß nicht, Anti-Leben.

Ein paar handwerkliche Sachen, von denen ich mir aber nur eine merken konnte:

in der wir den leidenschaftlichsten Sex meines Lebens hatten

Beide hatten den Sex seines Lebens?

Grüße
JC

 

Hallo Highking,
auch von mir ein herzliches Willkommen auf kg.de!

Die Stelle "die homosexuelle Menge" zu streichen, da schließe ich mich Proof an, schließlich wird es nach wenigen Sätzen klar, dass es sich hier um eine Schwulendisco handelt.

Ansonsten hat mir deine Geschichte gefallen. Liebeskummer ist bitter. Einen Partner zu haben und zuerst sich nicht binden wollen und dann den Partner fürs Leben zu finden - das Problem ist auch bei Heteros ein Thema.;)

Gruß
Leia4e

 

Hallo highking,
eine moderne Geschichte, zum Schluß mit ein paar schön formulierten Sätzen zum Nachdenken wie diese:

Es war genau dieser Satz, der meine Fassade zum Einsturz gebracht hat, der im Bruchteil einer Sekunde alles zerstört hat, was ich mir in den letzten Monaten so hart erarbeitet habe und nun spüre ich wieder diese große Leere, diese Ausweglosigkeit, von der ich dachte, ich hätte sie hinter mir gelassen. Oder war es doch noch zu früh? Hätte ich all die gut gemeinten Ratschläge befolgen sollen und mir Hilfe suchen, mich meinem inneren Nichts stellen? Natürlich, den Krankenhausaufenthalt habe ich hinter mich gebracht, die Wunden sind mittlerweile verheilt und die blassen Narben bezeugen meine wieder gewonnene Lebensenergie verknüpft mit der Erkenntnis, dass jede Niederlage nicht wirklich tragisch ist, wenn ich mir nur selbst genug bin.
(...)

Das gefällt mir gut und gibt der Geschichte Tiefe.

Hier jedoch habe ich gestutz, bin etwas verwirrt:

Das finale Erbrechen leert letztendlich nicht nur meinen Magen sondern auch meine Seele und schafft Platz für ein mir altbekanntes, erdrückendes Gefühl. Einsamkeit.

Bis zu dem Wort "Einsamkeit" dachte ich, es würde schmerzen, ausgerechnet "Ihn" wiederzusehen, jetzt reduzierst Du es auf "Einsamkeit". Da kommt bei mir die Frage auf, ist generelle Einsamkeit das Problem oder Einsamkeit "ohne IHN"?

Ansonsten locker zu lesende Geschichte ohne Längen.

Gruß, Buddy

 

Hallo zusammen

und danke für die Willkommensgrüße und die wirklich sehr hilfreiche Kritik.

Die homosexuelle Menge wird direkt gestrichen. Bei näherer Betrachtung wirkt das wirklich einfach viel zu plump. Man sollte dem Leser genügend Grips zumuten, um es ihm nicht so banal vor den Latz zu knallen. Zumal gerade das homosexuelle Thema nichts Effekthascherisches (werd es mal im Vollrausch testen) haben sollte, sondern eben einfach nur so ist, wie ein grünes T-Shirt, das in einer anderen Geschichte vielleicht blau ist.

Buddy: Ab der Stelle "das was ich nie für irgendjemanden war" geht es nicht mehr um "IHN" sondern um das allgemeine Gefühl der Einsamkeit, das in diesem Moment ausgelöst wird, weil er, seiner Meinung nach, niemals das haben wird, was Manuel hat.

Auf jeden Fall, nochmals vielen Dank an alle.

Das erste Forum von dem ich wirklich begeistert bin. :)

Grüße
highking

 

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