Was ist neu

Paula

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01.05.2009
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Paula

Paula
I

Herbst wie mit Wasserfarben gemalt, dachte er.
Gestern hatte es geregnet, jetzt fielen Sonnenstrahlen durch die Bäume, bunte Blätter schwebten herab, Wasserdampf stieg vom Boden auf.
Im Hintergrund hörte man Verkehrslärm, leise, wie ein Rauschen.
Der Pfarrer stand vor dem Loch, der Sarg war schon herunter gelassen worden, vier Männer hielten noch die Seile in ihren Händen. In ihren abgetragenen dunklen Anzüge sahen sie aus wie Penner.
Es roch nach feuchter Erde.
Ihre Eltern und einige wenige Freunde standen nahe beieinander hinter dem Pfarrer vor dem Grab, als ob sie sich gegenseitig vor etwas schützen wollten. Versteinerte Gesichter, Paulas Mutter weinte, eine schmale, schlanke, blasse Figur.
Ihr Vater stützte sie, blickte hilflos zu Boden.
Etwas abseits zwei Männer in langen Mänteln, Hüte ins Gesicht gezogen. Einer hatte einen Fotoapparat in der Hand, fotografierte, der andere schrieb etwas in ein kleines Notizbuch.

Er schaute in das Grab, ein paar Blumen lagen auf dem Sarg und ein Kranz, sah noch einmal den Blumenstrauß an, den er in der Hand hielt, gelbe Rosen, die hatte sie gemocht. Er bückte sich etwas, als wollte er sie auf den Sarg legen, ließ sie dann herunter fallen.
Ein leichter Wind wehte Regentropfen von den Bäumen, er sah nach oben, und Tropfen liefen über sein Gesicht.

Er dachte an alles, was er und Paula zusammen gemacht hatten, was sie noch machen wollten, an ihre Pläne, an Diskussionen, an Utopien.
„Wenn nur eine Person hier weniger weint, dann hat sich eure Arbeit gelohnt,“ hatte mal jemand gesagt. Weinte eine Person weniger, hatte sich Paulas Arbeit gelohnt?
Er hatte Paula lachen und weinen gesehen, sah ihre blauen Augen vor sich, die immer etwas traurig blickten, spürte noch ihre langen schwarzen Haare in seinem Gesicht, die immer leicht nach Essig rochen.

Der Pfarrer schaute in seine Bibel, sprach von einem tragischen Verkehrsunfall, im Glauben läge Trost. Er sprach sehr leise, unsicher, als wenn er selber nicht an seine Worte glauben würde.
Überzeugte Atheistin war sie gewesen.
Angeblich war sie von einem Lastwagen überfahren worden, der Fahrer konnte nicht gefunden werden.
Er wusste es besser, man hatte sie eine Woche lang festgehalten, gefoltert und dann absichtlich überfahren.
Vierundzwanzig Jahre war sie alt geworden, und er hatte sie geliebt.

II

Frühling, die Sonne scheint wieder wie beim letzten Mal, als ich hier war. Paulas Grab liegt an der Nordseite des Friedhofs, nahe der Mauer.
Langsam gehe ich den Hauptweg entlang, die Bäume sind noch fast kahl, biege dann nach links und sehe Paula vor ihrem Grab stehen. Ihre langen schwarzen Haare wehen im Wind.
Sie wendet mir den Rücken zu, bewegt sich nicht, steht einfach nur da.
Ich bleibe stehen, ahne, dass sie wieder verschwindet, wenn ich näher komme.
Jetzt streicht sie sich über ihr Haar, als wenn sie es festhalten wollte. Blaue Jeans hat sie an und trägt die schwarze Strickjacke, in der ich sie fast immer gesehen habe.
Nur noch wenige Schritte trennen uns.
Ihr Haar riecht immer noch ein wenig nach Essig.
Sie bückt sich, ordnet Blumen, die auf ihrem Grab liegen und richtet sich wieder auf.
Ich strecke meine Hand aus, will sie an der Schulter berühren.
Die Gestalt löst sich auf, ich kann sie nicht mehr sehen, stehe alleine da, als wenn sie nie da gewesen wäre.

Es liegen keine Blumen mehr auf dem Grab, auf den Grabstein hat jemand mit weißer Farbe das Wort „Terroristin“ gesprüht.
Ich gehe zu einem Wasserhahn, mache mein Taschentuch nass und versuche die Schmiererei am Grabstein abzuwaschen. Sie ist schon längere Zeit an dem Stein. Ich reibe und reibe, aber die Schrift lässt sich nicht löschen.
„Mensch Paula“, sage ich leise.
Eine ganze Weile stehe ich noch da, dann gehe ich zum Auto zurück.


III

Richtung Norden fahre ich, viel Verkehr. Überall wird renoviert. Frauen laufen herum, tragen große Körbe, ein zweirädriger Wagen mit Säcken beladen, ein kleines Pferd davor, zwischen Autos und Bussen.
Ich komme in die Vorstadt. Ruhig ist es hier. Große Grundstücke, Häuser nach amerikanischem Vorbild, Schwimmbäder. Ein Gärtner schneidet eine Hecke, ein Hund läuft über die Straße.
Hier wohnen Leute mit Geld und Offiziere.
Dann biege ich nach links ein und halte am Anfang der Seitenstraße an.
Von hier aus kann ich den Eingang des Hauses genau beobachten.
Die Haustür geht auf, eine junge Frau kommt mit zwei kleinen Mädchen und dem Dienstmädchen heraus, dreht sich noch einmal um, ruft etwas, ich kann es nicht verstehen. Sie winkt ihrem Mann zu, der an der Haustür steht. Dann steigt sie in ein Auto und fährt an mir vorbei in die Stadt.
Den Mann habe ich öfter gesehen, Hauptmann in der Armee, arbeitet für den Geheimdienst. Es war nicht leicht, ihn zu finden.
Ich öffne das Handschuhfach und nehme den Revolver heraus, entsichere ihn. Colt, Kaliber 38, kurzer Lauf.
„Wenn du wenig Ahnung von Waffen hast, ist das die geeignete Waffe für dich,“ hatte mir einmal jemand erklärt. „Du musst nicht genau schießen können, das Kaliber haut jeden um, egal, wo er getroffen wird. Danach kannst du nahe herangehen und alles mit einem weiteren Schuss beenden.“
Ich werde sehr nahe herangehen, ein zweiter Schuss wird nicht notwendig sein. Sechs Patronen sind in der Trommel, ich werde nur eine brauchen.
Ich stecke den Revolver in die rechte Manteltasche, umklammere ihn fest.

Ich steige aus. Die Haustür ist wieder geschlossen, der Mann ist wieder hineingegangen.
Langsam betrete ich das Grundstück, das Tor ist offen, gehe die Einfahrt entlang. Ich drehe mich noch einmal um, alles ist ruhig auf der Straße.
Ich klingele, Jaramillo steht an der Tür, höre Schritte, die Tür wird geöffnet.
Bratenduft kommt mir entgegen.
So nahe war ich dem Mann noch nie gekommen.
Er lächelt freundlich und fragt, ob er mir helfen könne.
Wenn ich nicht so viel über ihn wissen würde und er keine Uniform anhätte, könnte er mir sympathisch sein.
Etwa 40 Jahre ist er alt, mittelgroß, kurzer Haarschnitt, eine angenehme Stimme hat er. Seine Augen irren umher, als wenn sie etwas suchten, er schaut mich nicht direkt an.
Er weiß noch nicht, dass er seine Haustür zum letzten Mal geöffnet hat, dass er seine Frau und seine Kinder nie wieder sehen wird, dass er nie wieder Befehle geben wird, andere zu foltern oder umzubringen.
Er kommt einen Schritt aus der Tür, steht jetzt direkt vor mir.

Ich werde das jetzt erledigen, denke ich, zum Auto zurücklaufen und zum Flugplatz fahren. Die Flugkarte habe ich schon.
Sollte jemand sich die Autonummer gemerkt haben, nützt das wenig. Es ist mir heute Morgen übergeben worden, man hat es gestohlen.
Was ich hier mache, ist gerecht. „Angst müssen wir verbreiten, jeder von denen muss wissen, dass es ihm genauso ergehen kann“, habe ich immer wieder gehört.

Ich fasse die Waffe fester, werde sie gleich brauchen und frage den Offizier:
„Wohnt hier eine Familie Gonzales?“
„ Gonzales ? Nein, ich wohne schon längere Zeit hier, eine Familie Gonzales wohnt hier in der Gegend nicht. Haben Sie die genaue Adresse?“
Er schaut mich jetzt an. Ich schüttele den Kopf.
„Nein, aber man hat mir erklärt, dass sie hier in diesem Viertel wohnen würde.“
„Moment, wenn Sie wollen, kann ich einen Anruf machen, dann wissen wir die genaue Adresse sofort.“
„Vielen Dank“, sage ich, „ich will sie nicht unnötig belästigen.“
„Kommen sie nur rein, das kann ich schnell erledigen.“

Ich weiß, dass er alleine im Haus ist, alle sind weggefahren. Ein bessere Gelegenheit kann es gar nicht geben, es wird viel leichter sein, als wir gedacht haben.
Ich gehe ins Haus, er schließt die Tür.

„Sie sind Ausländer? Amerikaner?“
„Nein, Deutscher.“
„Ich bewundere die Deutschen, ihre Kultur, Goethe und Wagner, sie haben die beste Armee der Welt!“
„Wir haben fast alle Kriege verloren“, sage ich leise.
Das scheint ihm neu zu sein.
„Wirklich?“

Ich habe immer noch die Hand in der Manteltasche.
„Jemanden umzulegen ist nur beim ersten Mal nicht leicht, man gewöhnt sich daran, wie man sich auch an alles andere gewöhnt“, hatte man mir gesagt.
„Und immer daran denken, dass wir uns für eine gerechte Sache einsetzen, dass wir nur mit gleicher Münze zurückzahlen.“

Und ich erinnere mich an den Satz: „Wenn hier einer weniger weint, hat eure Arbeit einen Wert gehabt“. Das hatte mir eine alte Frau gesagt, deren Sohn umgebracht worden war.
Würde sie weniger weinen? Würden weniger weinen?
„ Mir ist gerade eingefallen, dass meine Frau die genaue Adresse hat, es ist auch nicht so eilig“, sage ich.

Ich nehme die Hand aus der Manteltasche, bedanke mich, er lässt mich wieder raus.
Winkt noch einmal.
Ich gehe langsam zum Auto zurück und fahre weg.

 

Hallo Kurtchen,

im Grundgedanken mag ich diese Geschichte, sprachlich krankt sie mE etwas. Und Abschnitt 3 erscheint mir an zwei Punkten nicht glaubwürdig. Zum Einen wäre ein Mann in der beschriebenen Position wohl nur schwer so ungeschützt anzutreffen, zum Zweiten erscheint mir der Bruch in seinen Überlegungen noch nicht plausibel. Dazu sind der beschriebene Tod von Paula und der Hass auf den Mann zuvor zu stark.
Noch ein paar Details:

Er bückte sich etwas, als wollte er sie auf den Sarg legen, ließ sie dann herunter fallen
hinunter
Er dachte an alles, was er und Paula zusammen gemacht hatten, was sie noch machen wollten
Ich finde "machen" als Verb hier etwas holprig, nicht nur wegen der Wiederholung.
Er sprach sehr leise, unsicher, als wenn er selber nicht an seine Worte glauben würde
besser "selbst", "selber" ist nur die umgangssprachliche Variante, die ich für dieses Sujet nicht passend finde. Auch für den Konjunktiv besser auf die umgangssprachliche "würde-Krücke" verzichten: Er sprach sehr leise, unsicher, als glaubte er selbst nicht an seine Worte.
Frühling, die Sonne scheint wieder wie beim letzten Mal, als ich hier war.
wie bei meinen letzten Besuch hier (an diesem Ort)?
biege dann nach links
dann
, steht einfach nur da
auch streichen
Jetzt streicht sie sich über ihr Haar
über wessen sonst? Mit "sich" verwendest du doch schon ein Reflexivpronomen
als wenn sie es festhalten wollte
Konjunktiv 1 und ohne "wenn": als wolle sie es festhalten
Blaue Jeans
Solange es keine Jeans in anderer Farbe sind, muss diese nicht erwähnt werden.
Die Gestalt löst sich auf, ich kann sie nicht mehr sehen, stehe alleine da, als wenn sie nie da gewesen wäre.
stehe alleine, als wäre sie nie da gewesen
Ich gehe zu einem Wasserhahn, mache mein Taschentuch nass und versuche die Schmiererei am Grabstein abzuwaschen.
"am Grabstein" streichen - wissen wir doch noch. ;)
Eine ganze Weile stehe ich noch da, dann gehe ich zum Auto zurück.
"da" und "dann" scheinst du zu lieben
Wenn ich nicht so viel über ihn wissen würde und er keine Uniform anhätte, könnte er mir sympathisch sein
Wüsste ich nicht so viel über ihn und trüge er keine Uniform ...
Seine Augen irren umher
Ich hoffe doch, nur sein Blick
als wenn sie etwas suchten
als suchten sie etwa
Er weiß noch nicht, dass er seine Haustür zum letzten Mal geöffnet hat, dass er seine Frau und seine Kinder nie wieder sehen wird, dass er nie wieder Befehle geben wird, andere zu foltern oder umzubringen.
Allgemein: viel zu viel "dass"

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Kurtchen,

Wollt mich schon früher zu dieser Geschichte äußern und kam nicht so recht dazu. Diese ist für mich einiges nachvollziehbarer als viele Deiner anderen. Man kann sich in die Szenen reinversetzen und mit dem Prota mitfühlen. Ich glaube, Du hast diesmal mehr Wert auf Details gelegt und die Szene besser geschaffen.

Ein Bisschen lebendiger gings meiner Ansicht nach immer noch, z. B. möchte ich lieber wissen, was er und Paula zusammen gemacht haben und wovon sie so geträumt haben,als nur dass es “viel” war. Da wäre ich dann noch viel näher bei Deinem Prota.

Wenn ich “Kurtchen” lese, dann verschlägts mich schon nach Lateinamerika. Dass das jetzt bei Lesern, die Deine anderen Geschichten nicht kennen, auch passiert, kann ich mir nicht vorstellen. Ich finde es bei dieser Art Geschichten schon wichtig, wo es passiert, hier lieferst Du uns als örtlicen Hinweis eigentlich nur “Gonzales”, “Jaramillo” und dass ein Deutscher ein Ausländer ist. Könnte durch irgendwas am Anfang rüberkommen.

Wie man durch einen Anruf die genaue Adresse der Familie Gonzales sofort weiß, ist mir nicht so klar, auch nicht warum der General den Fremden einfach so in seine Wohnung lässt.

Sprachlich hat sich ja Sim schon ausführlicher geäußert. Ich glaube auch, dass Du die Geschichte durch Eindruck hinterlassende Bilder und mehr Achtung auf die Wortwahl schöner gestalten könntest, z. B.

Ich komme in die Vorstadt. Ruhig ist es hier. Große Grundstücke, Häuser nach amerikanischem Vorbild, Schwimmbäder. Ein Gärtner schneidet eine Hecke, ein Hund läuft über die Straße.

Das sagt mir nicht so viel über den Ort, ist ein Allerweltsort. Irgendwas auffälliges, das bleibende Eindrücke hinterlässt, würd’ ich mir wünschen.

Etwa 40 Jahre ist er alt, mittelgroß, kurzer Haarschnitt, eine angenehme Stimme hat er.

Auch ziemlich Allerweltsmensch. Lass ihn eine Narbe haben, fettige Haare, irgendwas auffälliges. Mit dem ausweichenden Blick bringst Du mir ihn schon etwas näher.

Schön fand ich den Einstiegssatz und die Erscheinung von Paula beim zweiten Friedhofsbesuch. Die Haare, die nach Essig riechen, find’ ich jetzt nicht gerade romantisch, aber daran kann ich mich nach mehreren Tagen noch erinnern. Sowas meinte ich, das fehlt mir bei anderen Deiner Beschreibungen.

Ich klingele.

Heißt es nicht “ich klingle”?

Die Haustür ist wieder geschlossen, der Mann ist wieder hineingegangen

Solche Wortwiederholungen hast Du öfter drin.

Ich klingele, Jaramillo steht an der Tür, höre Schritte, die Tür wird geöffnet.

Die Konstruktion brachte mich durcheinander, weil da 1. das Subjekt wechselt vom “ich” zu “Jaramillo”, dann bei “höre”, lässt Du es aus. Außerdem steht er schon an der Tür und dann hört der Erzähler Schritte.

Deine Sätze sind oft sehr kurz und abgehackt (obwohl oft mit Komma statt Punkt verbunden), Glaube, es wäre flüssiger zu lesen, wenn Du die Sätze besser verknüpfen würdest.

Die Wende am Schluss kam mir auch etwas abrupt daher. Könntest seine Gedankengänge etwas rausziehen, find' ich. Er könnte ein Familienfoto des Generals sehen (beschreiben) oder irgend sowas.

Ansonsten fand ich die Story mitreißend, spannend und interessant. Ich weiß jetzt nicht, ob Du Deine Geschichten in der Reihenfolge reinstellst, in der Du sie schreibst, aber mir kam vor, einen deutlichen Fortschritt in Richtung Lebendigkeit zu erkennen.

Weiter so und liebe Grüße

Elisabeth

 

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