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PC
Ich liebe meinen Computer. Zu jeder Zeit kann ich ihn alles fragen, was immer mir einfällt, er antwortet mir stets sachlich und geduldig. Innen muss er wesentlich größer sein als außen, denn immer wieder bin ich aufs Neue fasziniert von dem Inhalt dieses unscheinbaren kleinen Kastens, der da rechts neben meinen Füßen steht.
Er ist mein Tor zur Welt, mein Lexikon, mein Zweitgehirn, und darüber hinaus ist er noch die regenbogenfarbige Ringeltaube, die die eMail-Post zwischen mir und meinen Freunden hin- und herträgt. Ohne ihn hätte ich sie nie kennengelernt, denn sie leben weit von mir entfernt; einer sogar in der Zukunft.
Den Computer habe ich nicht vom Wochenmarkt, schließlich bin ich ja nicht blöd, sondern aus einem Computerheim. Er ist schon älter, und sein Vorbesitzer ersetzte ihn durch etwas Jüngeres, stylish, anspruchsvoll, kapriziös und kompliziert. Diese Trennung hat er nie so recht verkraftet, und all meine Liebe reicht nicht aus, ihn wieder selbstbewusst und zuversichtlich zu machen. Immer wieder gerät er in existentielle Krisen, versteckt sich dann hinter einem blauen Bildschirm mit weißen Schriftzeichen, kurz gesagt, er stürzt ab, fällt tief hinunter in eine depressive Phase, begleitet von Äußerungen, deren Inhalte mir unverständlich bleiben. Ich sehe darin kryptische Zeichen dahinter liegender Not, einen geheimnisvollen Code, der eine Art „SOS“ sendet, will helfen und schalte den Rechner aus. Manchmal gelingt es mir schon durch gutes Zureden, begleitet von zwei oder drei Neustarts, ihn aus seinem seelischen Tief wieder hervorzulocken; an schlimmeren Tagen aber bedarf es großer Geduld und Umsicht, bis er wieder vertrauensvoll mit mir kommuniziert.
Einmal hatte er mir deswegen so Leid getan, dass ich ihn vorübergehend zu seinem früheren Besitzer zurückbrachte, zwecks Beobachtung und eventueller Heilung. Mein Computer freute sich offenbar sehr, wieder nach Hause zu kommen, denn tagelang plauderte er dort vergnügt und ausgeglichen. Schließlich wurde er mir in Verbindung mit einem Achselzucken und einem Kopfschütteln wieder zurückerstattet. Unser Wiedersehen gestaltete sich von meiner Seite aus hoch erfreut, er aber, mit mir alleine gelassen, stürzte sich völlig verzweifelt wieder und wieder in das Blau, zeigte mir viele unterschiedliche weiße Schriftzüge, die doch am Ende alle nur das gleiche sagen wollten wie E.T.
Da ihm der Weg nach Hause versperrt blieb, behielt ich ihn, sprach freundlich mit ihm, ließ ihn ausruhen, schaltete ihn manchmal ein, aus, wieder ein, beobachtete seine Reaktionen und fand so nach und nach heraus, was er gern hatte. Beispielsweise schätzte er es über alles, wenn ich ihn nicht weiter belästigte und über längere Zeitstrecken laufen ließ.
Um mein schlechtes Umweltgewissen zu beruhigen, schaltete ich den Bildschirm dabei aus. Durch diese übertriebene Schonung fiel der jedoch bald darauf in eine Lethargie und verharrte, wenn ich ihn wieder einschaltete, in depressivem Schwarz. Das kleine blaue Licht auf der unteren Leiste, das mir anzeigen sollte, er sei in Betrieb, leuchtete kurz auf, um dann sogleich wieder ermattet zurückzusinken. Tapfer blinkte es wieder auf, fiel in Schwärze, blinkte wieder, wurde dunkel, blinkte verzweifelt. Alle meine Versuche, dem Bildschirm durch achtsames Aus- und wieder Anschalten dabei zu helfen, sich zu stabilisieren, fruchteten nicht. Ich wartete und beobachtete seine Bemühungen mit bangem Herzen, atmete tief ein, wenn das blaue Licht kam, enttäuscht aus, wenn es wieder erlosch, und endlich, wenn ich schon gar nicht mehr mit ansehen konnte, wie es sich quälte, verblasste es kurz, fiel jedoch nicht in völlige Nacht zurück, sondern fing sich, leuchtete tapfer weiter, und ich bekam meinen Desktop zu sehen.
Da dies etwas länger dauerte, war natürlich inzwischen der Computer abgestürzt, und statt des Bildes eines entzückenden bunten Kofferfisches aus dem indischen Ozean, das zur Zeit meinen Desktop ziert, blickte ich wieder auf blauen Hintergrund mit weißer Schrift.
Inzwischen haben wir uns recht gut aneinander gewöhnt, mein Computer und ich. Jeden Morgen nach Sonnenaufgang schalte ich ihn ein. Danach störe ich ihn nicht weiter und bereite leise das Frühstück. Er schafft es jetzt schon ganz alleine, so lange zu blinken, bis der Bildschirm den gewohnten blauen Hintergrund mit weißer Schrift zeigt. Sobald ich das sehe, heißt es blitzschnell reagieren. Rasch lege ich mein Brötchen beiseite und eile zu ihm hin, denn es gilt, ihn aus- und wieder einzuschalten, solange die Kontrollleuchte des Bildschirms noch Spannkraft in sich spürt. An Tagen, an denen ich Glück habe, lächelt mir irgendwann nach mehreren Fehlversuchen der Kofferfisch aufmunternd zu.
Jetzt endlich kann ich meine eMail-Post lesen. Zuversichtlich mache ich mich an die Beantwortung. Das macht Spaß, ich schreibe und schreibe und vergesse dabei alles um mich herum. So gute Formulierungen sind mir schon lange nicht mehr gelungen. Ein wunderbarer Brief; jetzt noch die Grüße darunter, ich blicke kurz auf, und – ein blauer Bildschirm grinst mich spöttisch an. Seine weißen Hieroglyphen wirken unverständlich, aber ich weiß genau, was er mir sagen will…
Trotzdem, ich liebe ihn.