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PC

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24.08.2007
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PC

Ich liebe meinen Computer. Zu jeder Zeit kann ich ihn alles fragen, was immer mir einfällt, er antwortet mir stets sachlich und geduldig. Innen muss er wesentlich größer sein als außen, denn immer wieder bin ich aufs Neue fasziniert von dem Inhalt dieses unscheinbaren kleinen Kastens, der da rechts neben meinen Füßen steht.

Er ist mein Tor zur Welt, mein Lexikon, mein Zweitgehirn, und darüber hinaus ist er noch die regenbogenfarbige Ringeltaube, die die eMail-Post zwischen mir und meinen Freunden hin- und herträgt. Ohne ihn hätte ich sie nie kennengelernt, denn sie leben weit von mir entfernt; einer sogar in der Zukunft.

Den Computer habe ich nicht vom Wochenmarkt, schließlich bin ich ja nicht blöd, sondern aus einem Computerheim. Er ist schon älter, und sein Vorbesitzer ersetzte ihn durch etwas Jüngeres, stylish, anspruchsvoll, kapriziös und kompliziert. Diese Trennung hat er nie so recht verkraftet, und all meine Liebe reicht nicht aus, ihn wieder selbstbewusst und zuversichtlich zu machen. Immer wieder gerät er in existentielle Krisen, versteckt sich dann hinter einem blauen Bildschirm mit weißen Schriftzeichen, kurz gesagt, er stürzt ab, fällt tief hinunter in eine depressive Phase, begleitet von Äußerungen, deren Inhalte mir unverständlich bleiben. Ich sehe darin kryptische Zeichen dahinter liegender Not, einen geheimnisvollen Code, der eine Art „SOS“ sendet, will helfen und schalte den Rechner aus. Manchmal gelingt es mir schon durch gutes Zureden, begleitet von zwei oder drei Neustarts, ihn aus seinem seelischen Tief wieder hervorzulocken; an schlimmeren Tagen aber bedarf es großer Geduld und Umsicht, bis er wieder vertrauensvoll mit mir kommuniziert.

Einmal hatte er mir deswegen so Leid getan, dass ich ihn vorübergehend zu seinem früheren Besitzer zurückbrachte, zwecks Beobachtung und eventueller Heilung. Mein Computer freute sich offenbar sehr, wieder nach Hause zu kommen, denn tagelang plauderte er dort vergnügt und ausgeglichen. Schließlich wurde er mir in Verbindung mit einem Achselzucken und einem Kopfschütteln wieder zurückerstattet. Unser Wiedersehen gestaltete sich von meiner Seite aus hoch erfreut, er aber, mit mir alleine gelassen, stürzte sich völlig verzweifelt wieder und wieder in das Blau, zeigte mir viele unterschiedliche weiße Schriftzüge, die doch am Ende alle nur das gleiche sagen wollten wie E.T.

Da ihm der Weg nach Hause versperrt blieb, behielt ich ihn, sprach freundlich mit ihm, ließ ihn ausruhen, schaltete ihn manchmal ein, aus, wieder ein, beobachtete seine Reaktionen und fand so nach und nach heraus, was er gern hatte. Beispielsweise schätzte er es über alles, wenn ich ihn nicht weiter belästigte und über längere Zeitstrecken laufen ließ.

Um mein schlechtes Umweltgewissen zu beruhigen, schaltete ich den Bildschirm dabei aus. Durch diese übertriebene Schonung fiel der jedoch bald darauf in eine Lethargie und verharrte, wenn ich ihn wieder einschaltete, in depressivem Schwarz. Das kleine blaue Licht auf der unteren Leiste, das mir anzeigen sollte, er sei in Betrieb, leuchtete kurz auf, um dann sogleich wieder ermattet zurückzusinken. Tapfer blinkte es wieder auf, fiel in Schwärze, blinkte wieder, wurde dunkel, blinkte verzweifelt. Alle meine Versuche, dem Bildschirm durch achtsames Aus- und wieder Anschalten dabei zu helfen, sich zu stabilisieren, fruchteten nicht. Ich wartete und beobachtete seine Bemühungen mit bangem Herzen, atmete tief ein, wenn das blaue Licht kam, enttäuscht aus, wenn es wieder erlosch, und endlich, wenn ich schon gar nicht mehr mit ansehen konnte, wie es sich quälte, verblasste es kurz, fiel jedoch nicht in völlige Nacht zurück, sondern fing sich, leuchtete tapfer weiter, und ich bekam meinen Desktop zu sehen.

Da dies etwas länger dauerte, war natürlich inzwischen der Computer abgestürzt, und statt des Bildes eines entzückenden bunten Kofferfisches aus dem indischen Ozean, das zur Zeit meinen Desktop ziert, blickte ich wieder auf blauen Hintergrund mit weißer Schrift.

***​

Inzwischen haben wir uns recht gut aneinander gewöhnt, mein Computer und ich. Jeden Morgen nach Sonnenaufgang schalte ich ihn ein. Danach störe ich ihn nicht weiter und bereite leise das Frühstück. Er schafft es jetzt schon ganz alleine, so lange zu blinken, bis der Bildschirm den gewohnten blauen Hintergrund mit weißer Schrift zeigt. Sobald ich das sehe, heißt es blitzschnell reagieren. Rasch lege ich mein Brötchen beiseite und eile zu ihm hin, denn es gilt, ihn aus- und wieder einzuschalten, solange die Kontrollleuchte des Bildschirms noch Spannkraft in sich spürt. An Tagen, an denen ich Glück habe, lächelt mir irgendwann nach mehreren Fehlversuchen der Kofferfisch aufmunternd zu.

Jetzt endlich kann ich meine eMail-Post lesen. Zuversichtlich mache ich mich an die Beantwortung. Das macht Spaß, ich schreibe und schreibe und vergesse dabei alles um mich herum. So gute Formulierungen sind mir schon lange nicht mehr gelungen. Ein wunderbarer Brief; jetzt noch die Grüße darunter, ich blicke kurz auf, und – ein blauer Bildschirm grinst mich spöttisch an. Seine weißen Hieroglyphen wirken unverständlich, aber ich weiß genau, was er mir sagen will…

Trotzdem, ich liebe ihn.

 

Hi enigma,

man mag die rationale Welt bemäkeln, die in einem PC nur einen seelenlosen Gebrauchsgegenstand sieht, indem man ihr eine Geschichte über eine persönliche Beziehung zum Gerät entgegensetzt. Das ist letztlich eine Frage der Einstellung. Etwas naiv finde ich darin allerdings die kindliche Vorstellung von kleinen Menschen im PC, die nur in diesem Gehäuse sitzen können und in keinem anderen. Das entspricht ungefähr der Vorstellung, wenn ich die Hörmuschel vom Telefon abschraube, fallen lauter kleine Menschen raus, halte ich den Hörer dabei an den Kopf, habe ich hinterher einen Mann im Ohr.
So naive Vorstellungen haben für mich durchaus ihren Charme, wenn ich dabei das Gefühl habe, sie entspringen dem Selbstverständnis der Erzählperspektive und kommen entsprechend glaubwürdig bei mir an.
Und genau an dem Punkt hapert dein Text für mich. Die Naivität der Erzählerin/des Erzählers wirkt auf mich aufgesetzt, vielleicht, weil der Text so auf den PC fixiert und ich keinen Kontext habe, wie Prot auf andere Dinge reagiert, wie er sie betrachtet. Ich habe kein Bild von der Erzählstimme, kann mir den Charakter nicht vorstellen. Das finde ich in sofern nicht egal, als dass es für mich ein Unterschied ist, ob ein naiver junger Mann oder eine toughe junge Frau mir von so einem Verhältnis berichtet. Auch wäre es für mich ein Unterschied, ob Harald Schmidt oder Veronika Pooth oder Ben Becker solchen Text erzählen. Dabei meine ich nicht speziell diese Beispiele als Personen, sondern nur den Aspekt, dass sie bei jedem anders klingen würde. Und diesen Klang der mir etwas über die Person sagt, die diesen Text erzählt, vermisse ich.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo sim,

vielen Dank für Deine Antwort.

Animismus gehört wie Astrologie und Aberglaube zu den archaischsten Erklärungsmodellen der Welt. Der moderne "Homo Faber" mag sie als Atavismus bezeichnen, aber bei naiven Menschen, die über vieles staunen können, was bei anderen schon längst ein Achselzucken hervorruft, ist er noch immer aktiv.

Hm, dann leben also keine Stimmen im Telefonhörer und nerven immer zur Unzeit? Gut, dass Du es sagst. Ich werde mir die Sequenz mit den kleinen Menschen im Rechner nochmals durch den Kopf gehen lassen.

Ganz liebe Grüße, und nochmals Danke
enigma

 

"Es gibt Leute,die nur aus dem Grunde in jeder Suppe ein Haar finden, weil sie, wenn sie davor sitzen, so lange den Kopf schütteln, bis eins hineinfällt." (F. Hebbel) :D

Salü enigma,

so regt sich bei Dir also manchmal das gleiche Staunen über die rätselhaften Vorgänge in unseren Computer, wie bei mir *lach*! Und Du machst ihm noch eine Liebeserklärung. Da höre ich eine sehr geduldige Erzählerstimme, die ich nur bestaunen kann - meine würde ganz anders und ziemlich laut lamentieren. Zumal nicht immer 'Fachkräfte' neben mir stehen, die mich auf den Boden der Realität holen, sondern mir nur schweigend eine verdammt hohe Rechnung, für ich-weiss-nicht-was- und-ich-versteh-nicht-wofür, hinhalten. Dann bin ich auch versucht zu reklamieren: "Ich bin doch nicht blöd!" Aber eben, das nützt dann ja nix mehr - ich brauche IHN einfach.

weil ich aber von Technik nichts verstehe, habe ich bisher noch nie gewagt, den Computer aufzuschrauben, um sie mir anzuschauen.

:) Vielleicht ist dieses technische Unvermögen ja auch nur ein Schutz? Buäh, wer wollte immer genau hinschauen!

Kleine Geschichte zum schmunzeln. Wer Dich zu kennen glaubt, weiss, dass Du damit nicht den Nobelpreis anstrebst. Davon sind wir ja alle noch weit entfernt, weil so intensiv mit Haaren in der Suppe beschäftigt. :)

Dank an sim! Ohne ihn wäre Dein G'schichtli glatt an mir vorbei in die Versenkung gerauscht.

Lieben Gruss,
Gisanne

 
Zuletzt bearbeitet:

Schon wieder kein Nobelpreis, liebe Gisanne??? Jetzt bin ich aber enttäuscht :(...

Der Computer ist, wie so manche/s/r, nur in Liebe mit Anmut und Würde zu ertragen, also reiner Selbstschutz.


ist eher absichtliche Selbst-Verdummung
Dankeschön, L., und Gruß. Es berührt mich (ernsthaft), dass Du das Staunen nicht ironisierst, sondern sogar gegen mich verteidigst. Steck mich nicht vorschnell in eine Deiner Schubladen - ich hasse es, eingesperrt zu sein.

enigma

 

Hallo Enigma,

Den wenigen Textkram vorweg:

denn immer wieder bin ich aufs Neue fasziniert von dem Inhalt dieses unscheinbaren kleinen Kastens, der da rechts neben meinen Füßen liegt.

Das "neben den Füßen liegen" klingt irgendwie wie "hingeworfen". Wie wäre es mit "stehen" als Alternative?

weil ich aber von Technik nichts verstehe, habe ich bisher noch nie gewagt, den Computer aufzuschrauben, um sie mir anzuschauen.

Der Satz wirkt irgendwie inspiriert von einem Kinderschlager der 70er Jahre: "He du da, im Radio ..."

Ich habe ihn nicht vom Wochenmarkt, schließlich bin ich ja nicht blöd, sondern aus einem Computerheim.
:thumbsup:


Zum Inhalt,

mir geht es ein klein wenig wie sim, wenngleich mit etwas anderem Fokus. Was mir an der Geschichte gefällt, sind die letzten zwei Drittel, die letztendlich eine Liebesbeziehung zwischen Mensch und Maschine behandeln. Das Thema an sich (bin da vielleicht selbst etwas vorbelastet in dieser Beziehung) halte ich für interessant. In diesen zwei Dritteln ist dein Protagonist/deine Protagonistin auch nicht ausschließlich naiv, sondern versucht empirisch, ein funktionierendes Zusammenleben zu organisieren.

Was nicht dazu passt, ist das erste Drittel. Die Vorstellung, dass Freunde etc. in der Kiste Leben würden, ist zu naiv für das, was danach kommt. Allerdings glaube ich, die Geschichte wäre in diesem Punkt leicht zu retten. Dein Held/Heldin könnte bewusst diese naive Vorstellung nach außen tragen, als Erklärungsmodell für eine schwer begreifliche Technik, als bewusste Hilfskonstruktion, vielleicht auch als Vermenschlichung der kleinen Kiste, die eben Brücke zur Welt, zu anderen Menschen darstellt.

Einen Punkt muss ich noch bemängeln: In Summe war mir der Text zu essayistisch, zu despkriptiv, hat zu sehr einleitenden Charakter. Wenn nun, an der Stelle, wo die Geschichte endet, der Computer Eigenleben entwickeln würde, selbst sprechen, eifersüchtig werden würde, auf die beste Freundin und bewusst immer die Kommunikation mit dieser unterbrechen, wie auch immer wenn etwas passieren würde, dann fände ich das spannend.

In der jetzigen Form klingt das Ganze leise aus und ich muss mich fragen, ob ich selbst auch eine der Personen in dem "zu deinen Füßen liegenden " Kasten sein will.

Pack doch die Geschichte noch einmal an, sie ist es wert.

lieben Gruß,

AE

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo AlterEgo,

vielen Dank für Deine Anregungen. Zuallerallererst habe ich das mit der Schachtel geändert. Wie blöd kann man denn sein, seine Freunde in eine Kiste zu sperren? Ich schäme mich, es tut mir sehr leid.

"steht" ist das Wort, das ich gesucht habe. Manchmal ist man wie vernagelt: sitzen, lagern, liegen, alles mögliche ist mir eingefallen, nur nicht das nächstliegende.

Ich werde die Geschichte überarbeiten und mich auf die Liebesbeziehung zwischen Mensch und Computer konzentrieren.

Dies vorab in aller Eile
enigma

 

Guten Morgen, lieber Musa,

vielen Dank für Deinen Kommentar, und natürlich auch für die technische Fachberatung. Ich habe den Text nur deswegen geschrieben, um hier an kostenloses Computer-know-how zu kommen *ggg* ;). Hatte irgendwie befürchtet, dass mein Streicheln alleine dem Computer nicht mehr genügen könnte.

"angreifen"? Ich greife doch nicht an, oder? Ach, Du meinst lea victoria. Der Lateiner soll es wohl so formuliert haben: "nihil sub sole novum" oder "nihil novi sub sole".

Ganz liebe Grüße, und einen schönen Sonntag
enigma

 

Hallo enigma,

alles ist beseelt und so erzählstu uns von einer seltsamen Wohngemeinschaft. Da muss man sich nicht lieben und dass Du den PC liebtest, naja, der Konjunktiv verrät’s bereits, bezweifel ich. Aber in einer WG muss man sich nicht lieben, wie schon bemerkt, der eine muss den andern nicht unbedingt verstehen. Für Dich ist der WG-Genosse PC eine black box und trotz lansamen Näherkommens, der PC bleibt eine unbekannte, vor allem aber unberechenbare Größe.

Wie immer wundervoll ironisch erzählt, gleichwohl nicht unumstritten – wie’s sich schon fast für einen ordentlichen Text gehört. Dass meine PCs für mich black boxes sind (hardware-mäßig) und dass ich Programmiersprachen überwiegend für Pidgin-English und Kauderwelsch halte, kann da nur ein schwacher Trost sein. Mein älterer Laptop (Jahrgang 1999) hat schon heftige asthmatische Ausfälle, stottert und ist laaangsaaaam. Wer weiß, wie wir mal enden … Besonders, wenn der Strom mal abgedreht wird …

Immerhin kann ich noch überschaubare Aufgaben linearer Optimierung und meine Steuererklärung eigenhändig verrichten, einschließlich der Berechnung des Ergebnisses, wenn’s auch recht mühselig ist gegenüber der Nutzung der dummen black box.

Kurz:

Mir gefällt Dein kleiner ironischer Auslauf in die schöne neue Welt der Technik!

Gruß & schönen Restsonntag

Friedel

 

Lieber Friedel,

Du schreibst:

der PC bleibt eine unbekannte, vor allem aber unberechenbare Größe.
und bezweifelst darob, dass ich ihn liebe.

Gerade dafür liebe ich ihn, bester Friedel. Ist es nicht wundervoll, das Fremde, Unbekannte, Unberechenbare zu lieben, sich ihm sanft und behutsam zu nähern, um es kennenzulernen oder, besser, es zu betrachten, es zu bestaunen, es zu lassen, wie es sein möchte, und, wenn man ganz großes Glück hat, eine respektvolle Form des Zusammenseins zu finden? Das ist die Liebe, Friedel, sie ist die Brücke in ein fremdes, unverständliches Land.

Danke für Deine freundlichen Worte, und auch Dir einen schönen Sonntagabend,

enigma

 

„Ist es nicht wundervoll, das Fremde, Unbekannte, Unberechenbare zu lieben, sich ihm sanft und behutsam zu nähern, um es kennenzulernen oder, besser, es zu betrachten, es zu bestaunen, es zu lassen, wie es sein möchte, und, wenn man ganz großes Glück hat, eine respektvolle Form des Zusammenseins zu finden?“

Enigma,

Du sprichst doch nicht von einem menschengeschaffenen schwarzen („geheimnisvollen“) Kasten.

Nein, liebe Enigma. Du beschreibst das Verhältnis zum unberechenbaren, weil eigensinnigsten Haustier der hiesigen Klimazone: der gemeinen Hauskatze.

Ich bewundere wieder meinen Scha®fsinn!

Gute Nacht

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Der ist auch wirklich bewundernswert, Friedel. Selbstverständlich dachte ich beim Schreiben an eine Katze, wenn auch vielleicht nicht gerade an die hundsgemeine Hauskatze. Aber wir schweifen ab, und das dürfen wir hier nicht.

Gute Nacht

enigma

 

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