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Per Anhalter
Per Anhalter
Auf einem Bauernhof tief im Herzen Mecklenburg-Vorpommerns lebten zwei Schweine. Sie hatten eigentlich ein recht komfortables Leben, aber sie sollten bald geschlachtet werden. Die Schweine, Max und Moritz, wussten, was auf sie zukam, denn Schweine sind längst nicht so dumm wie allgemein vermutet. Die Schweine beschlossen daher, vom Hof zu fliehen und so dem drohenden Messer zu entgehen. Sie überlegten eine Weile, berieten sich und schließlich war der Plan gefasst. Wenn der Bauer morgens in ihren Stall käme, würde man ihn umrennen und das Heil in der Flucht suchen. Gesagt, getan, als um sechs Uhr in der Früh der Bauer in den Stall kam, rannten Max und Moritz los und warfen sich mit ihrem nicht unerheblichen Gewicht gegen den seinerseits auch eher korpulenten Bauern. Mit einem erstickten Aufschrei ging er zu Boden und die Schweine rannten zur Tür hinaus. Als sie das Gebiet des Hofs hinter sich gelassen hatten, machte sich große Erleichterung breit. Doch die Schweine, die ihren Hof noch nie verlassen hatten, waren auch unsicher, was sie draußen erwarten würde und wie die Menschen mit ihnen klarkämen. Sie beschlossen, eine Probe aufs Exempel zu machen und in Richtung Landstraße zu gehen. Da sie diese Gegend sowieso hinter sich lassen wollten, bot es sich an, zu trampen. Nachdem sie an der Landstraße angekommen waren, hoben sie ihre Pfoten, um eins der vorrüberfahrenden Autos zum Anhalten zu bewegen. Die Landstraße war nicht gerade das, was man als stark befahren bezeichnen würde, es kamen nur selten Autos vorbei. Als die Schweine das erste Mal Scheinwerfer auf sich zukommen sahen, freuten sie sich und winkten dem Fahrer zu. Er fuhr vorbei. Die Schultern der Schweine fielen herunter, enttäuscht blickten sie dem rüpelhaften Fahrer hinterher. Auch die nächsten beiden Autos, beide Mercedes, fuhren ungerührt vorbei. Der darauffolgende Fahrer, er saß in einem bulligen BMW, hielt nur an, um ihnen durch das heruntergekurbelte Seitenfenster mitzuteilen, dass es nicht mit seinen Vorstellungen von einem geregelten Leben zu vereinbaren sei, Schweine in seinem Auto fahren zu lassen. Dann fuhr er davon. Missmutig grummelten die Schweine vor sich hin, es begann zu regnen.
„Lass uns hinsetzen.“ Schlug Max vor, „Wenn ein Auto kommt, sehen wir es so oder so.“
Sie setzten sich an den Straßenrand und überlegten gemeinsam, was die Menschen so unfreundlich und gefühlskalt gemacht haben könnte.
„Bestimmt das Schlachten von Tieren. Das kann den Charakter ja nur verderben.“ Sie waren sich einig, jeder, der sie nicht mitnahm, musste schon einmal ein Tier geschlachtet haben.
Das nächste Auto hörten sie eher, als das sie es sahen, der Motor gab schreckliche, gequälte Geräusche von sich. Eher misstrauisch sahen Max und Moritz der Schrottlaube zu, wie sie über den Hügel kroch, das Teil schien in der nächsten Minute auseinanderfallen zu wollen. Max hob den Arm, er war immer der Initiativere von ihnen gewesen, Moritz winkte. Das Auto wurde, soweit möglich, noch langsamer und kam auf der Höhe der Schweine zum Stillstand. Der junge Mann, der seinen Kopf hinausstreckte, blickte sie kurz an, Erstaunen stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Wo wollt ihr denn hin?“ Er hatte anscheinend noch nie zwei trampende Schweine erlebt.
„Nach Hamburg, oder Rostock, oder irgendeine große Stadt.“ Max und Moritz wollten unbedingt etwas von der großen weiten Welt sehen, Großstädte interessierten sie am meisten.
„Da habt ihr Glück, schwingt euch rein, ich bin auf dem Weg nach Hamburg, ich will auf ein Konzert, alte Kumpels treffen.“ Die Sprechweise des Mannes irritierte die Schweine ein wenig, aber sie spürten die Wärme, die von ihm ausging. Vorsichtig öffnete Max die Tür und sie stiegen ein. Der Mann drückte einen Knopf und das Auto füllte sich mit Musik. Aber es war nicht die langweilige Musik, die das alte Transistorradio des Bauern verbreitet hatte, sondern Schnellere, Interessantere. Der junge Mann begann, seinen Körper, soweit in dem kleinen Auto möglich, zur Musik zu bewegen und die Schweine taten es ihm gleich. Das leichte Wackeln des Autos störte niemanden. Sie fuhren eine Weile und Moritz fragte ob das Konzert, auf das der Mann gehen wolle, die gleiche Musik beinhalte, wie die CD. Der Mann bejahte, meinte aber verträumt, dass die Musik nicht der einzige Grund für seine Reise sei.
„Was willst du da denn sonst noch?“ Max war neugierig, das Leben dieses jungen Manns fand er in höchstem Maße faszinierend.
„Ich suche die Liebe meines Lebens, ich hab sie vor vier Jahren getroffen, aber wir haben uns aus den Augen verloren und ich muss sie wiederfinden.“ Er blickte abwesend in die Ferne, die Schweine schwiegen verlegen. Von Liebe verstanden sie so gut wie gar nichts. Der Mann begann erneut zu sprechen.
„Ich hab euch noch gar nicht gesagt, wie ich heiße. Ich heiße Rudolf, ein schrecklicher Name. Meine Kumpels nennen mich Ray. Das passt mir schon besser.“ Die Schweine nickten. Der Name Rudolf passte wirklich überhaupt nicht zu ihm. Dann sprach Max ihrer beider Anliegen aus.
„Können wir mitkommen, auf dein Konzert?“ Ray drehte sich um und sah sie an. Er grinste.
„Na klar könnt ihr mitkommen, ihr werdet die Stars der Party. Ich wollte euch schon die ganze Zeit fragen.“ Er legte eine andere CD auf.
„Also, Jungs, dann werde ich mal Gas geben, wir wollen ja schließlich nicht zu spät kommen.“ Das Auto beschleunigte, aber nur kurz. Dann stotterte der Motor, das Auto wurde langsamer und schließlich ging der Motor aus. Ray sank in die Rückenlehne zurück.
„Dude, das kannst du mir nicht antun! Ich hab Gäste!“ Die Schweine waren verwirrt. Ob man wohl tatsächlich mit Autos reden konnte?
„Wir haben keine Wahl, jemand muss raus, anschieben.“ Max und Moritz nickten und öffneten die Tür. Sie hatten mit Ray großes Glück gehabt, sie mussten ihm helfen. Die beiden waren noch jung und ziemlich kräftig. Mit vereinter Kraft schoben sie das Auto so lange, bis der Motor wieder ansprang. Sie stiegen ein.
„Danke, Jungs. Ihr seid echt cool.“ Die Schweine schwiegen geschmeichelt, die Redensarten des Manns mussten sie erst noch kennen lernen, aber er war sehr freundlich. Den Rest des Weges lief das Auto rund und alle 42 Kilometer gratulierte Ray seinem Auto.
„Wieso 42?“ wollte Max wissen.
„Die Antwort auf alles, Mann. Douglas Adams.“ Die Schweine nickten wissend, von Douglas Adams hatten sie im Radio gehört. Schließlich kamen sie in Hamburg an, Max und Moritz waren begeistert. Die ganzen hohen Häuser und die Lichter.
„Wir sind gleich da“ meinte Ray, „Nur noch ein paar Hundert Meter.“
Schließlich bog Ray in ein großes, umzäuntes Areal ab, das mit Wiese, Decken und Zelten bedeckt war. Das Auto wurde abseits geparkt und zusammen gingen sie los, an den Zelten vorbei. Die Schweine ernteten viele Blicke, unverhohlen neugierig, aber nicht unfreundlich. Als sie beim Zelt von Rays Kumpels ankamen und vorgestellt wurden, wussten sie eines:
Hier waren sie richtig.