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Persianas
Ich höre das Schließen der Haustür, Schritte auf dem Flur. Auch Rosita, meine Frau, sieht erwartungsvoll vom Rechner auf, doch Yago kommt nicht herein. Nach einer Weile gehe ich zu seinem Zimmer und klopfe. Er öffnet, umwabert von blauen Schwaden, und raucht wie der Teufel.
„Uh, dicke Luft“, sage ich. Keine Antwort. „Na, raus damit“, bohre ich, „was ist los?“
Er druckst herum, will etwas sagen, bricht wieder ab. Ich versuch’s noch mal: „Ich dachte, wir kennen uns?“
„Ach, papá, ich komm mir vor wie ...“ Er weiß nicht weiter, greift wieder zu den Zigaretten.
Ich halte seine Hand fest, lasse nicht locker: „Wie was?“
„Wie ein Arsch. Entschuldige, aber ich werde verarscht. Das ist doch alles fake, was da läuft!“
Dann kommt er in Fahrt: „Die finden meine Zeugnisse, die Diplome, alle ganz toll. Erzählen von Möglichkeiten, Perspektiven, großartigen Plänen mit den neuen Techniken, alles Mögliche – aber dann kommt: ‚Ja, im Moment ...’, im Moment sei es nicht ganz einfach, ich müsse verstehen und diese ganze Sülze. Ich kann’s nicht mehr hören, und ich will’s auch nicht. Basta!“
Noch mehr blaue Wolken, ich huste, vielleicht ein bisschen übertrieben. Sollte besser nicht den Zeigefinger heben, war selbst ein schlechtes Vorbild. Hab erst aufhören können, als der Stress in der Firma nachließ.
Ich könnte ihm raten, nach Australien zu gehen, aber das möchte ich mir nicht antun.
„Darf ich mal, Señorita?“, frage ich. Sie dreht sich zu mir und macht eine einladende Bewegung: „Aber natürlich, bitte sehr!“ Was für eine hübsche Frau! Und das Tollste: „Mein Herr“, fügt sie lächelnd hinzu. Wieso denke ich jetzt an Tango?
Ich steige über eine Folienrolle und passiere Malerin und Farbeimer. Mein Anzug bleibt ohne weiße Spritzer und ich charmiere: „Danke, sehr freundlich.“ Das scheint mir zu knapp. „Dass so eine hübsche Frau wie Sie in diesem Beruf arbeitet ...“ Sie hebt die Schultern bis auf Ohrenhöhe, zieht die Mundwinkel nach unten, hat plötzlich viele Falten auf der Stirn. „Das Leben ...“, sagt sie, eher heiter als verbittert wie jemand, der jedes Wetter verträgt.
Ich winke ihr noch mal zu wie ein alter Freund, muss beiseite treten, weil ein gewaltiger Tisch hereintransportiert wird.
Der Lärm der Straße trifft mich fast körperlich. Nimmt der Verkehr weiter zu oder bin ich empfindlicher geworden?
Aber da kommt auch schon der Bus.
Meine Firma, also die, in der ich arbeite, wird ‚abgewickelt’. Mit vorbildlichem Sozialplan, das haben sie dick unterstrichen.
Die oberen Chargen bekommen großzügige Abfindungen – die gängige Regel. Den anderen vermittelt man Umschulungsprogramme oder schickt sie in Frührente. Adiós, weg mit euch!
Wir werden den Gürtel enger schnallen müssen. Plötzlich ist das keine Phrase mehr.
Gott sei Dank haben wir unsere Wohnung, die kann uns niemand nehmen. Seit Generationen wohnt meine Familie hier. Das sind Räume, keine Zimmer. Großzügig und hoch, Stuck an den Decken, zweiflügelige Türen, Balkon – eine Bastion im Tumult der Millionenstadt, unser Palast im Kleinen. Mit diesen Persianas, altmodische Fensterläden in Eisenschienen, die man von der Mauer abgespreizt ‚halbhoch’ stellen kann für diese einmalige Mischung aus Licht und Schatten. Zur Siesta ein fabelhafter Ort; um nichts in der Welt würde ich das hergeben. Ein Lichtspiel entsteht, keiner Welt zugehörig, melancholisch. Zwischen Schemen und Zwielicht entstehen großen Dramen, es überkommt einen das Gefühl, man könne die Schatten manipulieren, hell gegen dunkel ausspielen, Unangenehmes verschieben, gar in Luft auflösen – als Herr der Welt oder ihr Opfer, in der Angst, abzugleiten, den Verstand zu verlieren, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.
Rositas Kraniche in zarten Farben schwingen vorm Fenster auf und ab. Sie lässt mich samstags ausschlafen, ist schon früh zur Post gefahren, um die Bestellungen der Woche aufzugeben. Es sind viele Päckchen, doch die sind federleicht. Sie hat aus ihrem Hobby ein Geschäft gemacht und verschickt ihre Origami-Mobiles in alle Welt. Millionärin wird sie damit nicht werden, doch ihr Zuschuss in die Familienkasse findet immer Verwendung.
Wir reden von Familienkasse, auch wenn Yago nur herausnimmt, ohne etwas beizusteuern. Vierzig Prozent Arbeitslosigkeit bei den jungen Leuten! Ein Wahnsinn. Wie sollen die einen Hausstand gründen, wovon Kinder großziehen? Was passiert mit Spanien? Dazu kommt, dass die Besten abhauen, in Länder, wo es eine Chance gibt. Aber Yago will bleiben, obwohl er mit Englisch keine Schwierigkeiten hat. Sein Herz sei hier, in Barcelona, mit der sich keine andere Stadt messen könne; in Katalonien, dem besten Land der Welt, das Rest-Spanien mit durchfüttern müsse – er redet wie ein Alter.
Ich verstehe seine Verzweiflung, sehe mit Sorge, dass die separatistische Idee anfängt, ihm zu gefallen. Im Katalonien von heute, sagt er, könne er höchstens in der Gastronomie jobben.
Touristen gäbe es jedes Jahr mehr, und die könnten dann tolle Selfies machen mit dem katalanischen Kellner Yago, oder dem Pizzabäcker Yago, oder dem Barkeeper Yago. Aber er habe Elektrotechnik studiert.
Konfetti wie bunter Schnee und Girlanden. Kerzen und Teelichte brennen schon, nur der Wein will nicht gefallen, der ist grausam. Vale – sagen wir bäurisch. Bin auf Bier umgestiegen. Zwischendurch diesen Medronho, saugefährlich. Tiago, Portugiese unter uns Katalanen, schenkt großzügig den Schnaps seiner Heimat aus, von Baumerdbeeren, wie er erklärt. Schmeckt hervorragend zu Lauchzwiebeln a la plancha, mit Meersalz. Auch zu Tortilla, zu Pulpo.
Dieses Nachbarschaftsfest feiern wir seit 1988. Einer der alten Herren, ein Lehrer, glaube ich, hatte die Idee dazu, weil man sich vom Ansehen her kannte, sonst aber nicht. Und seitdem geht das so. Ich hab einen sitzen, meine Frau hat rote Bäckchen und ergibt sich dem Redefluss der Frau Díaz. Und staunt, dass mich Rosanna Martín bei der Damenwahl holt. Dabei wäre das Staunen bei mir. Oder betreibt die auch heute Parteiarbeit, bekommt ein Kopfgeld von 5o.ooo Peseten für jedes neu geworbene Mitglied. Peseten! Ich bin wirklich besoffen.
Mit Juanita Rodriguez würde ich ein Tänzchen wagen, aber die ist in durchtrainierten Armen.
Erdbeeren vom Baum! Ich winke meiner Gattin.
Die winkt zurück, mit Grimassen, wie in Taubstummensprache: Ich will noch bleiben! Ich neige den Kopf, senke Lider und Hände, sie versteht.
Plötzlich stehen junge Leute am Geländer, einige müssen sich festhalten. Yago ist auch dabei, als Dolmetscher, vermute ich. Ein bunter Haufen, er hat viel zu tun.
Es geht mir nicht gut. Yago öffnet die Tür. „Kaffee gefällig, vielleicht mit Schuss?“ Ich finde nichts Passendes, was ich nach ihm werfen könnte und sage mit pelzigem Mund: "Mein lieber Sohn, dein alter Vater ist sehr krank." Und was sagt der aufmüpfige Knabe? „Könnte die Medronho-Krankheit sein.“
Jedenfalls ist die Ruhe dahin, es kommt sogar Neugierde auf: „Wer waren denn die gestern?“
„Na Touristen, wer sonst?“
„In unserem Viertel. Um diese Zeit?“
„Wieso? Die wohnen hier.“
„Ach nee. Und wo genau?“
„Na‚ ’n paar bei Rull, die anderen, wo früher Señora Vici wohnte.“
Im Innenhof toben Bagger und Baumaschinen, die Sonnenstrahlen werden geknickt wie im Sandsturm, vom Lärm gar nicht zu reden. Wir müssen die Fenster geschlossen halten.
In kurzer Zeit wurden sieben Wohnungen geräumt und neu eingerichtet. Die Männer unten im Hof sind Spezialisten – in wenigen Stunden fügen sie die Puzzles des Swimming Pools aneinander. Schon am Abend ist das Becken gefüllt, mittelmeerblau, mit silbernem Delfin.
Fröhliches Gekreische wird von den Wänden als Dreifachecho zurückgeworfen, ein Fettwanst erklimmt das Geländer und klatscht wie ein Wal aufs Wasser. Eine Detonation! Begeistertes Gebrüll und Applaus. Señor Alvarez, in dessen Parterre-Wohnung jetzt Globetrotter logieren, hat den Flur abgetrennt und zur Minibar umfunktioniert. Gejohle und das Scheppern leerer Bierdosen bestätigen seine Geschäftsidee.
Wir halten die Fenster geschlossen. Nach zwei wird es dann stiller.
Rosita stellt Biskuits neben meinen Kaffee. „Ach, wie aufmerksam, liebes Weib“, sage ich und berühre sie unsittlich. Ich finde es großartig, wie sie auf ihre Figur achtet.
„Ich kann nicht anders, es sind die Gene“, flunkert sie und zwinkert wie verrückt.
„Die personifizierte Fürsorglichkeit, stimmt. Bei mir ist es die Ritterlichkeit - ich würde mich jederzeit schützend vor dich stellen! Drachen, Dinosaurier – die hätten alle keine Chance.“
Sie setzt sich neben mich und legt ihre Hand auf meinen Arm, dann sagt sie: „Da hättest du jetzt viel zu tun. Am dringendsten wäre Schutz vor diesem Dauerkrach – Frau Díaz hat mit denen schon gesprochen, aber ohne Erfolg. Die sagen, für ihr Geld wollen sie Spaß, den Rest des Jahres müssten sie härter arbeiten als die Spanier.“
„Ja“, sage ich als Patriot, „das müssen Katalanen auch.“ Ich muss mir auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen: ‚Sofern sie Arbeit haben.’
Es macht mächtig Bum-Bum. Immer so. Monoton. Bum-Bum. Das hört nicht auf, ist ein persönlicher Angriff. Ich höre das seit Mittag. Ich will es verdrängen, doch ist es, als ob ich extra hinhören müsste, um meinem Zorn neues Futter zu geben.
Ich geh rüber, klopfe. Nichts rührt sich, nur Bum-Bum.
Irgendwelche Substanzen scheinen in mein Hirn zu schießen, während ich aufgebracht und bebend vor Wut so lange klingle, bis die Tür aufgerissen wird. Ich muss den Kopf heben, um diesem Koloss in die Augen sehen zu können.
„What the fuck do you want?” Es riecht ein bisschen süßlich und ein bisschen nach Bier.
„Habla español?“, frage ich.
„No.“
“Not good. Your music is horrible. Switch it out. Now!“
Er meint, ich mache Witze. Zu Spanien gehöre Musik.
„Yes”, sage ich, “but only if party. Here we live and sleep.”
Ja, sagt er, das würden sie auch – hier leben, schlafen und Party feiern. Und ich solle mich zurückziehen; einen fürchterlichen Ausdruck hat er dazu gebraucht.
Rosita und Yago räumen die Leseecke auf, ich stoße zufällig zu ihnen. „Keine Sorge“, sage ich, „will nicht mithelfen, will nur Kriegsrat halten.“ Langsam drehen die beiden ihre Köpfe in meine Richtung und erheben sich. „Kriegsrat?“, vergewissert sich meine Frau.
„Je nun, kleine Lagebesprechung. Um es kurz und bündig zu sagen: Wir sind knapp bei Kasse. Ich krieg jetzt ein Drittel weniger.“
Yagos Finger riffeln über den Lederrücken eines dicken Wälzers, er schweigt.
„Diese Wohnung ist attraktiv, unser Viertel ist attraktiv. Der Tourismus boomt. Wir müssten verrückt sein, eine Luxuswohnung zu bewohnen und dabei jeden Cent dreimal umzudrehen.“
Rosita vergleicht unsere Stadt mit Venedig: immer mehr Fremde und die Preise steigen.
Ich komme zum Thema zurück: „Unsere Wohnung ist unser Eigentum, doch auch, wenn wir nicht den Ärger mit den neuen Umständen hätten, können wir nicht feudal wohnen und trocken Brot essen. Wir brauchen mehr Geld, und das geht nur, wenn wir an Reisende vermieten.“ So amtlich-steif rede ich nur bei ernsten Angelegenheiten.
„Also?“
„Tante Laias Haus steht leer. Das hätte die richtige Größe und ist ruhig gelegen. Und im Bach gibt's Forellen.“
„Forellen?“, wirft Yago ein, „Willst du das schönreden? Wir waren doch schon mal dort, als uns diese blöden Schnaken tyrannisierten; da ging ich noch zur Uni. Und die ganze Gegend ist furchtbar – Schafe und Ziegen, weiter nix.“
„Es ist Natur“, versuche ich die Idee zu retten. „Während ich hier in den Straßen an Abgasen fast krepiere, hab ich dort allerbeste Luft. Und Ruhe. Kein Lärm, kein Stress – das sind große Werte heutzutage. Siehst es ja selbst.“
Rosita bleibt still, also muss ich das mit Yago weiterdiskutieren. Leider finden wir keinen gemeinsamen Nenner.
Aber Irrtum! Wir haben einen gemeinsamen Nenner: das verdammte Geld.
Ich beneide meine Frau um ihre Kreativität. Die neue Koi-Serie wird garantiert ein Hit.
Bei mir klappt es mit der Umstellung noch nicht so gut. Rosita patscht mir einen nassen Kuss auf die Wange und sagt, das werde sich schon ergeben, nur Geduld.
Mit fürchterlichem Gesicht kommt Yago in die Küche. Ich will ihm Kaffee einschenken und sage: „Mal sehen, ob der dich versöhnt mit der Welt.“
„Ich scheiß auf die Welt“, höre ich. „Will keinen Kaffee.“
Ich halte es für unangebracht, darauf etwas zu sagen. Aber er kommt von selbst: „Hätte ich statt auf die Uni zu gehen, gleich nach der Schule gekellnert, dann brauchte ich euch nicht zur Last fallen. Endimar baut jetzt kräftig Stellen ab, UTTP haben die Chinesen kassiert. Vom Terminal hab ich auch eine Absage. Von Juan weiß ich, dass noch nicht mal die Taxizentrale Leute sucht.“
Ich nehme mir schweigend Kaffee.
„Die stellen lieber Schwarze ein, die sind nicht in der Gewerkschaft“, sagt er resigniert. Er presst die Fingerspitzen aneinander und sagt: „Bin pleite“.
Ich klopf ihm derb auf die Schulter: „Na, na – einen Notgroschen haben wir ja noch.“
„Aber das ist doch kein Zustand!“, fährt er hoch, „Und Ricardo, dieses dumme Schwein, macht noch Witze ... mit Hotel Mama und so.“
* * *
Wir kombinieren das Beste ausTante Laias Einrichtung, die etwas aus der Zeit gefallen ist, mit unseren Stücken; Rosita hat ein Händchen für diese Dinge.
Ich will den Garten verändern, vorm Haus eine Akazienallee pflanzen, den Bach anstauen, mit Findlingen vielleicht – jedenfalls haben wir Beschäftigung und vermissen die Stadt überhaupt nicht.
Die ist oft nur Illusion – Schaufenster zum Gaffen, tausend Cafés und Restaurants, die auf Gäste warten, Hast und Werbung. Ein Streifzug durch die Tapa-Bars kostet mittlerweile ein Vermögen.
Ich sitze unter der Pergola und blättere in einem Gartenkatalog. Rosita und Yago treten vors Haus und ich mache, ohne aufzuschauen, eine einladende Handbewegung: „Bitte Platz zu nehmen.“
Yago hüstelt gekünstelt und sagt: „Das hatte ich eigentlich nicht vor.“
Jetzt erst sehe ich, dass er Anzug trägt, in den Händen einen kleinen Koffer und den Laptop. Ich bin perplex, doch er kommt mir mit der Erklärung zuvor: „Ich konnt’s dir gestern Abend nicht sagen. Weiß auch nicht warum. Auf der Werft in Girona hab ich’n Job in Probezeit, ich fahr mal hin. Vielleicht wird’s was.“
„Ja, Mensch, Junge!“, freue ich mich, „das ist doch ’ne gute Nachricht! Ich drück dir ganz fest die Daumen.“ Wir umarmen uns ohne Sentimentalitäten, vielleicht einen Augenblick zu lange, das mag schon sein, aber doch sehr männlich.
Er schließt seinen wackeligen Seat auf und ruft: „Ich sag euch Bescheid. Bleibt gesund!“
Der Anlasser leiert, dann springt der Motor an.
„Der Junge macht’s richtig“, sage ich zu Rosita.
Die streicht mir über den Rücken: „Ja, natürlich.“
„Warum so kurz angebunden?“
„Ach, iwo!“, erwidert sie, „Bin nicht kurz angebunden. Ist doch prima, dass er dort eine Chance hat. Ich dachte nur für einen Moment, ob er sich so intensiv um eine Stelle bemüht hätte, wenn wir in der Stadt geblieben wären.“
Meine Frau! „Oh, mi Querida!“, raune ich ihr bewundernd ins Ohr, “Du hast wirklich den totalen Durchblick.”
Die Hortensien lassen die Köpfe hängen, ich sollte mich um sie kümmern, doch die Schnaken nerven mich so gewaltig, dass ich zum Haus zurückgehe. Ich schlüpfe fix durch die Tür, damit sie mich nicht verfolgen und schließe vorsichtshalber die Fenster. Dann suche ich mir einen bequemen Sessel.
’Mit Persianas wäre das Haus hübscher’, denke ich beim Einnicken, da ruft Rosita aus dem Flur: „Rate mal, wer uns geschrieben hat!“
„Der Weihnachtsmann“, antworte ich etwas dröge.
„Ach Quatsch, Frau Diaz hat geschrieben.“
„Neue Rechnungen? Sag schon, um wie viel geht es?“
„Ganz falsch – wir sind zum Nachbarschaftsfest eingeladen!“
Natürlich fahren wir hin. Rosita, die ich gern mit offenem Haar und Pulli sehe, hat sich als Dame geschminkt, ich erscheine ohne Krawatte. Frau Díaz breitet die Arme aus und gibt sich erfreut. Ihr Enkel Javier mit seiner amerikanischen Freundin managt den Abend. Die Musik ist sehr, sehr fremd, aber auch sehr, sehr schön. Doch jetzt weiß ich, was mich irritiert: Ich höre wenig Katalanisch, nicht einmal Spanisch.
Französisch filtere ich heraus, und Italienisch, Englisch sowieso. Die Stimmung ist toll, Javier bringt uns zwei Kupferbecher Moscow Mule, dazu Pulled Pork und Cheeseburger.
Katalanen machen den Mund nur beim Palavern ganz weit auf, doch mit dieser Fähigkeit schaffe ich auch dieses Ungetüm. Mein erster!
Rosita nippt misstrauisch an ihrem Drink, ich kenne dieses Zeug auch nicht. Doch schon beim zweiten Schluck sind wir überzeugt – ja, einen vertragen wir noch. Auch das Essen macht Freude, sie haben viel Frisches mit hineingepackt, dass es knackt und ‚crasht’, wie Jaime sagt. Vergessen sind viele lieblos servierte Tapas vergangener Tage.
Ein Bild von einem Mann spricht meine Frau mit ‚Mäem’ an, zeigt auf die Tanzfläche. Sie schaut fragend zu mir, ich sage ‚Àndale!’ und angle mir die ehrwürdige Frau Diaz. Möchte mich für die Einladung bedanken. Halb im Scherz bitte ich zum Tanz, doch sie führt mich lieber zu den wenigen verbliebenen Nachbarn.
Clarke Gable hat meine Frau wieder freigegeben; Jaime legt ‚Guantanamera’ auf. Rosita schaut mich anders an als sonst, ich halte ihrem Blick stand, dann legt sie den Arm um mich, ich umfasse ihre Taille, sie macht den ersten Schritt, ich folge, Drehung, wir gleiten übers Mar Catalan, vorbei an Felsen, Palmen, weißen Häusern mit Persianas und einem kleinen rostigen Seat. ‚Yo soy un hombre sincero!’, schreie ich, und ‚Yo te amo, Rosita!’ Um uns herum sind fast alle aufgestanden, klatschen und singen mit. Wir feiern die beste Party unseres Lebens.