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Personenschaden
-Personenschaden-
„Michi Knox, wie schön dass Sie Zeit gefunden haben, sich heute hier bei uns einzufinden. Ich werde Ihnen nun ein paar Fragen stellen. Michi Knox, wann dachten Sie das erste Mal daran zu töten?“
-Seit meiner Geburt-
Bewusst wurde mir dies jedoch erst mit jenem Schritt in die Regionalbahn. Sie wissen was ich meine? Düsseldorf. Haufenweise lebendige Kadaver. Ausdruckslos – leer. Wie Maschinen –Schritt für Schritt –ihr Leben dirigiert von den Zugplänen der Deutschen Bahn.
Die Deutsche Bahn. Das Imperium des Nah und Fernverkehrs. Millionen sind ihrer abhängig. Sie, diese Menschen, bewegen sich in diesem Haufen schier im Gleichstrom, in einem Zug, ein immerwährender Puls der Isolation eines jeden. Sie sind blind, sie sind kalt und vor allem –sie sind tot –emotionslos „vom Leben kalt erstickt“. Es gibt jedoch etwas, eine geradezu künstlerisch wirkende Dynamik in diesem elendig wirkenden Haufen –ihr reibungsloser Bewegungsablauf. Nie einmal berühren sich ihre Körper –auf den Millimeter genau passen sie sich ab.Als seien sie von einer Schutzschicht umgeben. Faszinierend, nicht wahr? Und den einen, der der nicht dazugehört, sich nicht ihrer Choreographie anpasst, sich fügt, der wird kaltherzig, ohne jenen Blickes gewürdigt, bei Seite gestoßen. Sei es mit Hieben, geschickten Ausweichungen oder verbalen Äußerungen. Sie werden verstoßen, an den Rand gespühlt.Ihnen wird suggeriert, nicht ein Teil dieser dynamischen Norm und dieses Bewegungsflusses zu sein.
Michi Knox, wann dachten Sie das erste Mal daran zu töten?“
-Seit meiner Geburt-
Die Regionalbahn, richtig? Hat man sich nun den Weg durch den Leichenbetrieb gewagt, gelangt man an sein vorherbestimmtes Gleis. Die Zeit, ebenfalls vorgeschrieben. Das Bahngleis. Tauben – selbst sie scheinen mechanisch. Fett, diebisch – rhythmische Kopfbewegung. Schall –Stimmen –eintönig- sie hallen von Gleis zu Gleis. Teilnahmslose Mitteilungen über Verspätung auf Grund eines „Personenschadens“. Selbst ein Nachrichtensprecher vermittelt mehr Gefühl bei der Verkündung eines Todesfalles. Noch einer weniger, denke ich im Stillen für mich –einer wie ich. „Lieber tot und glücklich als vom Leben kalt erstickt“. Geflohen in die Stille, die ewige Einsamkeit, einfach nur die Ruhe genießen, ohne diesen grässlichen Apparat, der uns am Boden festhält, uns umklammert, an uns lastet. Bei den meisten von Ihnen weist er große, viel zu immense Defekte auf. Dieses System sollte definitiv nocheinmals überarbeitet werden. Es bürgt eine Gefahr für sich und die sogenannte Gesellschaft auf, nicht wahr? Verachtend schütteln sie die Köpfe, als sie die Information der Stimme entnehmen.Nein, nicht vor Empörung oder vor Schock –Mitgefühl- völlig fremd diese Gefühle.Nein ihre Missgunst richtet sich gen ´die Bahn´, welche mal wieder oder ´wie immer´unzuverlässig ist. Die den ganzen Plan über den Haufen wirft. Verzweifelte Gesichter, teils Wut, Empörung und warum? Einer weniger, nein... Tja so ist es nun einmal, überlässt man sein Leben einem anderen System, welches es mit Sicherheit vertrauensvoll zu leiten weiß. Mit Sicherheit. Eine negative Stimmung, welche mich geradezu niederreißen könnte, mitschwämmen- überfluten-wegreißen.Aber nein, standfest auf den Beinen könnt ich über ihre Misere nur lachen.Jämmerliche Gestalten.
Michi Knox ,wann dachten Sie das erste Mal daran zu töten?“
-Seit meiner Geburt-
Nun fährt es ein, das Personenbeförderungsgerät. Ein entscheidender Bestandteil um ihr System mehr oder minder erfolgreich umzusetzen.Wütend stürtzt die breite Masse auf den Wagen zu. Gierig wie sie sich darum reißen- Sitz um Sitz belagern. Missgünstig ihre Blicke. Angewidert werde ich mit hineingepresst. Es bedarf einen Augenblick, ehe ich mich wieder erholen kann und mich von ihrem Geruch befreit fühle. Und nun stumme Blicke, starrendes Flüstern, gehässiges Lachen. Wie sie sich aneinander pressen. Einige sind fettleibig, andere versuchen hinter künstliche Fassaden zu verbergen und erscheinen mir dadurch äußerst ridikül. Würde es mir zustehen, ich würde lauthals lachen. In ihre misslichen Visagen lachen- spöttisch und dieses Lachen bedarf keiner Worte- keinerlei Erklärungen. Es sagt alles. Und selbst der minderwertigste von Ihnen würde es begreifen und sie alle reagieren in ihrer anerzogenen Form, wie es die Norm vorsieht. Pikiert und in ihrem Nichtstun gestört, blicken sie stur aus den Fenstern des Wagens der Deutschen Bahn. Es steht mir nicht zu zu lachen, genauso wenig wie es mir zustehen würde sie aufzuklären, ihnen einen Spiegel vorhalten.Ich würde ihn fallen lassen und die Splitter, ich weiß es, die Splitter würden sie bis zu dem Rest ihres kümmerlichen Lebens unbemerkt in ihnen tragen. Ich erwische mich wie mein Blick von der Masse des Abteils ablässt und gen Fenster wandert. Es ist grau, wie im Dezember üblich. Der Monat der statistisch gesehen dafür bekannt ist für die hohe Zahl der „Personenschäden auf Gleisen der Deutschen Bahn“. Ich tauche ein in die Musik und verliere mich apathisch, ein letztes Mal, für einen einzigen Augenblick.
Michi Knox ,wann dachten Sie das erste Mal daran zu töten?“
-Seit meiner Geburt-
Ich stehe in dem besagten Wagon, voll von beförderten stummen Kadavern.Elektrische Impulse im Gehirn signalisieren mir die brachiale Härte, schnellen Töne, sie durchströmen meinen Körper. „Wussten Sie“, ich fang laut an mich an sie zu wenden, „Wussten Sie, dass der Dezember statistisch gesehen der Monat ist, der die meisten Opfer an Personenschäden auf den Gleisen der Deutschen Bahn aufweist?“ Ein kurzes Aufblicken der Mitfahrenden, einige signalisieren mir ihre Meinung durch ein argwöhnisches Kopfschütteln und blicken wieder weg. „Wussten Sie“, ich ergreife erneut die Initiative, „Wussten Sie, dass es dadurch zu extremen Verspätungen im Personennahverkehr kommt?“ Keine Reaktion. „Und wussten Sie, dass es letztendlich Millionen kostet- ich sage Millionen – ich meine Milliarden!“ Ein seufzen. Erst beim ersten Klicken ein Schrei einer jungen Frau. Jetzt schaut jeder, wirklich jeder zu meinem überraschen, zu mir her. Ich sehe in jedem ihrer Gesichter eine Emotion –eine Emotion welche mich befriedigt –Angst- Blanke Angst, welche diese jämmerlichen Gestalten wohl auch nie zuvor gespürt. Mein Ziel ist erreicht. “Und wussten Sie“, nun folgt der grandiose Abschluss, “Wussten Sie, dass einzig Sie-(und dabei gönne ich mir den kleinen Luxus und schaue jedem tief ins Gesicht- nicht in die Augen –sondern durch die Augen- Sie allein tragen Schuld daran –Sie!“
-Mein Name ist Michi Knox, seit meiner Geburt dachte ich daran einen Menschen zu töten.
Mein Name ist Michi Knox- ich tötete einen Menschen am 17.12.2006. Ich nahm mir das Leben, nicht vor einem Zug auf den Gleisen der Deutschen Bahn. Ich verursachte einen sogenannten Personenschaden im Abteil 4, 2.Klasse eines RE. Es kam zu weiteren Verspätungen im Personennahverkehr...
...lieber tot und glücklich, als vom Leben kalt erstickt