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Phönixfeuer
„Wir werden uns wieder sehen.
In einer anderen Welt.
Zu einer anderen Zeit.“
-Wolfen
Vielleicht war es nie einfach gewesen. Vielleicht war es nur anders gewesen. Vor langer Zeit habe ich versprochen es wie mein ehemaliger Weggefährte zu halten und zu kämpfen. Doch ich bin des Kämpfens müde geworden. Müde und überdrüssig, weil ich keine Ziele mehr vor Augen habe, die zu erreichen es sich lohnt.
***
Die Vorbereitungen für die Reise waren getroffen. Die Taschen waren gepackt und die Gefährten zum Aufbruch bereit. Nein, nicht alle Gefährten waren fertig – das jüngste Mitglied der Reisegruppe war noch nicht am vereinbarten Ort aufgetaucht. Alle warteten schon ungeduldig, doch von dem Mädchen war nichts zu sehen.
Hilflos blickte Markus sich um und hoffte, die Kleine würde jeden Moment kommen. Doch die Minuten vergingen und nichts tat sich. Aufbruchstimmung und Ungehaltenheit lagen schon seit einiger Zeit in der Luft, das konnte der junge Mann ganz genau spüren, doch vermochten seine Worte es schon nicht mehr, die Gruppe zu beruhigen.
„Wir sollten ohne das Mädchen aufbrechen“, begehrte Tamaro sich schließlich nach etwa einer halben Stunde des Wartens als erster auf. Markus blickte zu ihm hinüber und schüttelte den Kopf.
„Nein, wir werden noch etwas warten“, entgegnete er leise wie immer. Er brauchte seine Stimme nicht zu erheben um vernommen zu werden. Schon der Klang seines Flüsterns erreichte jeden, der ihn hören und verstehen sollte.
„Wir warten uns hier schon die Beine in den Bauch. Ich sehe es nicht ein“, fuhr Tamaro ungehalten fort. Man sah ihm an, dass Ungeduld einer seiner ständigen Begleiter war. Markus machte eine kurze Geste in die Ferne und drehte sich um.
„Wenn du aufbrechen willst, so tue es. Ich werde warten“, sprach er ruhig. Innerlich machte er sich sorgen um seine Gefährtin. Es war niemals ihre Art sich dermaßen zu verspäten.
„Ich gebe Ihr noch das Blinzeln eines alten Drachenweibchens, dann breche ich auch auf!“, kündigte Tamaro daraufhin an.
***
Brahim und Sargaan führten die kleine Gruppe auf sicheren Wegen durch die verworrenen Zweiggeflechte des dunklen Dryadenwaldes. Die beiden Waldläufer hatten bis zur letzten Minute mit Markus, Tamaro und Serika auf das Mädchen gewartet. Als es kurz vor Ablauf der von Tamaro gesetzten Frist ankam, sah es sehr mitgenommen und übernächtig aus. Aber es verlor kein Wort über seine Verspätung und seinen Zustand.
Brahim hatte die Kleine schon einige Male in der Nähe der Phönixnester gesehen, sie jedoch noch nie gesprochen. Markus hatte darauf bestanden, dass man sie mitnahm.
Sargaan und Serika betrachteten das Mädchen mit einem gewissen Misstrauen. Sie war gewiss nicht älter als fünfzehn Jahresumläufe, niemand kannte ihre Herkunft und was den beiden am unheimlichsten vorkam – Ihre Augen schienen gänzlich schwarz zu sein, wann immer man sie ansah. Als Anhänger des Gottes der Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit verstanden die beiden dies als ein unheiliges Zeichen für versteckte Boshaftigkeit. Tamaro mochte das Mädchen alleine schon wegen seiner Unpünktlichkeit nicht.
Markus hingegen schien einen regelrechten Narren an der jungen Frau gefressen zu haben. Er hatte inbrünstig darum gebeten, sie als Gefährtin mitnehmen zu dürfen – bis ihm diese Bitte gewährt wurde war viel Wasser den Mondfluss hinabgelaufen. Niemand aus der Reisegesellschaft hätte ahnen können, wie wichtig sie ihm war – wie wichtig ihre Begleitung für alle sein könnte.
***
„Geht es dir nicht gut, Kimaroth?“, hörte das Mädchen eine besorgte Stimme. Ohne ihre Augen zu öffnen, schüttelte Kimaroth den Kopf.
„Nein, es ist alles in Ordnung. Nenne mich bitte nicht bei diesem Namen“, flüsterte sie langsam und öffnete langsam die Augen. Markus sah, dass sie tatsächlich gänzlich schwarz waren, doch schon nach wenigen Augenblicken kämpfte ein warmer Braunton gegen die Schwärze an eroberte sich seinen Platz. Nur die Pupille blieb noch schwarz – nichts Ungewöhnliches.
„Aber es ist der Name, den die Phö…“ Weiter kam Markus nicht denn sie legte sanft die Finger auf seine Lippen.
„Mag sein, dass sie mir diesen Namen gaben, aber es ist nicht meiner… nenne mich bitte so, wie meine…“ Sie zögerte für einen kleinen Moment „…Eltern es taten.“
Markus nickte nur und blickte sie sorgenvoll an.
„Du bist so blass und abwesend. Schon seit wir vor fünfzehn Sonnenumläufen aufgebrochen sind. Etwas stimmt nicht mit dir, dessen bin ich mir sicher“, meinte Markus.
Kimaroth malte mit ihrem Zeigefinger zwei kryptisch anmutende Symbole in die weiche Erde. Der Rest der Reisegesellschaft lagerte etwas abseits und sah die beiden nicht.
„Ich habe die Zukunft gesehen, Wolfen. Ich weiß, dass diese Reise umsonst sein wird. Ich weiß, dass Leben vergehen werden. Und das schneller als die Feuervögel verbrennen und aus ihrer Asche wieder auferstehen. Ich weiß auch, wessen Leben vergehen wird. Und ich will es nicht. Und doch kann ich nichts dagegen tun“, lies sie die Worte offen durch die kalte Abendluft fliegen.
„Doch, du kannst kämpfen. Mit deinem Wissen kannst du die Welt verändern“, hielt er dagegen und blickte sie weiter an. Ja, dieses Mädchen hatte sehr viel Zeit mit den Feuervögeln nahe ihrem Heimatdorf verbracht. Ob es zu viel Zeit gewesen war?
Dieses eine Mal versuchte er Kimaroth durch die Augen eines Fremden zu sehen. Sie war noch nicht sehr alt, hatte sehr blasse Haut und dunkle Augen. Ihr schulterlanges Haar viel rahmte das immer traurige Gesicht ein. Die Farbe ihres Haares ließ Markus immer an das Glühen eines Phönixeies denken. Es war ein warmer, kupferner Farbton. Ihre beigefarbenen Kleider und der schwarze Umhang ließen nur wenig von ihrer Statur erahnen.
Und doch konnte er sie nicht als Fremde betrachten – dafür war er ihr viel zu nahe.
„Kämpfen? Kämpft ein Phönix etwa dagegen an, dass er vergehen muss?“, fragte sie teilnahmslos. Markus hatte das Gefühl, sie hätte bereits abgeschlossen.
***
Ein Sonnenumlauf folgte dem nächsten, die Reise führte die Gefährten immer weiter von ihrer Heimat weg. Jeder von ihnen ließ das anfängliche Heimweh hinter sich und bemühte sich, seine Gedanken auf den Weg zu richten. So sehr Markus sich auch bemühte, Kimaroth konnte er nicht aufheitern. Je näher sie ihrem Ziel kam, desto blasser und einsilbiger wurde das Mädchen. Abends suchte sie immer mehr die Nähe des Feuers, mehr als einmal hätten Brahim und Serika schon schwören können, sie so nahe am Feuer zu sehen, dass sie sich verbrennen hätte müssen.
Langsam wurde auch Wolfen unruhig. Was auch immer seine Gefährtin bedrückte, es musste etwas sein, das er nicht auf die leichte Schulter nehmen konnte. So führte er sie eines Nachts weg von der Gruppe, um ein letztes und vielleicht auf endgültiges Gespräch mit ihr zu führen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit lächelte sie wieder.
„Du machst dir immer noch Sorgen, nicht wahr Wolfen?“, eröffnete sie das Gespräch. Markus nickte und suchte ihren Blick.
„Ja. Was bedrückt dich, Kim… ich meine Eva?“, fragte er behutsam an. Das Mädchen richtete seinen Blick zum Himmel, wo die Sterne um die Wette zu funkeln schienen.
„Ich habe dir bereits von meinem Wissen erzählt. Das ist es, was mich bedrückt. Die Unausweichlichkeit des Schicksals, die Hilflosigkeit der Menschen. Meine Schwäche“, offenbarte sie ihm zögerlich. Es schien, als müsse sie sich erst die richtigen Worte zu Recht legen.
„Ich kann dir deine Bedenken wohl nicht zerstreuen, aber kann ich dir diesbezüglich ein Versprechen abnehmen“, flüsterte Markus wie gewohnt. Eva nickte einfach nur und wartete auf seine folgenden Worte.
„Versprich mir zu kämpfen, egal, was passieren mag. Ich habe die Zukunft nicht gesehen, aber ich weiß, dass man gegen alles antreten kann, auch gegen das Schicksal. Menschen mögen oft glauben, die Endgültigkeit sei unabwendbar – ich hingegen glaube, dass man alles ändern kann. Jeder hat seine Zukunft selbst in der Hand.“
Es dauerte eine kleine Weile ehe Eva Markus die Hand gab und sich vor ihn kniete.
„Wenn es dir so wichtig ist, Markus Wolfen, so verspreche ich dir hiermit, zu kämpfen um mein Schicksal zu verändern.“
***
Eine Weile kniete Kimaroth noch vor Markus, ehe sie sich erhob, sich mit einem Ruck umdrehte und zum Lager eilte.
„Es geht los.“ Mehr sagte sie nicht. Mehr musste sie auch nicht sagen.
***
Tamaro, Brahim, Serika und Sargaan saßen am Lagerfeuer und unterhielten sich über die vergangen Tage. Es war still im Wald. Eine absolute Stille hatte sich über die Lichtung gelegt. Brahim fiel die Unnatürlichkeit als erstes auf. Er alarmierte seine Gefährten, doch da brach wie aus dem Nichts ein Sturm über das Lager herein. Dort, wo das Feuer brannte, schien sich die Welt zu teilen. Es schien der Mittelpunkt des Sturmes zu sein. Unnatürliche blaue und grüne Schemen mischten sich in den Sturmwind. Serika wurde von einem dieser Schemen erfasst und brach daraufhin zusammen.
„Passt auf!“, schrie Tamaro und eilte zu der Frau. Sie war auf die Vorderseite gefallen und als er sie umdrehte, musste er erschrocken aufkeuchen. Das Gesicht war vor Angst und Panik verzerrt. Eine einzige Maske des Grauens. Es bestand kein Zweifel – sie war tot. Noch als er aufstehen und sich umdrehen wollte, sah er, dass seine Gefährten das gleiche Schicksal ereilt hatte. Verzweifelt sah er sich um und konnte doch nichts entdecken, was ihm Schutz bieten könnte. Da griff eine eiskalte Hand nach seinem Herz und drückte es unbarmherzig zusammen. Er fasste sich an die Brust, doch es half nichts. Grauen erfüllte seine Gedanken, er konnte kaum mehr klar denken. Die schlimmsten Bilder, die er sich vorstellen konnte, flammten vor seinen Augen auf.
Da brachen Kimaroth und Wolfen durch das Unterholz auf die Lichtung. Die Haare des Mädchens flatterten im Wind. Tamaro konnte es kaum mehr erkennen, doch glaubte er, die Schemen hätten jegliches Interesse an ihm verloren und steuerten nun auf das Mädchen zu. Wolfen, der ihr folgte war entsetzt.
„“Ein Loch in der Welt. Hier?“ Zum ersten Mal hörte man den Mann schreien. Er schrie um gegen den Sturm anzukommen. Eva nickte nur ganz ruhig und hielt auf das Feuer zu. Tamaro schien die Situation sehr unwirklich. Nichts wäre ihm nun lieber gewesen als sich in die Arme einer barmherzigen Ohnmacht zu legen. Doch dieser Gefallen blieb unerfüllt.
„Ich kann es schließen. Aber ich brauche Hilfe“, rief Kimaroth Wolfen zu. Es dauerte keinen Augenblick, ehe er begriff, was sie von ihm wollte. Davor hatte sie also die ganze Zeit Angst gehabt. Der Tod würde in dieser Nacht wirklich gute Arbeit leisten. Mit einem Mal war es ihm allerdings egal. Er würde ein Held werden – auch wenn es nicht mehr zählte.
„Was muss ich machen?“
„Siehst du das Gebilde dort im Feuer. Schließ die Augen und fühle nach den Rändern des scheinbaren Risses. Drücke sie zusammen, den Rest mache ich“, brüllte Eva gegen den Wind. Wolfen würde durch den Riss gezogen werden. Sie wusste es, weil sie es schon gesehen hatte. Und doch konnte sie es nicht verhindern. Aber sie konnte verhindern, dass noch mehr Unglück geschah.
„Ich werde gegen das Schicksal kämpfen, wie ich es dir versprochen habe“, flüsterte das Mädchen zum Abschied und blickte Wolfen an, wie er zum Feuer schritt.
***
Tamaro erwachte am nächsten Morgen auf der völlig verwüsteten Lichtung. Der Schreck in seinem Herzen saß noch sehr tief, die Erlebnisse der vergangen Nacht waren nur sehr nebulös in seine Erinnerungen eingegangen.
Er sah Wolfen nochmals im Feuer verschwinden, Kimaroth stand vor dem heißen Element. Die Schemen versammelten sich um das Mädchen und schienen hungrig zu warten. Wenn Tamaro sich richtig erinnerte, so leuchtete Kimaroth mit einem Mal hell auf – und die Schemen stoben auf sie zu. Kurzzeitig schien sie in blauem Feuer zu vergehen – aber der Riss schloss sich langsam. Danach war Tamaro in seine ersehnte Ohnmacht gefallen.
***
Es passiert selten, dass einem Phönixfeuer ein Kind entspringt. Aber nahe der ewigen Flammenfelder öffnete ein Mädchen die braunen Augen und sah sich um. Wärme und Licht hatten es erwachen lassen. Langsam räkelte es sich in der erkaltenden Asche und sah sich um. Der warme Wind trug ihm leises Flüstern zu.
„Wir werden uns wieder sehen. In einer anderen Welt. Zu einer anderen Zeit“, versprach er ihr.
***