- Beitritt
- 24.04.2003
- Beiträge
- 1.444
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Pomann Rolanskis - Die 9 Babys
Quietschend öffnete sich die Wohnungstür.
"... nicht nur ein Baby, sondern mindestens soooo viele."
"Schatz, bitte!"
"So, da wären wir also", sagte der untersetzte Mann mit der schief sitzenden Fliege und führte das junge Pärchen hinein.
"Boah! Die ist ja riesig! Guy! Genau das, was ich mir immer gewünscht habe."
"Schon toll", erwiderte Guy.
Der Mann mit der Fliege grinste. - "Und warten Sie erst mal ab, wie Ihnen die Küche gefallen wird. Sie kochen doch bestimmt gerne, oder?"
"Naja, wissen Sie ... Guy ist Schauspieler, und kommt oft erst spät daheim. Aber ja! Manchmal koche ich auch ... schon!"
Das Grinsen des Fliegenmannes verlagerte sich auf den Ehemann.
"So, Sie sind also Schauspieler? Ja, Ihr Gesicht kam mir gleich irgendwie bekannt vor."
"Naja, wissen Sie, Rosemary übertreibt mal wieder ein wenig."
Die junge Frau lachte.
"Mein lieber Mann, zurückhaltend wie immer. Wissen Sie, Guy hat bereits ganz viele, ganz tolle Auftritte in Funk und Fernsehen gehabt!"
Der Fliegenmann legte seine Stirn in Falten.
"Lassen Sie mich raten ... Sie spielen doch auch bei der Westside Story, oder?"
Guy schüttelte den Kopf.
"Nein, da würde ich gern spielen, bislang hat es aber eher für kleinere Engagements gereicht."
Rosemary stuppste ihn an.
"Sei nicht so bescheiden", sagte sie, und betonte dabei jedes einzelne Wort.
Dann wandte Sie sich wieder dem Vermieter zu: "Es war ein ganz großer Werbeauftritt, sooooo riesig war der."
"Ehrlich Guy? Was war das?"
"Seife, okay! Es war Seife. Nichts mehr als stinknormale, langweilige Seife. Gott Rosemary, immer musst du mich in Bedrouille bringen."
Es trat ein unangenehmes Schweigen ein.
Schließlich ergriff der Vermieter wieder das Wort: "Na immerhin. Das Eichmaß der Zivilisation. Gehen wir doch in die Küche."
Als die drei durch den Korridor gingen, stoppte der Mann mit der Fliege plötzlich.
"Oh, das ist ja merkwürdig."
"Was", fragte Rosemary. - "Können Sie sich doch wieder an die Werbung erinnern?"
"Rosemary, bitte", fuhr Guy sie an.
Der Vermieter schüttelte den Kopf.
"Nein, es ist nur ... dieser Schrank dort hat doch vorher nicht da gestanden. Er stand an der seitlichen Wand. Sehen Sie, hier kann man noch immer den Abdruck erkennen, den er ins Mauerwerk gepresst hat."
Rosemary musste sich unwillkürlich schütteln.
"Gruselig. Sagten Sie nicht, hier hätte vorher eine zweihundert Jahre alte Lady gewohnt? Wie soll die den denn dahin geschoben haben?"
"Was? Ähm nein, die Dame war bereits über siebzig. Zweihundert sicher nicht. Aber trotzdem, eine beachtliche Leistung, und vorallem: Aus welchem Grund hat sie den Schrank verschoben?"
"Vielleicht wollte sie darunter saugen", warf Guy ein.
Rosemary stuppste ihn an. - "Ach Guy, du süßes Naivchen. Wer saugt denn einen Schrank ab? Die putzt man doch!"
"Ich meinte ja auch den Teppich darunter, vielleicht wollte sie den saugen."
Der Vermieter unterbrach die Beiden.
"Herrschaften, völlig ausgeschlossen. Dort, wo der Schrank nun steht, befindet sich nämlich die Besenkammer. Folglich wäre es unmöglich gewesen, an den Staubsauger zu gelangen."
"Ah", machte Rosemary. - "Ich habs! Vielleicht steht der Staubsauger ja auch gar nicht in der Besenkammer, sondern in der Küche! Viele kluge Hausfrauen handhaben das so."
"Das ist eine Idee", erwiderte der Mann mit der Fliege, die zwischenzeitlich noch schiefer, fast schon in vertikaler Lage an dem Jackett saß.
"Dennoch, wir sollten den Schrank zur Seite schieben. Schließlich möchte ich Ihnen ja die gesamte Wohnung zeigen."
"Na dann ... Hauruck", sagte Guy.
Während sie den massiven Schrank aus schwerer Eiche verschoben, fiel es Rosemary plötzlich wie Schuppen von den Haaren: "Sagten Sie nicht, dass diese Wohnung zweigeteilt ist?"
Der Vermieter schob, schwitzte, und nickte. - "Ja, hinter der Besenkammer ist der zweite Teil."
Rosemary zwinkerte. - "Gut. Nur, damit alle Bescheid wissen."
Krachend kam der Schrank zum Stehen.
"Das hätten wir", sagten alle gleichzeitig.
"Nun gut, dann zeige ich Ihnen jetzt die Besenkammer."
Der Vermieter öffnete die Tür, und heraus trat ein hektisch wirkender Mann mit Brille und langen Haaren.
***
"Gestatten, Dean Corso. Ehm, ja, wie erkläre ich das jetzt am besten? Nun ja, ich hab´ mich wohl in der Wohnung geirrt."
Dean rannte an den verdutzten Gesichtern vorbei, orderte auf dem Gang den Liftboy samt Fahrstuhl, und befand sich kurze Zeit später vor dem Dakota Building.
Sein Handy klingelte.
"Corso."
"Hallo Mister Corso. Boris Balkan hier. Wir hatten einen Termin um vier Uhr. Den haben Sie wohl verpasst."
"Wissen Sie Mister Balkan, New York ist ziemlich groß, und ich verschwende nicht gerne meine Zeit mit Suchen. Dakota Building hatten Sie gesagt, und da war ich."
"Corso, Sie sollten endlich einmal lernen, genau zuzuhören. Ich habe Ihnen gesagt, dass es eben nicht das Dakota Building ist. Ich habe keine Ahnung, wie sie ständig auf dieses alte Gemäuer kommen. Es ist am anderen Ende der Stadt."
Corso zog die Notiz aus seiner Tasche, und stutzte.
"Mein Fehler, Mister Balkan. Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen!"
Als Dean aus dem Taxi stieg, überkam ihn ein ungutes Gefühl. Er hatte schon den ganzen Tag lang Durchfall gehabt, aber jetzt schien er besonders schlimm zu werden.
Er betrat den Wolkenkratzer, fragte an der Rezeption nach Balkans Vorlesungsraum sowie den Toiletten, ging sich lautstark erleichtern, und riss anschließend die Tür auf, die in den Saal führte.
Balkan warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Dann sprach er weiter.
"Und wie wir es gelesen haben bei Ophelia de la Sardustinamios, in ihrem 1678 erschienen Buch La closetta de Diavolo, in dem erstmals die Hexe in ihrer ursprünglichen Form, nämlich der kloputzenden Reinigungsfrau, erwähnt wird, so widerspricht Marco de Dolce Gabbana in seinem undatierten Werk Witches of Hollywood dieser Theorie, die ursprünglich auf den Kult des Zirkels von Esmondianousmus relaga filetto de la Tonno zurückgeht, was wiederrum in dem vielbeachteten Nachschlagewerk ...."
Corso war eingeschlafen.
Irgendwann wurde er von einer Hand durchgerüttelt. Corso öffnete seine Lider und blickte in die Brauenüberwucherten, weit aufgerissenen Augen Boris Balkans.
"Mama?"
"Corso, finden Sie zu sich. Schlimm genug, dass sie bei meiner Lesung über kommerzielle, altdeutsche Besenhexen einschlafen."
Dean schüttelte sich.
"Ich hoffe nicht, dass ich geschnarcht habe."
Balkan rümpfte die Nase.
"Das nicht. Aber gefurzt."
"Na sowas, und dabei war ich eben noch groß machen."
"Kommen Sie mit mir."
Sie betraten einen weiß gestrichenen Fahrstuhl mit LED Anzeige.
"Schön", sagte Corso.
"Sie haben keine Freunde", erwiderte Balkan.
"Sie auch nicht."
"Ich lege keinen Wert auf Freundschaften."
"Den lege ich ebenfalls nicht."
"Gut."
"Eben."
Dean beobachte das Display. Seine Hände zitterten vor Wut.
"Doch", platzte es aus ihm heraus. - "Ich hatte einen Freund. Damals auf der Grundschule."
Balkan lächelte.
"Das zählt nicht."
"Ach Mensch."
Der Fahrstuhl gab ein Biing von sich.
"Wir sind da", sagte Balkan.
"Sechsundsechzigstes Stockwerk. Wie innovativ."
"Ich kann nichts dafür. Ständig male ich noch eine 6 daneben, aber irgendwer wischt sie immer wieder weg. Kommen Sie, steigen wir aus."
Die beiden Männer betraten ein riesiges Penthouse, mit einem begehbaren Glaskasten in der Mitte.
Corso zitterte aufgeregt. - "Ist das etwa ..."
Boris Balkan hüpfte nervös von einem Bein aufs andere.
"Ganz Recht, Mister Corso. Dies ist meine Wohnung. Ganz schön imposant, hmm?"
"Was? Nein, ich meine diesen Glaskasten."
"Achso, meine Sammlung. Ja ... ein halbes Jahrhundert lang habe ich sie zusammengetragen. Das Seltenste vom Seltensten. Und alle Bücher haben den selben Protagonisten."
"Wen?"
"Bitte?"
"Na, welchen Protagonisten?"
"Achso, na, den, ehm ... Teufel!"
"Darf ich sie sehen?"
"Sie sehen mich doch bereits."
"Ich meine die Sammlung."
"Oh, natürlich. Schauen Sie bitte weg, während ich den geheimen Zahlencode eingebe."
Corso grinste überlegend.
"Würde mich nicht wundern, wenn es die 666 ist."
Balkan schüttelte den Kopf.
"Sie sind nicht so intelligent, wie Sie glauben, Mister Corso. Sicherheitsfirmen liefern keine Codeterminals aus, die eine dreistellige Kombination erlauben. Daher sind es vier Sechsen. Ironisch, nicht wahr? Im Fahrstuhl eine zu wenig, und bei meiner Sammlung eine zu viel."
Corso gähnte. - "Wenigstens Ihren berüchtigten Sinn für Humor haben Sie noch nicht verloren."
"Sie machen sich über mich lustig, Mister Corso, aber warten Sie nur ab."
Pfeifend glitten die Glastürhälften auseinander.
"Darf ich präsentieren ... die gewaltigste Sammlung der Welt, die sich ausschließlich mit ihm auseinandersetzt."
Corso betrat den Glaskasten.
"Ist nicht klimatisiert hier drin. Gott, ich schwitze wie ein Iltis."
"Nun gucken Sie schon auf die Bücher."
Gelangweilt langte Corso nach einem von Ihnen.
"Ja, wirklich beeindruckend."
Er stellte das Buch zurück, und drehte sich zur anderen Seite.
"Was ist das denn? Sind das etwa die lustigen Taschenbücher?"
"Mister Corso, Sie haben meine Sammlung lange genug betrachtet!"
"Ist ja geil. Und was ist das ... Pornos?"
"Corso! Raus da!"
"Ist ja schon gut."
Pfeifend schlossen sich die Türen wieder.
Balkan atmete tief ein.
"Zu meiner Entschuldigung: Sie müssen wissen, mein Rücken machts nicht mehr so wie früher. Ein Großteil der Sammlung steht noch im Keller. Ich wohne erst seit einem Jahr hier, und es ist eine Heidenarbeit alles hochzutragen."
"Schon Okay, Balkan. Aber ein paar von den lustigen Taschenbüchern würde ich mir ganz gerne mal ausleih ..."
"Nichts da! Die lese ich selbst abends. Kommen Sie jetzt."
Boris Balkan führte Dean Corso zu einem Buchständer, der vor einer weiten Glasfront aufgestellt war. Von hier aus konnte man einen Großteil New Yorks überblicken. Wusste der Himmel, warum man beim lesen so einen tollen Ausblick benötigte, aber beeindruckend war es schon.
"Wie Sie vielleicht wissen, Mister Corso, gilt mein Hauptaugenmerk dem so genannten Cerberus, dem Höllenhund."
Corso nickte.
"Das weiß ich", log er. Gott, er hatte in letzter Zeit zu viel getrunken und wusste eigentlich überhaupt nichts mehr mit Genauigkeit.
"Dieses Buch hier", sagte Balkan. - "Nach diesem Buch musste ich lange suchen."
Corso nahm die vergilbten Seiten, die Balkan ihm reichte, in die Hand.
"Die neun Pfoten", übersetzte er den lateinischen Titel.
Balkan atmete dramatisch aus.
"Ganz genau, die neun Pfoten. Vom Höllenhund persönlich geschrieben."
Corso legte das Buch beiseite.
"Das ist nicht das Original."
"Woher wollen Sie das wissen?"
"Da ist der lachende Dackel vom Tierschutzverlag auf dem Cover."
"Dennoch, es gibt drei weitere Bücher, und die könnten ebenso Fälschungen sein. Die Pfotenabdrücke sollen sich angeblich voneinander unterscheiden."
Dean trat einen Schritt zurück.
"Mister Balkan, was wollen Sie eigentlich von mir?"
Boris ging in die Knie.
"Bitte, ich zahle auch gut, aber bitte tragen Sie mir doch die Bücher vom Keller aus hier hoch."
Corso schüttelte den Kopf.
"Ich habe mein Handy in einer Besenkammer des Dakota Buildings vergessen."
***
Einige komische Nonnen standen um sie herum.
"Na, haste wieder mal Mist gebaut", sagte eine von ihnen. - "Jetzt müssen wir von vorn anfangen. Meine Fresse!"
Rosemary erwachte aus einem seltsamen Traum.
Sie stand auf, ging aufs Klo, pinkelte, und warf sich anschließend in Schale.
"Guy, wir sind doch heute Abend bei diesen komischen alten Leuten eingeladen, die dieses junge Ding bei sich wohnen haben, weil sie so gütig sind."
"Ja ja, ich komm schon. Aber nur, wenn du diesen Anhänger ausziehst, den die Drogentussi dir im Waschkeller um den Hals gehängt hat."
"Findest du also auch, dass er komisch riecht?"
"Er riecht nach Hundekacke."
Sie klingelten, und bereits vorher öffnete sich die Tür.
"Ach, das ist aber schön, dass Sie kommen."
Um die Schultern der alten Dame hingen diverse bunte Utensilien, die etwas Neujährliches an sich hatten.
"Guy ist bekannt durch Funk und Fernsehen", sagte Rosemary.
"Schatz, bitte", fuhr Guy sie an.
Die alte Frau entblößte zwei Reihen schiefer Zähne.
"Also, ich bin die Minnie, und das ist Roman."
Sie zog einen grobkantigen Kerl an ihre Seite, der mit dem Zeigefinger auf Guy deutete. - "Nennen Sie mir einen Ort ... ich bin dort gewesen!"
"Disneyland."
"Ähm ... nein, da war ich grad nicht, aber nennen Sie mir doch irgendeinen X-beliebigen Ort. Ich war da!"
Guy schnippte mit den Fingern.
"Israel!"
"Nein, da haben Sie mich erwischt. In Israel war ich auch noch nicht. Aber bitte, fahren Sie fort."
Guy überlegte kurz. Dann schnippte er wieder mit den Fingern.
"Europa!"
Roman schüttelte den Kopf.
"Nein, in Europa bin ich nie gewesen. Aber nennen Sie mir doch noch einen Ort. Ich war da."
"Nun lass´ unsere Gäste doch ersteinmal hereinkommen", mischte Minnie sich ein.
"Das ist ja soooo groß und soooo schön hier", freute sich Rosemary.
"Aber ich habe einmal eine Reportage über Europa gesehen", rief Roman.
Minnie brachte vier Gläser mit einer roten Flüssigkeit darin.
Als sie die fragenden Blicke ihrer Gäste bemerkte, sagte sie: "Vodka mit Waldbeeren. Gabs beim Wallmart im Sonderangebot. Die Steaks, die gleich kommen übrigens auch. Und den Kuchen erst."
Zwei Stunden waren vergangen. Rosemary und Guy standen auf dem Flur und brachen in schrilles Gelächter aus.
"Hast du, hast du, hast du ...", wieherte Rosemary, "... hast du diese Gläser gesehen? Das eine hat gar nicht zu den anderen gepasst."
Guy hielt sich den Bauch vor Lachen. - "Ja, und der Kuchen erst, ich sags dir!"
Rosemary ging in die Knie, ihre Augen quollen hervor, und sie riss ihren Mund unnatürlich weit auf. - "Ich habe auch nur aus Höflichkeit ein zweites Stück gegessen!"
Guy wurde plötzlich ernst.
"Dennoch, ich werde Roman morgen wieder besuchen."
"Wieso?"
"Weil er viele interessante Dinge erzählt hat."
Rosemary schaute verdutzt.
"Aber er war doch die ganze Zeit über still."
"Nicht, als du mit Minnie in der Küche warst."
"Soooo, was hat er denn erzählt?"
"Geht dich nichts an. Lass uns ein Baby machen gehen."
"Okay."
Als sie in den Fahrstuhl stiegen, stießen sie auf den Typen, der am Morgen in der Besenkammer gestanden hatte.
"Dean Corso. Vielleicht erinnern Sie sich. Ich habe mein Handy in Ihrer Wohnung liegen lassen, und, oh, auf dem Weg hierher kam mir eine alte Dame entgegen, die mich darum bat, Ihnen dieses Maus oh Chocolat zu überreichen, bevor Sie dem ehelichen Beischlaf fröhnen."
"Gleich wirst du von einer Maus gebissen werden", sagte Guy.
Rosemary zuckte mit den Schultern.
"Was solls. Teufel! Hauptsache ich bekomme bald ein Baby."