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Porträt des Krieges

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31.10.2004
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Porträt des Krieges

* * *

am 12. November 1995
Liebste Angela,

Mir geht es gut. Seit Tagen hängt ein dickes Wolkengeflecht über der Stadt. Der Himmel verschließt sich vor dem, was hier geschieht. Ich vermisse die Sonne. Doch noch mehr vermisse ich Dich und die Kleine – hat sie denn schon gesprochen? Bestimmt krabbelt sie jetzt an Deinen Füßen, und schreit in der Nacht nach ihrem Vater. Meine Arbeit hier wird noch eine Woche dauern, oder auch zwei, je nachdem, wie umfassend die Kontrollen auf den Straßen und Flughäfen bei meiner Ausreise sein werden. Ich vermute aber, dass es die Russen kaum erwarten können, mich außer Landes zu sehen, und dass ich dann bald bei Euch sein kann. Sorgt Euch nicht um mich.
PS: Ich liebe Dich.

* * *

am 13. November 1995
Liebste Angela,

Ich schreibe Dir bei Kerzenschein. Die Nächte hier können sehr lang und einsam sein. Die Ruhe ist nur trügerisch. Aus der Ferne droht die Schlacht wie Wetterleuchten, und das Grollen der Geschütze verhallt in den verlassenen Häusern am Stadtrand. Ich verschanze mich mit den Rebellen im Zentrum. Russische MiGs kreischen über die Häuserruinen. Zerbrochene Fenster klappern im Wind. An Schlaf ist nicht zu denken. Wir hocken im Kreis, schweigen, beten leise und horchen. Der Krieg hat uns stumm gemacht. Einzelne Stimmen schweifen durch die dunkle Nacht. Es sind russische Späher. Ich luge manchmal durch die Ritzen der Mauerwände, aus denen helle Blitze ferner Explosionen schlagen, die unser Versteck ungewiss erhellen. Draußen spiegelt sich der Mond in den Pfützen der wüsten Straße; derselbe Mond, den Du am Nachthimmel erblicken kannst, dem Du deine Tränen schickst, der uns verbindet. Er streift durch die Wolken wie ich durch die hiesigen. Verschwenderisch verstreut er seinen welken Schein, der sich wie Balsam auf meine Augen legt. In ihm finde ich Trost während dieser schweren Zeit. Eine Granatexplosion fegt durch die Straßen. Der Boden fängt an zu beben. Aus der feuchten Decke bröckelt Putz auf uns herab; nicht viel, nur so viel, dass der trübe Blick einiger Männer noch weiter herab sinkt. In ihren Gesichtern lese ich Furcht und Verzweiflung. Es ist still geworden. Das Rasseln der Panzerketten ist kaum noch vom fernen Artilleriefeuer zu unterscheiden. Die Kerzenflamme neben mir züngelt ängstlich und fahl. Ihr Rauch schmeckt bitter, und bald erlischt sie. Ich höre die Nachtigall schlagen. Der Morgen graut. Lebe wohl!

* * *

am 16. November 1995
Liebste Angela,

Ich bin wohlauf. Ich hoffe, Du bist nicht in großer Sorge um mich, da ich Dir die letzten Tage nicht schreiben konnte. Der Grund waren Verhandlungen über eine Waffenruhe, zu denen ich Berichte und Fotos anfertigen musste. Diplomatie ist eine Sache. Aber im Krieg zeigt sich das wahre Gesicht des Menschen. Du weißt, dass ich mich nicht umsonst in Gefahr begebe. Der Öffentlichkeit zu zeigen, was in diesem Wahnsinn passiert, ihr ein authentisches Bild vom Krieg zu liefern, das ist meine Absicht. Doch was nützen mir da Bilder von Gesprächen über einen scheinheiligen Waffenstillstand? Herzlich wenig. Und deshalb mache ich mich nun auf den Weg ins Landesinnere. Von den Rebellen habe ich erfahren, dass dort die russische Armee gewütet hat, und sie baten mich, unbedingt davon zu schreiben. Zerstörung und Elend. Ist dies denn nicht ein idealer Rahmen für ein Bild des Krieges, das um die Welt gehen soll? Mithilfe einer Landkarte beschrieb mir der Hauptmann den Weg zu seinem Heimatdorf. Er drückte mir außerdem einen Brief für den Vorsteher der Gemeinde in die Hand. Die Strecke führt über unwegsames Gelände, und wird zu Fuß etwa zwei Tage beanspruchen. So aber kann ich die Sperren der russischen Besatzer umgehen.

* * *

am 18. November 1995
Liebste Angela,

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auf anderem Wege ließe sich das Grauen hier nicht beschreiben. Kaum im Tal angelangt, wiesen mir schon unheilvolle Rauchschwaden am Horizont den Weg zum Dorf. Das Gras auf den schroffen Hügeln schien verdorrt, und schwarz von der Asche, die während der Kämpfe unablässig vom Himmel hinabgeregnet war. Wie zerberstende Knochen brach es unter meinem Gewicht. In die Erde hatten sich die Spuren von Panzerketten und marschierenden Soldaten tief eingebrannt. Nach einer Weile drängten sich mir die ersten Überreste von Häusern entgegen. Ein Riese musste durch das Dorf getrampelt sein. Ich sah schon oft in menschliche Abgründe. Doch nirgends schien der Weg zur Hölle direkter als hier. Aus den dampfenden Trümmern ragen verkohlte Bäume wie Grabsteine. Sie sind stumme Zeugen der Zerstörung, die über dieses Tal hereinbrach. Der Wind schweift seelenlos umher, und treibt den Gestank von Rauch und Benzin über die nackten Felder. Krähen stürzen aus dem wolkenverhangenen Himmel herab, viele fliegen dicht an mir vorbei, manche streifen mich mit ihren Flügeln. Sie stolzieren auf den eingefallenen Dachgiebeln, und schielen nach Kadavern. Wenn ich fort bin, wird ihnen dieser Ort gehören. Die Willkür der Zerstörung offenbart sich allenthalben. Eine Bronzestatue krönt unversehrt die Schuttreste des Dorfbrunnens, dessen Schacht vollkommen eingestürzt ist. Es ist das letzte Bild auf meinem Kamerafilm. Zusammen mit den anderen Fotos des vernichteten Dorfes ergibt dies ein erschreckend realistisches Abbild des Krieges. Aber könntest Du sie sehen, du würdest mir beipflichten: sie sind einfach zu leblos, zu statisch. Es mangelt ihnen allesamt an Menschlichkeit, die es braucht, um die Unmenschlichkeit zu schildern. Ohne Licht kann es schließlich auch keinen Schatten geben. Sie zeigen bloß Zerstörung, die es in jeder Schlacht gibt. Doch ich möchte ein Bild finden, welches dem Krieg ein unverwechselbares Gesicht gibt, das die Menschen auf die Geschehnisse hier aufmerksam macht. Niemand betrachtet das Gemälde der Mona Lisa der Farben wegen, sondern nur, weil ihn das Lächeln fasziniert. Ich bin also weiter auf der Suche nach meinem Bild. In der Nähe der ausgeglühten Kirchenglocke habe ich den Brief mit einem Stein beschwert. Wer weiß, wann ihn jemand aufheben wird. Hundegebell weht an mein Ohr. Ein Zeichen von Leben. Endlich.

* * *

am 19. November 1995
Liebste Angela,

Ein Hilfstransport des Roten Halbmondes hat mich aufgenommen. Ich sitze in einem Jeep, der sich die holprige Strasse nach Westen hinaufquält. Ziel ist ein inguschetisches Flüchtlingslager. Vielleicht kann ich dort meine Arbeit abschließen. Mit jedem Kilometer fällt der träge Geruch des Todes ein wenig von mir ab. Von Zeit zu Zeit stecke ich den Kopf aus dem Fenster, um nach Luft zu schnappen. Der kühle Abendwind fährt mir durch das Haar. Am Himmel reihen sich die Wolken wie Perlen an einer Schnur dem Sonnenuntergang entgegen. Es scheint, als zöge die Sonne verzweifelt an ihr, sich festzuhalten, um nicht unterzugehen. Die Wolken aber wehren sich mit aller Kraft; sie laufen vor Anstrengung rot an. Der Horizont, nicht verdeckt durch Hügel und Dächer, erstreckt sich als klare Linie vor meinen Augen. Hier nun setzt sich der Himmel umso mehr von der Erde ab, der erneut eine einsame Nacht bevorsteht. Die Halogenscheinwerfer werfen einen weiten Lichtkegel in die Dunkelheit, die Landschaft rauscht an mir vorbei. Die Sterne fehlen. Sie sind auf die Erde gestürzt, und lodern aus der Ferne. Die Stille beunruhigt mich. Der Wind säuselt unbeschwert, und legt sich in den Sand. Die Fahrt wird noch Stunden dauern. Schlamm spritzt an die Fenster, krachend versinken die Räder in unzähligen Schlaglöchern. Der Allradantrieb wiegt mich in den Schlaf.

* * *

am 20. November 1995
Liebste Angela,

Hinter mir liegt die erste Nacht, in der ich ruhig schlafen konnte. Das scheint mir für die Helfer ein Luxus, angesichts immer neuer Flüchtlingsscharen, die in das Lager stoßen. Als der Morgen anbrach, hatten wir unser Fahrtziel erreicht. Der Himmel blähte dunkelrot, und nahm wie ein löchriger Spiegel die Farbe der zerfetzten Uniformen toter Soldaten, die elend in den Straßengräben verscharrt lagen, in sich auf. Es seien Rebellen gewesen, die den Plan hatten, den Vorratszug zu überfallen, erklärte mir der Leiter der Hilfsmission. Wir fuhren mitten durch eine riesige Zeltstadt. In Decken gehüllt saßen die Alten auf dem kargen Boden, und beäugten uns misstrauisch, während eine Flut aus Kindern uns jubelnd entgegenschlug. Das Getöse ward noch stärker, als das Verdeck der Lastwägen geöffnet wurde, und kistenweise Kleidungsstücke, Wärmflaschen und Spielsachen dem tosenden Meer aus Kinderhänden überlassen wurde. In das Lazarett gelangten mit meiner Hilfe die restlichen, medizinischen Güter, die hier dringend benötigt wurden. Die Kranken wirken verstört, Blut und Asche haftet an ihren abgezehrten Leibern. Ihre erschütternden Berichte gönnen mir keine Ruhe. Sie scheinen alles verloren zu haben, selbst den Glauben an das Gute. Das Einzige, was sie auf ihrer Flucht retten konnten, war ihr Leben. Und noch nicht einmal das. Viele sind verwundet, leiden an den Strapazen der Flucht, und an den Folgen der Folter russischer Milizionäre. Hinzu kommt der seelische Schmerz. Aus Scham wollen sie nicht fotografiert werden.

* * *

am 21. November 1995
Liebste Angela,

Hier draußen, weitab vom Schlachtfeld, schweigen die Waffen. Doch Tag und Nacht sterben hier Menschen, und neue Flüchtlinge strömen in das überfüllte Lager. Schier unmenschliche Verhältnisse. Die Helfer geben ihr Bestes. Ich versuche sie zu unterstützen, wo es nur geht. Die Kinder spielen im Dreck mit Hühnerknochen. Ihnen möchte man den Terror, den sie erlitten haben, nicht ansehen. "Die einen kehren als Vollwaisen in ihre Heimat zurück, die anderen werden Opfer von Entführung, Folter und Tötung, und alle sind sie ein Leben lang vom Krieg gezeichnet", haben mir meine Auslands-Kollegen geschrieben. Wenn sie nur wüssten, wie Recht sie haben.

* * *

am 22. November 1995
Liebste Angela,

Es schneit, doch das Weiß des Schnees passt nicht zum Grau der Zelte. Durch die fettigen Wolken gelingt es der Sonne manchmal zu leuchten. Neben mir sitzt Jasna und lässt die Flocken auf ihre Zunge rieseln. Der Schnee schmecke eigenartig, sagt sie, ohne den Blick vom verschmierten Himmel abzuwenden. Sie starrt hinauf, als ob sie hinter den Wolken etwas suche. Der Wind treibt die großen Schneeflocken schräg über die harte Erde. Ich gebe Jasna ein paar Filzstifte und Papier, damit sie sich die Zeit vertreibt. Damit sie nicht ständig an ihre Eltern denkt. Bald darauf lässt sie mich ihr Bild sehen. Sie strahlt im Gesicht, in ihren großen, schwarzen Augen verliert sich das karge Sonnenlicht, und schimmert matt zurück. Nun, was denkst Du, hat sie mir gemalt? Ein Bild, auf dem man das Elend im Flüchtlingslanger nicht nur sehen, sondern auch den Schmerz, die unendliche Trauer, des kleinen Mädchens in jedem Strich nachfühlen kann. Die Farben sind merkwürdig verfälscht. Sie hat das Gras rot, die Zelte schwarz, und die Menschen lila gemalt. Wahrscheinlich reichen unsere Sinne nicht, um solch ein Bild zu begreifen. Welch kindliche Unschuld hier verloren ging. Voller Ungeduld faltet sie das Papier zusammen, und schenkt es mir mit einem Kuss. Sie ahnt nicht, wie sehr sie mich für all das geschehene Leid, das ich erleben musste, entschädigt. Und es ist wahr: Ich habe gefunden, was ich gesucht. Schon übermorgen kehre ich auf dem schnellsten Weg zu Dir zurück. Erwarte mich!

* * *

 

Hallo moonaY!
Wollte eigentlich nur kurz die ersten Zeilen lesen, aber dann musste es doch der ganze Text sein. Auf Textkram habe ich beim Lesen gar nicht geachtet, ehrlich gesagt ist mir auch nichts aufgefallen.
Am Anfang stört mich „das Kind“. Ich finde es nicht nachvollziehbar, dass dein Prot so schreibt. Wenn du dem Kind einen Namen und damit auch ein Geschlecht geben würdest, wäre es realistischer, lebendiger, könnte man den Prot an dieser Stelle schon mehr verstehen, mit ihm fühlen. Dass es sich um sein Kind handelt, würde aus dem Kontext auf jeden Fall noch klar werden.
Eine Sache gefällt mir sprachlich nicht:

Es findet als letztes Bild den Weg auf meine Kamera.
… keine Ahnung, was genau mich daran stört.

die Menschen lila gemalt.
An dieser Stelle musste ich an einen Text von Borchert denken, den wir grade im Unterricht gelesen haben: „Das ist unser Manifest“. Auch da geht es um Krieg und um hinterlassenes Elend. Alles, was damit zu tun hat, ist bei Borchert lila. Zufall?

So, und ansonsten? Ab dem 18. November haben mich deine sprachlichen Bilder völlig in ihren Bann gezogen und auch überzeugt. Der Anfang des Textes ist zwar auch schon gut und flüssig zu lesen, aber die sprachliche Intensität erreicht für mich erst am 18. November ihren Höhepunkt. Das zerstörte Dorf habe ich richtig vor mir gesehen. An manchen Stellen schaffen dein Stil und deine Wortwahl für mich noch eine Distanz zu dem, was du beschreibst; die Eindrücke wirken gefiltert, weil sie sprachlich oft zu glatt wiedergegeben sind – es ist schwer zu erklären, was ich da meine, und es ist auch nur ein Eindruck. Insgesamt entsteht für mich ein kleiner Zwiespalt, weil ich einerseits durch deine Art zu schreiben das Szenario vor mir sehe (und manchmal spürte ich auch die Kälte …), andererseits entsteht bei mir noch nicht die Betroffenheit, die ein solcher Text bei mir auslösen könnte. Klarer kriege ich das leider nicht erklärt.
Idee und Thematik haben mir ansonsten gut gefallen. Ein Kriegsberichterstatter, der auf der Suche nach aussagekräftigen Bildern schließlich auf die Zeichnung eines kleinen Mädchens stößt und in ihr findet, was seine Fotos nicht auszudrücken vermögen. So habe ich es jedenfalls verstanden.
Fazit: eine vor allem sprachlich schöne Geschichte, die an mich leider noch nicht so sehr rankommt wie sie könnte.
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Hallo Malinche,

Ich bin erleichtert, dass dir im Großen und Ganzen die Geschichte gefällt. Ich hatte sehr große Zweifel daran, ob sie überhaupt das Thema trifft. Denn so recht wollte mir zu 'Mit allen Sinnen' nichts einfallen.
Die Thematik Krieg aber ist nicht sehr leicht zu bearbeiten, und erfordert sehr viel Feingefühl. Ich denke, dass es daran in meiner Geschichte hapert, und deswegen eine gewisse Barriere zwischen Inhalt und dem Leser entsteht. Es ist leider, so wie es ist: an Krieg und Terror sind wir durch die Medien schon allzu sehr gewöhnt. Eine weitere Schwierigkeit war, die Briefe so glaubhaft wie möglich zu verfassen. Das bedeutete, Sätze einzuschränken, gewisse Dinge einfach unter den Tisch fallen zu lassen, und das Geschehene sehr subjektiv zu vermitteln. Ich wählte deshalb eine sehr bildliche Sprache, die in ihrem Ausdruck die Ohnmacht des Fotojournalisten verdeutlichen soll.
Deinen Vorschlag habe ich berücksichtigt. Von der Geschichte von Borchert habe ich noch nicht gehört. Im Prinzip meinte ich mit den lilanen Menschen dasselbe. Ferner war es mir wichtig, den ganzen Briefwechsel in einem realistischen Hintergrund einzubetten. Es handelt sich hierbei um den ersten Tschetschenienkrieg.
Vielen Dank für deinen Kommentar

Lieben Gruß,
moonaY

 

Hallo moonaY,

dass du die Challengevorgaben nicht als optimal umgesetzt betrachtest, hast du schon erwähnt, ich stimme dir da zu. Sicher sind einige Sinnerwahrnehmungen eingebaut, aber sie stellen keinen Hauptaspekt der Geschichte.

Die Berichterstattung deines Protagonisten war mir leider etwas zu distanziert, zu rational und zu wenig erschüttert. Manch Phrasen schienen meines Erachtens sogar fast schon abgedroschen, wie:

Aber im Krieg zeigt sich das wahre Gesicht des Menschen.
oder auch
Welch kindliche Unschuld.
Das ist für meinen Geschmack das, was du als Autor gern vermitteln würdest, aber ich glaube nicht, dass der Protagonist das so schreiben würde - auch die detaillierten Beschreibungen und Bilder, die für mich deinen Stil ausmachen, passen hier nicht recht. Da ist wesentlich mehr "show, don't tell" nötig. Die Geschichte wirkt distanziert. Die Briefe lesen sich viel zu besonnen, als dass ich als Leser dem Prot seinen Schrecken abnehmen würde, viel zu konstruiert wirken die einzelnen Bilder auf mich. Du scheinst bemüht gewesen zu sein, nichts auszulassen an Schreckensbildern, aber durch die Anhäufung und die erzählerische Sachlichkeit und Distanz wirken sie nicht.

Stilistisch finde ich deine Geschichte also zu gut für das, was du erzählen möchtest, zu sauber und glatt, um authentisch wirken zu können. Wenn auch die Absicht, vom Schrecken des Krieges zu erzählen, löblich ist, kommt hier dennoch der Schrecken nicht an. Dazu ist mir die Geschichte einfach zu steril.

Lieben Gruß,
Anea

 

Hi MoonaY,

auch mir gefällt die Thematik, die Bilder die du erzeugst, sehe ich vor mir.

Doch wie auch schon meine Vorredner sagten, es fehlt das Gefühl.

Ich habe den Eindruck, dass dein Prot in eine Beobachtungslethagie gefallen ist. Du hast so schöne Sätze drin, die dein Prot aber nur sieht und nicht fühlt.

Z.B.

Ich schreibe Dir bei Kerzenschein. Die Nächte hier können sehr lang und einsam sein. Die Ruhe ist nur trügerisch. Aus der Ferne droht die Schlacht wie Wetterleuchten, und das Grollen der Geschütze verhallt in den verlassenen Häusern am Stadtrand. Ich verschanze mich mit den Rebellen im Zentrum. Russische MiGs kreischen über die Häuserruinen. Zerbrochene Fenster klappern im Wind. An Schlaf ist nicht zu denken.

Er schreibt bei Kerzenschein.
Hier könntest du einbringen, das ihm die Augen Tränen, er sie zusammenkneifen muß, um noch etwas sehen zu können ...
Was denkt und empfindet er in den einsamen Nächten?
Das Grollen der Geschütze: Geht es ihm durch Mark und Bein, zuckt er zusammen, schlägt es ihm auf den Magen, oder bekommt er Kopfschmerzen?

Zerbrochene Fenster klappern im Wind:
Hört er eine Scherbe heraus fallen, die auf dem Boden zerschellt?
Sieht einzelne Stücke wie in Zeitlupe herumfliegen. Wie klingt das?
Und so weiter.

Mir fällt gerade auf, dass es natürlich nicht einfach ist, die wirklichen Empfindungen in einem Brief an seine Frau, auszudrücken.
Würde dein Prot das tun, könnte er seine Frau erschrecken, trauriger machen, als sie schon ist.
Er will ihr keine Angst machen.
Hm ... :hmm:
Was hälst du davon, wenn du deine Geschichte nicht als Brief verfasst, sonder deinen Prot in ein Tagebuch schreiben lässt?

Darin könnte er, ohne Schaden anzurichten, seine wahren Empfindungen äußern.

Du wirst bestimmt eine Lösung finden. Deine KG ist es wert. :)

lieben Gruß, coleratio

 

Hallo ihr beiden,

Vielen Dank, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, die Geschichte zu lesen. Eure Kommentare helfen mir sehr.

@Anea: Herzlichen Dank für deine konstruktive Kritik. Ich finde es nur angemessen, wenn ich dir manche Kritikpunkte aus meiner Sicht darlege. Der Protagonist sollte den Krieg 'Mit allen Sinnen' erleben. Deshalb schildert er im Briefwechsel mit seiner Frau seine Eindrücke. Das Ganze wirkt unter Umständen deshalb so steril, da ich sämtliche Bilder konstruieren musste. Jeder Sinneswahrnehmung musste der Frau offenbart werden, ohne aber sie allzu sehr in Besorgnis zu stürzen ("gefiltert"). Dir und coleration ist dabei aufgefallen, dass es hierbei an Gefühlen mangelt. Das ist richtig, aber nur aus dem Grund, um Angela nicht zu beunruhigen. Ferner stelle ich mir vor, dass der Protagonist im Zuge des Krieges gefühlskalt wird, und abstumpft. Das soll in den Briefen daran erkennbar werden, dass er abgesehen von der ersten Nachricht, nicht wieder an sein Kind denkt, und dass er in seinen Schilderungen immer objektiver wird. So wirkt natürlich auch die Berichterstattung sehr distanziert, was aber, da stimme ich dir zu, im Widerspruch zu seiner Absicht steht, hautnah und intensiv den Krieg aufzunehmen.

@coleratio: Danke für dein Lob. Mit deiner Kritik, dass der Inhalt der Briefe nicht sehr gefühlsintensiv ist, hast du absolut recht. Wie ich es Anea schon begründet habe, möchte er seine Frau nicht in Sorge oder gar Trauer wissen, um vermeidet es deshalb, ihr seine (wahren) Gefühle zu vermitteln. Er erklärt ihr immer wieder, dass es ihm gut geht. Dein Vorschlag, das Ganze als Tagebucheinträge zu verfassen, halte ich für keine schlechte Idee. Trotzdem möchte ich davon Abstand nehmen, da mir der Aufwand zu groß erscheint, und ich mich in nächster Zeit lieber anderen Projekten widmen möchte.

Liebe Grüße,
moonaY

 

Hallo MoonaY,

ehrlich gesagt habe ich mehrere Anläufe gebraucht, um die Geschichte zu Ende zu lesen. Das ist eigentlich wirklich schade, denn du hast hier eine sehr schöne, gefühlvolle Geschichte geschrieben.
Ich finde allerdings, dass die Geschichte sich anfangs etwas dahinschleppt. Natürlich ist das nur meine persönliche Meinung, aber vielleicht könntest du darüber nachdenken, denn Anfang etwas zu straffen um gleich richtig ins Geschehen zu springen.

LG
Bella

 

Hallo Bella,

Vielen Dank, dass du dir die Geschichte trotz des schleppenden Beginns bist zum Ende durchgelesen, und ein paar (lobende) Worte hierzu gefunden hast. Ich werde in der Überarbeitungs-Phase in jedem Fall am Text bzw. an einzelnen Beschreibungen Verbesserungen vornehmen, so dass eventuell die Vorgaben im Sinne des Challenges noch besser erfüllt werden.

Lieben Gruß,
moonaY

 

Hallo moonaY,

auch mir ist die sprachlich sehr schöne Geschichte zu distanziert. Er beschreibt zwar den Krieg mit all seinen Sinneseindrücken, aber er fühlt sie in dem Moment nicht, und ich als Leser leider auch nicht. Du schreibst in deinen Kommentaren, er will seine Frau nicht beunruhigen. Gut. Aber würde er die schrecklichen Details dann nicht eher weglassen, als sie derart nüchtern wieder zu geben? Ich glaube ja. Coleratios Idee mit dem Tagebucheintrag finde ich gut, auch wenn du sie nicht aufgreifen magst ;) Auf diesem Weg könntest du eine weniger distanzierte Erzählperspektive einnehmen.

Kleinigkeiten:

Eine Granatexplosion fegt durch die Strassen.
Straßen
Aus den dampfenden Trümmern ragen verkohlte Bäumen wie Grabsteine.
Bäume
Neben mir sitzt Jasna, und lässt die Flocken auf ihre Zunge rieseln.
das Komma kannst du streichen

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,

Danke für deinen Kommentar. Den von dir erwähnten Fehlern werde ich in einer nächsten Überarbeitung Rechnung tragen.
Es lässt sich womöglich noch anders erklären, warum das Geschehen auf den Leser so distanziert wirkt: der Protagonist ist Berichterstatter, zwar kein herkömmlicher, aber dennoch erfasst er von Berufs wegen seine Umwelt möglichst objektiv und sachlich - Gefühle unterdrückt er dabei zwangsläufig. Ich möchte mich aber keineswegs in Ausflüchte retten, sondern vielmehr versuchen, die Distanz zum Leser zukünftig mittels Einsatzes bestimmter Stilmittel zu überbrücken. Ich arbeite daran.

Lieben Gruß,
moonaY

 

Hallo monnaY,

eine sehr, sehr anspruchsvolle Geschichte.

Entgegen der Meinung von Anea glaube ich, dass sie aber vollkommen ihren Platz in dem Thema "Mit allen Sinnen" hat. Warum?

Ein Journalist erlebt das Kriegswirren in Tschetschenien. Professionnell gesehen muss er sich da raushalten. Er muss ja nur Fotos machen und Berichte weitergeben. Dafür ist er da.

Aber das Leiden der Menschen und die Brutalität der Kriegsverhältnisse ziehen ihn in die Geschehnisse hinein. Er wird selbst zum Handelnden, verteilt Medikamente, versucht zu helfen. Er ist nicht mehr professionnell, neutral. Er leidet mit.

Das kommt raus, das ist in dieser Geschichte verarbeitet. Aber... noch mal, eine sehr anspruchsvolle Erzählidee. Ich persönlich hätte mich nicht daran getraut.

In dem von mir als Leser Miterlebten waren mir zwei, drei Dinge nicht ganz klar:

"Der Allradantrieb wiegt mich in den Schlaf."
Aus eigener Erfahrung würde ich eher sagen: "Trotz des ruckelnd fahrenden Allradantriebs auf der Geröllpiste schlafe ich ein." Sind wir nicht in Kriegsland? Schlamm, Dreck, Schlaglöcher auf der Strasse...

"Aus Scham wollen sie nicht fotografiert werden." Die wenigsten, erwachsenen Menschen wollen fotografiert werden. Kein Mensch will fotografiert werden, wenn er krank oder verletzt ist oder im Sterben liegt. Deine richtige Beobachtung emfinde ich als schal bzw. oberflächlich.

"Die einen kehren als Vollwaisen in ihre Heimat zurück, die anderen werden Opfer von Entführung, Folter und Tötung, und alle sind sie ein Leben lang vom Krieg gezeichnet." Du erzählst aus der Perspektive eines Journalisten. Das Auffällige des Journalisten war bisher, dass er sehr nah am Geschehen und "mit allen Sinnen" berichtete. Hier verfällst Du als Erzählerin in einen journalistischen, zusammenfassenden, distanzierten Stil; das halte ich für ungeschickt.

Summary:
Deine Erzählidee fand ich sehr gut. Teil dieser Erzählidee ist die Beobachtung, die abgleitet in ein Mitleiden. Der Erzähl-Bogen ist drin. Das Thema ist aber sehr schwer.

LG
Wolfgang Urach

 

Hallo moonaY,

wir hatten ja im Chat schon über deine Geschichte geredet. Eine Geschichte, die sich spannend liest (sehr viel spannender als das "Ork Equivalent"), die alle Sinne beinhaltet, wenn auch im Ungleichgewicht. Die Sinne werden direkt und indirekt angesprochen. Sie sind nicht Motiv der Geschichte, das ist die Suche. Bei mir leichter Punktabzug für ein paar Fehler.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo moonaY

deine Geschichte hat mich leider nicht überzeugt.
Die Sinne sind zwar alle da mit Schwergewicht auf Hören und Sehen. Fühlen im Tast-Sinn wird bis auf eine Stelle nie erwähnt. Dein Protagonist ist auf der Suche nach dem alles ausdrückenden Bild. Somit Challengevorgaben erfüllt. Dennoch fand ich den Stil etwas distanziert und irgendwie holprig.
Ich führe einfach mal meine Gedanken zu einigen Textstellen auf:

Bestimmt krabbelt sie jetzt an Deinen Füßen,
um oder zu deinen Füssen.

Meine Arbeit hier wird noch eine Woche dauern, oder auch zwei, je nachdem, wie umfassend die Kontrollen auf den Straßen und Flughäfen bei meiner Ausreise sein werden.
Unlogisch, er wird ja wohl kaum zwei Wochen am Zoll rumhängen.

Am Himmel reihen sich die Wolken wie Perlen an einer Schnur dem Sonnenuntergang entgegen. Es scheint, als zöge die Sonne verzweifelt an ihr, sich festzuhalten, um nicht unterzugehen. Die Wolken aber wehren sich mit aller Kraft; sie laufen vor Anstrengung rot an.
Möglicherweise versuchst du damit dem Schrecken des Krieges einen grotesken Gegensatz zu geben, ich empfinde es im Kontext der Geschichte eher kitschig.

Das scheint mir für die Helfer ein Luxus, angesichts immer neuer Flüchtlingsscharen, die in das Lager stoßen. *) Als der Morgen anbrach, hatten wir unser Fahrtziel erreicht.
*) Hier wechselst du plötzlich in die Vergangenheit. Vielleicht im Morgengrauen haben wir unser Fahrtziel erreicht. o.ä.

Er streift durch die Wolken wie ich durch die hiesigen.
Verstehe ich nicht. Bodenwolken?

"Die einen kehren als Vollwaisen in ihre Heimat zurück, die anderen werden Opfer von Entführung, Folter und Tötung, und alle sind sie ein Leben lang vom Krieg gezeichnet", haben mir meine Auslands-Kollegen geschrieben. Wenn sie nur wüssten, wie Recht sie haben.
Klar wissen sie, dass sie recht haben, darum haben sie ihm das doch auch geschrieben.

Voller Ungeduld faltet sie das Papier zusammen, und schenkt es mir mit einem Kuss.
Voller Ungeduld klingt komisch, eher rasch oder gekonnt, o.ä.

LG dot/

 

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