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Prämenstruelle Phasen und ihre Folgen
Prämenstruelle Phasen und ihre Folgen
Die Suppe kocht, der Aufschnitt bittet zu Tisch und die Uhr blendet den 29. Juli, 19:30 Uhr ein. Zeit für die ersten Gäste auf Nanis Geburtstagsfeier! Die Tür bläst zum Marsch, und Nani sprintet auf Kommando zum Spiegel, um ihr einladendstes Lächeln aufzusetzen. Das Rezept steht in keinem Kochbuch, ihre Vorfahren italienischer Seite haben es zu einer Spezialität kultiviert, die nur den allerliebsten Gästen zuteil wird.
"Herzlichen Glückwunsch nachträglich, Nani!"
"Danke Veronika!"
Veronika drückt Nani ein Geschenk in die Hand und umarmt sie. Noch bevor sie sich ins Wohnzimmer verkriechen können, klingelt es wieder. Nani lacht: "Wer das wohl sein mag?" Gespannt öffnet sie die Tür und es ist Eva, nein ach! Was für eine Überraschung, es ist Dina. Dina? Nanis Lächeln friert um eine klitzekleine Spur ein. Seit wann hat Dina Haare... wie Eva? Na, und wie sieht sie denn aus! Möchte sie heute einen Auftritt als Halbblut Apanatschi hinlegen oder was sollen die langen Federohrhänger? Trotz überraschenden Wetterumschwungs: Nanis Lächeln hält. Gruß und Umarmung und natürlich das Geschenk. Dina verschwindet kurz im Bad. Veronika und Nani sehen sich fragend an.
"Seit wann hat sich denn Dina so verändert?", flüstert Veronika.
"Keine Ahnung..."
Das böse Klingeln schiebt die Spekulationen auf, und der Gästeeinzug nimmt nun endgültig seinen Lauf. Kathi, Cora, Enja, ... und natürlich Vera. Alle hocken sich ins Wohnzimmer. Babsi erzählt Geschichten aus ihrem anstrengenden Hotelalltag: Furzende und spuckende Asiaten im Restaurant, Inder, die duschend den Feueralarm auslösen und eine verschleierte Frau, die ihr Häufchen im Empfangsraum hinterlässt. Beim Wort "verschleiert" wird die eine oder andere unruhig und eins steht fest: Dina wird heute Abend von verhüllter Neugier auf den Thron erhoben! Die Gruppe verstreut sich nach Plünderung des Buffets in der Wohnung.
"Ich habe Dina ja so fast nicht wiedererkannt!"
"Wie kommt das denn nur?"
Es klingelt, und Claudia schneit herein. Die Letzte im Bunde. Im Esszimmer trifft sie auf Vera, Enja und Dina.
"Ach Dina, so schönes Haar! Ich habe dich ja noch nie ohne Kopftuch gesehen. Sieht richtig gut aus!"
Vera legt auf und zündet sich eine Zigarette an. Kaum hat sie zwei Züge genossen, da meldet sich ihr klobiges Handy.
"Ja, Vera Kohl?"
"Hi Vera, ich bin´s, Cora. Bist du zuhaus? Dann ruf ich dich sofort an!"
"Ähm ja, bin ich."
Wenige Minuten später entspannen sich die zwei bei einer privaten Talkrunde.
"Hey, wie gehts denn?"
"Och ja, die Prüfungen sind geschafft. Endlich kann ich aufatmen", antwortet Vera und zieht an der Zigarette.
"Schön. Und was hast du in letzter Zeit gemacht?"
"Nach den Prüfungen nichts mehr. Ich muss Dina kontaktieren. Wir wollten ja zusammen nach Rom fahren..."
"Ach ja, genau! Wo du sie erwähnst. Wieso hat Dina eigentlich das Kopftuch abgenommen?"
"Du, das hab ich mich auch gefragt, ich habe keine Ahnung."
"Habt ihr denn nie drüber geredet?", fragt Cora ungläubig und enttäuscht.
"Ich war ja so beschäftigt. Gerade habe ich auch mit Nani telefoniert, die hat auch schon gefragt..."
"Oh ja, mit Nani hab ich auch drüber geredet. Meinst du, es liegt wirklich daran, dass Dina 25 geworden ist?"
"Öhm naja, ich weiß nicht..."
"Nani meinte, 25 ist ja ein besonderes Alter und da könnte es sein, dass sie sich deswegen dazu entschlossen hat..."
"Ich weiß es nicht, das könnte natürlich sein..."
"Hat sie dir denn nichts erzählt? Meinst du, sie hat sich heimlich verlobt? Das kann doch sein, dass sie verlobt oder verheiratet ist und deswegen das Kopftuch nicht mehr trägt", spekuliert Cora.
"Ach nein, davon hätte sie mir erzählt!", verneint Vera energisch.
"Aber wenn ihr sowieso nicht drüber geredet habt! Und weißt du, was Kathi denkt?"
"Ja, die hat mich schon gestern deswegen angerufen..."
"Es könnte ja auch mit der Menstruation zusammenhängen."
"Naja, das hab ich nicht so ganz verstanden."
"Also, wenn sie sich doch nicht verlobt hat, dann könnte es ja sein, dass da vielleicht was nicht stimmt..."
"Ach, anstatt so wild zu spekulieren, kann man sie doch einfach fragen. Da ihr euch alle nicht traut und mich ständig anruft, werde ich mich opfern und Dina einfach fragen!"
Was Vera sich vorgenommen hat, zieht sie meistens durch. Vorher unterrichtet sie den gesamten Freundeskreis, dass sie Dina die große Frage stellen wird und natürlich alle über die wahren Gründe informieren wird. Vera opfert sich gerne für das Wohlergehen der Gemeinschaft.
Dina und Vera machen es sich im Hundertmeister gemütlich, bestellen Cola und rauchen. Nach dem üblichen Unigeschwätz wagt sich Vera hervor.
"Sag mal, wir haben uns ja alle nicht getraut zu fragen, aber jetzt da stelle ich die große Frage..."
"Warum ich das Kopftuch nicht mehr trage?"
"Ja genau!"
"Ich habe mich schon gewundert. Es war schon komisch auf diese Feier zu kommen und kein Arsch fragt nach, wieso da was auf meinem Kopf fehlt. Alle tun so, als ob nichts wär..."
"Naja, ist ja nicht wie bei einer neuen Frisur oder einem Gipsverband... Jetzt erzähl doch mal!", fordert Vera Dina auf.
"Ach, das hat verschiedene Gründe. So oft, wie man mich das fragt, sollte ich längst eine komprimierte Version parat haben."
Vera kichert und Dina setzt an.
"Also: Erstens muss ich zugeben, dass mein Glaube einfach nicht mehr so stark ist wie früher. Als ich damals das Kopftuch aufgesetzt habe, da wollte ich jede Regel erfüllen, da..."
Vera versucht zuzuhören, verliert aber immer mehr das Interesse. So etwas in der Art hat sie sich sowieso schon ausgemalt.
"...und immer wenn du auf neue Leute triffst, wirste behandelt wie´n Zyklop. Die einen halten dich für das unterdrückte Opfer, die anderen für ne schwarze Witwe. Du bist die Fanatikerin, die ganz dubiose Kontakte hat..."
Vera zündet sich noch eine Zigarette an. Wo bleibt denn nun die Enthüllung? Sowas wird sie doch nicht weitergeben können. Da doch alle gespannt warten!
"...abgesehen davon, wozu studiere ich denn? Doch nicht, damit ich später zuhause hock, weil mir kein Arsch ne Stelle gibt. Ich möchte genau die gleichen Chancen haben wie jede andere auch. Das ist wohl kaum mit dem Kopftuch gegeben..."
Vera lächelt. So einfach ist es also gewesen. Genau das hat sie doch angenommen!
"...der Sinn des Kopftuchs ist es nicht aufzufallen, hier glotzt dich jede Sau aber genau deswegen an..."
Das quittiert Vera mit einem Nicken. Sie unterbricht Dina sogar in ihren Ausführungen: "Nun ja, der Sinn des Kopftuchs ist es auch seine Reize zu bedecken. Jetzt kannst du davon ausgehen, dass du von Männern angeglotzt wirst." Vielleicht würde das Dina in die richtige Richtung lenken. Vielleicht kommt nun etwas Spannendes heraus. Irgendein Typ, irgendeine Geschichte.
"Ja, damit muss ich wohl leben. Deswegen habe ich das doch aber nicht gemacht..."
Nein, es ist hoffnungslos. Alles langweilig, nachvollziehbar und verständlich. Nachdem sie die Mädels so heiß gemacht hat, kann sie ihnen doch nicht diese Story auftischen! Da muss sich Vera etwas einfallen lassen. Dina und Vera bezahlen und gehen ins Kino.
Kaffeegeruch breitet sich aus, und eine nach der anderen trudelt ein: Kathi, Nani, Cora, Babsi und Veronika, außer Dina und Claudia.
"Los, Vera, berichte!", fordert Enja sie auf.
"Ja komm, wir sind so neugierig", bestätigt Cora.
Vera schenkt allen Kaffee ein, stellt die Kekse ab und setzt sich dazu. Natürlich sucht sie zuerst ihre Zigaretten und vergrößert die Spannung. Rauchend verspricht sie:
"Das ist alles ziemlich abgefahren. Ich habe die Story ja kaum geglaubt. Aber ihr hattet wohl Recht, da steckte mehr dahinter, als ich angenommen hab!"
"Mach schon, Vera, spann uns nicht so auf die Folter", protestiert Nani.
"Also, wo fang ich an... nun Nani, du hattest Recht, es hatte wirklich was damit zu tun, dass sie 25 geworden ist..."
"Ha, hab ichs doch gesagt!"
"Aber die Idee mit der Menstruation war auch nicht so daneben..."
"Und ihr habt mir nicht geglaubt", triumphiert Kathi.
"Also, da gibt es eine Fatwa", fängt Vera an und nutzt ihr Studium der Religionswissenschaften mit Schwerpunkt Islam, "die besagt: Hast du nur eine Tochter, und setzt bei dieser drei Monate vor dem 25. Geburtstag für genau drei Monate die Periode aus, befindet sie sich also drei Monate in einer prämenstruellen Phase, so muss diese sich nicht mehr dazu verpflichtet fühlen, el hidjab zu tragen, unter folgenden Auflagen: 25 Kamele oder der Wert von 25 Kamelen müssen einer wohltätigen Organisation gespendet werden, so dass das Geld einem guten Zwecke zugute kommt..."
"Was ist denn eine Fatwa?" fragt Enja.
"Das ist ein Rechtsgutachten, das üblicherweise auf eine Anfrage einer Einzelperson, angefertigt wird."
"Ach so, aber 25 Kamele, ist das nicht viel Geld?" fragt Nani.
"Na, Dinas Vater ist doch Arzt...", antwortet Cora.
"Ja, aber auch dafür gibt es eine Regelung", erklärt Vera, "kann man den Betrag nicht aufbringen, so tut es auch eine Ersatzvereinbarung. Und zwar müssen sich zwei Söhne der Familie dazu verpflichten, einer religiösen Organisation beizutreten, um für die Verbreitung des Islams zu arbeiten."
Kathi nimmt sich einen Keks, tunkt ihn in den Kaffee und denkt laut: "Das ist ja echt abgefahren. Was für eine Geschichte. Deswegen gibt es auch nicht so viele Frauen, die ihr Kopftuch ablegen, nicht wahr? Die Fatwa trifft ja wohl nur selten zu."
"Vielleicht treten ja auch deswegen immer mehr Männer religiösen Organisationen bei", ruft Enja, "An der Essener Uni gibt es immer mehr junge Männer, die ganz traditionell gekleidet sind und mit nem Bart rumlaufen und so. Echt, das gabs vor einigen Jahren noch nicht! Wird immer krasser..."
"Vera, in welcher Form, müssen sich denn die Söhne in den Organisation einsetzen? Geht es da nur um Missionierungsarbeit oder vielleicht auch um andere Sachen...", fragt vorsichtig Babsi.
"Was für andere Sachen denn?"
"Naja, irgendwo müssen doch die ganzen Kerle für diese Terroristencamps herkommen..."
Vera lacht und erwidert: "Also ne, so etwas hat Dina nicht erzählt. Aber gut, wenn es so wäre, dann würde man das natürlich nicht lautsstark von sich geben. Wer weiß, was also wirklich dahinter steckt. So genau kann man das nie wissen!"
"Hm", überlegt Cora, "was mich immer wundert, ist, dass man solche Sachen glaubt. Ok, Moslem sein ist nichts Ungewöhnliches. Aber diese Fatwa und überhaupt diese ganzen Ausnahmen und das Fixiertsein auf die Gelehrten und deren Meinungen, das ist ja so klar, dass Dina sowas glaubt und befolgt! War ja klar, dass es das ist, was sie dazu brachte, das Teil abzunehmen!"
Da nicken die meisten zustimmend.
"Sag mal, Vera, diese Kekse, sind die selbstgemacht?"