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Prüfung

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29.06.2020
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Prüfung

Als die ersten Sonnenstrahlen des Tages über den Horizont krochen und die Ausläufer der Insel erreichten, da war dies ein seltsamer Anblick für Kiku. Normalerweise schlief er zu diesem Zeitpunkt noch, aber das war ihm heute egal. Etwas an der Szenerie vor ihm verwirrte ihn. Etwas, dass ihm zuvor nicht auffiel. Es war nicht der Blick über die Lichtung auf den lang gezogenen Strand und die Palmen. Es waren auch nicht die fast winzig wirkenden Holzdächer des Dorfes unter ihm oder die ersten Baumreihen des Dschungels, der sich um ihn herum bis zu den Spitzen des Berges empor rang. All das hatte er schon dutzende Male von dieser Lichtung aus betrachtet. Viel mehr galt Kikus wahre Aufmerksamkeit dem Speer seines Vaters. In diesen ersten Sonnenstrahlen des Tages hatte er eine unnatürliche Aura. Das Holz glänzte förmlich und die scharfe Spitze wirkte neu. Ihm war nie zuvor aufgefallen, wie viel Arbeit sein Vater in die Pflege seiner Waffen steckte. Aber er hatte auch noch nie die Gelegenheit gehabt, sich diese Waffen so genau anzusehen, wie an diesem Morgen. Soweit Kiku wusste, holte sein Vater die Waffen nur aus zwei Gründen aus dem versperrten Schrank: Wenn er zur Jagd aufbrach, oder wenn er einen seiner Söhne zur Prüfung begleitete.
Zur Jagd würde es heute nicht gehen. Das war ihm gleich klar, als sein Vater ihn in der Früh weckte. Aus irgendeinem Grund, den Kiku nicht verstand, hatte sein Vater ihm nie erlaubt bei der Jagd zu helfen. Das war bei seinem Bruder Telu noch anders. Ihn nahm sein Vater schon mit, als dieser erst 13 Zyklen alt war. Er konnte sich noch daran erinnern, wie sein Bruder immer damit angegeben hatte. Jedes Mal wenn er von der Jagd Heim kam, prahlte er mit seinen Erfolgen. Er zog seinen kleinen Bruder damit regelrecht auf. Kiku fand das ungerecht. Er war sich sicher, er hätte genauso viele Schweine erlegen können, wie sein älterer Bruder. Er hatte nie eine faire Chance, es ihm zu beweisen. Als er den 13. Zyklus erreichte, war sein Bruder bereits fort. Er verließ die Insel, so wie der Brauch es verlangte. Telu hatte die Prüfung nicht bestanden.
"Vater... darf ich den Speer tragen?"
"Nein!"
"Aber warum nicht? Telu durfte ihn auch immer tragen!"
Sein Vater antwortete nicht. Aber sein dunkler Blick verriet Kiku, dass er eine wunde Stelle angesprochen hatte. In der Familie redete man ungern über seinen Bruder. Das war so seit dieser seine Prüfung nicht bestanden hatte. Er konnte sich noch daran erinnern, als sie Telu verabschiedeten. Er bekam einige Vorräte und ein Boot. In Sichtweite des Strandes gab es zwei weitere Inseln. Keiner wusste für welche er sich entscheiden würde. Es war auch nicht relevant. Niemand der Ausgestoßenen durfte zurückkehren und daher konnte auch niemand sagen, welche Insel geeigneter wäre. Kikus großer Bruder war schlichtweg kein Bestandteil des Stammes mehr. So war der Brauch. Alle akzeptierten das. Auch sein Vater. Es gab keine Tränen, keine große Verabschiedung. Es passierte einfach. Dennoch veränderte sich danach alles. Ihr Vater wurde ernster. Die Familie hatte nur zwei Söhne. Nicht mal eine Tochter. Sollte Kiku ebenfalls bei der Prüfung versagen - undenkbar. Er fühlte die Last auf seinen Schultern, dabei war ein Versagen nicht mal selten. Gerade mal jeder Zweite bestand die Prüfung.
"Warum durfte Telu mit dir Jagen, und ich nicht?"
Sein Vater brauchte eine Weile, bis er eine Antwort fand:
"Weil es ein Fehler war!"
Er brauchte einen kurzen Moment, um die Antwort zu verdauen. Lag es daran, dass Telu die Prüfung nicht bestand? Das war ein Gedanke, der Kiku seit einer Weile schon verfolgte. Aber er traute sich nicht, seinen Vater danach zu fragen. Bis zum Moment der Prüfung ist es untersagt mit den Kindern über ihren Inhalt zu reden. Das ist Teil des Brauches. Sie sollten unvoreingenommen sein. Die Ältesten hatten es den Kindern ein Mal so erklärt: Ein Erwachsener hat eine große Verantwortung zu tragen. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Familie, das Dorf und die Insel. Nur wer die Prüfung besteht, beweist allen anderen, dass er im Stande ist diese Verantwortung zu übernehmen. Und deshalb ist es umso wichtiger, dass ein jeder unvoreingenommen in diese Prüfung geht. Damit am Ende nicht die Angst maskiert wird, die wir spüren. Damit ein jeder sich ihr stellen kann.
"Wir müssen weiter!"
Auch wenn Kiku diese kleine Pause genoss, so wurde er doch zunehmend aufgeregter. Das kleine Frühstück, dass seine Mutter ihnen mitgegeben hatte, hatte er nicht mal angerührt. Auch sein Vater schien keinen besonderen Hunger gehabt zu haben. Ein Glücksfall für ihren Hund PukPuk, der mit wedelndem Schwanz zwischen ihnen herum tollte, und nur darauf wartete, dass man ihm die belegten Brote und die Reisbällchen hin warf. Kiku beneidete ihn für seine Sorglosigkeit. PukPuk würde nie diese Prüfung ablegen müssen. Er war einfach nur ein Hund, bekam seine Mahlzeiten und bewachte dafür die Familie und die Hühner. Bedachte man, wie wenige wirkliche Bedrohungen es auf der Insel gab, war es wohl nicht mal ein besonders schwerer Job. So dass PukPuk eher bekannt dafür war, dass er den Hühnern das Futter weg fraß - was ihm im Übrigen auch seinen Namen einbrachte.
Kikus Blick wendete sich auf die kommende Passage. Die Prüfung fand traditionell immer auf der Bergkuppe statt. Bis dahin würden sie noch etwa drei Stunden brauchen. Der alte Pfad schlängelte sich dabei immer auf der Ostseite des Berges entlang. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er noch nie auf der anderen Seite des Berges war. Ging die Insel dort weiter? Wenn ja, wie groß war sie dann überhaupt? Wohnten sie auf der kleineren oder größeren Seite der Insel?
"Vater, wieso gehen wir nie auf die andere Seite der Insel?"
"Weil uns diese Seite reicht."
"Aber vielleicht gibt es dort mehr Platz, den wir für weitere..."
Noch bevor Kiku den Satz beenden konnte, unterbrach sein Vater ihn in einem ruhigen aber ernsten Ton:
"Diese Seite der Insel ist genug für uns. Wir haben genug Tiere, genug Früchte und ausreichend Platz für unser kleines Dorf. Die andere Seite der Insel bietet nur mehr vom Gleichen. Aber das brauchen wir nicht, oder?"
Sein Vater schien keine Antwort zu erwarten und Kiku brauchte eine Weile um über das nachzudenken, was man ihm gerade erzählt hatte. Mehr vom Gleichen. War das nicht normalerweise etwas gutes? Der Junge konnte sich nicht vorstellen, dass im Dorf jemand ein Problem mit mehr Essen gehabt hätte. Er musste nur an den alten Kopu denken, der sich regelmäßig bei den Dorffesten den Wanst voll stopfte. Der würde sicherlich nicht protestieren, wenn man die Felder vergrößern oder die Jagd ausweiten könnte. Andererseits würde das auch mehr Arbeit bedeuten. Hätten sie dafür die nötige Anzahl an Dorfbewohnern? Und wenn sie mehr bräuchten? Würden die nicht auch Essen benötigen? Also wäre mehr vom Gleichen nicht einfach nur mehr von allem? Kiku war zunehmend verwirrt. Aber wenigstens dachte er so weniger über die Prüfung nach. Und so hatte das ganze auch seine Vorteile.

#​

Als sie die Bergkuppe erreichten, stand gerade die Sonne im Zenit. PukPuk war den Großteil der Wanderung immer wieder um sie herum gerannt. Mittlerweile schien aber selbst ihm die Luft ausgegangen zu sein. Gerade als sie die letzten Baumwipfel des Dschungels verließen trabte der Hund nur noch lustlos hinterher. Für Kiku war es eher das Gegenteil. Er wurde immer aufgeregter, je näher sie der Spitze kamen. Er hatte sich viele Gedanken darüber gemacht, wie dieser Ort wohl aussehen würde, aber die Realität überraschte ihn dann doch noch mal.
Vor ihnen mittig auf die Kuppe platziert, stand ein Gebäude. Aber keines wie der Junge es schon ein mal gesehen hätte. Im Dorf waren alle Häuser klein und aus Holz gebaut. Dieses Gebäude war so groß wie zehn dieser Häuser und aus Stein. Und es sah nicht so aus, als hätte man in den Tälern um den Berg herum Steine gesucht und hier aufgetürmt. Viel mehr wirkte es, als habe man dieses Gebäude aus einem einzigen gigantischen Stein geformt. Wer hätte so etwas vollbringen können?
"Was ist das für ein Gebäude Vater?"
"Es ist ein Denkmal unserer Ahnen."
"Ein Denkmal?"
"Es gab eine Zeit, da dachten unsere Ahnen darüber nach, wie wohl das Leben außerhalb unserer Welt aussieht. Ihr eigener Drang brachte sie dazu, immer neue Grenzen zu finden und zu überwinden. Und das ist durchaus etwas Gutes. Sie lernten dazu und erweiterten ihre Fähigkeiten. Aber als sie bemerkten, wie weit sie gekommen waren. Als sie sahen zu welchen Leistungen sie im Stande waren... da bekamen sie Angst. Und diese Angst führte zu Wut und die Wut führte zu Aggression. Und am Ende... zerstörten sie sich selbst. Und daher bewahren wir dieses Denkmal. Um uns an die Verantwortung zu erinnern, die unsere Fähigkeiten mit sich bringen."
Es war ungewohnt für Kiku, seinen Vater so zu sehen. Er wirkte angespannt. Der Ort schien etwas in ihm aufgeweckt zu haben. Und Kiku war offensichtlich noch zu jung, um zu verstehen, was im Kopf seines Vater vor sich ging.
Nachdem er den Anblick des Gebäudes verdaut hatte, wandte er sich der anderen Seite des Berges zu. Sein Vater hatte recht. Dieser Teil der Insel war nur minimal größer und bot ansonsten einfach nur mehr von dem, was man auf ihrer Seite der Insel vorfand. Der Dschungel schlängelte sich am Berg vorbei auf die Westseite, bis hin zu einem langen ausgedehnten Strandabschnitt. Aber viel wichtiger: Auch hier standen Holzhütten in der nähe des Strandes. Ein zweites Dorf? Von dem er noch nie zuvor gehört hatte.
"Sieh Vater! Ein zweites Dorf!"
"Gedulde dich. Wir müssen jetzt warten."
"Auf wen?"
"Auf den anderen Prüfling."
Kiku konnte spüren, wie sein Herzschlag sich überschlug. Klar wusste er nur wenig über die Prüfung, aber nie hätte er auch nur in Erwägung gezogen, dass noch ein weiterer Junge aus einem zweiten Dorf von der anderen Seite des Berges an der Prüfung beteiligt wäre. Überhaupt hat in ihm die Entdeckung des zweiten Dorfes so viele Fragen aufgeworfen. Wer waren die Bewohner dieses zweiten Dorfes? Waren sie friedlich? Warum hörte man so wenig von ihnen? Sein Vater war offensichtlich nicht in der Laune weitere Fragen zu beantworten. Kiku wusste auch nicht, wie viel er Fragen durfte. Ein Prüfling hat ohne weitere Informationen in die Prüfung zu gehen. So war der Brauch. Keiner hat das je in Frage gestellt. Auch er würde sich dem fügen. Und so setzten sich Vater und Sohn zusammen mit PukPuk dem Hund auf eine kleine steinerne Bank vor das große Gebäude, das mit seiner runden Kuppel in den Himmel wuchs.

#​

Es dauerte eine Weile bis von der Westseite aus ein Vater mit einem anderen Jungen den Berg hinauf wanderte. Kikus Vater zog sich mit dem anderen Mann zurück und besprach etwas. Währenddessen begutachtete Kiku den anderen Prüfling. Sie schienen das gleiche Alter zu haben. Aber der andere Junge war etwas größer. Er hatte braune Haare und im Gegensatz zu ihm schon einen ersten flaumigen Bartansatz. Er fragte sich, ob dieser Junge seinen Vater zur Jagd begleiten durfte. Ob er auch einen Bruder hatte wie er. Ob dieser ebenfalls die Insel verlassen musste.
"Ist das dein Hund?"
Kikus Gedanken wurden unterbrochen, als der Junge ihn ansprach.
"Ja das ist unser Hund. Wir nennen ihn PukPuk."
Der Junge lachte.
"HaHa. Das ist ein lustiger Name."
"Ja. Stimmt. Er frisst immer den Hühnern..."
Beide Jungs verstummten, als sich ihre Väter voneinander lösten. Kiku beobachtete seinen Vater genau. Jetzt würde es losgehen, oder? Die Prüfung, die seine Zukunft bestimmte. Würde er mit seinen Eltern und PukPuk weiter auf der Insel leben dürfen, oder würde man ihn verbannen? So wie Telu damals? Sein Vater schnappte sich den Speer, kam in ruhigen Schritten auf ihn zu, und drückte ihn Kiku wortlos in die Hand.
Es war ein seltsames Gefühl. Zum ersten Mal durfte er den Speer halten. War es nicht das, was er immer wollte? Die Waffe fühlte sich überraschend schwer an. Aber das Holz war weich und sanft und roch nach dem Öl, dass sein Vater zur Pflege verwendete.
Einige Momente lang war er gebannt von diesem Objekt in seinen Händen. Dann blickte er wieder auf und betrachtete den anderen Jungen vor sich. Auch er hatte von seinem Vater einen Speer in die Hand gedrückt bekommen. Dann zogen sich beide Väter einige Schritte zurück. Das war das Zeichen. Die Prüfung hatte begonnen.
Kikus Gedanken begannen zu kreisen. Es war offensichtlich was man von ihnen verlangte, aber Kiku war nicht im Geringsten darauf vorbereitet. Er hatte immer davon geträumt, seinen Vater bei der Jagd zu begleiten. Aber an das Töten hatte er dabei keinen Gedanken verschwendet. War es so auch bei seinem Bruder? Der hatte doch immer davon geprahlt, wie viele Schweine er erlegt hätte. Und dann ist er hier durchgefallen. Wie muss der Junge damals wohl ausgesehen haben, der seinen Bruder im Kampf besiegt hatte. War er doppelt so groß? Hatte dieser Junge vielleicht noch viel mehr Schweine erlegt, als sein Bruder? Vielleicht war dieser doch nicht so stark, wie er sich immer gegeben hatte.
Während all diese Gedanken durch seinen Kopf huschten, fiel ihm auf, dass sich auch der andere Junge noch nicht bewegt hatte. Kiku bemerkte wie er zitterte. Er wollte genausowenig kämpfen. Warum all das? Welchen Sinn sollte es haben, sich gegenseitig zu verletzen? Was hatten die Älteren immer zur Prüfung gesagt? Es sei ein Beweis, dass sie Verantwortung übernehmen könnten. Aber wie sollte All das beweisen, dass er Verantwortung für das Dorf übernehmen kann? Indem er in der Lage ist, andere zu töten?
Je länger er da stand, umso sicherer war er sich, welche Entscheidung er treffen musste. Er dachte erneut an seinen Bruder. Vielleicht war es doch der bessere Weg. Er würde ihm folgen und zu einer der anderen Inseln aufbrechen. Vielleicht würde er Telu sogar finden. Er könnte sich mit ihm zusammentun. Auf die Jagd gehen. Den Wettstreit von früher wieder aufleben lassen. Diesmal unter fairen Bedingungen. Der Gedanke brachte Kiku ein wenig Trost. Und doch - er würde seine Eltern vermissen. Das Dorf, den Strand, den Berg und PukPuk. Den guten alten PukPuk. Der Junge vor ihm zitterte mittlerweile am ganzen Leib. Es wäre vermutlich eine Leichtigkeit ihn zu töten. Vielleicht auch nur zu verletzen. Niemand hatte etwas von Töten gesagt, oder? Vielleicht reichte es, ihn nur zu Boden zu ringen. Auch Telu hatte schließlich nach seiner Niederlage noch gelebt. Aber was würde dann aus dem Jungen werden? Vermutlich würde dieser dann auch die Insel verlassen müssen. Und wer weiß wie viele Inseln man von der Westseite aus erreichen konnte. Vielleicht war das ebenfalls ein Todesurteil. Keiner konnte ihm das sagen. Keiner wollte ihm das sagen. So war der Brauch. Das musste man verstehen.
Tränen sammelten sich in seinem Gesicht. Es half nichts. Kiku konnte diese Prüfung nicht bestehen. Er wollte es nicht. Er konnte den anderen Jungen nicht in den Tod schicken. Er hätte immer noch eine Chance auf dem Meer. Bei seinem Gegenüber war das nicht so klar. Und so - warf Kiku den Speer vor sich auf den Boden.
"Ich gebe auf."
Es dauerte einen Moment, bis der andere Junge den Schock überwand und es Kiku gleich tat. Der Kampf war vorbei, noch bevor er wirklich angefangen hatte. Kiku konnte beobachten, wie die beiden Väter sich die Hand reichten. Die Prüfung war beendet. Er versuchte dem Blick seines Vaters auszuweichen. Er hatte ihn enttäuscht. Er war der letzte Junge in der Familie. Die letzte Hoffnung seines Vaters. Und doch, hat er ihn enttäuschen müssen. Er war nicht bereit, den Speer gegen einen anderen Menschen zu erheben. Als sein Vater näher kam, scheute er seinen Blick - und dann passierte etwas, dass Kiku nicht für möglich gehalten hatte.
Sein Vater umarmte ihn. Kiku konnte seine Wangen spüren und etwas anderes: Tränen!
"Vater es tut mir Leid! Ich..."
"Mein Sohn. Du musst dich für nichts entschuldigen.", sein Vater unterbrach ihn mit gebrochener Stimme, "Du ehrst mich und dein gesamtes Dorf!"
"Aber... die Prüfung. Ich habe versagt!"
Sein Vater sammelte sich und drückte ihn fester.
"Ganz im Gegenteil mein Junge. Du hast bestanden. Und nicht nur das. Du hast den Speer als erster fallen gelassen. Du hast den größeren Mut bewiesen und es deinem Gegenüber einfacher gemacht, ebenfalls die Prüfung zu bestehen."
Nur langsam verstand Kiku, was sein Vater ihm da offenbarte. Die Prüfung war nie ein Wettkampf. Es war eine Gelegenheit zu beweisen, welche innere Größe man besaß. Laut seinem Vater bestanden nur selten beide Anwärter diese Prüfung.
"Dies passiert nur, wenn einer von beiden die Größe besitzt, die Waffe fallen zu lassen. Viel zu häufig, versucht aber einer der beiden den anderen umzubringen. Und in diesem Fall sind die Regeln des Brauches klar. Der Angreifer hat die Insel zu verlassen. Nur der Verteidiger darf bleiben."
Kiku und sein Vater verblieben noch eine Weile auf der Bergkuppe im Schatten des großen Gebäudes. Er ließ sich sehr ausführlich erklären, warum sein Bruder Telu bei der Prüfung versagte. Sein Vater schien sich jahrelang die Schuld gegeben zu haben. Telu wurde durch die Erfolge bei der Jagd zu übermütig. Er brauchte in der Prüfung nur Sekunden, um sich für einen Angriff zu entscheiden.
Als sie später den Abstieg begannen, durfte er dann endlich den Speer halten. Aber diesmal war etwas anders. Kiku redete sich ein, dass es vermutlich nur das Abendlicht war, aber sicher wusste er es nicht. Denn aus irgendeinem Grund hatte der Speer an Glanz verloren, und fühlte sich so viel schwerer an.

 

Herzlich Willkommen, @Ben Camp, ich hab deine Geschichte gerne gelesen. Sie ist zwar moralschwanger, aber mir gefällt die pazifistische Message, deshalb hat es mich nicht gestört. Das exotische Setting hat mich fasziniert und durch die Längen des Textes getragen. Da besteht noch Streichungspotential, um den Text etwas flotter zu machen. Nur mal exemplarisch:

Er brauchte einen kurzen Moment, um die Antwort zu verdauen. Lag es daran, dass Telu die Prüfung nicht bestand? Das war ein Gedanke, der Kiku seit einer Weile schon verfolgte. Aber er traute sich nicht, seinen Vater danach zu fragen. Bis zum Moment der Prüfung ist es untersagt mit den Kindern über ihren Inhalt zu reden. Das ist Teil des Brauches. Sie sollten unvoreingenommen sein. Die Ältesten hatten es den Kindern ein Mal so erklärt: Ein Erwachsener hat eine große Verantwortung zu tragen. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Familie, das Dorf und die Insel. Nur wer die Prüfung besteht, beweist allen anderen, dass er im Stande ist diese Verantwortung zu übernehmen. Und deshalb ist es umso wichtiger, dass ein jeder unvoreingenommen in diese Prüfung geht. Damit am Ende nicht die Angst maskiert wird, die wir spüren. Damit ein jeder sich ihr stellen kann.
Hier verwendest du "Tell" als Mittel der Textpräsentation. Hat in dem Fall zur Folge, dass ich mich von der Handlung entferne, weil ich mir beim Lesen irgendwelche Infos über den Sinn und Zweck der Prüfung reinziehen soll, was auch schon mal zum Querlesen führen kann. Will sagen: besser wäre, du bleibst nahe an der Handlung und verpackst das, was der Leser wissen muss (oder besser was du glaubst, was der Leser wissen muss) in Dialoge oder löst es szenisch auf, zeigst es dem Lesen, statt es ihm aus dem Off zu erzählen. Dadurch wird der Text lebhafter. Damit wären wir dann beim berüchtigten "show don´t tell", nachzulesen auch hier. Kannst ja mal stöbern, ist so einiges Interessantes dabei.
Respektabler Einstand, Ben, viel Spaß hier im Forum.
Peace, linktofink

Mit Leerzeilen könntest du sparsamer sein, lieber streichen und nur bei Szenewechsel, Perspektivwechsel, Zeitwechsel (Rückblende) etc. mit Leerzeile. Normal reicht der einfache Absatz, auch bei wörtlicher Rede bitte nicht nach jedem Satz eine Leerzeile.
Das ein oder andere Komma habe ich auch vermisst, nix Dramatisches.

 

Hallo linktofink,

Vielen Dank für dein Feedback. Ich stimme dir zu und hätte bei nochmaliger Durchsicht mehr in Dialogen erzählen sollen. Auch das moralschwanger würde ich unterstreichen, da hab ich mich beim Schreiben einfach zu sehr treiben lassen. Mein Grundgedanke sollte eine dezente Moralnote enthalten und beim Schreiben ist es mir dann irgendwie entglitten. Die Leerzeilen sind im Scrivener nicht gewesen. Da hat’s beim Übertragen die Formatierung zerhauen. Muss ich mir noch mal anschauen für die nächste Geschichte.

Ansonsten zum Hintergrund: Hab den Deal mit meiner Frau, dass ich Geschichten zu ihren Stichwörtern schreibe. Die Veröffentlichung hier war ihre Idee, um mich ein wenig herauszufordern. Aber ich denke sie hatte eine exzellente Idee. Stichwort hier waren übrigens ruhige Orte. Dachte dann direkt an diese Insel und der Rest kam von selbst. Dann werde ich jetzt mal anfangen hier ein paar weitere Geschichten zu lesen. Vielleicht bringt das weitere Inspiration.

 

Hallo Ben Camp,
wenn du ein @ vor den Nick setzt, wird der/diejenige benachrichtigt, dass du eine Antwort geschrieben hast.
Das Korrigieren der Leerzeilen musst du dir nicht für die nächste Geschichte aufheben, das kannst du auch bei dieser tun, einfach auf Bearbeiten klicken und los.
Und bitte nicht weitere Geschichten nur lesen, sondern auch kommentieren, davon lebt das Forum, Geben und Nehmen, am besten auch in der Reihenfolge.
Peace, linktofink

 

Hallo @Rob F ,

danke für das Feedback. Das "Setting" war tatsächlich das Element, mit dem ich den Leser an meine Geschichte binden wollte. Ich glaube das hat ganz gut geklappt. Bzgl. dem Stichwort: Meine nächste hatte das Stichwort "Abschied" und ich habe mir die Freiheit genommen hier stärker in die Science-Fiction zu gehen. Soviel als kleiner Teaser. Ich muss noch mal drüber gehen, dann schau ich mal, wann ich sie hier einstelle.

@linktofink -> Hab die Formatierung angepasst. Dürfte jetzt besser sein. :)

 

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