- Beitritt
- 21.10.2004
- Beiträge
- 6
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Premiere - Die Dresdner Tagebücher
Bis auf maßlose Übertreibung ist jedes Wort wahr und dennoch ist es eine Geschichte.
Die IB-Party - Nerdism oder eine lange Nacht
Ja, studieren ist vielleicht nicht nur am Anfang Bürokratie und anstrengend. Nein, ihren Account kriegen sie in einem Rechenzentrum der Fakultät, nicht der Universität. Ja, das hier ist schon ein Rechenzentrum, aber das in Johannstadt. Sie müssen nach Südvorstadt. Nein, nicht heute, sie können es erst morgen wieder aber nur bis 8.30 probieren. Bis ich dann auch noch das Zimmer der guten Frau gefunden hatte war es auch schon 9. Mist.
Wenn man aber alle seine Einführungsveranstaltungen verpasst, dann wird es dadurch mit Sicherheit nicht besser. Da scheinen einem dann ein unterhaltsamer Mathe-Prof (der Dinge sagt wie: "Diese beiden Aussagenlogischen Ausdrücke A und B repräsentieren die gleiche Wahrheitsfunktion. Wie machen sie das? Na klar, einfach so!" oder "Bitte vergessen sie beim Verlassen der Vorlesung nicht, ihr Handy wieder einzuschalten. Danke." - das aber nicht ironisch sondern tatsächlich so, als würde man ihm einen Gefallen tun. Herrlich...) oder der angenehme, lustige und organisierte Komilitone wie seltene Lichtblicke in der bitterkalten Herbstzeit. Es gibt nämlich einen Haufen Nerds in unserem Studiengang der Medieninformatik und die Frauenquote ist, wenn auch besser als in Informatik, im Vergleich zu Publizistik immer noch erbärmlich.
Also freute ich mich auf nen gemütlichen Abend bei Marie (WinXP einrichten ist wohl der einzige Grund aus dem Nerds (Wie ich vielleicht auch? Hilfe!)) ernsthaft länger von einem Mädchen geduldet werden. Hoffentlich ist das hier mal falsch. Jedenfalls kam es anders.
Eigentlich hatte ich ja gedacht, ich bekäme während dem untätigen Warten und 'Enter' drücken ein Klavierkonzert für wenige Ohren. Aber Marie, die Pianistin, wollte Pudding machen. Manschies, klarer Fall.
"Nein, für die IB-Party."
(HUah? Fliegende Schweine?) "Was ist das denn?" (Vielleicht eine 'Inddernedd Broddogoll'-Party, also so eine Art LAN-Party mit schäbischem Einschlag und Pudding statt Chips und Cola? Dafür also den Laptop mit neuinstalliertem WinXP? Klingt klasse, oder?) Bin dabei, dachte ich mal - kam anders.
Auf mein ratloses Gesicht meinte Marie "Internationale Beziehungen, mein Studiengang, da ist heute Einführungsprivatparty vom dritten für das erste Semester. Kannst gerne mitkommen." Das klang in zweierlei Hinsicht sehr vielversprechend. Zum einen weil ich ja bisher alles Einführungsartige hier verpasst hatte und zum anderen, weil die Frauenquote in IB mal der Wahnsinn ist. Gar nicht wegen der gesammten Anzahl Mädchen ('nur' 50%, wie mir versichert wurde...) sondern es sind einfach zu viele hübsche, intelligente und interessante darunter. Die fast alle im Ausland waren, was zu erzählen wissen, Sinn für Humor haben, diskutieren können, gern und fremdländisch tanzen, das auch können... Hergott, ich komm noch ins Schwärmen. Durchaus vielversprechend jedenfalls - kam abermals anders.
Wir machten uns also auf den Weg. Verdammter Pudding. Nein, er war sicher lecker, Marie erzählte von Bananen, gekocht, ganz unten, von Nussglasur, noch halbflüssig, ganz oben und dazwischen, in einer noch warmen Glasschüssel - der Pudding, den ich nicht probieren durfte (später kam ich in der Hitze des Gefechts nichtmehr dazu) und der saumäßig beschissen schwer und instabil war. Gut, der Gedanke, dass ich mit einem Wurf die gesammte Straßenbahn einsauen könnte hatte was komisches. Eine Art Machtkick... und dann rennen... und natürlich kam es anders.
Wir brachten ihn selber also sicher in die WG. Hier hatte jeder ein Namenschild - geniale Idee, weil es die alberne 'und wie heißt du nochmal'-Frage aus dem Vokabular streicht. Ich bekam "Felix - der Glückliche" und das war ich auch, jetzt ganz er selber. Daher nahm ich mir vor, wenn ich meine Gemütsverfassung schon als Schild auf der Brust tragen sollte, dann würde ich heute Abend kein unwahres Wort sprechen und einfach mal ausprobieren, wie weit man mit Wahrheit und Verschweigen kommen könne. Kam dann tatsächlich so.
Auf ins Gewühl. Gang war klar zu voll (WohlWeilWichtige.schnittstelle-zwischen-küche-klo-haustür-zimmer.de), also ins Sitz-Zimmer. Ratespiele, wer woher? Gut gefallen hat mir "Du bist garantiert nicht aus Bayern."
- "Nein, aber aus München."
- "Du verarscht mich. Sag mal ein paar S-Bahn Stationen..." oder "Bist du erstes oder drittes Semester?"
- "Erstes."
- "Echt? Ich auch, aber ich hab dich noch nie gesehen! Warst du nicht bei der Einführung?"
- "Nein, hab ich verpasst, weil Buchmesse... (stimmt!)"
- "Dann warst du auch nicht auf der Veranstaltung xy?"
- "Nein. (Natürlich nicht, ich war da in Mathe. was ich nicht sagte.) Sag, wo warst du im Ausland? Wie gefällts dir jetzt hier so? Dresden ist cool, oder?..." und so glaubte die Gute noch eine Weile daran, dass ich mit ihr in einem Studiengang sei. Und kam später entsetzt auf mich zurück. Herrlich. Ich lernte dann ein paar lustige Köppe aus der Raucherecke kennen (Hannes, Felix (nicht 'der Glückliche') und andere), tanzte ein bischen, genoß so einen spanischen Avocado Dip mit Crackern und Bier/Wein/WodkaCola (ungefähr in dieser Reihenfolge).
Lustige Gespräche gab es auch immer mit der 'Ich-bin-scharf-auf-Marie'-Gang (keine Namen jetzt!). Ging immer etwa so (in Klammern der Gesichtsinhalt des Gegenübers):
- "Ich red nichtmehr mit dir, du bist nicht IB (ironisch), aber wie kommst du eigentlich hier her? (freundlich interessiert)"
- "Marie hat mich mitgebracht."
- "WIE? Marie hat dich mitgebracht? Unsere Marie? Dann bist du also ihr Freund? (alarmierte Panik!)"
- "Nein, ein Freund (Erleichterung) aber vielleicht wär ich gern mehr... (Erschrecken, Anspannung - HASS!)"
- "Ja ehm, (Feind gesichtet - Zielerfassung bestätigen...) mit welcher Marie eigentlich?"
- "Wie mit welcher? (Stell dich nicht dumm!)"
- "Mit der Baroness? (Zwischen den Zähnen gepresst...)"
- "Ich denke nicht, ihr Nachname ist eher bürgerlich. (Erleichterung in höherer Potenz - leichte Restvorsicht...aber Happy End)"
Es stellte sich also heraus, dass es noch eine Marie im ersten, nicht im dritten Semester gibt und tatsächlich sieht sie, ja, man kann schon sagen außergewöhnlich gut aus. Ich konnte also die Gang verstehen, was mich nicht daran hinderte meinen Spaß mit ihnen zu haben.
Wo war eigentlich 'die' Marie (jeh nach Sprecher meinte das 'die' wen anders, wie ich feststellte)? Weniger wichtig, ich hatte ein dringenderes Problem zu lösen - ich musste aufs Klo und da war eine Schlange. Ich ging also betont lässig und dabei innerlich weniger entspannt zu den Jungs hin und meinte "Ey, lass ma um die Häuser gehn, Ihr müsst doch auch ma austreten...". Kuckt mich an und sagt "Ne, dann ist ja mein Platz hier weg." Ok. Nerds gibts hier also auch - dachte ich mir und stellte mich dahinter. Wollte mich nicht noch mehr ausgrenzen (ich weiß dass das eine billige Ausrede für Nerdismus ist - stimmte aber!). Ich komm jetzt auch langsam mal zum Punkt. Ich schaffte es also ganz nach vorne, an den Platz vor der Tür. Da kommt so eine kleine Französin (die Frankreich-Connection, wie ich sie in Ermangelung eines für mich lesbaren Namensschildes nenne), lächelt süß und spricht "In Frankreisch dürfen die Frauen immer su erst." Und schon war ich schwach geworden. Ich versuche ihr noch zu erzählen, dass das deutsche Wort für jemanden der Frauen vorlässt 'Gentleman', nicht 'Frauenversteher' ist, da geht auch schon die Tür auf und ihr Lächeln entschwindet. Fünf lange Minuten der Reuhe später hatte ich es dann geschafft und war im Allerheiligsten. Und siehe da, trotz meines Druckes auf d.B. war ich schockiert von einem selbstgeschriebenen Poster (Stift hängt daran) mit lauter lateinischen Sprüchen. 'Gebildeter - trage er sich hier ein!' und ich versteh kein Wort. Das ist ja wohl mal Nerdism von der ganz anderen Ecke. In etwa so, wie wenn ich mir ein Poster mit selbstgeschriebenem Assembler-Code an die Wand hängen würde. Ich konnte es mir nicht verkneifen und setzte ein "Manchmal ist es Unbescheidenheit nicht von sich zu reden (Musil)" darüber. So, wenn sie meinen können sie es ja wegschneiden.
Ich kam also sehr entspannt aus dem Klo, hab ja auch fast so lang gebraucht wie 'neu geschminkt', ernte Blicke für mein Grinsen und muss Hannes berichten. Der steigt voll drauf ein, zeigt es jedem und verkürzt dadurch die Schlange nicht.
Jetzt aber - wo ist 'die' Marie? Ah - da. Sie wollte grade gehen. Hoffentlich nicht, weil ich mich aufführ. Nein, jemand kann uns nach Hause fahren. Ja... cool. aber... eh... jetzt? Wurde doch grade erst richtig lustig? "Du kannst gerne noch bleiben." Ok. Das war also Marie (und mein Rucksack in ihrer WG) gegen Party, Hannes, Felix, Heidenspaß... Marie gewinnt. Mist. Bin also kurz nach eins allein und zu Fuß auf dem Heimweg von Maries Wohnung, schwanke zwischen leichter Niedergeschlagenheit und haltloser Depression.
Aber zum Glück ist das hier ja nicht München, wo mit einem um die nachtschlafende Zeit kaum noch wer reden würde sondern Dresden Neustadt. Ich treffe zwei Wandersgesellen in schwarzem Kord und wir haben ein ausgiebiges Gespräch über Allein sein, Gott, die Welt und die ewige Einsamkeit des Reisenden. Das tut gut. Die verstehn mich und außerdem werde ich sie wohl nie wiedersehen - daher Der Gipfel an hemmungsloser Offenheit.
Ich falle um fünf hundemüde ins Bett und nehme nicht den ersten Zug, zu dem ich mir meine Verbindungen rausgesucht hatte - was mir eine kleine Wartezeit in Nürnberg beschert. Jedenfalls muss man nicht nach Neuseeland fahren um sowas wie einen perfekten Abend zu haben.