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Protuberanzen
„Diese Hitze!“, stöhnte die Sonne und spie Flammen in die ewige Nacht, die ihr doch keine Abkühlung brachten. Wenngleich sie sich bewegte, verharrte sie stets am selben Punkt. Alle anderen hielten Abstand zu ihr und überließen sie der dumpfen Qual der Einsamkeit.
Ab und an kreuzten die Planeten ihre Bahn. Aber sie sprachen nie mit ihr und passierten sie stumm. Die Sonne dachte nach, woran es liegen könnte, dass sie gemieden wurde. Ihr fiel jedoch kein einziger plausibler Grund ein. Sie verströmte Wärme und war das Licht im Leben der anderen. Und dennoch behandelten sie sie wie den Paria des Universums.
Niemanden kümmerte es, dass sie innerlich verbrannte und nur noch eine leere, aufgeblähte Hülle war, die wie eh und je strahlte und gütig Wärme in die endlose Kälte des Raumes brannte. Keiner fand mal Worte der Freundlichkeit oder des Trostes. Schon gar nicht die Venus, die nur venusianisch sprach und irgendwie andersrum war.
Ewiglich tanzten sie ihr kosmisches Ballett um sie herum und schienen nicht zu wissen, dass sie ihre Mutter war.
Plötzlich gewahrte sie einen winzigen Punkt, der rasch immer näher kam. War das Merkur? Sie blinzelte. „Hallo, Merkur!“
Der kahle Schädel schoss in ihre Richtung.
„Ich sagte: Hallo, Merkur!“, wiederholte sie etwas verärgert.
Ohne sie zu beachten schlängelte er sich an ihr vorbei und war so rasch außer Blickweite, wie er gekommen war. Nun würde es wieder eine halbe Ewigkeit dauern, bis der nächste Planet auftauchte. Wenn man einsam war und niemanden zum reden hatte, begann man nur noch in Ewigkeiten zu denken. Sie wollte weinen, aber jede Träne zischte dampfend auf ihrem runden Antlitz und ließ nur eine unmerklich kleine Dampfwolke zurück.
Klamm und unbarmherzig ergriff sie die Faust der Einsamkeit und stürzte sie zurück in peinsame Selbstgespräche. Als hätte sie darum gebeten, diese Existenz zu führen! Es war nicht ihre Schuld, dass sie anders war.
Überall um sie herum funkelten Sterne wie Diamanten. Ob diese auch so einsam waren wie sie? Welchen Sinn hatte ihre Existenz, außer jenem, andere mit Licht und Wärme zu beschenken?
Ein Komet floss strahlend weiß an ihr vorbei und zog einen purpurn-glänzenden Schweif hinter sich her, der wie ein Hochzeitsschleier auf sie wirkte. So schön war dieser Anblick, dass sie alsbald alles um sich herum vergaß und nur noch daran denken konnte, sich mit dem kosmischen Weggefährten zu vermählen. Sie blähte sich auf und fraß in ihrer Leidenschaft mit feurigem Atem alles, dessen sie habhaft werden konnte.
Zurück blieb nur Sternenstaub, aus dem sie dereinst neu auferstehen würde.