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Pummelfeeengel
„Ist das nicht ein klein wenig zu wenig Flügel für so viel Engel?“, fragte ein großer und skeptischer Engel seinen glatzköpfigen Kollegen.
„Standardgröße eins für Anfänger. Andere sind nicht mehr da. Nachschub bekommen wir erst im nächsten Äon. Wird schon gehen.“ Mit einem Ausdruck in den Augen, der vermuten ließ, dass seine Worte nichts anderes als frommes Wunschdenken waren, und einem entschuldigenden Achselzucken drückte er Eberhardine ein Paar noch verpackter Engelsschwingen in die Hand. Weiterer Protest schien ausgeschlossen. Der kleine Glatzkopf hatte sich schon dem Mann hinter ihr zugewandt. Mit einem Seufzen auf den Lippen stapfte sie auf den Ausgang zu, stieß dabei mit ihrem Hinterteil einen kleinen Glastisch um und mehrere Ausgaben von „Himmelhoch und Hallelujah“ verteilten sich auf dem grünen PVC-Boden. Sie ignorierte ihr Missgeschick, drängte auf die Tür zu, quetschte erst ihre rechte Körperhälfte und dann den Rest ihres Körpers hinaus.
Der Brunnen vor der Behörde zur Neuregistrierung außerkörperlicher Existenz ächzte wie ein morsches Stück Holz, als Eberhardine sich auf ihm niederließ. Drei an einem ersten Samstag im Monat in der Herner Innenstadt erschlagene Straßenmusiker probten in ihrer Nähe „Vom Himmel hoch“ oder „ Heilig heilig heilig“ oder auch beides gleichzeitig. Das allgegenwärtige Licht glitzerte auf den Flügeln in Eberhardines Hand. Eine Träne lief ihr über die Wangen und den Hals, um irgendwo unterwegs in einer Speckfalte eingeklemmt zu werden. Mit diesen winzigen filigranen Teile würden sie sich nie im Leben auch nur 5cm Zentimeter vom Boden erheben.
„Hallo!“, erklang es plötzlich neben ihr. Ein älterer Mann ließ sich neben Eberhardine auf dem Rand des Brunnen nieder. Er war irgendwie viel zu weiß gekleidet und hatte auch einen viel zu imposanten und viel zu weißen Bart, um Gott himself zu sein.. “Ich bin Gott“, stellte er sich vor.
„Ich hatte mir sie irgendwie weniger klischeehaft vorgestellt.“
„Oh, ich bin nicht DER Gott. Das ist mein Bruder. Du kannst mich Onno nennen.“
„Es ist mir eine Freude, sie kennen zu lernen, Onno Gott. Ich bin Eberhardine Schmidt, geborene Nabirski.“
„Aus Rosenheim oder aus dem kleinen Kaff in der Nähe von Graz?“
„Weder noch, Winsen an der Luhe. Dort geboren, dort aufgewachsen und gelebt und auch gestorben.“
„Nicht das ich unhöflich sein möchte, aber du klingst nicht unbedingt so wie du solltest.“
„Dankbar?“
„Glücksselig! Du hast es nicht nur bis in den Himmel geschafft, du hast sogar Engelstatus erreicht. Und sei das nicht genug, Du hast auch noch direkt eine Fluglizenz bekommen. Das schaffen nun wirklich nicht viele. Glaub mir, damit kenn´ ich mich aus. Immerhin bin ich schon lange genug hier. Was also betrübt dich so?“
„Meinen Sie das ernst? Sehen sie mich an. Ich bin garantiert der fetteste Engel aller Zeiten. Und dann diese Dinger hier…“, Eberhardine wedelte mit den glitzernden Schwingen unter Onnos Nase herum, „wie soll ich denn damit fliegen? Das ist doch alles Kot hier. Mein ganzes Leben hab ich mich bemüht, ein guter Mensch zu sein. Ich war immer nett zu meinen Mitmenschen, war bescheiden, habe immer auf mich und meine Gesundheit geachtet und ich bin sogar jeden Sonntag in die Kirche gerannt. Und was ist die Belohnung? Ich bin eine fette Pummelfee geworden.“ Leicht angewidert zupfte sie an dem bläulich schimmernden Rüschensatin, der ihren Körper bedeckte. „Das Ding hier haben sie beim letzten Betriebsausflug als Kinderklozelt benutzt.“
„Und das stört dich? Ist doch gewaschen worden.“
„Ja, es stört mich. Und am meisten stört es mich, dass anscheinend nichts gegen das Dicksein hilft. Weder Sport noch autogenes Training. Ich hab es sogar schon mit einer Diät versucht, aber Manna und Ambrosia sind nicht unbedingt dafür geeignet, wenn du mich fragst.“
„Egal wie viel oder wenig Du davon isst, das Zeug sättigt dich einfach immer. Es ist eben geistige Nahrung und geistige Nahrung hat nun mal keinen direkten Einfluss auf die körperliche Verfassung. War Silvios Idee.“
„Silvio?“
„Mein anderer Bruder. Du glaubst doch etwa nicht, dass DER Gott alles allein geschaffen hat. Wenn es um den Job geht, steht er auf Arbeitsteilung, aber wenn es dann ums Bestimmen geht oder um das Einheimsen von Lobhudelei, dann ist auf einmal wieder Personalunion angesagt.“
„Und wie hilft mir das bei meinem Problem?“
„Du hast ein Problem?“
„Hallo!? Wie ich bereits sagte, ich bin fett.“ Zur Unterstützung ihrer eigenen Worte hob sie einen Arm und stieß ihren Oberarm an. Das Fett fing an, sich wie ein Werbebanner im Wind hin- und her zu bewegen.
„Hast Du eigentlich das Infomaterial gelesen, dass man dir bei deiner Ankunft gegeben hat?“
„Nicht wirklich, ich hab es nur überflogen.“
„Du hättest es tun sollen. Besonders den Abschnitt über die Beschaffenheit des Ätherkörpers. Wenn Du mich fragst, mit das Beste, was je aus Dantes Feder geflossen ist.“
„…“
„Du hast es wirklich nicht gelesen, oder?“ Ein wenig enttäuscht zog Onno eine Infobroschüre von der Dicke eines Neckermann-Kataloges aus seinem linken Ärmel. Er fing an, zu blättern und nach einiger Zeit hielt er Eberhardine den Katalog unter die Nase und tippte mit dem Finger immer wieder auf eine bestimmte Stelle. „Hier, siehst du, auf Seite 1322, direkt unter der netten Anzeige für den Curlingverein.“
Die Beschaffenheit des Ätherkörpers wird durch die Beschaffenheit der Seele definiert blinkte es in neonorange.
„Versteh ich nicht“, gestand Eberhardine und wünschte sich, sie hätte in ihrem Leben ein wenig mehr für ihre Bildung getan.
„Kleine Seele, kleiner Ätherkörper; große Seele, großer Ätherkörper, so einfach ist das“, lachte ihr Onno entgegen.
„Demnach müsste ich ja die fetteste Seele haben, die je ein Mensch besessen hat.“
„Einen Punkt für deine Fähigkeit zum logischen Denken. Auch wenn logisches Denken nichts ist, was Dir hier oben weiterhilft. Aber ansonsten… Ja, Eberhardine, dein menschlicher Körper war der Tempel der größten aller Seelen, die jemals einen Fuß auf die Erde gesetzt haben, und seit wir uns das letzte Mal gesehen haben werden, hast Du noch ganz schön zugelegt. Respekt!“ Er nahm dem fetten Engel neben sich das Päckchen aus den Händen und riss die Verpackung auf. Mit geübtem Griff befestigte er erst den rechten und dann den anderen Flügel an Eberhardines Schulterblättern. „So, Schätzchen, und jetzt versuchen wir das mal mit dem Fliegen.“ Onno strahlte mit seiner weißen Kleidung um die Wette und der nun beflügelte Engel war sich sicher, dass er den Wettbewerb in spätestens zwei Minuten gewinnen würde. Sie konnte dem Lächeln ihres Gegenübers keine Enttäuschung bereiten. Schwerfällig erhob sie sich vom Rand des Brunnens, der erleichtert aufatmete. Der fette Neuengel nahm all seinen Mut zusammen, atmete tief ein, konzentrierte sich und fing an, mit den Fügeln zu flattern. Erst langsam und zaghaft, dann immer schneller und fester. Mit hochrotem Kopf und ersten sichtbaren Schweißflecken auf dem Gewand erhob sie sich zu den Klängen von „El condor pasa“ genau dreieinhalb Zentimeter über den Wolkenboden.
„Na siehst du, klappt doch.“ Onno hatte gerade den Strahlwettbewerb eindeutig für sich entschieden. Das stinkende kleine Anstrengungswölkchen, das sich so aus Eberhardines hinterstem Körperausgang quetschte, ignorierte er gekonnt. „Und zur Feier des Tages gehen wir etwas essen. Du darfst wählen zwischen Ambrosia und Manna im Goldenen Phönix und Manna und Ambrosia in Luigis Taverne.“ Eberhardine entschied sich für Luigis Taverne.
Drei an einem ersten Samstag im Monat in der Herner Innenstadt erschlagene Straßenmusiker übten „Sympathy for the Devil“ während ein zu weiß gekleideter älterer Mann gen Osten über den Platz vor dem Gebäude der Behörde zur Neuregistrierung außerkörperlicher Existenz ging. Der fetteste aller Engel schwebte genau dreieinhalb Zentimeter über den Wolkenboden neben ihm her. Sie passierten einen großen und skeptischen Engel, der gerade aus unerfindlichen Gründen Lust auf eine Partie Curling bekam. Den Bruchteil einer Sekunde dachte er darüber nach und entschied sich dann dagegen. Die Fluffigkeit des Wolkenbodens war dem Spiel irgendwie nicht sonderlich zuträglich. Die Stimmen der beiden drangen in sein Ohr, als er seine Feierabendzigarette entzündete.
„Was meintest Du eigentlich mit „seit wir uns das letzte Mal getroffen haben werden“?“
„Versuch nicht darüber nachzudenken. Das hier ist wirklich nicht der richtige Ort für Logik ... und für Humor schon gar nicht.“