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Radar Love

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23.11.2019
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Radar Love

Der Nebel kam wie aus dem Nichts. Er tauchte die Nacht in eine milchige Brühe, stieg vom Boden auf und legte sich dann wie eine Decke über die Landschaft. Zunächst nur andeutungsweise da, verdichtete er sich plötzlich und breitete sich ohne Erbarmen über allem aus. An allem kroch er vorbei, drumherum, oben drüber, drunter her, bis er es sich vollkommen einverleibt hatte. Triefend nass und klamm kam dann alles aus ihm hervor, wurde zu wabernden Formen, die hinter dem trüben Wasservorhang wie betrunken wankten. Ab und zu tauchten schimmernde Inseln aus Licht auf, ihre Strahlen diffus verzerrt. Schemenhafte Umrisse durchschifften Nacht und Nebel wie Geister; selbst Geräusche jenseits der Nebelwand waren kaum zu identifizieren. Man hätte dreißig Jahre im selben Ort leben können und doch die Orientierung in solch einem Nebel verloren.

Zwei Lichtkegel kämpften sich zäh durch diese Nebelfront, schoben die weiße Wand vor dem fahrenden Auto her. Er war nun schon fast die ganze Nacht unterwegs und hatte nur wenige Pausen eingelegt. Seine Hände klebten schweißig auf dem Lenkrad. Er wirkte nervös und angespannt. Seine ganze Körperhaltung wies Spuren nervöser Übermüdung auf. Eine innere Unruhe drängte ihn, das Tempo immer wieder nach oben zu korrigieren. Trotz der Kälte standen ihm kleine Schweißperlen auf der Stirn. Im Radio lief irgendein alter Soul Song: "Emotions, ah, give me a break Let me forget that I made a mistake", singsangte es aus den Lautsprechern. Er blickte starr gerade aus, ließ seinen Blick irgendwo zwischen der Straße und einer undefinierbaren Ferne ruhen. Immer wieder huschte eine Unruhe durch die braune Iris seiner Augen. Als hätte er etwas gehört, zuckten seine Ohren, steifte sich sein Körper. Für einen Beobachter kaum merklich, spannte sich sein Organismus krampfhaft für einige Millisekunden, um dann wieder zu erschlaffen. Er ließ die Schultern hängen und atmete aus. Nur die Hände umklammerten das Lenkrad eisern, mit weiß hervortretenden Knöcheln. Der Nebel umhüllte stoisch die Welt außerhalb des Autos. Am Straßenrand tauchten konturlose Formen auf, die sich in Schilder, Bäume, Autos, tote Tiere verwandelten und am Auto vorbeiflohen. Auf einmal schienen zwei rote Punkte durch den Nebel auf ihn zuzukommen. Erst konnte er sich keinen Reim darauf machen. Ganz langsam tauchten sie aus dem Nebelmeer auf. Glimmten erst schwach und leuchteten dann immer intensiver. Er bekam das Gefühl, beobachtet zu werden. Die Punkte verschwanden für einen Augenblick, als ob sich Lider über sie gelegt hätten, als hätte jemand geblinzelt. Er schauderte und eine Kälte kroch in ihm hoch. Er beugte sich weit über das Lenkrad, fasste die Punkte genau ins Auge und hatte das Gefühl zu erfrieren. Wie gegen seinen Willen stellte er fest, dass er in zwei rote, ihn musternde Augen blickte. Es waren dämonische Augen, die ihn mit einer unheimlichen Ruhe beobachteten. Er klammerte sich fester an das Lenkrad, unfähig seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Der Blick der Augen hielt ihn gefangen, voll Unbehagen gab er sich ihm hin. Die Augen waren eindeutig auf ihn fokussiert. Dennoch drückten sie kein sonderliches Interesse an ihm aus. Wie der Blick eines Besuchers im Zoo, der sich alle Gehege anschaut, weil er eben da ist, und deshalb auch bei den Schafen vorbeischaut. Er wartete nur darauf, dass sich unterhalb der Augen ein gelangweilter Mund auftun würde, um ihn dazu aufzufordern, sich zu bewegen. Er schwitzte stärker, lehnte sich im Sitz nach vorne, versuchte diesen tyrannischen Besucher genauer zu identifizieren, seine Umrisse auszumachen, den Schrecken in seinem vollen Umfang zu erblicken. "Emotions, what are you doin'? Oh, don't you know, don't you know you'll be my ruin?" plärrte das Radio. Doch er hörte kaum hin: Ein Rest in ihm versuchte ihm verzweifelt einzureden, dass es unmöglich war, was er gerade sah. Aber ein weitaus größerer Teil von ihm war unfähig, solchen Reden irgendeinen Glauben zu schenken. Er atmete schneller. Leckte sich die Lippen. Die Augen des Dämons ruhten weiter gelassen und doch nichts besonderes erwartend auf ihm. Es schien, als wollte die Ungewissheit ihn zerreißen. Er fing verzweifelt an, nach Anhaltspunkten zu suchen, um herauszufinden, was käme, was er tun sollte. Plötzlich bewegten die Augen sich weg, schwenkten nach rechts und sahen an ihm vorbei. Die Bewegung ließ ihn hochfahren, fast hätte er das Steuer rumgerissen. Der Dämon schien das Bisschen seines Interesses an ihm verloren zu haben, schwenkte noch einmal zu ihm rüber und verschwand. Etwas in ihm protestierte gegen diese finale Gleichgültigkeit. Er wollte laut rufen, hinter den Augen herfahren. Gleichzeitig zerfloss die Kälte in seinem Inneren und eine merkwürdige Wärme strahlte aus seiner Magengrube. Das Erlebnis hinterließ eine Leere in ihm. Seine Angst fiel einfach in dieses warme Loch in seinem Bauch und versickerte dort. Er wollte verzweifeln und schüttelte sich doch nur, als ob er sich von etwas befreien wollte. Er hob jeden Finger schmatzend vom Lenkrad und bemerkte erst da, wie verkrampft er das Steuer gehalten hatte. Draußen eilten Bäume und Schilder an ihm vorbei. Eines informierte ihn, dass demnächst eine Tankstelle in Sicht wäre. Er schüttelte sich noch einmal. Sein schlapper Körper sank in sich zusammen. Er beschloss, raus zu fahren.
Die Tankstellenlichter strahlten in die Nacht. Der Nebel ließ die Grenzen der Lampen und Leuchtreklamen mit der Umgebung verschmelzen. Die gelb-blauen Zapfsäulen waren ebenso gelb-blau überdacht und ruhten auf einem grauen Betonboden. Mit stiller Verachtung bedachten sie die Reisenden und schienen auf etwas anderes zu warten, etwas jenseits der Reisenden, nach ihrer Zeit. Er tankte nicht, ließ den Wagen nur auf einen Parkplatz neben dem Eingang rollen und stellte den Motor ab. Kurz blieb er im stummen Inneren seines Wagens sitzen und atmete durch. Er fand es schwer sich zu konzentrieren und sein Blick schweifte immer wieder ab, verlor sich unfixiert in der Ferne. Als er schließlich ausstieg, packte es ihn. Es war wie ein Schwindelanfall. Die Welt unter seinen Füßen und um ihn herum beschrieb einen Bogen, den er nicht mitzumachen vermochte. Als wollte die Erde ihn auskippen, die Dinge ihm ausweichen. Er war nicht mehr an die Erde gebunden, verließ die Tankstelle, fiel kopfüber in ein Loch ohne Boden.

Bilder tanzen vor seinem Inneren. Wie durch eine Lochkamera kommt sie auf ihn zu. Grauer Himmel, rot beblätterte Bäume. Sie, er, spazierend, von umherstehenden Bäume begleitet. Beide Schweigen, nur die Blätter rauschen unartikuliert im Wind. Sie gehen so schon lange, jetzt bleibt sie stehen, starrt in den Wald. Er zögert. Tritt schließlich an sie heran, legt ihr einen Arm um den Körper. Sie reagiert nicht. Jetzt ist es also angekommen. Hat sich zwischen sie geschoben, sich über sie gestülpt, sie umfangen; beide sind sie da schon hilflos, wissen es aber noch nicht. Dann sitzt sie wieder auf dem Sofa und in seinen Armen, gefasst, ihm laufen die Tränen das Gesicht herunter, beide starren aneinander vorbei und es geht doch wieder von vorne los...​

Er klammerte sich ans Wagendach, die weichen Knie eingeknickt, den Oberkörper vornübergebeugt. Er atmete schwer, versuchte sich zu sammeln. Sah den grauen Beton und hob langsam den Kopf. Befremdet schaute er die Tankstelle an, stumm leuchtete sie in die Nacht, demonstrativ desinteressiert. Seine Augen verfinsterten sich und er richtete sich auf, schloss das Auto ab. Auf der Autobahn sausten vereinzelt rote und weiße Lichter vorbei. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss kurz die Augen. Dann betrat er die Tankstelle. Drinnen wurde das grelle Neonlicht vom weißen Fliesenboden reflektiert und beleuchtete die Waren in den brusthohen Regalen von allen Seiten. Er schritt durch ein Spalier von Fernsehzeitschriften und Motorölen zu einem Stehtisch, auf dem ein Kaffeebereiter thronte. Nichts schien hier auf ihn zu warten. "~~,..." Mit gesenktem Blick griff er einen der Pappbecher vom Stehtisch und führte ihn unter das Ventil. Scheu blickte er sich um, während der Kaffee sich in seinen Pappbecher ergoss. Die Pappe in seiner Hand wurde merklich wärmer, doch anstatt die Hand zurück zu ziehen, starrte er sie nur unverwandt an. Alles wirkte so brüchig, so fragil. Die Realität schien ihm dünner, durchschimmernder als sonst. Zwischen all den Regalen und Waren flimmerte ein fahles Licht durch. Er hatte Angst, die Dinge zu fest zu berühren, Angst, sie würden unter seinem Griff noch mehr an Realität einbüßen. Angst, Risse zu erzeugen, durch die er wieder fallen würde. Und gleichzeitig hatte er das ungute Gefühl, dass durch diese Risse eine Art Hyperrealität schimmerte. Viel realer als alles, was er kannte, viel intensiver, näher. Seine Hand wurde feucht. Erschrocken zog er die Hand vom Becher und schüttelte den heißen Kaffee, der ihm über die Hand gelaufen war, ab. "Hey Schnarchnase, wenn voll is', 's voll!" brummte es ihn von der Seite an. Er packte sich eine Serviette, wischte den Kaffee vom Tisch und schaute dann schuldbewusst in Richtung des Brummens. Der Angestellte hinter der Kasse beäugte ihn misstrauisch. Er trug ein dunkles Polohemd, das ihm spack am Leib spannte und reckte sein mit Bartstoppeln verziertes Kinn hervor. Den Kaffebecher wieder in der Hand, schmiss er die Serviette weg und trat an die Kasse. '''schuldijung" nuschelte er und kramte das Kleingeld für den Kaffee aus der Tasche. "Hasse getankt?" "....??...." "??....Ob du dein Auto aufgetankt hast, wollt' ich wiss'n!" "Achso....neee...nur Kaffee!" Er legte das Kleingeld auf den Tresen und suchte mit dem Blick zwischen den Zigarettenpackungen hinter dem Kassierer nach Halt. Der Angestellte sammelte das Kleingeld auf und zählte nach, bevor er die Kasse mit einem BING aufspringen und die einzelnen Münzen in ihre Fächer gleiten ließ. Da hatte er ihm schon den Rücken zugewandt und schlich sich aus dem Ladenlokal. Er trat in die kühle Nachtluft und stellte den Kaffeebecher aufs Auto, schloss auf, nahm den Kaffee und ließ sich in den Sitz fallen. Dabei verschüttete er einen großen Schluck Kaffee, der ihm seine Oberschenkel verbrühte. Er schrie auf und noch bevor er seinen Mund wieder schloss, versteift sich wieder sein ganzer Organismus. Er hatte nicht nur seinen Schrei, sondern ganz deutlich auch SIE gehört. Er merkte gar nicht, dass seine Hose erst heiß und dann nasskalt wurde...

Sie spricht, ich brauche dich jetzt hier, es ist unfair, ich weiß, aber ich schaffe es doch nicht allein, auch wenn es auf nichts hinausläuft, ich kann nicht nicht hoffen, ich brauche dich, jetzt, hier...​

Für einen Moment war er paralysiert. Dann, mit hart erkämpfter Ruhe, stellte er den Becher in die Mittelkonsole. Er legte die Hände vor das Gesicht. Kämpfte mit sich...

Das kann nicht sein, kann nicht sein, da ist nichts​
Sie spricht, ich brauche dich jetzt hier, es ist unfair, ich weiß, aber ich schaffe es doch nicht allein​
Nein, Nein du...​
Ich brauche dich jetzt hier...schaffe es nicht allein​

Er hob das Gesicht aus den Händen und blickte aus der Frontscheibe. Seine Gesichtszüge waren flehentlich verzerrt, sein Blick suchte vergeblich etwas zum Festhalten. Er schloss die Augen wieder, lehnte sich im Sitz zurück

Diesmal nicht diesmal nicht....und.....​

...​

Er kam mit einem Ruck nach vorne und saß kerzengerade im Sitz. Seine Hand schnellte zum Zündschluss und betätigte die Zündung. Zackig legte er den ersten Gang ein und trieb den Wagen vom Parkplatz runter. Sein Gesicht war zu einer eisernen Maske geronnen. Sein Körper agierte schnell und abrupt, versuchte dem Zweifel zu entfliehen. Entschlossen blickte er auf die Nebelwand vor sich und pflügte sie mitleidlos auseinander. Nur seine Augen, die von Zeit zu Zeit unruhig hin und her huschten, suchten nach Anzeichen, dass er noch nicht vollkommen durch den Riss war.

Er fuhr wieder auf die Autobahn, der Motor arbeitete rhythmisch, die Kolben schlugen einen Takt. Seine Gesichtszüge blieben einige Takte lang eisern, doch der Zweifel floss aus seinen Augen über sein Gesicht und die Maske begann zu schmelzen...

.....was wenn doch....?........!.....!​

Er richtete sich im Sitz auf, kämpfte, drückte den Rücken durch, versuchte sich zu konzentrieren. Der Rhythmus des Motors arbeitete gegen ihn. In seinem Bauch machte sich ein Gefühl breit. Etwas kroch durch ihn durch, breitete sich in alle Extremitäten aus. Er verlor die Kontrolle. Und je mehr er sie verlor, desto bereitwilliger gab er sie ab. Er kämpfte mit sich selbst, wollte sich nicht aufgeben, während er gleichzeitig dieses unbekannte Gefühl willkommen hieß, er wollte sich aufgeben, nicht mehr kämpfen

.....!!!!!!!!!​

"I've been drivin' all night, my hands wet on the wheel"​

Er gab auf. Das Gefühl in ihm wandelte sich in euphorische Energie. Sein rechter Fuß stampfte aufs Gaspedal. Bis in die Fingerspitzen schien er nun elektrisiert. Sein Mund verzerrte sich zu einem grausam entschlossenen Grinsen. Er begann im Takt des Motors mit den Fingern auf das Armaturenbrett zu klopfen.

"There's a voice in my head that drives my heel"​

Die Welt außerhalb des Autos erschien nur noch als Windgeräusch. Er sauste an allem vorbei. Der Nebel schien zu protestieren, wich ihm aber immer gerade noch aus. Rote Augen tauchten vor ihm auf. Nun wichen sie ihm fast respektvoll aus und schrumpften zu kleinen Leuchten zusammen. Bäume, Straßenschilder und Wegmarkierungen warteten am Fahrbahnrand, fast als feuerten sie ihn an. Er strafte sie mit Geringschätzung. Lästig waren ihm die Dinge, wie sie an ihrem Platz standen und ihn daran erinnerten, wie weit er noch fahren musste, wie lange es noch dauern würde.

"It's my baby callin', says I need you here"​

Bilder zogen durch seinen Kopf. Er mit IHR, mit Freunden, SIE herzlich lachend ihm zugewandt, Dann: die Monate im Krankenhaus, er frötzelte über IHREN OP Kittel, SIE lachte nur, aber IHRE Augen waren schon traurig. Eine Träne lief ihm über das Gesicht. Er schüttelte die Gedanken ab. Nein, das war alles unwichtig, unmöglich. SIE war da!

"When she is lonely and the longing gets too much"​

Jetzt war es nicht mehr weit. Deutlicher hörte er SIE rufen. Er war zu lange schon unterwegs gewesen. Hatte SIE alleine gelassen. In dieser Zeit! Er fuhr ab und bog mit quietschenden Reifen auf die nächste Straße. Er drosselte das Tempo, mahnte sich selbst, die Kontrolle zu bewahren. Die Häuser in den Straßen hatten dunkle Fenster. Am Rande nahm er sie wahr, ihm war, als ob sie angstvoll wegblickten. Auch der Nebel schien sich vor seiner Entschlossenheit nun zurück zu ziehen.

"She sends a cable comin' in from above"​

Langsam gab er dem Blick mehr Raum. Die Welt löste sich aus seiner Ummantelung. Bäume befreiten sich aus seinen Klauen. Fast, als schüttelten sie seine nasse Umarmung endgültig ab. Diffuse Lichter bekamen klarere Konturen, entpuppten sich als fernliegende beleuchtete Fenster von Häusern. Der Nebel entschwand immer schneller, löste sich in alle Richtungen auf. Immer mehr Dinge tauchten unbeeindruckt auf, bekräftigten ihren Anspruch auf einen Ort im Raum. Es war wieder möglich, Dinge in Beziehung zu setzen, sich im Raum zu orientieren, sich im Bekannten zu bewegen. Der Raum bekam wieder Haltegriffe. Alles schüttelte sich noch einmal und wieder erstrahlte eine alt bekannte Ordnung.

"We've got a thing that's called radar love"​

Er bremste vor dem Haus und würgte den Wagen ab. Sprang hinaus und war mit zwei Sätzen bei der Haustür. Der Schlüssel musste mit Gewalt gezwungen werden, ihm die Tür zu öffnen. Er stieß sie auf und stand im dunklen Hausflur. Eine Sekunde zögerte er, dann rannte er hinein. Schuhschrank, Garderobe und Spiegel im Flur erzitterten kurz, als er an ihnen vorbeieilte. Erst im Wohnzimmer drückte er auf den Lichtschalter. Das Licht blendete ihn. Es war zu hell, zu viel. Er riss einen Arm vor das Gesicht und blinzelte. Wo war SIE?!?! Er hörte sie nicht, spürte ihre Anwesenheit nicht im Haus. Er blickte sich im Zimmer um. Forderte Antworten von seinem Wohnzimmer. Wieso war es hier so ruhig, so leer? Wieso spürte er nichts? Er tat einen weiteren Schritt, sah die Kränze, die Beileidskarten und Schwarzweißfotos auf dem Wohnzimmertisch. Atmete schwer, ließ die Arme sinken, fiel auf den nächsten Stuhl. Verharrte mit seinem Blick verständnislos auf dem Wohnzimmertisch.

Was?...

"We've got a wave in the air
radar love"​

 
Quellenangaben
Die in Anführungszeichen gesetzten Sätze im zweiten Absatz sind Textzeilen aus dem Lied "Emotions" von Brenda Lee. "Emotions" erschien 1961 auf dem gleichnamigen Album bei Decca.

Die in Anführungszeichen und zentriert gesetzten Sätze sind Textzeilen aus dem Lied "Radar Love" der Band "Golden Earring". "Radar Love" erschien 1973 auf dem Album "Moontan" auf Polydor.

Hallo @Paul_Klee
und ein herzliches Willkommen von mir!
Du schreibst in Deinem Profil, dass Du gerade anfängst und Kritik möchtest. Dann los! :)
Zuerst ein allgemeines Lob: bis auf den "Zündschluss" sind mir beim ersten Lesen keine großen rechtschreibtechnischen Patzer aufgefallen. Das ist bei Erstlingswerken hier auf der Plattform keine Selbstverständlichkeit.
Grundsätzlich kann ich dir zwei Dinge empfehlen.
Erstens: benutze Füllwörter nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Dazu zählen Wörter wie: nur, nun, fast, etc. (Beispiel: „Benutze Füllwörter, wenn es notwendig ist“ – sagt das gleiche aus. In dem Fall würde ich das „nur“ mit in den Satz nehmen, weil es aus meiner Sicht im Context mehr Sinn ergibt – also: „Benutzer Füllwörter nur, wenn es notwendig ist. Das Füllwort „unbedingt“ bläht den Satz nur auf, das Wort hat keinen Mehrwert und kann weg.)
Zweitens: Beschäftige Dich mit „Perspektive“. Am einfachsten bei Wörtlicher Rede damit anfangen. Was meine ich: Immer, wenn eine andere Person redet, sollte ein Zeilenumbruch in den Text, damit gibt mal dem Leser den Hinweis, dass jetzt ein Perspektivwechsel stattgefunden hat und es liest sich einfacher.

Der Nebel kam wie aus dem Nichts.
Der erste Satz ist oft „charaktergebend“ für den ganzen Text. Oft entscheidet der erste Satz, ob man den Text zu Ende liest – oder eben nicht. Was sagt Dein erster Satz: „Es wurde nebelig.“
Er tauchte die Nacht in eine milchige Brühe, stieg vom Boden auf und legte sich dann wie eine Decke über die Landschaft.
Leider widersprichst Du Dir im zweiten Satz. Den im ersten kam der Nebel aus dem Nichts, jetzt kommt er aus dem Boden. Ja, das ist vielleicht etwas Kleinkariert, aber in dieser Richtung kommt noch mehr.
Zunächst nur andeutungsweise da, verdichtete er sich plötzlich und breitete sich ohne Erbarmen über allem aus. An allem kroch er vorbei, drumherum, oben drüber, drunter her, bis er es sich vollkommen einverleibt hatte. Triefend nass und klamm kam dann alles aus ihm hervor, wurde zu wabernden Formen, die hinter dem trüben Wasservorhang wie betrunken wankten.
Ansich finde ich eine bebildernde Beschreibung ganz gut. Aber: Vielleicht solltest Du dich aber auf ein Bild(, oder wenigstens weniger Bilder) fokussieren. Was mich stört: erst andeutungsweise – also wie „nicht da“, dann „plötzlich“ – vorher hat er doch schon die Landschaft überdeckt, jetzt kommt er nochmal.
Ab und zu tauchten schimmernde Inseln aus Licht auf, ihre Strahlen diffus verzerrt. Schemenhafte Umrisse durchschifften Nacht und Nebel wie Geister; selbst Geräusche jenseits der Nebelwand waren kaum zu identifizieren.
Eine weitere Darstellung von Nebel – o.K. Ich (asl Leser) hab‘s kapiert: Nebel!
Man hätte dreißig Jahre im selben Ort leben können und doch die Orientierung in solch einem Nebel verloren.
Das Bild fand ich ganz schön. Dennoch: den ganzen ersten Absatz habe ich mich durchgequält und erfahren: es war nebelig.
Zwei Lichtkegel kämpften sich zäh durch diese Nebelfront, schoben die weiße Wand vor dem fahrenden Auto her.
Warum nicht diesen Satz als ersten Satz nehmen? Der nimmt mich gleich mit, dass da ein Auto fährt. Super. Apropos Auto: Das macht das Bild mit den kaum hörbaren Geräuschen sofort wieder kaputt – im Auto hör ich auch ohne Nebel nix von draußen. Außerdem hatte mich das „30Jahre an einem Ort“ in ein Dorf – halt ein Ort – versetzt. Jetzt ballert er im Auto durch die Welt. Schade.
Er war nun schon fast die ganze Nacht unterwegs und hatte nur wenige Pausen eingelegt.
Mach es konkreter ohne Füllwörter. Der ganze Anfang war schon so schwammig – irgendwann will ich als Leser auch mal was konkretes lesen.
Trotz der Kälte standen ihm kleine Schweißperlen auf der Stirn.
Wenn der die ganze Nacht gefahren ist, müsste die Heizung doch irgendwann man das Auto aufgewärmt haben – wieso sitzt er dann in der Kälte?
Im Radio lief irgendein alter Soul Song
Auch hier: lass das “irgendein“ weg – Dir ist der Song ja sogar wichtig, daher ist es doch wichtig, dass es nicht irgendeiner ist, sondern genau der.
"~~,..."
Damit kann ich nix anfangen. Sagt er das. Denkt er das. Lass es weg.
Seine Hand wurde feucht. Erschrocken zog er die Hand vom Becher und schüttelte den heißen Kaffee, der ihm über die Hand gelaufen war, ab.[Zeilenumbruch]"Hey Schnarchnase, wenn voll is', 's voll!" brummte es ihn von der Seite an. [Zeilenumbruch]Er packte sich eine Serviette, …
Perspektive – hatte ich am Anfang schon.
Das Du in Folgesätzen oft das Bild des vorigen Satzes kaputt machst, sehe ich auch unter dem Thema „Perspektive“.

Fazit: Für mich etwas zu langatmig mit nicht zueinanderpassenden Bilder.

Ich hoffe, Du kannst mit meinem Leseeindruck etwas anfangen! Das wird schon!
Gruß
pantoholli

 
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Hey Pantoholli,

danke für die ausführliche Antwort. Solche Anmerkungen habe ich mir erhofft.
Die einzige Anmerkung, die ich so nicht stehen lassen kann, ist das streichen von "irgendein" vor dem "alten Soulsong". Das ist tatsächlich ein indirektes Zitat aus "Radar Love".
Ich nehme mir den Text noch mal in Ruhe mit deinen Anmerkungen im Hinterkopf zur Brust.

Gruß
Paul

 

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