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- 03.10.2020
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- Anmerkungen zum Text
Verwendete Begriffe (in Reihenfolge ihres Auftauchens im Text):
- Ragamuffin: Eine Person, meist verwendet für ein Kind, in dreckigen, zerschlissenen Kleidern / Ein (hauptsächlich elektronisch gespieltes) Subgenre des Dancehall und Reggae, kurz genannt auch Ragga, Ghetto-Musik
- Rude Boy: Junger Strassengangster oder Arbeitsloser
- Syrer: Jamaikaner nahöstlicher Herkunft
- Battyman: Abwertende Bezeichnung für einen Homosexuellen
- Jamrock: Slangausdruck für Jamaika (auch Jamdown)
- Doctor Bird: Auf Jamaika endemische Kolibri-Art, Objekt des Aberglaubens, auch als"Gottesvogel" bezeichnet
- Schwarze Hexe: Ein sehr grosser (bis ca. 18cm Spannweite) Nachtfalter, auf Jamaika wird er als die Verkörperung einer verlorenen Seele angesehen
- Brethren: Bruder/Brüder
Ragamuffin
Wir fahren aus dem Stadtzentrum. Uptown tauchen Straßenlampen das Wageninnere abwechselnd in Licht und Dunkelheit. Zwischen meinen Füßen kullern Red-Stripe-Flaschen gegeneinander. Die Klimaanlage klappert. Atmet schalen Biergeruch und die abgestandene Luft eines heißen Tages.
Anthony lässt eine Patrone über seine Fingerkuppen wandern, wie einer, der einen Münztrick vorzeigt. Der Rauch unserer Ciggies zittert zum Spalt im Fenster und die gewitterschwüle Nacht trocknet den Schweiß zwischen meinen Cornrows.
Kingston fühlt sich eng an. Als drücke das Gewicht eines schweren Sargdeckels auf die Stadt. Auf mich. Schließe ich die Augen, dann rieche ich Piment. Auf der Zunge der Geschmack von gekochtem Akee. Und ich gleite tief hinab in die Erde, wo es kühl ist. Leg mich schlafen, weit draußen in den Redhills. Ein Lumpenbündel unter vielen. Um mich die Knochen derer, die’s bereits nach Zion geschafft haben. Gebettet in den Schoß des Löwen. Und ich höre die gedämpften Schläge der Steel Drums. Im Rhythmus meines erschlaffenden Herzens.
Ich überlege, Anthony nach einer Line zu fragen. Denke daran, noch einmal mit der White Wife zu schlafen. Hab sie schon zu liebgewonnen. Aber ich will vor ihm nicht bedürftig wirken und wie ein Pussyhole dastehen. Muss mich zusammenreißen. Es gibt kein Zurück. Nur der Riddim hält mich jetzt noch in der Spur. Ragamuffin, nennen sie das.
So nennen sie mich.
Anthony holt den Spiegel aus der Westentasche. Sein Rufname, Dr. F – das F steht für Feelgood –, ist mit scharfer Klinge in das Glas geritzt. Mit dem Messer aus dem Schulterholster zieht er die Schrift nach. Wenn Alvaro, der Fahrer, ein Schlagloch touchiert, rutscht seine Hand ab und er flucht.
Dann legt er eine dicke, kurze Line. Mischt mit der Messerspitze die Glassplitter unter den Stoff. Ich will ihm den Spiegel aus den Fingern reißen. Meine Nase darin vergraben. Ziehen, ziehen, ziehen. Und vergessen. Vergessen, was ich noch gar nicht getan habe.
Ich beobachte Anthony von der Rückbank. Wie er eine angeschmutzte Nanny hervorholt. Wie er den Spiegel auf seine Schenkel legt. Die Line darauf teilt sein Gesicht vom Haaransatz bis zum Kinn.
Jamaikanische Dollars sind das dreckigste Geld der Welt, sagt er, reibt mit dem Finger an ihr und dreht den Kopf nach hinten. Hält mir die Banknote aufgefaltet vors Gesicht. Siehst du sie? Das ist die Maroons-Anführerin. Ich bin wie sie. Ashanti. Dasselbe ghanaische Blut fließt in meinen Adern. Das ist unzerstörbar und pur, verstehst du? Wir sind beide Anführer der Revolution. Sie vor zweihundertfünfzig Jahren auf den Plantagen. Ich heute als Gunman in Kingstons Straßen.
Warum schaut die Anführerin so verdammt grimmig?, will ich ihn fragen. Die verkneift die Lippen zu nem dunklen Strich, als würde sie missbilligen, was ich hier tu. Als hätte sie’s nur auf den Fünfhunderter geschafft, um mir schlecht ins Gewissen zu reden. Diese Gedanken gefallen mir nicht. Deswegen schweige und nicke ich.
Anthony rollt die Note zusammen, legt den Kopf in den Nacken. Dreht ihn mit kräftigem Knacken hin und her. Schließt die Augen für Jah. Während an uns die Reichenviertel vorbeirauschen, dreht Alvaro die Musik lauter. Ich schaue hinaus, auf weiße Mauern und schmiedeeiserne Tore. Auch ich bin ein Gefangener von Babylon.
Was war’n das eigentlich für ne Scheiße in Negril?, fragt Anthony. Seine Fragerei gefällt mir nicht. An den Antworten kann ich mich nur verschlucken. Shotta Star hat sich schon’n Namen für dich ausgedacht, sagt er. Warst besoffen, oder was? Hat dir das Bein ganz schön zerschmettert.
Motorradunfall, antworte ich.
Hast wohl ans Ficken gedacht, wie so’n echter Rude Boy. Hör zu, diese Schlampen ausm Ghetto kannst du vergessen. Die können ja nich mal ordentlich skanken auf deinem Schwanz. Schon bald kriegst die aus New Kingston. Die stehen auf solche Weichbirnen wie dich.
Wir sind denen zu hart, bestätigt Alvaro. Er nimmt eine Hand vom Steuer und krempelt sein verschwitztes Hemd hoch. Sein Bizeps ist ein Halbmond, als hätte jemand ein Stück abgebissen. Das Fleisch bewegt sich, als er den Muskel anspannt. Is vom Jungle Rot, sagt er. Da war nur n kleines Loch. Weil mich so n Battyman mit seiner Pumpgun gestreift hat.
Anthony lacht und im Türfach kann ich sein Eisen sehen. Ich hätte nicht hinschauen sollen. Er nimmt die Waffe aus ihrer selbstgebastelten Halterung. Zieht den Schlitten nach hinten. Is mein momentanes Baby, das. Aber sieh dir diese beschissene C-Ware an. Abgenutzt, wie die Schlampen, die du flachlegst. Shotta Star behält die gute Hardware für sich. Die Amerikanischen rückt der einfach nich raus.
Dabei hat er vom Syrer genug geliefert bekommen, sagt Alvaro, während wir eine enge Kurve nehmen.
Na, wir werden sie schon noch kriegen. Glänzender Stahl, der den Feind blendet, Bam-Bam! Das sag ich dir. Wie soll man mit der Scheiße seinen Job erledigen?, fragt er und steckt die Pistole zurück. Mir fällt nichts anderes ein, also zucke ich mit den Schultern.
Mach mal Buju Banton oder Israel Vibration, weist er Alvaro an. Der schiebt eine ausgeleierte Kassette ins Fach. Vor dem Fenster ziehen die Schatten von Bauruinen und Silhouetten von Palmen vorbei. Hier gibt es keine Straßenlampen. Vereinzelt brennen Feuer in den Shacks. Ausgemergelte Gesichter hinter Grills. Arme stochern mit Stöcken in der Glut. Und ich träume, ich wäre ein Cha-Cha-Boy. Einer von denen aus dem Fernsehen. Trüge teure Anzüge und würde Hummer und Austern bei elektrischem Licht fressen.
Alvaro hält den Wagen an. Wir steigen aus. Die Luft riecht nach dem Harz der Guajak-Bäume. Nach verbranntem Blauholz. Unter uns die Lichter von Kingston. Von hier oben sieht die Stadt klein und geschrumpft aus. Friedlich liegt sie in den Armen der Karibik, als würde sie schlafen wie ein Kind. In der Dunkelheit sieht man das Blut nicht. Ich sehe den Leuchtturm von Port Royal in der Ferne. Denke an die Ozeanriesen, die aus der Sonne auftauchen wie Schlachtschiffe. Nur zu Besuch für ein paar Stunden.
Zeit?, fragt Alvaro gegen den Kotflügel gelehnt. Anthony holt sein Telefon raus.
Kurz nach elf. Was glotzt du mir aufs Handgelenk? Hab meine Uhr nich dabei.
Wo hast’n die gelassen, die schöne Breitling?
Hab sie zuhause im Safe. Sonst gibt Rena downtown in den Jerk-Shacks an. Blödes Pussyhole.
Gefährlich sowas.
Ich verkauf sie dir trotzdem nicht.
Sie reden über gefälschte Uhren. Klingt, als wäre es neben der Posse das Einzige, was sie verbindet. Dem weiteren Gespräch der beiden folge ich nicht. Ich starre in die Finsternis. Suche nach dem Tag im Park. Wie sie uns angesehen haben, weil sie merkten, dass wir aus dem Ghetto kamen. Aber du hast nur gelächelt. Wenn ich mich anstrenge, kann ich die Wasserrutschbahn sehen. Mit dir war ich einmal ganz oben auf der blauen. Zwischen deinen Beinen fühlte ich mich sicher. Bevor du uns angeschubst hast, schaute ich nach unten, obwohl ich mich gar nicht getraute. Wie anders die Welt aussah. Wie stark deine Arme mich an den Schultern hielten. Ich wünsche mir, wieder dort zu sein. Mich zwischen deinen Schenkeln verkriechen zu können.
Wir waren so hoch oben und für einen Augenblick löste ich mich auf. Schwebte über den Wasserpark, glitt über Jamrock hinweg wie Doctor Bird, und es fühlte sich an, als würde dieser Moment niemals aufhören. Wie schön wäre es, für immer dortzubleiben. Das mich dieses federleichte Gefühl hinauf in den Himmel trägt. Zu dir, bevor wir mit der Schwerkraft jauchzend nach unten sausen. Aus Babylon entkommen. Und ich wünsche, du hättest uns nie angeschubst. Danach war ich nie wieder im Kool-Runnings-Park. Die Erinnerung flattert wie die schwarze Hexe ums Licht. Vier Jahre später denke ich immer noch daran.
Er wird gleich auftauchen, sagt Alvaro. Seine Gestalt schält sich aus dem Dunkeln. Hat sich angeschlichen wie eine Echse. Seine pomadierte Schuhbürstenfrisur steht gegen den schwarzgrau verschleierten Himmel ab. Sie nennen ihn den Mohikaner. Spürst du das Feuer? Die Glut?
Glut?, frage ich. Schaue ihn nicht an. Schaue auf meine zerfetzten Nikes. Der Swoosh ist nicht mehr zu erkennen.
Willst du ne Ciggy?
Ja.
Er zündet eine an und reicht sie mir rüber. Die Zähne in seinem Grinsen wirken wie Plastik. Anthony pisst rechts neben uns in einen Busch. Ich kann das Plätschern seines Urins hören und er grunzt irgendwas. Diese Hitze haben wir alle gefühlt, Brethren, sagt Alvaro. Die trägst du noch ne Weile mit dir rum, wenn’s passiert ist. Aber die geht auch wieder weg. Als würde was in einem drin verbrennen, mh?
Ja.
Das sind die Nerven.
Ich ziehe an der Ciggy. Der Rauch sticht mir in die Lunge. Vielleicht falle ich tot um, wenn ich heftig genug inhaliere. Vielleicht sollte ich losrennen, durch den Busch den Hügel hinunter. Egal wohin, einfach weiter, bis sie mir in den Rücken schießen. Oder ich stelle mir vor, wie ich im Blue Hole ertrinke. In diesem azurblauen Wasser. Erfüllt von seinem Leuchten, wenn die Sonne im Zenit steht. So unergründlich tief wie das Meer.
Ich will in diesem Wasser versinken und zu einem glutroten Schnapper werden. Ganz nach unten tauchen. Zur Kälte, wo ich sicherer bin. Und wenn ich nach oben sehe, zerfließt dein Gesicht auf der Oberfläche. Im Blue Hole hast du mir das Schwimmen beigebracht. Wie viel Angst ich damals hatte. Doch heute schwebt da nicht nur Furcht. Ich muss deine Liebe zu mir in die Tiefe hinabziehen. Aber sie ist zu leicht und treibt obenauf. Ich schlage mit der Schwanzflosse. Ein Schnapper ist zu klein.
Die Feinde haben dich totgemacht, daran muss ich jetzt denken. Die aus dem Ghetto haben mir’s erzählt. Die aus dem Ghetto haben gesehen, was sie in August Town getan haben. Die aus dem Ghetto leben auch im Blue Hole. Ihnen muss ich doch vertrauen.
Hast du noch was?, frage ich. Versuche, an nichts mehr zu denken. Das Flattern in meiner Stimme kann ich nicht ignorieren.
Scheißt du dir jetzt etwa in die Hose?, fragt Alvaro und kramt in seiner Brusttasche. Er schaut mich verschlagen an. Ich spüre die Kälte. Möchte auftauchen.
Dass du mir ja nicht zusammenklappst.
Er winkt und ich humple zu ihm. Aus der Finsternis trottet Anthony. Zerrt an seinem Hosenstall. Gewöhn dich nich zu sehr an sie, sagt er. Sonst wird die White Wife für immer deine Einzige bleiben, verstehst du?
Sein Gelächter schnappt nach mir wie ein Tigerhai. Scheinwerfer schlängeln sich die unebene Straße hoch. Verschwinden zwischen Büschen und tauchen wieder auf. Die Wolken machen dem Mond Platz. Alvaro hält mir sein Messer hin.
Mach dich bereit, sagt er. Wir können dir nicht helfen.
Ich nicke. Beuge mich über die Klinge.
Mein Herz rast. Mein Kopf dröhnt. Mein Hirn weich. Ragamuffin. Die Scheinwerfer beleuchten meine bleiche Gestalt. Neben uns hält ein Wagen mit geschwärzten Scheiben. Jemand steigt aus. An der Art, wie die Sohlen auf die Erde treffen, weiß ich, dass es teure Schuhe sind. Nicht kaputte.
Wo warst’n du so lange?, mault einer, ich glaub Alvaro. Wir haben dich dreimal angerufen.
Er kann’s kaum erwarten und für mich dürft‘s schon vorbei sein. Im Licht sehe ich meine Hände zittern. Presse sie an meine Seite. Aber möchte um mich schlagen. Mich befreien. Mit der Nacht verschmelzen.
Halt’s Maul, kommt die Stimme aus der Finsternis. Ihr Besitzer geht zum Kofferraum. Ich höre, wie sich der Schlüssel dreht. Hinter der aufgeklappten Tür sehe ich das zerfurchte Gesicht in der Glut einer Ciggy. Natty Dreads. Darunter ein weißes Netzshirt auf breiter Brust. Der Syrer.
Ich weiß nicht, was auf der anderen Seite des Ozeans liegt. Wo fahren die Schiffe hin? Wäre ich ein Fisch, dann wüsste ich es. Wäre ich Doctor Bird, dann würde ich ihnen folgen. Die Leute von den Schiffen bleiben für sich. So wie Anthony, Alvaro und der Syrer. Aber das kann ich ändern. Wenn ich in der Posse bin.
Die anderen reden mit dem Syrer, aber ich verstehe kein Wort. Meine Ohren sind mit Watte verstopft. Etwas zuckt in meiner Brust. Dann zieht der Syrer ein strampelndes Bündel hinter sich her. Zerrt es ins Licht. Kickt mit seinen neuen Schuhen dagegen. Es fällt nach vorne und bleibt liegen. Ich höre ein Wimmern. Vielleicht nur Einbildung. Vielleicht ist das ein Tier in dem Bündel. Tiere wimmern nicht.
Ich hab dir ein Geschenk mitgebracht, sagt der Syrer. Breitet die Arme aus und lacht, als meine er das ernst.
Jetzt wirst du entjungfert, fügt Alvaro mit seltsamer Stimme an. Vielleicht hat er sich an seiner Ciggy verschluckt. Ich hoffe, er hat sich verschluckt.
Was soll ich tun?, frage ich.
Gott hat dir Hände gegeben, sagt der Syrer. Seine Stimme trocken. Seine Augen fordernd. Ich will nicht hinschauen. Mache einen Schritt auf das Bündel zwischen uns zu. Was soll ich tun?
Sieh dir das Pussyhole an, sagt Anthony. Wie es tanzt.
Er gähnt. Ich weiß nicht, ob er mich meint oder das zappelnde Bündel. Der Syrer zieht dem Bündel den Sack vom Kopf. Darunter sehe ich ein Gesicht. In den Augen spiegeln sich die Scheinwerfer. Das Haar so schwarz wie Kohle. Ich will nicht hinschauen. Es ist ein Junge. Vielleicht dreizehn oder vierzehn. Nicht viel jünger als ich. Ich kann nicht hinschauen.
Er weint. Er lacht. Er schreit. Er tut gar nichts. Ich weiß nichts. Er sagt, sie haben deiner Ma in den Kopf geschossen, während sie meinem Onkel einen gelutscht hat. Sie war die billigste Hure im Ghetto. Hat er das wirklich gesagt? Nein, er ist nur ein Kind. Das hat er nicht gesagt. Mein Kopf hat das gesagt. Oder die anderen waren’s. Sie beobachten mich. Spüre ihre Blicke auf der Haut.
Ich knie über ihm. Er will, dass ich meine Finger um seinen Hals lege. Zupacke, bis er blau wird. Ich will die Fingerspitzen gegen den kleinen Kehlkopf quetschen. Ihn in den Hals hineindrücken. Auspressen wie eine Nisberry. Das Zucken spüren. Oder ihn aufreißen. Die Luftröhre zerfetzen. Ob dann die Glut erlöscht? Wo ist das Feuer? Ist da Feuer, frage ich mich. Es riecht nach Pisse und der Atem des Jungen stinkt nach Angst. Da ist kein Feuer.
Am liebsten würde ich aufstehen, ihm sagen, er soll nach Hause laufen. Zurück nach August Town. Aber das ist zu weit und in der Nacht weißt du nie, ob Kingston dir in den Rücken schießt. Er könnte sich verlaufen oder sterben. Das passiert schnell. Ich will, dass er auf dem Riddim zurück ins Ghetto reitet. Ragamuffin Style.
Denk an den Kool-Runnings-Park. An die Rutschbahn. Ganz oben. Nimm den Jungen an der Hand. Flieh mit ihm zum Himmel.
Wenn ich ihn an der Hand nehme, wird auch er schwerelos. Wenn ich ihn berühre, dann fliegt auch er wie Doctor Bird. Ich sag ihm, wie schön es ist. Erzähl ihm von dir. Dass du auf mich wartest. Ich frag ihn, ob seine Ma auch schon schwerelos geworden ist. Er wird mich verstehen. Er wird mit mir kommen. Er ist nur ein Junge.
Es ist nicht schlimm, denn ich bin ein Fisch. Roter Schnapper und gefährlich. Ich schwimme in der Tiefe. Alles schwarz und ruhig. Hol den Jungen auf den Grund zu mir. Das schaffe ich. Zeig ihm, wie ich schwimme. Im Blue Hole wird auch er überleben und das Schwimmen lernen. Gemeinsam werden wir Babylon vergessen. Ein neues Leben. Wir tollen unter den Schiffen über den Ozean.
Aber ich muss den Jungen töten. Sie verlangen es. Die Posse verlangt es. Bring ein Opfer und tauf deine jungen Hände in Blut. Schmier es dir ins Gesicht wie eine Kriegsbemalung. Schrei es hinaus. Klansman für immer!
Ich bin nur ein Ragamuffin, so wie er. Wenn ich ihn jetzt nicht abmurkse, werde ich diesen Ort niemals verlassen. Ich mache es jetzt! Die Familie lächelt schon auf der anderen Seite. Sie werden tun, was meine Ma nicht konnte. Mich beschützen.
Habe ich den Jungen getötet? Hinter mir bemerke ich den Syrer. Im Licht des Mondes ein kaltes Glänzen. Der Blitz blendet meine Augen, gefolgt von einem Geräusch, das mir die Ohren zerfetzt. Ein Gewitter. Mein Gesicht ist nass. Ich spüre die Hitze. Unter mir zuckt der Junge, als hätte er einen Anfall. Auf seiner Stirn plötzlich ein sprudelndes Loch. Es wird immer größer. Während sie mich an den Armen packen, denke ich, es sieht aus wie ein Fleck Jerk-Sauce. Ich habe Hunger. Bin ausgezehrt. Meine Hände sind leer. Es fängt an zu regnen. Ich denke an dich. Dann kotze ich in sein erstarrtes Gesicht.