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Rat mal, wer zum Essen kommt

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02.01.2002
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Rat mal, wer zum Essen kommt

»Blut?« Tante Sarah verzog den Mundwinkel und ihre Augen hinter dem Kneifer wurden eine Spur schmäler.

»Ja, Blut«, wiederholte Caro ungeduldig, »aber das bekommen wir auch noch weg. Ohnehin nur Tierblut. Er macht schon viele Fortschritte«, fuhr sie mit stolzer Stimme fort. »Gestern trafen wir uns eine halbe Stunde vor Dämmerung. Und er ist bis nach Sonnenaufgang bei mir geblieben.« Sie unterdrückte ein Gähnen.

»Dass du die Nächte immer noch durchmachst«, schimpfte Tante Ruth. Ihre Stricknadeln klapperten, wie um die Worte zu unterstreichen. »Das bringt Falten und Ringe unter den Augen.« Sie warf ihrer Nichte einen scharfen Blick zu. »Wirklich, du könntest viel mehr aus dir machen. Glaub ja nicht, dass dein Verehrer auf so etwas nicht mehr achtet.«

Beinah hätte Caro entgegnet, dass er blasse Haut sowieso viel attraktiver fand, aber sie hielt sich zurück.

»Das ist doch jetzt egal«, mischte sich Tante Luise ein, die gerade mit einem Tablett aus der Küche kam und es auf den Tisch stellte. »Es geht hier nicht um Carolina, sondern um den jungen Mann.« Sie stutzte. »Nein, warte - wie alt war er doch gleich?«

»Zweihundertsiebenundneunzig«, sagte Caro. »Aber er sieht bedeutend jünger aus.«

Sie kicherte. Für ein paar Sekunden war es still im Wohnzimmer.

»Altersunterschiede hab ich nie gutgeheißen«, murmelte dann Tante Sarah. Tante Luise seufzte.

»Ich möchte ihn kennen lernen«, sagte sie. »Dann sehen wir weiter.«

»Das wirst du bald«, beruhigte Caro sie. Die junge Frau strich ein paar widerspenstige Strähnen glatt, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten. Nur die Ruhe. Zuerst hatten sie immer an allem etwas auszusetzen. Aber wenn sie Richard erst einmal kennen gelernt hatten, würden sie ihn doch wohl ins Herz schließen.

»Carolina, Kind«, sagte Tante Luise mit leiser Stimme. »Du glaubst vielleicht, wir würden ihn dir ausreden wollen. Das ist nicht wahr. Wir wollen nur das Beste für dich.« Sie griff nach einem Plätzchen und drehte es zwischen den knotigen Fingern. »Wir sind nicht mehr die Jüngsten und wir möchten ... wir möchten dich in guten Händen wissen.« Sie lächelte hilflos.

»Weiß ich doch, Tantchen«, sagte Caro. Sie atmete tief durch.

»Blut«, kam es düster aus der Ecke von Tante Sarah. »Kann ich nicht verstehen. Wirklich nicht. Niemand in unserer Familie ...« Sie ließ den Satz unbeendet.

»Heißt das, ich habe ganz umsonst gebacken?«, fragte Tante Luise. Ihre Stimme hatte einen leicht gekränkten Unterton.

»Kekse für so einen!« Tante Ruth lachte meckernd. »Das kann auch nur Luise einfallen ...« Kopfschüttelnd beugte sie sich über ihre Strickarbeit.
Caro presste kurz die Lippen aufeinander.

»Das ist wirklich sehr lieb von dir, Tante Luise. Bestimmt ist Richard bald so weit, dass er deine Plätzchen essen kann. Wir sind da sehr optimistisch.«

Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Richard zu jeder Tageszeit nach draußen gehen konnte. Auch wenn sie erst am Anfang standen. Er hatte sie um Geduld gebeten und Caro hatte ihm sofort versichert, dass sie ihm alle Zeit der Welt geben würde. Es war so romantisch, dass er sich ihrzuliebe an die Sonne gewöhnte. Da war es nur fair, dass sie akzeptierte, dass er noch eine Weile von Blut leben musste. Man kann sich einfach nicht von heute auf morgen ändern. Caro war stolz darauf, toleranter zu sein als ihre Tanten. Nun, Tante Luise meinte es im Grunde gut. Aber sie ließ sich viel zu leicht von ihren Schwestern einschüchtern. Mit finsterer Miene starrte Caro auf Tante Sarah und Tante Ruth. Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen - es würde einiges an Überzeugungsarbeit brauchen, ehe sie Richard als Verlobten annehmen würden. Caro war ihnen sehr wohl dankbar, dass sie sie aufgezogen hatten. Doch in den letzten Jahren war es immer schwieriger geworden, mit Ruth und Sarah auszukommen. Sie hatte Richard schon ein wenig vorgewarnt und er hatte Verständnis gezeigt. Er sagte, er sei schon froh, wenn sie ihr nicht den Umgang mit ihm verboten. Caro war da nicht so bescheiden.

»Wie oft habt ihr euch denn überhaupt schon getroffen?«, fragte Tante Ruth. Natürlich gefiel ihr die Antwort nicht. Das war doch viel zu selten, um sich ein Urteil zu bilden! Und immer nur nachts? Kein Wunder, dass Caros Leistungen in der Universität nachgelassen hatten. Tante Sarah erwähnte, dass sich niemand in der Familie jemals nächtelang herumgetrieben habe.

»Viele junge Leute gehen abends aus«, sagte Tante Luise zaghaft.

»Aber sie streunen nicht bis zum Morgengrauen herum«, fuhr ihr Tante Ruth über den Mund. Tante Luise schwieg. Das Klappern der Stricknadeln füllte wieder den Raum.

Caro schob ihre Unterlippe vor. Nein, es war wirklich nicht einfach.

»Und wann stellst du uns deinen Freund vor?«, fragte Tante Luise freundlich. Caro riss sich zusammen.

»Morgen Abend, wenn euch das recht ist.«

»Soll ruhig kommen«, sagte Tante Sarah, »Schnittchen müssen wir ja wohl keine auftischen.« Tante Ruth kicherte.

Caro schüttelte stumm den Kopf, aber niemand beachtete sie. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie Tante Ruth und Tante Sarah Richard morgen empfangen würden. Sie dachte an seine blasse Haut, das beinah bläuliche Weiß, das ihm gut stand, das den Tanten aber ganz sicher nicht gefallen würde. Schwarze Kleidung konnte Tante Ruth sowieso nicht leiden. »Trägt man schon oft genug auf Beerdigungen«, pflegte sie zu sagen. Tante Sarah würde womöglich eine Bemerkung über das Blut fallen lassen, egal wie oft Caro sie vorher bitten würde, das Thema nicht anzusprechen. Sie wand sich beim Gedanken daran, wie verlegen Richard jedesmal aussah, wenn sie darüber geredet hatten Bei jeder diskreten Anspielung senkte er den Kopf. Die Vorstellung, dass Tante Sarah ...

»Was hat der junge Mann eigentlich gelernt?«, fragte Tante Sarah. Sie unterbrach Caros zögerliche Antwort mit einer Handbewegung und goss sich eine Tasse Tee ein. Aus Erfahrung wusste Caro, dass das Gespräch damit beendet war.

Hastig schluckte sie die aufsteigenden Tränen hinunter und stellte sich ans Fenster. Mit starrem Blick schaute sie hinaus. Irgendwo da draußen war jetzt sicher Richard unterwegs. Er hatte ihr schon oft erzählt, wie schön das Fliegen war. Der Rest sei ein bisschen unkomfortabel, aber in Ordnung. Sagte er. Er kannte es ja nicht anders. Caro war überzeugt gewesen, dass ihm das menschliche Leben besser gefallen würde. Im Hintergrund erklang das meckernde Lachen von Tante Ruth. Caro drehte sich nicht um. Ob Fliegen wirklich so schön war? Sie musterte ihr Spiegelbild in der Scheibe. Auch mit sehr blasser Haut sah sie zweifellos hübsch aus. Fand Richard ebenfalls. Die Sache mit dem Blut war sicher der härteste Teil an der ganzen Sache. Der Biss dagegen tat kaum weh, hatte er gesagt. Warum wollte sie das so genau wissen? Nur Neugierde, hatte Caro damals geantwortet.

 

Hallo Ginny-Rose!

Erstmal Kompliment für den Titel, der klingt nach einer richtigen Horrorstory. :p Hm, die Geschichte allerdings fand ich jetzt nicht sonderlich gruselig oder spanndend, man weiß zwar sofort, dass es eine Vampirgeschichte ist, aber ich hab ne Weile gebraucht um hineinzufinden. Und dann war sie auch schon zu Ende. Durch den fast ausschließlichen Dialog zu Beginn kommt irgendwie keine Atmosphäre bei mir auf, aber grade das finde ich bei Horrorgeschichten (eigentlich allgemein ;)) besonders wichtig. Die Gespräche an sich finde ich dabei sehr gelungen, mir fehlt halt bloß ein bisschen das Drumrum.

Liebe Grüße,
apfelstrudel

 

Erstmal Kompliment für den Titel, der klingt nach einer richtigen Horrorstory. :p

Und der ist auch noch geklaut. :dozey:
Tja, ich weiß nicht einmal, ob die Geschichte nach Horror passt, denn natürlich gehts um Vampire, aber nicht in gruseliger, sondern in alltäglicher Form. Ich fand einfach den Gedanken nett, es von vornherein klarzustellen, dass es um Vampire geht (auch wenn das Wort nicht fällt) und ihre Existenz als gegeben hinzustellen. Mal schauen, was mir da zur Verbesserung noch einfällt. :hmm:

Danke fürs Lesen!

Ginny

 

Tja, ich weiß nicht einmal, ob die Geschichte nach Horror passt, denn natürlich gehts um Vampire, aber nicht in gruseliger, sondern in alltäglicher Form.
Ja, sogesehen gefällt mir die Geschichte auch, bloß dann ist sie in der falschen Rubrik. Ähm... Sonstige? :D

 

Ich hasse es, Geschichten in "Sonstige" einzustellen. (Wer nicht? :D ) Obwohl mir das lieber ist, als wenn sie hier als schlechte Horrorgeschichte verrissen wird. <g>
Wärend der Entstehung hab ich überlegt, den Fokus mehr auf Humor zu legen und eine Art Satire daraus zu machen. Dafür fielen mir aber nicht genug Witze ein. ;-) Dann wollte ichs etwas unterschwellig gruselig machen und auch den Vampir auftauchen lassen. Das hat mich aber auch nicht überzeugt. Aber vielleicht krieg ich hier noch Input.

 
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Hallo Ginny-Rose,

Zunächst mal zur Rubriken-Frage: Wie wär's mit "Gesellschaft"? Könnte ich mir ganz gut vorstellen - denn Horror ist die Geschichte sicher nicht. Auch wenn der Vampir eine beliebte Zutat für Horrorgeschichten ist, so erzeugt deine Geschichte beim Leser doch keinen Horror.

Auf jeden Fall hast du mit dieser Dialog-lastigen Form die richtige gewählt, die Geschichte liest sich flüssig. Dennoch hat sie mich nicht überzeugt.
Die eigentliche Idee, der Grund, weshalb die Geschichte überhaupt erzählt wird, ist, das hast du selbst gesagt, die Tatsache, dass innerhalb der Erzählung die Existenz von Vampiren normal ist. Diese Grundidee verwendest du nicht als Pointe, wie man es bei dem Aufbau auch hätte machen können, sondern als Annahme, auf deren Grundlage dann die Geschichte entwickelt wird.
Und da ist schon das Problem. Es scheint, als wüsste die Geschichte nicht, wo sie letztlich hin will. Okay - wir haben diese Annahme, ein paar Figuren - aber wozu soll das alles führen?
Meiner Meinung nach gibt es zwei Richtungen, in die die Geschichte hätte gehen können:
Zum einen hätten die Gefühle der Protagonistin, ihre persönliche Situation, genauer beleuchtet werden können. Was bedeutet diese Beziehung zu Richard letztlich für sie? Um diese Frage zu klären wäre es, denke ich, nötig, die Protagonistin genauer auszuarbeiten und in der Geschichte zu entwickeln.
Zum Anderen wäre es auch möglich, diese "Normalität" mit den Vampiren genauer zu betrachten. In wie weit sind sie akzeptiert? Wie kann man überhaupt mit Wesen koexistieren, die ja offenbar am Ende doch von Menschenblut leben? Werden sie gejagt? Gibt es Vampir-Gesetze? Diesen Weg einzuschlagen hätte also bedeutet, den Hintergrund im Detail auszuarbeiten und in die Geschichte einfließen zu lassen.
Auch eine Mischung aus den beiden eben beschriebenen Möglichkeiten wäre wohl drin gewesen und sicher gibt es noch weitere. Das Problem, das ich im Augenblick mit deiner Geschichte habe, ist halt, dass sie in gar keine Richtung wirklich weiter geht, sondern bereits im Ansatz stecken bleibt, beziehungsweise endet.

Trotzdem war ich richtig froh, dass es sich nicht, wie ich nach dem Titel vermutete, um eine Kannibalen-Geschichte handelt! ;)


Gruß,
Abdul

 

Hi Ginny,

eine Kurzgeschichte, die ich gerne gelesen habe. :) Die Ansätze gefallen mir sehr gut – allerdings muss ich mich meinen Vorrednern anschließen: Die Geschichte ist noch etwas ausbaufähig: Entweder in Richtung Grusel, oder in Richtung Satire.

Auch mir war relativ schnell klar, dass es sich um eine Vampir-Geschichte handelt, auch wenn das Wort "Vampir" nicht direkt vorkommt (was ich gut finde und was m. E. auch gar nicht nötig ist).

Die Dialoge machen die Geschichte lebendig, sie sind dir gelungen. Solltest du die Kurzgeschichte überarbeiten und dich für eine Satire entscheiden, könntest du versuchen, noch mehr Biss oder Wortwitz einzubauen; solltest du dich für eine gruselige Geschichte entscheiden, könntest du noch ein wenig am Atmosphäreaufbau arbeiten.

Der Titel – ob geklaut oder nicht – gefällt mir sehr gut. :D

Rubrikmäßig würde, vom phantastischen Hintergrund abgesehen, vermutlich auch eher "Alltag" oder "Gesellschaft" anstatt "Horror" passen. Oder evtl. sogar "Romantik"? Hm ... :hmm: Schwierig. :)

War schön, nach längerem mal wieder was von dir zu lesen. "Rat mal, wer zum Essen kommt" hat mich gut unterhalten. :)

Viele Grüße,
Michael

 

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