Was ist neu

Rathenow

Mitglied
Beitritt
14.10.2005
Beiträge
9

Rathenow

Rathenow

Es war Krieg! Auf den Straßen riefen die Leute begeistert „Hurra, Hurra“. Kriegsbegeisterung überall. Man wünschte sich den Krieg: Katharsis, sagten sie im Fernsehen; doch die meisten Menschen konnten mit diesem Wort natürlich nichts anfangen. Es war Zeit geworden, sagte der Nachrichtensprecher im Abend-Journal mit stolzer, ja fast überheblicher Stimme; Es war Zeit geworden, wir alle wußten, daß ein Krieg kommen würde, ja es war nur eine Frage der Zeit. Natürlich entsprach das dem Zeitgeist. Alle waren begeistert. Nun natürlich war nicht jeder davon erfreut in den Krieg, vielleicht ins Verderben, in den Tod, ziehen zu müssen. Die Fernsehsprecher, die Politiker, die Generale und all die „Großen“ hatten natürlich gut reden: Sie selbst waren sicher, ihre Söhne – sofern es prominente waren – kamen in sicheren Positionen unter, falls es weiteres Kriegspersonal erforderte. Das war alles kein Trost für Wilhelm.

Wilhelm Rathenow war Straßenbauer. Er hatte drei Kinder, war verheiratet. Ihn hatte es erwischt; er wurde eingezogen. Grundsätzlich war er nicht abgeneigt dem Vaterland zu dienen, doch er wußte mit einer schauderhaften Vorahnung bereits sein Schicksal besiegelt: er würde sterben. Nun um ihn selbst war das natürlich keine große Sache, dann wer war er denn schon? Aber er fürchtete um seine Frau und seine Kinder. Wer sollte sie ernähren? Die kleinste ist gerade mal wenige Monate alt; Frau Rathenow hätte unmöglich arbeiten können.
Rathenow meldete sich noch am selben Tag in der Kaserne. Er war für sehr tauglich befunden worden, als wenn Tauglichkeit eine Steigerung zugelassen hätte. Er kam in die Jägermannschaft. Schon am übernächsten morgen ging’s los: an die Front.

Im Lager herrschte eine zweigleisige Stimmung: die Freude über den Krieg, die lange ersehnte Katharsis auf der einen Seite, obwohl nahe der Front schon weit abgeschwächt und die Angst der Soldaten zu sterben. Doch auch die Kriegsbegeisterten waren voller Angst, man sah es in ihren Augen.
Es ging los. Rathenow wurde mit einer Gruppe Infanteristen hinausgeschickt; direkt ins Kampfgetümmel. Es war Nachmittag, ein heiterer Nachmittag, die Sonne schien kräftig auf die Gesichter der Soldaten.
Zunächst war alles merkwürdig ruhig; Rathenow hörte die Bienen summen und Vögel zwitschern, nichts deutete auf Kampfhandlungen hin, doch schlagartig änderte sich diese zwanglose Atmosphäre: Ein Schuß fiel, in der Ferne. Doch der Kampf hatte nicht begonnen; es blieb ruhig. Rathenow zitterte. Man hörte die Herzen pochen, die Mannschaften atmeten schwer. Jeder war sich sicher, jeden Augenblick könnte es losgehen. Weißpfennik, Rathenows Kamerad, bekreuzigte sich und betete leise vor sich hin und schon hörte man wieder einen Schuß. Diesmal schien er aus nächster Nähe gekommen zu sein, doch einer der Unsrigen war es nicht. Rathenow kniff die Augen zusammen und wagte einen Blick über den Graben: Er sah nichts, absolut nichts; weder der Feind, noch Kriegsgerät, noch sonst irgend etwas war zu sehen, einfach nichts bedrohliches.

Rathenow begann schon an der Richtigkeit dieser Stellung zu zweifeln, als es plötzlich begann. Hinter Rathenow explodierte eine Granate. Zwei Kameraden waren tot. Überall hörte man plötzlich Schreie, Granatenexplosionen und Schüsse. Es war grauenvoll. Rathenow, der durch die Explosion zusammengezuckt auf dem Boden lag, hob seinen Kopf etwas in die Höhe um den Geräuschen zu lauschen: Er vernahm bald Schreie, bald Befehle und bald Explosionen, die nur von Granaten stammen konnten; doch er hörte keine Gewehrschüsse. Er versuchte wieder etwas über den Graben zu spähen und wieder sah er absolut nichts. Er blickte neben sich: Weißpfennik war weg, alle anderen Kameraden waren weg. Sie liefen in Richtung Westen innerhalb des Grabens. Rathenow erhob sich, nahm sein Gewehr und lief ebenfalls Richtung Westen. Je weiter er lief desto lauter wurden die Explosionen und er vernahm nun endlich auch Schüsse, ganz zu seiner Erleichterung. Nach mehreren hundert Metern kam Rathenow an einem Unterstand an, auch Weißpfennik und Meyer waren dort. Sie erzählten ihm von den Vorgängen: Artillerie. Doch die Mannschaften weiter westlich waren in unmittelbaren Kampfhandlungen verwickelt. Die ersten Verwundeten waren sogar schon zurückgebracht worden. Rathenow ging zum Befehlshaber, der im Unterstand mit einer Karte herumhantierte. Rathenow war sich sicher, er müsse direkt an die Front, dem Feind ins Auge sehen, denn hier konnte er nur krepieren, von der Artillerie zerrieben werden. Der Vorgesetzte Schimmeltroß verweigerte Rathenows Anliegen und erwiderte starr, daß der Feind so und so schon bald mit seinen Mannschaften hier sein würde. Kaum als Schimmeltroß zu Ende gesprochen hatte, schlug eine Granate in den Unterstand ein. Das provisorisch zusammengezimmerte Gebäude zerbarst im ersten Augenblick, Schimmeltroß warf sich auf den Boden und rief etwas mit solch lauter Stimme, daß niemand es verstand. Meyer war tot. Weißpfennik verwundet. Rathenow konnte sich aufrappeln und half Schimmeltroß auf die Beine. Verflucht, sagte Schimmeltroß, wir müssen hier weg, wir müssen weiter westlich. Als Rathenow versuchte den Verwundeten zu helfen wurde Schimmeltroß zornig. Mit zusammengekniffenen Augen packte er Rathenow am Arm und zerrte ihn aus der zusammengeschossenen Baracke. Wir müssen weiter, schrie er Rathenow zu. Es war grauenvoll. Ringsum schlugen Granaten und Geschoße in den Boden ein. Ein ohrenbetäubender Lärm griff um sich; Rauchschwaden, von den Geschoßen verursacht, stiegen auf. Rathenow wußte, und auch Schimmeltroß wußte es, daß sie sich auf Messers Schneide bewegten. Schon nach wenigen Metern jedoch hörte man das Schreien der Kameraden. Rathenow packte sein Gewehr und richtete es vor sich. Schimmeltroß lief schneller, er rief den Kameraden etwas zu, was Rathenow nicht verstand und kam dann schnell wieder zurück. Nur noch Verletzte, wir müssen zurück, sagte er zu Rathenow. Nein, erwiderte Rathenow und versuchte einem Verletzten zu helfen; in diesem Augenblick schlug fast neben Rathenow eine Granate ein. Er fiel zu Boden, atmete schwer, sein Herz klopfte. Er war unverletzt, konnte sich nicht rühren. Er versuchte sich auf seine Arme zu stützen. Es war staubig. Staubig und warm. Rathenow blickte nach rechts und schrie nach Hilfe. Niemand antwortete und als er nach links sah, konnte er Schimmeltroß sehen, zumindest seinen Kopf. Die Gewehrschüsse wurden immer lauter, Rathenow verfluchte sie mittlerweile; warum nur hatte er anfangs so darauf gewartet sie zu hören? Fragte er sich mißmutig. Er befreite sich von der Erde die auf ihm lag und richtete sich auf. Es war nichts zu sehen außer Rauch, welcher durch Gewehrfeuer und Geschoße hervorgerufen wurde. Rathenow eilte zurück. Er stolperte über Tote und Verletzte; er atmete hastig und bisweilen glaubt er seine Frau vor sich zu sehen. Mit letzter Kraft fand er zum alten, zerstörten Unterstand zurück. Weißpfennik lebte noch. Rathenow packte seine Arme und zog sie aus den Trümmern. In der Ferne konnte er bereits fremde Stimmen, ausländische Stimmen hören. Rathenow schleifte Weißpfennik über den schlammigen Boden und versuchte den immer lauter werdenden Stimmen zu entkommen. Es war ein Kampf mit der Zeit. Weißpfennik stöhnte jämmerlich: „Laß mich hier! Rette dein Leben“ Doch was hatte sein Leben schon für eine Bedeutung, fragte sich Rathenow, hier an diesem schrecklichen Ort und Rathenow lief und lief, ohne sich umzusehen ohne überhaupt an irgend etwas anderes zu denken als an das Laufen. Rathenow glaubte schon in wenigen Metern ein Lager zu sehen, doch er hatte sich geirrt, es war nur dickes Gestrüpp: Rathenow hatte sich verirrt. Er sankt zu Boden. Immer noch hörte er Schüsse, Explosionen und unfaßbar gräßliche Stimmen. Er mußte weiter. Wiederum packte er Weißpfennik und schleifte ihn über den Boden. Nach wenigen Minuten kam er wieder am Graben an. Er wußte nicht, daß er bereits jenseits der Front im Feindesland war. Er lief weiter, glaubte in die richtige Richtung zu laufen und plötzlich traf ihn etwas an der Schulter. Eine Kugel. Rathenow stürzte. Das Blut schoß aus seiner Schulter. Weißpfennik war, was Rathenow nicht wußte, schon seit einiger Zeit tot. Zwei Männer bückten sich zu Rathenow hin. Es waren Ausländer. Sie packten ihn und schmissen ihn auf eine Bahre. Sie grinsten sich gegenseitig zu und lachten dann laut. Rathenow wurde es schwarz vor Augen. Er starb.

Im Fernsehen wurde diese Schlacht als großer Erfolg unserer Armee gefeiert. Tatsächlich war der einzige Erfolg, daß die Stellung unter wahnsinnigen Verlusten gehalten werden konnte. Um 15:00 Uhr klingelte es an der Haustür der Rathenows. Hauptmann Schleyer war an der Tür, er überreichte Frau Rathenow einen Brief. Sie brach zusammen. Frau Rathenow wurde eingeladen zu einer Ehrung der Soldaten dieser Schlacht, sie erschien pünktlich. Es war ein großer Festakt. Alle Honoratioren waren da. Die Prominenten, die Moderatoren, die Generale, all die „Großen“ versammelten sich hier. Nach allerlei Geschwätz und Lob des Generalstabs und allgemeinen Phrasen, bekundete der Generaloberst, daß diese Schlacht doch ein Glanzstück der Generalität war.
Die Menge tobte, Frau Rathenow schwieg.

 

Hallo Von Hutten,

ich bin sehr unentschlossen bei deiner Geschichte. Zum einen, weil es dieser Art Fronterzählungen schon so viele gibt, zum anderen auch, weil mir die Art der Kriegsführung angesichts der Fernsehberichterstattung etwas antiquiert vorkommt.
Dass Krieg grauenhaft ist, weiß jeder, dass es trotzdem auch immer wieder Kriegsbefürworter oder Argumentatoren der Notwendigkeit gibt, auch. Worauf möchtest du hinaus mit deiner Geschichte? Auf die Beurteilung je nach Sichtweise?
Sie ist ordentlich geschrieben, lässt sich gut lesen, daran ist nicht viel auszusetzen. Man ahnt leider die ganze Zeit, dass es für deinen Helden nicht gut ausgehen wird.
Inhaltlich ist sie mir aber zu beliebig, schon zu oft untergekommen.
Einige Details noch:

Es war Zeit geworden, sagte der Nachrichtensprecher im Abend-Journal mit stolzer, ja fast überheblicher Stimme; Es war Zeit geworden, wir alle wußten, daß ein Krieg kommen würde, ja es war nur eine Frage der Zeit. Natürlich entsprach das dem Zeitgeist.
Du hast eindeutig zu viel Zeit. ;)
Schon am übernächsten morgen ging’s los: an die Front.
- Morgen
- Der Doppelpunkt ist reine Effekthascherei. Wo sollte es sonst hingehen? Du kannst den Satz also auch durchaus flüssig schreiben ohne diese Kustpause zur akzentuierten Steigerung.
einfach nichts bedrohliches.
Bedrohliches
Der Vorgesetzte Schimmeltroß verweigerte Rathenows Anliegen
Mann kann die Erfüllung eines Anliegens verweigern oder sich dem Anliegen eines anderen verweigern, nicht aber das Anliegen selbst.
Kaum als Schimmeltroß zu Ende gesprochen hatte, schlug eine Granate in den Unterstand ein.
umständlich: Kaum hatte Schimmeltroß zu Ende ....
Weißpfennik lebte noch. Rathenow packte seine Arme und zog sie aus den Trümmern.
Nur die Arme? ;)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

Erstmal Danke für die Kritik! Hat mir persönlich geholfen, besonders der Hinweis auf das "Anliegen".
Was ich mit der Geschichte bezwecken wollte? Ich weiß es ehrlich gesagt selbst nicht. Ich denke wahrscheinlich war es die Spaltung zwischen den Soldaten, die leiden und sterben und der Generalität und den Honoratioren, denen nichts passiert, die aber feiern. Nunja ... :)

Gruß,
Von Hutten

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom