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Ratten und Gold

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18.08.2002
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Ratten und Gold

Einst rannte ein Mann dem Zug nach Sibirien hinterher. Er legte ein beachtliches Tempo an den Tag, trotz seiner Beleibtheit, seiner schweren, schäbigen, gar rissigen Kleidung, ja trotz des Köfferchens, das er trug. Er lief so geschwind über die morschen Gleisschwellen, dass das olympische Komitee ihn wegen mutmaßlich unlauterer Mittel disqualifiziert hätte. Passagiere am Schlussfenster, mit Zigarettenspitze und Champagnerglas ausgestattet, schnitten ihm Grimassen.
Der Schaffner, der den Mann bald sah, hatte Mitleid und ließ den Zug schließlich anhalten.

Bei einem Kaffee durfte er ein bisschen verschnaufen. Aber alle mieden ihn, suchten mit zugehaltener Nase das Weite, auch der Koffer verbreitete einen penetranten Gestank.

Der Chefsteward entschied, dass sich der Mann im luxuriösen Badesalon frischmachen sollte, denn der »standesgemäßere« war unpässlicherweise nicht verfügbar: Im Badeabteil verpeitschte gerade eine Latexdame ihr »Nilpferdchen«, das einen Knebel im Mund trug und Windeln aus dicht gewundenen Dornengummidraht, aber beide waren derart konzentriert bei der Sache, dass sie weder den Steward noch den Mann in der Tür bemerkten.

Mürrisch wies der Steward über Whirlpool und Regendusche und Massageliege mit Mädchen daneben, das aber, mit Verlaub, dieses Mal nicht augenzwinkernd mit der Zunge über die konturierten Schlauchbootlippen fahren wollte. Der Koffer wurde konfisziert, was der Mann mit einem Grummeln und einem markigen Schimpfwort quittierte.

Im Gepäck, das ergab eine Untersuchung durch das Personal, befanden sich eine Menge halb verwester Rattenkadaver und unter einer Samtdecke war die ganze Rückwand mit Goldbarren belegt.

In Freuden versunken, bekam der Mann von den Kämpfen der Belegschaft nichts mit, nicht einmal von dem Schuss, der zu aller Gunsten fiel.

»Djeduschka, in deinem Koffer befanden sich tote Ratten. Sie wurden aus dem Zug befördert. Dein Einverständnis durften wir freundlicherweise annehmen.«
»Und was ist mit dem Gold?«
»Wie, Opi, welches Gold?«
»Siebzig Feinunzen Gold.«
»Sergej, waren in dem Koffer Goldbarren?«
Schulterzucken, mitleidiges Kopfschütteln, Unschuldsmiene. »Da waren nur eine Villa und eine Garage inklusive einem Aston Martin drin eingepackt.«
Allgemeines Gelächter. Auf den Witz hin ging der Wodka reihum, »sa sdorovje«.
Djeduschka senkte den Kopf. »Das ist Zaubergold.«
Die Zugbegleiter hielten sich erneut die Bäuche vor Lachen, klopften ihm auf die Schulter. Noch eine Runde, tost und sa sdorovje.
Dann kramte einer in der Tasche und sagte zu Djeduschka: »Hier, guck mal, kennst du das?«
»Ein Zauberwürfel.«
»Aus Gold. Also zumindest neun Flächen, neun andere aus Rubin, neun aus Silber, neun aus Anthrazit, aus Diamant und Smaragd, hier, fang! Viel Spaß damit in deiner Kabine, die du nicht verlassen wirst, einverstanden?«

Auf dem Weg zur Kabine stiegen sie über den Chefsteward, der den Gang versperrte. Er hatte ein rotes Loch in der Stirn, und der schöne Teppich war besudelt.

Da saß er nun, in einer durchaus annehmbaren Kabine mit Marmorwaschbecken und Vollwandspiegel auf seinem frisch bezogenen Bett und drehte gelangweilt an dem blöden Würfel herum.
Es klopfte.
Man reichte ihm den lädierten Koffer herein. Darin war natürlich nicht einmal ein Dankesschreiben für die edle Spende an die Eisenbahngesellschaft. Aber das kümmerte ihn nicht ernsthaft; abwarten und – übrigens, stellte er fest, gab es in der Kabinenbar auch einen Samowar.

Djeduschka schreckte aus einem Nickerchen hoch. Hektische Rennerei auf dem Gang, »Ratten!« kam es hysterisch aus Damenkehlen, es gab Gekreisch, Gewimmer und Gefiepe, Gewehrsalven.
Er gähnte herzhaft. Die Ratten plagten emsig die Gesellschaft, überfielen gefräßig Waggon für Waggon und pinkelten Gold. Sie erleichterten die Leute in Windeseile um Samt und Seide, um alles Essbare, um Schuhe und Uhren und Hüte und Flaschen mit Hochprozentigem, um Gewehre im Anschlag, um Nippsachen und Geschmeide. Wer das ölige Fell der Tiere auch nur versehentlich berührte, dessen Haut verwandelt sich zu Gold und juckte, dass er sie vom Fleisch abschaben wollte. Schließlich liefen alle nackt und blutig gekratzt durch die Gänge der leeren Waggons, der Steward lag da immer noch, bis zur Unkenntlichkeit zertrampelt.

Djeduschka hatte inzwischen bemerkt, dass die Tür, nicht abgeschlossen war. Schöne Arrestzelle. Er öffnete sie einen Spalt breit. Schon zwängte sich die erste fettgefressene Ratte hindurch und schleppte sich müde – plumps! – in den bereitgelegten Koffer in der Mitte der Kabine, um gleich darauf zu schnarchen. Es dauerte ein Weilchen, doch eine nach der anderen, siebzig an der Zahl, kamen wieder zurück. Sie verschmolzen zu einem stattlichen Fleischberg, der sich wiederum ordentlich zu Standardbarren zerteilte. Von denen blätterte das Grau ab und das Gold kam zum Vorschein.
Obwohl der Koffer nun so viel wiegen mochte wie ein Braunbär in der Taiga, hob Djeduschka ihn spielend auf die Ablage.

 

Besser spät als nie – denn da hab ich wohl noch auf einen Nachfass gewartet, weil du sagtest, du wolltest die anderen Komms noch lesen – danke für deinen. Bitte versteh, dass ich meinen Text nicht mehr ändern möchte. Und mit gewundenen Erklärungen, wie mein Text zu lesen sei, möchte ich meine Leserschaft auch nicht nerven, machen sie den Text ja nicht besser.

 

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