Nun, was könnte ich zu dieser Diskussion beitragen, was nicht bereits gesagt wurde bzw. noch gesagt werden wird?
Meiner ehrlichen Meinung nach gibt es kein heikleres Genre als Horror.
Lass einen Typen seiner Freundin einen Heiratsantrag auf Hawaii machen, während "die Sonne wie ein Feuerball im glutroten Meer versank und sie sich leidenschaftlich küssten" (wollte ich immer schon mal schreiben - danke für den Thread!) und du erzeugst Romantik.
Lass die Freundin von einer herabfallenden Kokosnuss sterben, während sie ein "Ja" haucht und du erzeugst Dramatik.
Lass den Typen sich beim Reden verhaspeln und du erzeugst Komik.
Aber wie erzeugst du Horror? ECHTEN Horror? Nicht einfach einen Ekeleffekt, ein "Oh! Das hätte ich jetzt aber nicht gedacht, dass ein Hai aus dem Wasser springt und ihm den Schniedelwutz abbeißt"?
Das Gefühl des Horrors ist das am Schwierigsten zu Erzeugende. Leider verwechseln viele Horror mit Ekel. Natürlich ist es eklig, eine Seite lang darüber zu lesen, wie jemand von einem Monster ausgeweidet wird oder bei einem Untoten die obligatorischen Maden sich durch das verwesende Fleisch fressen.
Aber Horror???
Da musst du den Leser direkt an der Gurgel packen. Und wie geschieht das? Meiner Erfahrung nach dadurch, indem man einen realistischen Hintergrund mit bizarren Elementen durchdringt.
Es gibt wohl Millionen Vampir-Geschichten, aber nur ein "Brennen muss Salem"! Worin unterscheidet sich Kings Werk von allen anderen? Natürlich darin, dass er sich auf den von ihm bewunderten Lovecraft besann und das Übernatürliche einfach in den "Alltag" integrierte. Wir fiebern nur dann mit, wenn wir das Gefühl haben: Das könnte auch uns passieren! Eines seiner besten Werke lieferte er mit "Der Nebel" ab. An sich eine dämliche Monster-Geschichte, die aber von einer uns wohl allen bekannten Prämisse lebt: Was verbirgt sich hinter dem Nebel, den wir schon als Kinder als DAS Synonym für das Geheimnisvolle erachteten, vor dem wir uns doch, seien wir ehrlich!, auch als Erwachsene noch fürchten ... Wenn man alleine auf der Straße unterwegs ist ... Dichter Nebel herrscht ... Stille, nur von den eigenen Schritten durchbrochen, deren Widerhall akustisch verzerrt klingt ... Und urplötzlich merken wir, dass wir nicht alleine unterwegs sind ... Klack - Klack -...
Meine allererste Geschichte war - wie überraschend! - eine Horrorgeschichte. Damals hielt ich sie für gut, und noch heute finde ich den Plot eigentlich recht ansprechend. Aber die Ausführung! Grauenhaft! Eine der miesesten, jemals geschriebenen Geschichten. Und fast allen Anfängergeschichten ähnlich, indem zwar die Zutaten stimmen, aber nicht die Mischung.
Selbstverständlich ist die Grundstimmung "realistisch": Normale Familie in einer normalen Stadt. Dann kommt das Monster - huh! Und die Geschichte ist nur noch Müll, weil sich das Übernatürliche völlig lächerlich in das "Realistische" einfügt, und zwar mit der Brechstange und so subtil wie ein Schlag auf den Kopf. Das Problem mit solchen Geschichten ist, dass sie entweder eine idiotische "Gruselstimmung" erzeugen wollen, die allenfalls zum Lachen reizt, oder krampfhaft versuchen zu erklären, wie das bei erwähnter Geschichte der Fall war. Erst später merkte ich, dass man auch "zu viel" erklären kann. Irgendwann merkt selbst der dümmste Leser, wie unbedarft die Erklärungen sind, wie weitmaschig das geknüpfte Netz der Logik ist.
Der springende Punkt ist also der, eine halbwegs realistische Situation zu schaffen, die dem Leser halbwegs vertraut ist. Nur so kann er sich die Story "hineinversetzen" und sich der Situation wie auch den Protagonisten vertraut fühlen.
Aus diesem Grund mag ich auch weder Fantasy-Stories noch SF à la StarWars: Diese Welten lassen mich emotional völlig kalt. Wie schön - der Hexer X reitet auf seinem Drachen ins Land Y und kämpft gegen die böse Z-Wesen. Gähn... Oder ein amerikanischer Held teleportiert sich auf einen fremden Planeten und killt mit seiner Laserkanone ein schröckliches Ungetüm... Gähn...
Ungleich spannender zB die "Alien"-Reihe: Ein paar völlig "normale" Raumfahrer werden mit einem Monster konfrontiert. Und obgleich die Handlung auf einem fremden Planeten bzw. in einem Raumschiff spielt gelingt es ihr, "realistisch" zu bleiben. Die Crew benimmt sich "menschlich", streitet herum, wächst einem ans Herz. Das Monster lässt einen deshalb um so mehr gruseln...
SF ist meiner Ansicht nach ungleich "einfacher" zu konstruieren: Ich abstrahiere in meinen Geschichten Gegenwart sowie Vergangenheit, weshalb die "Zukunft" nicht darin besteht, dass alle Menschen in fliegenden Autos reisen oder sich jeder eine Reise zum Mars oder einen eigenen Haushalts-Androiden leisten kann.
Die Wirklichkeit der Zukunft besteht für mich darin, dass es - wie in allen westlichen Kulturen seit jeher! - eine kleine Schicht an Reichen, Mächtigen gibt, die sich dem technischen Fortschritt hingeben können, während der Rest bescheiden dahin dümpelt bzw. die Segnungen der Technik nicht mal wahr nehmen können. Milliarden Menschen auf dieser Welt haben NOCH NIE einen Telefonanruf getätigt, sind ohne Stromanschluss, werden niemals im Internet surfen können, geschweige denn, ein Flugzeug von innen sehen.
Das ist Realität. Und solche Welten halte ich für glaubwürdig.
Wenn ich einem Anfänger einen Rat geben könnte dann diesen: Fange NIE mit Horrorgeschichten an!!!