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Recyclinghof
Recyclinghof
Wer von ihnen verheiratet ist oder war, der weiß sicherlich wie schnell man einige Gewohnheiten annimmt um zeitgleich andere Gewohnheiten abzulegen.
Letzteres mit unter zum Leidwesen seiner besseren Hälfte.
Nehmen wir als „Vorbild“ den typischen Jung-Ehemann von heute.
Gerade mal ein Jahr verheiratet und er setzt sich für sein kleines Geschäft auf die Toilette, anstatt wie jahrzehnte vorher und Millionen anderer Ehemänner vor ihm, stehender Weise der Natur ihren Lauf zu lassen.
Warum fängt er eigentlich ausgerechnet jetzt damit an, wo er die wirklich ekligen Tropfen neben der Toilette nicht mehr selbst wegwischen muss?
Ich kann es ihnen verraten, aus purer Angst vor seinem Eheweib.
Die alte und sehr angenehme Gewohnheit sich mit seiner Junggesellenbande hoffnungslos und ungehemmt zu betrinken lässt er hingegen fallen!
Warum frage ich mich?
Nun, dieses mal nicht aus Angst sondern aus Rücksichtnahme seiner Frau gegenüber.
Verstehe einer die Männer.
Jetzt mögen einige denken ich, der ich diese Zeilen schreibe wäre eine Art Macho und damit die große Ausnahme – weit gefehlt!
Bei mir ist es schlimmer als ich es mir selbst eingestehen will, denn die soeben beschriebenen Situationen beziehen sich auf mich.
Da ich jedoch bereits fast fünf Jahre verheiratet bin, schlagen die Wellen der Hilflosigkeit ein bisschen höher.
Sie kennen es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genauso gut wie ich, auch die größte Wohnung platzt irgendwann aus den Fugen, wenn man sich nicht von einigen Gegenständen zu trennen vermag.
So auch die unsrige.
Samstagmorgens halb zehn in Deutschland.
Das Wetter ist sehr durchwachsen mit starkem bis sehr starkem Hang zu - Nass, und mit wenig bis gar keinem Hang zu – Trocken.
Als Ehepaar sitzen wir beim Frühstück und genießen trotz allem das beginnende Wochenende bei einer frischen Tasse Kaffee und knusprigen Brötchen.
Da – auf einmal durchzuckt meine Frau ein gewaltiger Geistesblitz.
„Weißt du was wir heute auf jeden Fall noch erledigen müssen?“
Da ich weder Gedanken lesen kann noch zum Berufsstand der Hellseher gehöre muss ich passen und frage etwas zurückhaltend und durchaus ängstlich: „Nein, was denn?“
„Wir werden das Kämmerchen und den Keller entrümpeln, dort hat sich soviel angesammelt das man kaum noch treten kann.“
Meinen gerechtfertigten Einwand: „Warum stört es dich, ich muss doch immer in den Keller gehen um Sachen zu besorgen!“, verkneife ich mir da ich mich so oder so nicht wehren kann.
Da meine Holde das Schweigen als Zustimmung wertet steht das Tagesprogramm fest.
Das Ausräumen der beiden Räume dauert nicht viel länger als der Marsch Hannibals über die Alpen und ob sie es glauben oder nicht es hat auch eine gewisse Ähnlichkeit aufzuweisen.
Das Bild welches ich beim Versuch in den Keller zu kommen abgebe und die Situation in der mich meine Frau retten kommen muss ähneln doch sehr stark an die Elefanten im Gebirge.
Die Augen meiner Frau sehen mich sehr wahrscheinlich genauso überrascht und verständnislos an, wie die der Lastentiere Hannibals als sie registrierten was er mit ihnen vorhatte.
Nachdem nun die Räumlichkeiten entrümpelt und meine Blessuren verarztet waren, widmeten wir uns dem längeren Teil unserer „Freizeitbeschäftigung“ nämlich dem sortieren.
Ich bin jemand der sich nur sehr schwer von Dingen trennen kann, die eventuell noch brauchbar sind oder zumindest nicht wirklich störend in der Kammer stehen.
Außerdem musste ich in der Vergangenheit mehrfach die leidvolle Erfahrung machen, das ich Gegenstände, die man Monate lang nicht benötigt hatte, ca. eine Woche nach ihrer Entsorgung händeringend suchte und sie schlussendlich durch teure Neueinkäufe ersetzten musste!
Wie dem auch sei, wir begeben uns an das Sortieren.
Nachdem wir fertig sind stellen wir zu unserer großen Überraschung fest wie schnell wir doch waren.
„Tja, wir haben uns halt nur vom Mittagessen, Abendessen, natürlich der notwendigen Nachtruhe sowie dem Sonntagsbrunch abhalten lassen“, stelle ich am Sonntagnachmittag nicht ganz ohne Stolz fest.
Die Tatsache, dass unsere Wohnung aufgrund diverser Stapel, von nicht mehr nachvollziehbaren Sortiervorgängen, in einem Zustand ist der sich nur wenig von dem Berlin´s in den frühen 40iger Jahren unterscheidet lässt uns ein wenig resignieren.
„Wir haben es geschafft!“, stellt meine Holde nur kurz und knapp fest. Zwar bin ich der Meinung das es eher umgekehrt ist aber noch bevor ich meiner Überzeugung Ausdruck verleihen kann, sehe ich mich der nächsten Dienstanweisung gegenüber die da lautet: „Ab damit ins Auto und zum Recyclinghof.“
Meine Liebste hilft mir zwar dabei, die säuberlich sortierten und dennoch überflüssigen Gegenstände aus mindestens drei Jahrzehnten in unseren, mittlerweile umgebauten Kombi zu tragen aber es nimmt trotzdem den Rest des Sonntags in Anspruch.
Da ich mit offenen Augen durch die Welt laufe und nicht das schlechteste räumliche Vorstellungsvermögen besitze fällt mir recht schnell auf das wir mindestens zwei bis dreimal zum Recyclinghof fahren müssen um all unsere Sachen los werden zu können.
Kurz vor dem zu Bett gehen rufe ich noch eben meinen Kollegen an und nehme für den nächsten Tag Urlaub.
Der Morgen danach folgt für alle viel zu schnell und so nehmen wir wenig motiviert den Weg zur, so viel gepriesenen, Mülltrennungsstelle in Angriff. Die Tatsache das ich kaum in unseren, zum Tieflader gewordenen, PKW hinein passe wird nur noch von dem Regen, der von Sturmböen getrieben vom Himmel fällt und den guten Ratschlägen meiner Frau übertroffen.
Erwähnenswert ist es ebenso, dass ich noch nie dort war und ich mich nur an die Beschilderung halten kann um überhaupt an das Ziel zu gelangen.
Da alles nicht so heiß gegessen wird wie es gekocht wird erreichen wir den Recyclinghof nach nur zweimaligem Verfahren und einer zwanzig minütigen Pause im morgendlichem Berufsverkehr.
Die Einfahrt auf das Gelände lasse ich dummerweise ersteinmal rechts liegen, da ich durch den Regen das Schild übersehen habe. Somit muss ich wenden und dem Gegenverkehr die Vorfahrt überlassen.
Die vor fünf Sekunden noch verwaiste Einfahrt ist nun brechend voll und es geht nur sehr schleppend vorwärts.
Ist man endlich direkt vor dem Hof angelangt, wird man von einer hübschen und zugleich netten jungen Dame in Empfang genommen die uns nach dem Inhalt unseres „Müllwagens“ befragt.
Artig und gut Erzogen, wie ich bin, möchte ich detailliert antworten doch ich werde sofort durch meine Ehefrau und dem Wort: „Haushaltsmüll!“ unterbrochen.
Durch dieses scheinbare Losungswort öffnet sich die Pforte und wir erhalten Einlass. Wie sich für mich herausstellen wird ist es nicht die Pforte zum Recyclinghof die sich öffnet sondern vielmehr das „Tor zur Hölle“!
Wir fahren an unzähligen Containern und diversen Ablageorten vorbei um zentral in der Mitte anzuhalten und uns somit die kürzesten Wege zu reservieren. Meine Frau fragt mich noch, wie ich es immer wieder schaffe die guten Parkplätze zu ergattern und das bei einem solchen Getümmel, doch diese Frage bekomme ich nicht mehr mit.
Behände steige ich vorher aus dem Wagen, öffne den Kofferraum, schnappe mir einen Karton und gehe im strömenden Regen zielsicher auf einen der größten Container zu der auf dem gesamten Gelände zu stehen scheint.
Siegessicher auch diese mir gestellte Aufgabe gemeistert zu haben nehme ich Schwung um den Karton hinein zu Schmeißen. Unmittelbar bevor ich meinen Unrat samt Behältnis loslasse, sehe ich das am Container befindliche Schild auf dem in großen Lettern zu lesen steht : „PAPIER“ und ich beginne zu verstehen.
Ein wenig geknickt, leicht säuerlich und stark durchnässt mache ich kehrt und schmeiße den verdammten Karton ins Auto.
Die Türe laut zuschlagend setze ich mich zu meiner, im trockenen sitzen gebliebenen, Gattin und muss mir die Frage nach dem warum gefallen lassen.
„Weist du eigentlich warum hier schätzungsweise eine Millionen Container blöd in der Gegend herumstehen?“, die Antwort nicht abwartend setze ich fort: „Weil man jeden Mist separat wegwerfen muss, verstehst du? Alles was wir so in unseren Kartons und Tüten gesammelt haben müssen wir gesondert entsorgen!“
Es versteht sich von selbst das ich an einigen Mülltonnen bereits vorbei gefahren bin, denn ich Trottel musste ja in mitten des Platzes parken. Auch das wäre nur halb so schlimm, wenn, ja wenn nicht bereits Tausende von Idioten hinter mir beginnen würden zu randalieren, weil ich alles blockiere.
Kurzerhand entschlossen fahre ich dem vorgegebenen Weg entlang und lande - außerhalb des Recyclinghofes.
Mit den Nerven fast am Ende, erinnere ich mich an die schönen Tage in meiner Heimatgemeinde.
Mit ungefähr 150.000 Einwohnern ist sie noch angenehm überschaubar und verfügt über dieses hinaus auch über eine der tollsten Erfindungen der heutigen Wegwerfgesellschaft – einer Müllverbrennungsanlage!!!
Ich teile meiner „sehr“ mitfühlenden Reisebegleitung mit, dass wir uns nun auf den Weg dorthin machen werden und ernte nur Stille. Eine kluge Frau weiß eben wann sie den Mund halten muss.
Die rund dreißig Kilometer legen wir in gemütlichen fünfundzwanzig Minuten zurück und reihen uns, an der Müllverbrennungsanlage angekommen, in eine Schlange von gut und gern fünfzig Autos hübsch ordentlich ein.
Nach rund drei Stunden „Kennzeichen raten“ (sie wissen schon: „Wo kommt der her?“) und kurz vor Feierabend sind wir, nach Bezahlung unseres Obolusses, an der Reihe.
Der unaufhörliche Regenschauer stört uns aufgrund der überdachten Rampe nicht im geringsten und was das schönste an dieser Anlage ist, ist die Tatsache, dass man alles auf einmal hineinschmeißen kann. Keine Mülltrennung, keine unsinnigen Zettel mit Worten wie: „PAPIER“ – „PLASTIK“ – „FARBE“ – „GARTENABFÄLLE“ – „TAPETENRESTE“ –„ALTGLAS“ und soweiter und soweiter.
Auf der Rückfahrt bemerkt meine Holde, dass sie sich gewundert hat warum die Autos fast ausschließlich auswärtige Kennzeichen hatten und aus einem Umkreis von gut und gern fünfzig Kilometern kamen.
Als Antwort darauf viel mir nur ein Wort ein: „RECYCLINGHOF!“