Regentag
Schon wieder regnet es draußen. Missmutig schaut Daniel aus dem Dachfenster und beobachtet die Tropfen, die in geringen Abständen, auf die Scheibe prasseln. Schweigend rekelt er seinen, nach seiner Meinung nach, viel zu schlaksigen Körper im Schreibtischstuhl und streicht eine zu lang gewordene, schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. “Was soll ich nur heute wieder mit mir anfangen?“, denkt er seufzend und lässt seinen Blick durch das karg möblierte Zimmer schweifen. Dabei bleiben seine Augen auf dem Computer haften, das wohl einzig wertvolle Gerät, das sein Zimmer hergibt und das ihm auch ziemlich heilig ist.
„Nein, ich kann nicht schon wieder Empire Earth spielen“, denkt er sich und richtet sich auf. „Erst einmal eine Kleinigkeit essen“, entscheidet sich Daniel. So schleppt er sich die wenigen Schritte bis zur Küche voran und bleibt vor dem Kühlschrank stehen. Bei dem Anblick des Kühlschranks jedoch, verdunkelt sich seine Miene: „Scheiße ich hätte noch einkaufen gehen müssen“, kommt es ihm urplötzlich in den Sinn. Aus diesem Grund müssen vorerst die letzten Cornflakes vom Frühstück reichen. Knabbernd setzt er sich, mit einer Schüssel, vor dem Fernseher hin. Nachdem er aufgegessen hat und von einem zum anderen Kanal gezappt hat, beschließt Daniel, sich doch vor den PC zu setzen, aber nicht um zu spielen, sondern um im Icq ein wenig Kontakt zur Außenwelt zu bekommen.
„Hoffentlich ist Marina online“, wünscht er sich insgeheim. „Es muss doch mal was werden mit einer Frau, schließlich bin ich schon zwanzig“, stellt Daniel erschreckend fest. Schnell fährt er nun seinen Windows XP hoch und loggt sich im Icq ein. „Marina“ liest er in grünen Buchstaben auf seiner Kontaktliste. Er kann ein Grinsen nicht unterdrücken und schreibt zugleich ein freundliches „Hallo“. Einige Sekunden Später erhält er Antwort: „Hallo Daniel! Wie geht es dir? Ich hab dich lange nicht mehr gesehen, was machst du eigentlich so den ganzen Tag?“.
Genau das fragt er sich auch, als er die Sätze liest. „Was soll ich ihr denn jetzt schreiben?“, grübelt er. „Am besten die Wahrheit!“, denkt er und beginnt sich ihr anzuvertrauen:
„Mir geht es nicht so gut. Ich weiß in Moment nichts mit meinem Leben anzufangen, d.h. Ich sitze den ganzen Tag in meiner Wohnung und mache gar nichts. Seitdem ich letztes Jahr mein Abi in der Tasche habe, ist bei mir nichts vorangekommen und seitdem habe ich meine Freunde auch ein wenig aus den Augen verloren. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder was unternehmen und neu anfangen. Was meinst du?“ Zitternd klickt Daniel auf Senden. Er hat es noch nie so deutlich ausgesprochen und sich klar gemacht, wie es um ihn steht. Um so mehr ist er jetzt aufgeregt und gespannt, wie Marina, eine sehr „Liebe“ aus der damaligen Schulzeit, reagieren wird. Mit aufkommenden Schweißperlen auf der Stirn starrt Daniel auf den Bildschirm und da ist sie auch schon, die Antwort: „Hast du Lust morgen um 10.00 Uhr mit mir zu frühstücken? Da lässt es sich besser reden“. Mit so einer Antwort hatte Daniel nicht gerechnet. Eine Welle der Erleichterung und des Glücks durchströmt ihn. „Natürlich habe ich Lust“ und genau das schreibt er ihr auch zurück. „Was ein bisschen Mut zur Wahrheit schon bewirken kann“, denkt Daniel und lehnt sich zufrieden in seinem Schreibtischstuhl zurück. „Ab morgen wird alles anders“, nimmt er sich vor und beobachtet nochmals die Tropfen auf dem Fenster, die nun aber zu tänzeln scheinen.