Regentränen
Unaufhörlich trommelt der Regen gegen mein kleines Dachfenster. Gibt mir den Takt an, für mein leises Atmen und Schluchzen. Tropf -tropf -tropf -tropf…
Ein Regentropfen, eine Träne, ein Regentropfen, eine Träne.
Ruhig und gleichmäßig formt sich diese Musik aus Trauer und Wetter.
Passe ich mich dem Regen an, oder passt sich der Regen mir an?
Regnet es weil ich traurig bin, oder bin ich traurig weil es regnet?
Habe ich denn Grund traurig zu sein, oder soll ich die Sonne scheinen lassen?
Warum scheinst du nicht? Ist es nicht der der Regen der mir Grund zur Trauer gibt?
Meine Augen brennen, ich kann nicht atmen, weil die Traurigkeit meine Luftröhre verstopft…
Heute Morgen bin ich aufgewacht und einen kleinen Moment war die Welt in Ordnung.
Der süße Augenblick, wenn dich der Schlaf ganz langsam verlässt, man ausgeschlafen hat und sanft ins Leben zurück gleitet. Dieser kurze Moment machte mich glücklich. Ich öffnete die Augen einen Spalt und schaute durch meine Wimpern in die verschwommene Welt. Schön sah sie aus. Ein Gemisch aus Farben und Formen, die nicht beengt wurden durch scharfe Linien, klare Begrenzungen, Zeit und Raum. Da waren die Wellen noch frei ihr Licht zu schicken wohin sie wollten. Doch ich habe das teure Schälchen aus Licht fallen lassen. Ich habe die Augen zu weit geöffnet und alles zerstört.
Wut überkam mich, Wut und Hass. Ich hasste mich dafür, dass ich dem Licht seine Freiheit genommen hatte.
Ich rieb meine Augen. presste sie zusammen, drückte mit den Händen auf sie, in der Hoffnung meinen Fehler auszugleichen.
Ich raufte mir das Haar, bohrte meine Fingernägel tief in meinen Unterarm, wartete auf den befreienden Schmerz, der nicht kam.
Und ich fragte mich warum ich den Schmerz nicht spüren darf und es wurde mir klar. Weil ich Schuld bin.
Meiner Wut wurde folgten tiefe Schuldgefühle.
-Ich wollte das alles nicht, komm wieder Licht, ich werde dich ziehen lassen, du wirst frei sein.
Ich wiegte mich apathisch vor und zurück. Leise summte ich ein Lied und schloss die Augen. und es wurde dunkel.
Ich wollte einen Weg finden aus dieser Scham, wollte endlich traurig sein können, oder glücklich. Nur nicht länger diese Schuldgefühle ertragen.
Ich schämte mich zu sehr für das was ich getan hatte um aufzublicken, doch über meine Melodie hörte ich ein leises Klopfen, eher ein Pochen.
Ich verstand und öffnete hoffnungsvoll die Augen.
Tropf- tropf –tropf- tropf… Leise pochte der Regen an mein Fenster, ließ die scharfen Häuserkonturen schmelzen und meine zarten Wimpern erweichten meinen Blick. Und endlich konnte ich weinen.
Weinen darüber, dass ich weinen musste, weinen darüber, dass es regnete und nicht die Sonne schien, weinen darüber, dass ich alleine bin und dem Licht Unrecht getan habe.
Der süße Schleier feuchten Salzes legte sich über meine Augen und ich konnte meine Fehler ungeschehen machen. Jetzt bin ich traurig und der Regen weint mit mir im Takt.
Tropf –tropf –tropf- tropf… Die Trauer die mich überkommt scheint mich zu umarmen, hält mich fest im Arm und lässt keinen Raum mehr für Schuld und Scham. Wie schön ist diese Traurigkeit, wie erholsam mein Weinen.
Dann lächelt mich die Sonne an und scheint zu rufen: „Siehst du, jetzt kannst du glücklich sein! Jetzt darfst du vergessen, das Licht hat dir verziehen.“
Ich lächle sanft und wissend.
-Liebe Sonne, du verstehst das nicht… Wenn mir das Licht verziehen hat und ich wieder lachen kann, werde ich doch bald die Stille verletzen...
Ich blicke aus dem Fenster, der Regen tröpfelt nur noch leise, die Sonne will ihn vertreiben, will mir meine Trauer nehmen, macht sich den Regenbogen zum Komplizen. Doch für heute hat mich der Regen gerettet. Er gab mir den Grund zur Trauer, den mir der Morgen genommen hatte.