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Reintour
„Du, Sepp“, Wastl stieß seinen Kumpan unsanft in die Seite und erntete damit einen kurzen, Luft schnappenden Schnarchakkord. Schlaftrunkenes, undeutliches Gebrummel folgte: „Jo, mei …“, dann sank Josephs Kinn, der Schwerkraft gehorchend, wieder in Richtung Brustkorb. Und erneut begannen die gleichmäßigen Auf- und Abbewegungen seines recht umfänglichen Bauches, begleitet von gemütlichen Prustern. Dem kunstvoll nach oben gezwirbelten Schnurrbart war, genau wie seinem urigen Träger, jegliche Vorstellung von Standhaftigkeit abhanden gekommen. Und so zitterte er bei jedem neuen, fahnenbehafteten Ausstoß verbrauchter Atemluft schlaff und derangiert vor sich hin.
Die kleine Reintour, hier mal rein und da mal rein, forderte ihren Tribut …
„ Mei, Sepp!“, ungeduldig setzte Sebastian mit dem Ellbogen nach. „Ez mach, dass d´ aufkummst! Dös Filmerl is a so was von depperter Amischeiß, dös lockt ka Katz nich hinterm Haferl vor! Dös is vui zu dep … , zu … , jo, wos glei? - Depressionistisch! Auffi, Sepperl, geh mer hold noch amoal in d´Schwemm nüber, af a Glaserl Glühwein!“
Auf Joseph, der von Wastls Remplern bisher nicht aus seinem Tiefschlaf erweckt werden konnte, wirkte das Zauberwort ´Glühwein`, wie weiland ein prinzlicher Kuss auf die verschlafene Prinzessin mit den zwei linken Händen: Er setzte sich auf, war schlagartig hellwach und aktionsbereit.
Die Beiden schälten sich, umständlich aber einvernehmlich, aus den Sitzen des nur sehr mäßig besuchten Kinos, wo sie ihren pflastermüden Füßen eine kleine Auszeit gegönnt hatten. Sie machten sich auf den Weg zur nächsten Glühweinbude.
„Zwoa“, gab Sepp dem Verkäufer Bescheid und hob zur Unterstützung seiner Bestellung die Hand zum Victory-Zeichen.
Wastl verzog sofort nach Probieren des Gebräus ärgerlich den Mund: „Dös ziecht eim fei samtigliche Löcher szamma! Host dei Plörre fei scho a moal selber g´suffa?“
Der Mann am Tresen brauchte, zusätzlich zum Abkassieren, Ausschenken und zur Bestellaufnahme keine Anmache von der Seite. Mit einer genervten Kopfbewegung wies er zum Ende des Schanktischs, wo in einem kleinen Bastkörbchen das Zuckerdepot für unverbesserliche Süßhähne eingelagert war. Sollten sich die Heinis doch ihren Wein selber versauen ... Sebastian griff sich eine handvoll Tütchen und das Duo setzte sich in Bewegung, wanderte vorbei an unübersichtlichen Verkaufsständen, drückte sich durch lachende Menschentrauben.
„Un ez?“, fragte Joseph, als das letzte Tröpfchen Wein vernichtet war und die Pappbecher verloren einem neuen Morgen und den Rittern von der Müllabfuhr entgegenträumten. „Woas treib mer nacha ez?“ Wastl erinnerte an den goldgelben Cadillac, um den sie, es war gerade mal zwei Mass und geschätzte drei Gühwein her, bewundernd herumgeschlichen waren. Den könne man ja zum Ausklang des gemeinsamen schönen Tages noch ein wenig ausprobieren. Gesagt – getan. Dieses wunderbare Schmuckstück von Automobil hatten die Beiden bald wiedergefunden, und sich ohne große Umstände in den Lederpolstern breitgemacht. Wastl, der noch etwas besser beisammen war, beanspruchte den Fahrersitz und fummelte fluchend „Saglzemend, wuist scho oageh´!“, und nach den richtigen Drähten tastend, unter der Konsole herum. Urplötzlich, kam Bewegung in den Cadillac. Sepp und Wastl genossen das sich stetig erhöhende Tempo, die an ihnen vorbeisausenden Häuser, Menschen und Bäume und den Fahrtwind, der kraftvoll durch die Gamsbärte strich und sie mächtig aufpuschelte.
„Du, Wastl, ziech amoal ebbes links nieber!“ Joseph war der Schreck ins Gesicht geschrieben. „Oa meiner Seitn is doa a vui große Feierwehr, die bumst mer glei oa mei Tür!“ Sebastian konnte Seppels Wunsch nicht nachkommen.
„Jo mei, Seppl, spinnst? Siegst net? Af meiner Seitn is derer a Mordsabhang! Wuist, doas mer da nunter poltern? Un schau a moa arschlings!“ Was dem Bastl Schauer übers Kreuz jagte, war nicht nur der Blick in den Rückspiegel, sondern ein scharfes, eiskaltes Lüftchen, das eindeutig der Schraube des silbernen Hubschraubers zuzuschreiben war, den sie im Schlepptau hatten.
Der Heli würde ihnen womöglich gleich die Hüte, vielleicht auch noch ein Stück von dem, was drunter war, im Tiefflug wegschnitzeln.
„Kruzidiaggn, die wuin uns oa de Kroagn. Mach hi, Wastl, mach fei eweng hurtiger!“ Nicht mehr, als ein frommer Wunsch war das, denn auch für die Flucht nach vorn war der Spielraum ausgereizt: Vor ihnen, direkt auf ihrer Fahrbahn, trabte eine gewaltige Sau um ihr Leben.
„Jessas, dös Viech is sua mächtich wia a Breigaul!“ staunte Sebastian.
“Do kimmer nimmer aus! Mer kumm in Teifeskich!” wimmerte Joseph und überschlug sich förmlich beim Kreuzerlschlagen. „Hoast fei dös falsche Tüterl am Ausschank derwischt? Un die vermaledeitn Mafiosi wuin ihre Pülverchen zruck! Un, sitzn mir ez, kruzifix, ebs in derern Cadillac?“
Verzweifelt und aussichtslos war die Lage: Links der steile Abhang, von rechts bedrängte sie, warum auch immer das große Feuerwehrauto, hinten, bfft, bfft, bfft, spürten sie schon den Luftstrom der Rotoren. Und die monströse Sau, der sie nun wirklich nicht den Hintern touchieren wollten, trabte vorneweg.
„Sehepp! Waastl!“
„Horch, Wastl, i mein, dös wer mei Reserl g´west, die doa g´ruft hoat!“ Joseph wandte sich aufgeregt an seinen Chauffeur.
„Sehepp, Waastl!“
„Wo kimmt ez fei dös Waibsbuid her, dös abgefeimte?“
Die Resi aber konnte sich nur noch schwer unter Kontrolle halten. Ganz kurz hatte sie eine Bekannte begrüßt und schon waren die beiden Schwerenöter im unübersichtlichen Durcheinander verschwunden gewesen. Schon seit Stunden klapperte sie, die ihre Pappenheimer kannte, sämtliche verfügbaren Ausschankbuden ab. Und jetzt das! Wenn sie sich jetzt nicht beherrschte, war der Doppelmord komplett!
„Saubazis, depperte! Eich nehm i noch amoal mit zur Wasn!
Schleichts eich nunter vom Kinderkarussell! Auffi!
A Glühwein gibt’s a nimmer, Baggaludenvolk, dammischtes!
Schluss is mit Glühweinsaufen!“