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- 19.02.2006
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Resacro
Mirja lutscht an ihrem Bier und scannt die Gäste der Bar. Drei Männer kommen in die nähere Auswahl. Ein Anzug mit Laptop, die Krawatte gelockert, einige Whiskeys intus. Goldring. Ein Anzug am Tresen, ganz deutlich auf der Suche nach Anschluss, es kostet Mühe, seinem hungrigen Blick auszuweichen. Ein Anzug in einer ruhigeren Ecke, der sich Mühe gibt, sie nicht so offensichtlich wie der Rest anzustarren. Natürlich vergebens. Mirja kennt die Männer und weiß sich in Szene zu setzen. Heute spielt sie die lässige Biertrinkerin, das scheint dem Kaff angemessen. »Hallo Schönheit.« Es war klar, dass es einer der zwei Chauvis vom Eingangstisch bei ihr versuchen würde. Aber selbst wenn der Kerl allein gewesen wäre, käme er nicht in Frage. Gutaussehend, durchtrainiert, aber unter ihrer Preisklasse. Polo-Shirt, Jeans, siegessicherer Auftritt. Mit solchen Typen musste man kurzen Prozess machen, sonst wichen sie einem nicht von der Seite.
»Ich bin nicht interessiert.« Mirja straft ihn mit einem Blick, den Aleksander den Tritt-in-die-Eier-Blick getauft hat. »Na, na, nicht so voreilig ...«
»Ich bin verabredet. Zieh Leine!«
»Falls dein Lover nicht auftaucht, ich sitz ...«
»Welchen Teil von zieh Leine hast du nicht verstanden?« Mit einem gemurmelten »Schlampe« lässt der Typ von ihr ab. Zurück an seinem Platz lacht ihn sein Kumpel aus, aber das Polo-Hemd stimmt nicht ins Gelächter ein.
Der Anzug am Tresen ist Mirja zu nervös, Hemd und Hose haben schon bessere Zeiten gesehen, die Schuhe sind sorgsam geputzt, aber abgetragen. Der Kerl am Laptop flucht, während er auf die Tastatur einhackt, bestellt Knoblauchbrot. Krümel im Mundwinkel. Muss nicht sein, heute hatte sie Auswahl. Also der Anzug in der Ecke des Lokals. Verschämt, Durchschnittsgesicht. »Ist hier noch frei?« Der Kerl schreckt hoch, starrt sie an, krächzt dann ein »ja«, räuspert sich, wiederholt sein »ja«, macht eine unbeholfene Bewegung, die vielleicht ein Aufstehen-und-sich verneigen werden sollte, bringt die Geste aber nicht zu Ende, stottert: »Ich bin Janis, hallo.«
»Mirja, grüß dich.« Sie reicht ihm die Hand, gibt seine aber nicht sofort wieder frei und fragt mit hochgezogener Augenbraue: »Sag mal, kann es sein, dass du mich beobachtet hast?«
»Es ist nur ... ich hab dich hier noch nie gesehen und ...«
»Kein Wunder, ich bin zum ersten Mal in der Stadt. Nett hier, interessante Leute.« Sie zwinkert. »Leider muss ich morgen auch schon weiter. Bin nur auf der Durchreise.«
»Oh.«
»Ja, irgendwie schade.« Ein Seufzer. »Aber man kann auch in kurzer Zeit viel Spaß haben.« Sie rollt eine Locke am Zeigefinger auf, grinst etwas verlegen. »Also, hast du mich nur angeguckt, weil ich neu bin, oder ... gefall ich dir vielleicht?« Janis verschluckt sich fast an seinem Bier, wird rot, versteckt sich hinter seiner Flasche. Mirja weiß, dass sie eine gute Wahl getroffen hat. Allein die Krawatte sieht aus, als könnte man davon einen ganzen Abend die Zeche zahlen. Dazu die schüchtern-überforderte Art, ein leichtes Opfer. Mirja beschließt, gleich in die Offensive zu gehen.
»Ich sag, wie es ist. Ich bin abgebrannt und hab Spaß am Sex.«
Janis nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Flasche, verschlingt Mirja dabei mit Blicken.
»Ich weiß, ich bin keine große Schönheit », kokettiert sie, »aber ich habe andere Qualitäten.« Mirja lacht auf und fährt ihm wie zufällig mit der Hand über den Schenkel. Ihrem geübten Blick entgeht nicht die Ausbeulung im Schritt. »Oder gefall ich dir nicht?« Zeit für das Drama. »Oh mein Gott, ich mach mich hier voll zum Horst und du stehst gar nicht auf mich. Alles klar, ich lass dich in Ruhe. Vom andern Ufer, oder? Entschuldigung, ich dachte ...«
Mirja greift nach ihrer Handtasche, ist im Begriff sich zu erheben, da umschließt er ihr Handgelenk.
»Du gefällst mir. Bleib doch.« Sie setzt sich wieder, streichelt seine Finger. Janis‘ Griff ist erstaunlich fest. »Es tut mir leid«, stammelt sie. »Ich hab das noch nicht so oft gemacht ... Bin wohl etwas nervös.« Er grinst dümmlich, sagt: »Mich sprechen auch nicht so oft Frauen an, weißt du. Bin ein bisschen eingerostet.« »Da geht es uns ja ähnlich. Aber ich denke, ich werd schon die richtigen Knöpfe finden, damit du dich entspannst.« Sie kichert. »Also ... hast du das ernst gemeint. Das vorhin, ja?« »Ich weiß, es ist ein unmoralisches Angebot. Ich nehm‘s dir nicht übel, wenn das nicht dein Ding ist. Dann haben wir wenigstens zusammen einen Drink genommen und uns nett unterhalten.« Janis nickt bedächtig und ordert eine neue Runde. »Nun ja, machen wir doch vorerst zwei Drinks draus.« Es bleibt nicht bei den zwei Getränken und sie reden über Musik und Filme. Unverfänglich, Vertrauen aufbauend. Routiniert liefert Mirja dabei ihre Show ab: Kichern, mit den Haaren spielen, große Augen machen, Zwinkern, halboffener Mund, kurze Körperkontakte, wenigstens einmal der Schmollmund. Die relevanten Informationen zieht sie ihm nebenbei aus der Nase: Banker. Geschäftlich in der Stadt, im Hotel abgestiegen. Nicht weit von hier. Volltreffer. Mirja ist amüsiert über Janis‘ Bemühungen, seine Erregung zu verbergen. Immer wieder rutscht sein Blick in ihren Ausschnitt. Er zappelte an der Angel, nun ging es nur noch um den Preis. »Weißt du was - ich mag dich«, sagt sie und streichelt sein Knie. »Ich denke, wir könnten eine Menge Spaß zusammen haben.« »Ich mag dich auch.«
Janis reibt die Bierflasche zwischen den Händen. Fast tut ihr seine Unbeholfenheit leid. Sie ist versucht die Aktion abzublasen, denkt an die Alternative und schiebt ihr Mitgefühl beiseite. »Also, wie ist es? Wie viel bin ich dir wert?«
Janis führt die Flasche zum Mund, bemerkt, dass sie leer ist, stellt sie auf den Tisch, nur um sie gleich wieder in die Hand zu nehmen. »Ich kenn mich da nicht so aus ...«, druckst er herum, schaut ihr dabei nicht in die Augen, pult am Etikett. »Was würdest du für ein Wellness-Wochenende erster Klasse ausgeben?« Er kratzt sich am Kopf. »Mit Übernachtung?« »Du bist süß. Es wird kein Wochenende werden, keine Übernachtung - aber es wird sich anfühlen, als wärest du eine ganze Woche lang verwöhnt worden.« Sie rückt näher an ihn heran, hüllt ihn mit ihrem Duft ein, zwingt ihn, ihr tief in die Augen zu sehen, haucht: »Das verspreche ich dir.« Er räuspert sich, setzt zu einem Vorschlag an, aber Mirja presst ihm einen Finger auf die Lippen, kommt noch näher und flüstert ihm eine unverschämte Summe ins Ohr. Dann leckt sie ihm kurz das Ohrläppchen. Als sie von ihm abrückt, stößt sie mit ihrem Ellenbogen die Bierflasche um, greift zu schwungvoll danach und der Schaum quillt aus der Flasche. »Oh, wie ungeschickt von mir.« Sie schleckt den Schaum vom Flaschenhals, wispert: »Alles nass«. Während Mirja an ihren Fingern saugt, sieht sie ihm in die Augen. Fragend. Janis schnipst den Ober heran. »Bin gleich wieder da, schön hierbleiben.« Mit einem Zwinkern huscht sie in Richtung Toilette.
»Und?« Aleksanders Atem riecht nach Whiskey. Das gefällt Mirja nicht. Wenn er trinkt, wird er unberechenbar. In letzter Zeit trinkt er viel. »Jackpot. Hotel hier um die Ecke.« Aleksander drückt sie an die Kabinenwand, gräbt seinen Kopf in ihren Hals. Sein Bart scheuert und kratzt. »Lass das, dafür haben wir keine Zeit.«
»Du riechst so gut«, stöhnt er in ihren Busen
»Hast du getrunken?«
Es scheppert, als er sie gegen die Wand stößt. »Ich werd mir wohl einen Drink genehmigen dürfen, wenn sich meine Frau von einem Fremden befummeln lässt!« »Nicht so laut!«, versucht sie ihn zu beschwichtigen. Erst sieht es so aus, als würde Aleksander explodieren, doch dann besinnt er sich. Mit einem Ruck löst er sich von ihr, nickt. Aber in seinem Blick lauert etwas, dass sie zur Vorsicht mahnt.
Er fährt ihr durch das Haar, packt zu, zieht ihren Kopf zu sich.
»Gefällt er dir etwa?« »Du tust mir weh.«
»Gefällt er dir? Willst du ihn ficken?«
»Nein, Alek. Ich schwöre es.«
Er schubst sie von sich. »Geh! Mach deine Arbeit! «
Als Mirja von der Toilette kam, setzte Janis wieder seine Unschuldsmiene auf. Er roch den fremden Duft an ihr und spürte kurz einen Stich der Enttäuschung. Obwohl sie mit jedem Blick Sünde ausdünstete, war da noch eine andere Note gewesen, die Janis seltsam beglückt hatte. »Gehen wir?« Sie war gar keine schlechte Schauspielerin, ihr Beschützer hingegen ein Amateur. Er hatte sie von der Theke aus zu auffällig beobachtet und mit jedem Drink hatte sich seine Miene weiter verfinstert. Zu schnell war er Mirja auf die Toilette gefolgt. Groß und kräftig war er, aber sein Gang nicht mehr ganz sicher. Draußen inhalierte Janis tief die Nachtluft, sagte, wie kalt es doch sei, obwohl er nicht fror. Mirja plapperte auf ihn ein, spielte ihre Rolle und er spielte weiterhin seine Rolle: nickte, grinste, blieb einsilbig.
Das Wissen von Mirjas Beschützer verfolgt zu werden, trieb ihm einen erfrischenden Schauder zwischen die Schultern. Dafür brauchte Janis ihn nicht zu sehen, - natürlich hielt er sich im Schatten verborgen - aber sein Gestank verriet ihn. Janis gab Mirja einen Klaps auf den Hintern. Nicht, weil es ihn danach verlangte, sondern weil ihm der Wind zuflüsterte, wie sich Mirjas Beschützer unter der Provokation krümmte.
»Nicht so stürmisch«, neckte Mirja ihn und tänzelte ein paar Schritte fort. Es sollte spielerisch wirken, doch Janis spürte ihre Aufregung. Oh, wie er dieses Spiel genoss. Diese Phase seiner Arbeit entlohnte ihn für die Qualen und Entbehrungen, die von ihm abverlangt wurden. Er grinste. Mirja hatte ja keine Ahnung, was stürmisch bedeuten konnte. Ja, er genoss dieses Spiel, aber etwas war anders als sonst. Irgendwas unterschied Mirja von all den anderen Nutten, denen er begegnet war. Trotz aller Verderbnis war immer noch ein Hauch von Unschuld in ihr. Janis schüttelte diesen Gedanken ab. Er musste an seine Aufgabe denken. Er war nur ein Werkzeug.
Es geschah selten, dass ihm der Wind zwei Menschen auf einmal schickte. Manchmal vergingen Monate, bis jemand in seine Fänge geriet. Nicht, weil zu wenig Unrat auf den Straßen wandelte, sondern weil Janis bedacht zu Werke ging. Er war keines von diesen kranken Hirnen, das dem erstbesten Opfer auflauerte und es aus Befriedigung eines Triebes verstümmelte und tötete. Das war verabscheuungswürdiger Mord. Diese Niedertracht war Janis fremd. Janis tötete nicht, er befreite. Zum einen befreite er die Welt von unheilbringenden Subjekten, zum anderen befreite er die verirrten Seelen selbst. Die höchste Priorität seiner Arbeit lag darin, dass seine Opfer kurz vor dem Scheiden ihre Sünden erkannten. Janis kam keine geringere Verantwortung zu, als den Schleier ihrer Verblendung zu lüften. Am Ende hatte ihm noch jeder für seine Dienste gedankt. Und sei es nur mit den Augen. Die Folter war lediglich Beiwerk, eine notwendiges Maßnahme der Läuterung. Vermutlich - er war recht sicher, doch fürchtete er den Hochmut - war Janis einzigartig: Ihm war die Gabe zuteilgeworden, dem Wind zu lauschen. Der Wind erzählte ihm alles, was er wissen musste, er schützte ihn, gab ihm Kraft und wehte ihm die Auserwählten zu. Und der Wind riet ihm, vorsichtig zu sein; er wurde gebraucht, durfte nicht ins Gefängnis gesteckt werden von Verblendeten, die seine Berufung nicht begriffen.
Heute also eine Nutte und ihr Zuhälter, Menschen, die die Welt in sündiger Absicht durchpflügten und das Übel säten. Keinen Moment zweifelte er daran, dass Mirjas Freier für etwas bezahlen mussten, dass sie niemals kosten durften. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie Mirja ihr Opfer ins Bett lotste, während sie unter einem Vorwand verschwand (»Ich mach mich schnell frisch für dich«) und die Hotelzimmertür für ihren Zuhälter öffnete. In Gedanken entrollte Janis bereits seine Werkzeugtasche. Wie immer überließ er seinem Opfer die Wahl, mit welchem Instrument er es von seinen Sünden erlösen sollte. Ein Kuss von Metall auf Haut, ein Schnitt, eine warme Lebensspur, ein Winseln, ein Schrei, ein Versprechen. Plötzlich ertappte Janis sich dabei, Mirja aus dem Ritual herauszuhalten, dass er nur ihren Zuhälter bestrafte. Was war nur anders an ihr? Von seiner Vision berauscht, nahm er das Rascheln einen Augenblick zu spät war. Auf einmal dieser Schmerz im Nacken. Janis stürzte zu Boden, hockte schwer atmend auf allen Vieren. Nur verschwommen erkannte er die zwei Gestalten, die ihnen im Hauseingang aufgelauert hatten. Eine der beiden hielt ein Eisenrohr in Händen, die andere packte Mirja am Kinn. »Hallo Schönheit.« Sie schrie nicht, wieso auch, sie wusste ja, dass ihr Beschützer irgendwo in den Schatten lauerte. Jetzt konnte Janis die zwei zuordnen, er identifizierte den Kerl, der Mirja bedrängte, als den Typen, dem sie in der Bar eine Abfuhr erteilt hatte. Anscheinend wollte das sein Ego nicht verkraften. Noch mehr Abschaum, der ihm zugeweht worden war. Diesen Abend würde Janis viel zu tun haben. »Du lässt mich abblitzen für so eine Krawatte?« Der Kerl verpasste Mirja eine Backpfeife.
Noch immer wütete der Schmerz in Janis, wühlte sich in seine Eingeweide, stülpte innen nach außen. Er stand in Flammen, doch er wusste, dass der Wind sie ersticken würde. Bald. Gleich. Er biss die Zähne zusammen. Wo blieb nur Mirjas Beschützer. War er noch verkommener, als Janis bisher angenommen hatte? Ließ er sie etwa im Stich? »Was machen wir dem mit hier?«, fragte der mit dem Eisenrohr und deutete auf Janis. »Wer weiß, vielleicht will er ja zugucken? Wie wäre das, hm? Er bezahlt dafür, dass er zusehen darf, wie wir seine Nutte ficken?« Er packte Mirja am Haar und riss ihren Kopf in den Nacken. »Was denn, gar keinen lockeren Spruch auf der Lippe?« »Sie sagte«, raunte eine Stimme aus dem Schatten, »verpiss dich!« Längst hatte Janis gesehen, wie sich Mirjas Beschützer heranschlich. Polo grunzte, als ihm das Messer zwischen die Rippen fuhr. Janis reagierte zeitgleich, er sprang auf, entriss dem zweiten Kerl die Eisenstange, wirbelte einmal um die eigene Achse und versenkte das Metall im Schädel des Verdutzten. Aber Janis war selbst verdutzt, denn der Typ lag wimmernd und blutend auf dem Boden, anstatt tot und mit zerschmettertem Schädel. Janis schwindelte, schwarze Schlieren umwölkten seine Sicht.
Allmählich wurde der Schmerz von Taubheit abgelöst; der Hieb in den Nacken musste ihn heftiger erwischt haben, als angenommen. Wie viel Zeit war vergangen? Hörte er Sirenen in der Ferne? »Da bin ich wohl gerade noch rechtzeitig gekommen.« Mirjas Beschützer hatte in seine Rolle zurückgefunden. »Alles klar? Du siehst übel aus, Mann.« Der Kerl hob die Hände, kam in vermeintlich freundlicher Absicht auf ihn zu.
»Lass mich deine Wunde verarzten.« Er hatte ihn gleich erreicht.
»Aleksander, lass uns abhauen!«, bettelte Mirja. »Ich will ihm doch nur helfen.«
Janis brach abermals in die Knie, sein Sichtfeld trübte sich. Das Eisenrohr schien Tonnen zu wiegen. Wenn er jetzt starb, wer sollte dann seine Aufgabe weiterführen? Es gab noch so viel zu tun. Sein Blick suchte Mirja. Wie sie so dastand, bot sie einen wundersamen Kontrast zu den beiden Gefallenen; der eine ertrunken im See seines eigenen Blutes, der andere in Hilflosigkeit zergehend. Eine Bö fuhr durch die Gasse, wirbelte Staub auf, doch es bewegte sich nicht ein Haar ihrer goldenen Pracht - als fließe der Wind um sie herum. Da überkam Janis die Erkenntnis. Er hatte versagt, weil er sich in Mirja geirrt hatte. Sie gehörte nicht zu dem Abschaum, Mirja war aus dem gleichen Stoff wie er. Nun sah er das schuldlose Opfer, das sich noch nicht aus der Knechtschaft befreit hatte. In ihr blühte Gutes, sie konnte noch in diesem Leben den Wandel vollziehen. Und es war seine letzte Aufgabe, ihr diese Befreiung zu schenken.
Aleksander war heran, jede geheuchelte Freundlichkeit aus seinem Gesicht verschwunden.
»Wolltest meine Frau ficken, du Wichser? Na, wer fickt jetzt wen?«
Er versetzte Janis einem Tritt vor die Brust, sodass er mit dem Kopf auf das Kopfsteinpflaster schlug. Janis entließ die Eisenstange aus seinem Griff. Den Schmerz spürte er kaum, Taubheit hüllte ihn wie ein schützender Kokon ein. Er hatte gute Arbeit geleistet, er würde nicht leiden, das wusste er und dieses Wissen ließ ein Grinsen in seinem Gesicht entstehen.
»Das Grinsen vergeht dir gleich!«, prophezeite Aleksander. Aber Janis konnte die Verunsicherung in seiner Stimme hören. Es knirschte, als sich das Eisenrohr in Aleksanders Schädel grub. Das Rohr war Janis nicht entglitten, mit seiner letzten Kraft hatte er den Wind beschworen und es zu Mirja befördert. Nun stand sie über Aleksander, das Instrument ihrer Befreiung in Händen, und ließ es abermals herabfahren. Ein klatschendes Geräusch.
Dann ließ sie von ihm ab. Als Mirja das Eisenrohr fallen ließ, es zu Boden schepperte und das klirrende Echo verklang, fühlte Janis sich an fernes Glockenläuten erinnert und er wusste, dass seine Mission erfüllt war. Nur verschwommen nahm er wahr, wie Mirja sich über ihn beugte und nach seiner Brieftasche suchte. Sie murmelte ein »tut mir leid« und er wollte ihr sagen, dass alles in bester Ordnung sei, dass sie sich keine Sorgen machen müsse und dass sie sich beeilen solle, dass die Sirenen näher kämen - aber plötzlich stieß der Wind in seinen Leib, mit einer Wut, die er nie erlebt hatte; grub sich in seine Venen und fräste durch seinen gesamten Körper, schlitzte ihn von innen mit eisiger Kälte auf.
Er wollte schreien, Mirja anflehen zu bleiben, ihm zu helfen, doch er brachte nur ein Gurgeln zustande. Mirja aber legte sich der Wind wie ein schützender Mantel um die Schultern und trug sie davon.