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Robin

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29.08.2010
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Robin

Ich träumte fast jede Nacht von ihm. Nicht, dass diese Träume mich belastet hätten - ich sah sie und vergaß sie wieder. Aber manchmal fragte ich mich, warum sie kamen, so regelmäßig, so beharrlich.
Ich dachte nicht an ihn. Jedenfalls nicht oft. Schon damals war unsere Geschichte so lange her gewesen, dass sich in mir nichts mehr regte. Nichts. Mein Inneres war hohl, meine Sinne stumpf, mein Wille schwer. Ich tat, was getan werden musste, arbeitete, ging mit Freunden aus, aß und schlief, und irgendwann sah ich ihn.
Diese Träume waren weder besonders farbenfroh noch grau. Auch tat oder sagte er nichts Außergewöhnliches. Einmal stand er in der Küche in unserem Elternhaus und schnitt irgendetwas. Ich saß am Küchentisch und versuchte Brot zu schneiden. Der Laib war rund und sehr groß, die Kruste hart und trocken. Ich hatte nur ein kleines Messer und versuchte, die Klinge durch die Brotmitte zu führen, aber sie blieb stecken, der Laib rutschte mir aus der Hand, Krümel flogen in alle Richtungen. Ich sah zu ihm hinüber, aus irgendeinem Grund war sein Haar nass und einige Strähnen klebten an seiner Stirn. Er wischte sich mit dem Unterarm immer wieder über die Augen und ich dachte: Jetzt sieht er wie ein kleiner Junge aus.
Dann blickte er mich an, seine Augen waren rot und dunkel umrandet, als ob er nächtelang geweint und nicht geschlafen hätte. Er sagte etwas und brach in ein helles Lachen aus und ich wurde geblendet von dem Weiß seiner Zähne und musste mich abwenden. Das Brot lag vor mir - in regelmäßige Scheiben geschnitten und in einem Körbchen angerichtet. Ich wachte auf und fühlte das Nachthemd an meinem Rücken kleben.
Ein anderes Mal besuchte ich meine Eltern, betrat mit Koffern und Taschen das Haus und sah ihn auf der Couch schlafen. Sie stand nicht an ihrem gewöhnlichen Platz an der Wohnzimmerwand, sondern im Flur. Ich hatte kaum Platz meine Ladung abzustellen.
“Vorsichtig”, flüsterte meine Mutter - sie hielt mir die Tür auf. “Er ist ganz müde von der Reise.”
Ich fragte mich, wie er so müde sein konnte, musste er doch nur eine Stunde fahren. Er lag auf der Seite, mit den Händen unter der Wange, die Beine eng an den Körper gezogen. Ich ging auf ihn zu und küsste ihn. Es war mir egal, dass meine Mutter hinter mir stand und dass ich ihr in stundenlangen Gesprächen beteuert hatte, ihn niemals wieder anzusehen, geschweige denn anzufassen. Kurz schmeckte ich die Hitze seiner Lippen, seinen Geruch, dann wich er zurück - aufgeweckt, erschrocken. Einen Augenblick später lächelte er und senkte den Kopf wieder. Er schloss die Augen und sagte: Ich wusste, dass du kommen würdest.

Vor zwei Wochen erhielt ich einen Anruf.
“Robin hatte einen Autounfall”, sagte meine Mutter. “Bis vor einer Stunde wussten wir nicht, ob er…”
“Ich verstehe”, sagte ich.
“Vielleicht möchtest du ja kommen, wir sind doch trotz allem eine Familie.”
Acht Stunden später stand ich an seinem Bett. Die Nachtschwester hatte mich nicht zu ihm lassen wollen. Ich weiß nicht mehr, warum sie es doch tat.
Er hielt die Augen geschlossen.
“Kannst du dich erinnern”, murmelte er. “Als du acht warst und ich dich mit dem Wasserschlauch durch den Garten gejagt hab? Ich hätte schon damals wetten können, dass wir uns ‘ne Menge Ärger einhandeln würden.”
Ich konnte nicht verhindern, dass mir eine Träne hinunter fiel. Sein Blick glitt langsam an mir hoch, bis er meine Augen erreichte.
“Ich werde wohl demnächst bei Mam wohnen müssen. Wenn du mir den Gefallen tun könntest - komm nicht, solange ich da bin.”
Er schluckte trocken.
“So zwei, drei Monate.”
“Natürlich”, sagte ich.
Ich hatte eine Flasche Wasser in der Tasche, öffnete sie und ließ ihn ein paar Schlucke nehmen. Dann stellte ich sie auf den kleinen Metalltisch neben dem Bett und ging hinaus. Mir wurde übel. Der Boden fing an zu wackeln, die Wände flossen in sich zusammen, ich stützte mich irgendwo ab und hoffte vergeblich aufzuwachen.

 
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Hallo Juno und herzlich willkommen auf KG.de,

Dein Erstling ist sprachlich nicht schlecht, abgesehen von ein paar umgangssprachlichen Einsprengseln,wie der "runter fallenden" Träne.

Alelrdings ist sie für meinen persönlichen Geschmack arg ungleichgewichtig.

Zum einen sind da die beiden Traumsequenzen, die über die Hälfte des Textes ausmachen, und von denen zumindest die erste weder die weitere Handlung noch das Beziehungsgeflecht der Protagonisten erhellt. Zudem fällt es schwer, einzuordnen, ob sie zeitlich vor oder nach dem Unfall einzuordnen sind, dementsprechend wären sie völlig anders zu interpretieren.

Außerdem schneidest Du für die Kürze des Textes sehr viele Hammerthemen an, lässt zudem vieles im Vagen, so dass ich das Gefühl habe, durch einen Index soziologischer Dramen gejagt worden zu sein, und von einer eigentlichen Geschichte nur gekostet, aber keine serviert bekommen habe.

Da ist der beinahe tödliche Unfall des Bruders oder Halbbruders, die möglicherweise inzestiöse Geschwisterliebe, für die die Protagonistin anscheinend allein verantwortlich gemacht wurde, aus welchem Grund auch immer.
Die Bitte des Bruders, auf den Besuch zu verzichten, die aus jedem Motiv geäußert worden sein kann: Angst vor wiederaufflammenden Gefühlen, vor Übergriffigkeit, weil er sie für das Vergangene hasst oder verachtet; weil er nicht will, dass seine Schwester ihn in hilflosem Zustand sieht, und er erwartet, danach genesen zu sein; oder weil er denkt, nicht länger zu leben.

Das sind mir zu viele Maybes, das ist zu sehr verdichtet - das Potential für ein gutes Fässchen Wein, verpackt in eine Rosine. Durch etwas Entfaltung könnte der Text durchaus gewinnen.

LG, Pardus

PS: Ein Messer hat eine Klinge.

 

Hallo Juno

und herzlich willkommen auf kg.de.

Nun, deine Geschichte ist nicht schlecht, aber irgendwie verwirrend. Da geh' ich gleich noch darauf ein.
Angenehm unaufgeregter Ton, stilistisch wird mir zuviel bis ins letzte Detail beschrieben, was lesehemmend wirkt, aber dann wiederum gut zum restlichen Stil passt. Rechtschreibfehler konnte ich jetzt auf die Schnelle nicht finden.

Das Verwirrende, z.B.

Ich tat, was getan werden musste, arbeitete, ging mit Freunden aus, aß und schlief, und irgendwann sah ich ihn.

Nach deinen Eingangsworten nimmt man an, dass eine Beziehung zu Ende gegangen ist, dass zwar alles schon längst vorbei ist, aber die Träume beginnen. Dann wird Robin plötzlich gesehen. Wo? Wann? Du gehst nicht weiter darauf ein, es sei denn, du meinst die Träume.

in unserem Elternhaus

Ah, da wird's spannend. Doch keine Liebes-, sondern eine Familienbeziehung?

Dann blickte er mich an, seine Augen waren rot und dunkel umrandet, als ob er nächtelang geweint und nicht geschlafen hätte.

Klar, Träume haben eigene Regeln aber selbst im Traum schließe ich bei verweinten Augen nach dem Zwiebel schneiden automatisch eher auf diese als auf schlaflose Nächte.

Ich ging auf ihn zu und küsste ihn. Es war mir egal, dass meine Mutter hinter mir stand und dass ich ihr in stundenlangen Gesprächen beteuert hatte, ihn niemals wieder anzusehen, geschweige denn anzufassen

Doch eine Liebesgeschichte?

dann wich er zurück - aufgeweckt, erschrocken

Hier ein Fehler. Müsste heißen "aufgewacht, erschrocken"

Dann der letzte Absatz. Hier verlässt der Prot scheinbar die Traumebene und agiert in der Realität. Trotzdem endet es wieder mit traumverdächtigen Finale. Und die Mutter sagt "Wir sind doch eine Familie" . Also doch eine Familienbeziehung?

Na ja, wie auch immer, sicher spannend, was man als nächstes von dir liest.
lg
lev

 
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Hallo Pardus,

vielen Dank für deine Kritik!
Zuerst zu dem Ungleichgewicht: War Absicht, um zum einen das Innenleben der Prot und zum anderen die Geschwisterliebe anzusprechen. Und es hat mich sehr gewundert, dass du (ich darf doch "du" sagen?) die Bitte des Bruders als versteckten Hass interpretieren konntest. Nun gut, es fällt mir nicht leicht, einen objektiven Abstand zu meinem Text zu halten, deshalb werde ich mir über diesen deinen Hinweis Gedanken machen. Und ich werde mich bemühen, eindeutiger und weniger "verdichtet" zu schreiben. Nochmal lieben Dank!

Hallo Lev,
ich danke dir für deinen Kommentar!
Zu allererst: es ist eine Geschichte über Geschwisterliebe, ist also beides - Familien- und Liebesgeschichte.
"... und irgendwann sah ich ihn." bezieht sich auf die Träume. Ich finde es ziemlich eindeutig, da diese davor und direkt danach angesprochen werden.
Das mit dem Zwiebelschneiden und verweinten Augen ist mir gar nicht aufgefallen - danke, werd ich beherzigen!
Und "aufgeweckt" habe ich absichtlich gewählt und es ist nicht falsch, ist die Passivform von "aufwecken", verweist auf die plötzliche Handlung der Prot.
Der Bezug zum Traum am Ende soll die Geschichte abrunden, den Anfang aufgreifen. Ich find's eigentlich ne gute Idee, werd aber bei meinem nächsten Text was anderes ausprobieren.
Viele Grüße!

 

Hallo Juno!

Die Geschichte lebt von den Gegensätzen, die um das unerhörte Zentrum kreisen, den Inzest, der nicht ausgesprochen und nicht beschrieben wird: Zuerst sagt sie (es ist allerdings nicht sicher, dass es eine Sie ist), dass sie nichts mehr für ihn fühlt, gleichzeitig aber wird im Folgenden klar, dass sie überhaupt keine Gefühle mehr hat - das heißt, eigentlich wird das aufgehoben, dass sie nichts mehr für ihn fühlt, ja, die Gefühle für ihn sind so stark, dass sie alles in sich abtöten muss, um dem Herr zu werden. Der Gegensatz hier: Zu starke Gefühle versus Abtötung jeglichen Gefühls.

Ich finde das mit den Träumen sehr raffiniert, weil sie die Bausteine des Dramas, das, was bis dahin real passiert war, mit einbauen, ohne die schwierige Beziehung und die abschließende Trennung konkret zu erzählen. Sie lässt ihn darin weinen und lachen - Zeichen für die Gleichzeitigkeit von Glück und Unglück in der Beziehung. Auch sehr sprechend, das Sofa, das den Durchgang verstellt und auf dem er liegt.

Am Ende bleibt ihr nur noch, dass sie einen banalen Hilfsakt setzt: Das ist das Einzige, was sie noch für ihn tun kann.

Ich finde die Geschichte gelungen, nicht zu kurz und eigentlich auch gar nicht verwirrend. Es ist klar, dass es um eine inzestuöse Liebe geht, die unter allen Umständen unterdrückt werden muss.

Ich tat, was getan werden musste, arbeitete, ging mit Freunden aus, aß und schlief, und irgendwann sah ich ihn
ich würde da eher: "und dann sah ich ihn" - sonst ist es irgendwie unsicher, ob sie ihn real oder in ihren Träumen sieht
Schon damals war unsere Geschichte so lange her gewesen
daraus geht eindeutig hervor, dass sie etwas miteinander hatten

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea,

vielen Dank für die positive Kritik! Habe mich sehr gefreut, da es meine erste KG ist!
Viele Grüße

 

Hallo Juno,

sehr schön. Ich habe die Geschichte sehr gern gelesen, angenehm ruhig nimmst Du mich an die Hand und begleitest mich durch den Text.

Ich mochte die Traumsequenzen und das Sofa im Flur. Sehr starke Bilder, die Du da einbindest.

Noch eine Anmerkung:

“Vorsichtig,” flüsterte meine Mutter - sie hielt mir die Tür auf. “Er ist ganz müde von der Reise.”

Komma nach der wörtlichen Rede - "Vorsichtig", flüsterte meine Mutter
Solltest Du an allen Stellen noch korrigieren.

Freu mich auf mehr!

Beste Grüße Fliege

 

Hallo Fliege,

vielen Dank für dein Kommentar!
Den Kommafehler habe ich verbessert. Hoffe, dich nicht zu enttäuschen :-)

Viele Grüße
Juno

 

Hallo Juno!

Du hast nen schönen Stil, finde ich. Man spürt die Traurigkeit und auch die Verzweiflung raus ... oder eine Art Akzeptanz, die über die Jahre entstanden ist? Wie auch immer. Es ist schön, wenn man so etwas transportieren kann.

Aber die Geschichte ist so kopflastig. Also ... ich würde die Träume kürzen. Es wird vorher schon klar, dass sie ihn mag.

Ich stell mal bisschen um. Und streich eine der Träume. Darf ich? :) Ich bin frech und tus ...

Ich träumte fast jede Nacht von ihm. Nicht, dass diese Träume mich belastet hätten - ich sah sie und vergaß sie wieder. Aber manchmal fragte ich mich, warum sie kamen, so regelmäßig, so beharrlich.
In einem Traum besuchte ich meine Eltern, betrat mit Koffern und Taschen das Haus und sah ihn auf der Couch schlafen. Sie stand nicht an ihrem gewöhnlichen Platz an der Wohnzimmerwand, sondern im Flur. Ich hatte kaum Platz meine Ladung abzustellen.
“Vorsichtig,” flüsterte meine Mutter - sie hielt mir die Tür auf. “Er ist ganz müde von der Reise.”
Ich fragte mich, wie er so müde sein konnte, musste er doch nur eine Stunde fahren. Er lag auf der Seite, mit den Händen unter der Wange, die Beine eng an den Körper gezogen. Ich ging auf ihn zu und küsste ihn. Es war mir egal, dass meine Mutter hinter mir stand und dass ich ihr in stundenlangen Gesprächen beteuert hatte, ihn niemals wieder anzusehen, geschweige denn anzufassen. Kurz schmeckte ich die Hitze seiner Lippen, seinen Geruch, dann wich er zurück - aufgeweckt, erschrocken. Einen Augenblick später lächelte er und senkte den Kopf wieder. Er schloss die Augen und sagte: Ich wusste, dass du kommen würdest.
Wenn ich jedoch wach war, dachte ich nicht an ihn. Jedenfalls nicht oft. Schon damals war unsere Geschichte so lange her gewesen, dass sich in mir nichts mehr regte. Nichts. Mein Inneres war hohl, meine Sinne stumpf, mein Wille schwer. Ich tat, was getan werden musste, arbeitete, ging mit Freunden aus, aß und schlief, und irgendwann sah ich ihn.
Vor zwei Wochen erhielt ich einen Anruf.
“Robin hatte einen Autounfall,” sagte meine Mutter. “Bis vor einer Stunde wussten wir nicht, ob er…”
“Ich verstehe,” sagte ich.
“Vielleicht möchtest du ja kommen, wir sind doch trotz allem eine Familie.”
Acht Stunden später stand ich an seinem Bett. Die Nachtschwester hatte mich nicht zu ihm lassen wollen. Ich weiß nicht mehr, warum sie es doch tat.
Er hielt die Augen geschlossen.
“Kannst du dich erinnern,” murmelte er. “Als du acht warst und ich dich mit dem Wasserschlauch durch den Garten gejagt hab? Ich hätte schon damals wetten können, dass wir uns ‘ne Menge Ärger einhandeln würden.”
Ich konnte nicht verhindern, dass mir eine Träne hinunter fiel. Sein Blick glitt langsam an mir hoch, bis er meine Augen erreichte.
“Ich werde wohl demnächst bei Mam wohnen müssen. Wenn du mir den Gefallen tun könntest - komm nicht, solange ich da bin.”
Er schluckte trocken.
“So zwei, drei Monate.”
“Natürlich,” sagte ich.
Ich hatte eine Flasche Wasser in der Tasche, öffnete sie und ließ ihn ein paar Schlucke nehmen. Dann stellte ich sie auf den kleinen Metalltisch neben dem Bett und ging hinaus. Mir wurde übel. Der Boden fing an zu wackeln, die Wände flossen in sich zusammen, ich stützte mich irgendwo ab und hoffte vergeblich aufzuwachen.

Das Ende könnte auch noch ein wenig Aufmerksamkeit vertragen. Ein, zwei Sätze mehr ... vielleicht.

Wie auch immer, ich mochte den Text. Bis bald!

yours

 

Hallo yours truly,
danke sehr für deine Kritik!
Allerdings tut es fast körperlich weh, wenn jemand mein Werk in Stücke schneidet und die Teile nach seinen Vorstellungen zusammensetzt. Ich hoffe aber, dass du es gut gemeint hast.
Auf jeden Fall freut es mich, dass dir mein Stil gefällt!
Grüße
Juno

 

Hallo Juno!

Aaaah, neee, wehtun wollte ich dir ganz sicher nicht. Entschuldige und so. :) Ist ja nur ein Vorschlag gewesen.

Bis bald!

yours

 

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