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Rollenspiel
„Was nun, Boss?“, drang eine atemlose Stimme an das Gehör von David Keller.
„Ich weiß es nicht, mein Kopf ist gefickt, scheiße, ich weiß es auch nicht“, keifte David zurück.
„Aber irgendwas müssen wir doch tun“, beharrte die Stimme weiter.
Etwas riss sich in diesem Moment los. Eine Sicherung brannte durch. David wirbelte herum und schoss ohne Warnung dem Typen, welcher ihn schon die ganze Zeit zutextete, in den Kopf. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er den Körper zu Boden gehen sah.
„Das ist schon mal ein Anfang“, verkündete er dem leblosen Raum.
Sein Kopf war endlich frei, endlich Stille. Scheinbar grundlos begann er wie von Sinnen zu schreien, drehte sich herum und kroch mehr als das er ging, auf seinen Schreibtisch zu. Dort angekommen versenkte er sein Gesicht in einer Tüte mit weißem Pulver und atmete gierig ein.
„Wooohoooo“, grölte er vergnügt und wischte sich die Koksreste aus dem Gesicht. Ekstatisch begann David in mehr oder weniger eleganten Drehbewegungen durch den Raum zu tanzen. Ruckartig hielt er inne, als hätte ein Gedanke ihn aus seiner traumwandlerischen Welt gerissen. Nachdenklich legte er den Kopf auf die Seite, schaute noch einmal auf die Leiche hinab, zuckte unschuldig mit den Schultern und verließ den Raum.
Zielsicher glitten seine Hände in die Taschen, auf der Suche nach seinem Handy. Sein getrübter Verstand schien wieder mit der gewohnten Präzision zu laufen.
Heute war echt ein Scheißtag, stellte David fest, bevor er das Handy ans Ohr legte und die vertraute Stimme seines Bruders Fred erklang.
„Was gibt’s?“
„Wir haben ein Problem!“
Dirk rannte, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her und im gewissen Sinne war er das wohl auch, in Form eines völlig geisteskranken Psychopathen. Ob er es sich eingestehen wollte oder nicht, es war eine scheiß Idee gewesen, David um Dope im Wert von zwanzig Millionen zu prellen. Sollte er ihn erwischen, würde er ihn sicher nicht einfach so sterben lassen. Nein, Dirk hatte schon öfter mit ansehen müssen, was er mit Verrätern machte, oder Feinden oder mit Leuten, die ihn schief auf der Straße anguckten.
Schweiß rannte in feinen Rinnsalen über seinen sehnigen Körper und wurde von seiner Kleidung schwammartig aufgesogen. Das Gefühl, in einen nassen Sack gekleidet zu sein, wurde mit jedem Schweißtropfen intensiver und der Ekel vor sich selbst wuchs.
Wäre er nicht gerade auf der Flucht, hätte sein Scheißauto nicht vor zwanzig Minuten aufgegeben und müsste er nicht zwei Taschen voller Stoff tragen, würde es ihm eindeutig besser gehen und der Luxus einer Dusche wäre wahrscheinlich auch drin.
Die Überlegung beiseite wischend rannte Dirk stur weiter. Es war nicht mehr weit bis zum Treffpunkt. Sein Herz raste, sein Atem rasselte, viel länger würde er diese ganze Lauferei wohl nicht mehr aushalten.
Sein Handy klingelte. Ohne auch nur darauf zu achten wer anrief, klappte er es auf und meldete sich mit einem atemlosen: „Hallo Mickey, bist du es?“
„Nein“, meldete sich eine ihm wohlbekannte Stimme. „Aber gut, dass du ihn erwähnst, nun habe ich einen weiteren Namen auf meiner Liste. Du bist so gut wie tot, Dirk. Ich werde deinen Schädel ficken, wenn ich dich habe. Dich und deine Freunde ausweiden und auf dein Grab scheißen.“ Seine Stimme drohte sich zu überschlagen, worauf er für eine Sekunde schwieg.
„Du bist tot!“, dann legte er auf.
Dirk blieb stehen, er war da. Zum ersten Mal nach dieser ganzen Aktion spürte er ein Gefühl, das er schon lange vermisst hatte … Angst. Natürlich stand er schon die ganze Zeit unter einer gewissen Anspannung, doch bisher hatte er es vermeiden können, die Lage anders als logisch abzuschätzen und die Betonung lag dabei auf bisher. Es war vielleicht wirklich nicht der Richtig Moment gewesen, um zu zugreifen, aber zum Jammern war es nun ohnehin zu spät. Er konnte jetzt nur noch laufen. Die Welt in die er eingetaucht war, hatte ihn verändert, er musste dort einfach raus und besser jetzt als Morgen. Jeder Tag hätte sein letzter sein können, der letzte Tag bevor er seinen Verstand, an der Garderobe des Wahnsinns abgab, dessen Name David war. Wenn es einen Teufel gab, hätte dieser guten Grund auch Angst vor dem Dämon David zu haben.
Ein Wagen bog in diesem Moment um die Ecke. Dirks erste Reaktion war panisch davonzulaufen, doch dann erkannte er den Mann hinter der Scheibe. Mickey … endlich.
David steckte das Handy weg und betrachtete sich im Seitenfenster seines schwarzen BMWs. Er liebte seine starren, blauen Augen, eines der wenigen Dinge, die er wirklich an sich liebte. Ein Lächeln missglückte auf seinem Gesicht, als Fred sich ihm mit grimmiger Miene näherte.
„Was ist los?“, begrüßte er seinen Bruder mürrisch. Die ganze angenehme Stimmung, die er aus dem Telefonat mitgenommen hatte, war aus seinen Gedanken verschwunden, nur weil Fred so ein missgelauntes Gesicht machte. Er überlegte, ob er ihn erschießen sollte, um sich besser zu fühlen, doch entschloss sich letztendlich dagegen. Er war schließlich sein Bruder, was das auch immer hieß, aber man tötete eben nicht so einfach Familie, hatte irgendjemand zumindest irgendwann mal beschlossen, wenn sich David richtig erinnerte.
Wortlos schritt Fred an ihm vorbei und bedeutet ihm mit einer ungeduldigen Handbewegung einzusteigen und David folgte der Einladung widerwillig. Aus einer Laune heraus, hatte er plötzlich das Bedürfnis zu rauchen und eigentlich war ihm auch klar, woher dieses Verlangen kam. Er suchte einen Grund, seinen Bruder doch noch erschießen zu dürfen und er wusste, wie sehr Fred es hasste, wenn er im Auto rauchte. Gerade als er den ersten Zug nahm, spürte er etwas Hartes, Metallisches an seiner Schläfe.
„Mach die verdammte Kippe aus!“, zischte Fred. „Willst du mich heute absichtlich verärgern? Erst verlierst du Dope im Wert von zwanzig Millionen und dann rauchst du im Auto. David, mach die scheiß Kippe aus oder ich verziere gleich das Seitenfenster mit deiner Hirnmasse.“
Noch einen Moment reizte David die Situation mit einem neckischen Schieflegen des Kopfes bis aufs Äußerte hinaus. Fred war anders als er. Er hätte nie geschossen, er spielte gerne den großen starken Mann, doch in seinem Inneren hatte er nur Angst. Mit einer fast zärtlichen Berührung seiner Zungenspitze erlosch die Glut und Fred nahm die Waffe herunter.
Für einige Sekunden herrschte absolute, allumfassende Stille, in der sich ihre Blicke schweigend kreuzten. Sie hatten noch nie das beste Verhältnis zueinander gehabt, doch wenn es drauf ankam, hatten sie es noch immer geschafft, sich zusammen zu raufen, und hier kam es mal wieder darauf an.
Fred musterte seinen Bruder argwöhnisch. Er hatte schon immer gewusst, dass mit David etwas nicht in Ordnung war. Er hatte schon immer einen gewissen Drang zu grundloser Brutalität, doch etwas anderes hatte sich verändert. Der Rest verbliebener Logik, den er ihm einst zugeschrieben hatte, schien inzwischen von seinem zunehmenden Wahn eingenommen worden zu sein und er war sich nicht sicher, ob er ihn noch weiter benötigte. Ein Psychopath, der ihm in den Rücken schoss, war nun wirklich das Letzte, was er gebrauchen konnte.
„David“, begann er langsam, im beschwichtigenden Tonfall. „Du musst dich jetzt zusammenreißen, wir müssen das Dope wieder kriegen, sonst sind wir am Arsch. Verstehst du?“
David antwortete nicht. Legte nur den Kopf schief und grinste dieses wahnhaft kranke Grinsen. Dann nickte er stumm, zumindest interpretierte Fred das kurze, ruckartige Zucken seines Kopfes dahingehend und fuhr los. Er wusste schon, wo er seinen Stoff finden würde und dessen Dieb. Traue niemals einem Freund, lächelte er Innerlich, als er die verlassenen Straße entlang fuhr.
„Fuck“, stammelte Mickey immer wieder das gleiche Wort, das er inzwischen, seit Beginn der Fahrt, an die zwanzig Mal gesagt hatte.
„Fuck, Alter.“
„Mickey, nun komm mal wieder runter“, entfuhr es Dirk, den das panische Gestammel, langsam zu nerven drohte.
Der Sicherheitsgurt riss ihn hart nach hinten, als Mickey plötzlich die Bremse durchtrat. Mit zornig funkelnden Augen drehte er sich zu ihm herum und packte ihn unbeherrscht am Kragen.
„Was soll ich? Runterkommen? Du ziehst mich hier in deine Scheiße rein und erwartest, dass ich ruhig bleibe? Hast du sie noch alle?“, brüllte er Dirk wie von Sinnen an.
„Beruhig dich, Mickey, beruhig dich einfach“, entfuhr es Dirk, während er Mickeys Hände von seinem Kragen entfernte. „Wir haben hier zwanzig Millionen im Wagen, also komm verdammt noch mal runter.“
Stille, endlose Stille, in der beide nur wie betäubt vor sich hin starrten. Beide allein, beide in ihren Gedanken, beide einsam und verloren.
Ob ich es übertrieben habe?, fragte sich Mickey stumm und versuchte aus dem Augenwinkel eine Reaktion von Dirk zu bekommen, doch da war nichts. Er kannte diesen Typen schon sein Leben lang, aber dieser ihn genauso, er durfte nun keinen Fehler machen. Dirk war nie ein Mann vieler Worte gewesen, nie sonderlich an Gesellschaft interessiert. In sich gekehrt und trotzdem hatten sie irgendwo einen Draht zueinander gefunden, wenn auch keinen sonderlich stabilen. Vor seinem inneren Auge sah er sich schon die Scheine zählen und dann könnte er seine verdammte Arbeit endlich für alle Zeiten an den Nagel hängen.
Die Stille wurde langsam unangenehm, doch noch durfte er sie nicht durchbrechen. Er saugte den Geruch des Wagens in sich auf, der immer noch widerlich nach Qualm stank, trotz Frischebäumchen und zahlreichen Tiefenreinigungsprodukten. Mickey war ein verflixter Raucher, aber das brachte der Job mit dem damit verbundenen Stress nun einmal mit sich. Dirk war der einzige, den er kannte, der bei ihrem Beruf nicht zum Kettenraucher geworden war. Still und leise zählte er die Sekunden von dreißig abwärts, bis zu dem Moment, wo er in einem versöhnlichen Ton ihre Freundschaft bekräftigen würde. Sein Blick glitt auf die Armatur, in der sich immer noch die Asche vergangener Raucherpausen sammelte. Zweiundzwanzig, einundzwanzig, zwanzig.
Melone, sagte die Aufschrift auf dem kleinen Duftbäumchen, doch eigentlich roch es nur nach chemisch erzeugten Zitronen, wie alle diese Tannen. Egal ob Kirsche oder Vanille drauf stand, am Ende kam es wohl immer aufs selbe raus.
Dreizehn, zwölf, elf.
Er hasste es zu warten, doch so konnte er sich wenigstens seine Worte genau zurechtlegen. Das Verlangen, nervös mit dem Fuß zu trippeln, durchzuckte seinen Körper.
Drei, zwei, eins.
„Tut mir leid“, hörte er sich seinen Text aufsagen und Dirk schaute ihn mit betretenem Blick an. „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist, das ist nur irgendwie alles zu viel für mich. Erst meldest du dich monatelang nicht und dann tauchst du mit zwei Taschen voller Koks auf. Was erwartest du denn?“ Seine Stimme wurde ruhiger und er legte ein leises unsicheres Zittern hinein. „Ich hab das …“ Er verstummte, wandte den Blick ab, überlegte, suchte nach Worten, die er schon lange gefunden hatte. „Es ist nur … wir waren es doch immer, oder? Wir waren doch immer Freunde?“ Eine erneute Pause folgte und ihre Blicke trafen sich. Dirk lächelte.
„Klar waren wir das, waren wir doch immer. Wir zwei gegen den Rest der Welt.“ Er verzog den Mund zu einem matten Lächeln. Sein Gesicht zeigte unbekannte Züge – Verwirrung, Unverständnis, vielleicht sogar etwas wie Angst.
„Es tut mir leid, dass ich dich mit in diese Scheiße rein gezogen habe, aber ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte.“ Betretenes Schweigen. Blicke, die sich auswichen. Eine Hand, ein freundschaftliches Schulterklopfen. Zwei Blicke, zwei Gesichter, ein Lächeln.
„Schon okay. Ich meine ... wir sind reich, oder?“, frage Mickey unsicher.
„Ja, das sind wir wohl.“
„Wie weit ist es noch?“, durchbrach David die betretene Stille, die schon seit mehreren, endlosen Minuten den Raum beherrschte. Er hatte es inzwischen aufgegeben, seinen Bruder zu reizen und malte sich stattdessen aus, was er Dirk und diesem ominösen Mickey alles antun konnte, doch noch immer war er auf der Suche nach der passende Foltermethode. Alles was sein Vorstellungsvermögen ihm anbot, hatte er schon gemacht und er wollte unbedingt etwas Neues, was alle da gewesenen Qualen zu einem unangenehmen Juckreiz degradierte. Ungeduldig begann er mit seiner Waffe zu spielen und vergaß ganz, dass Fred ihm noch immer keine Antwort gegeben hatte.
„Nicht mehr weit“, erklärte Fred, ohne den Blick von der nur durch die Scheinwerfer erleuchteten Straße zu nehmen. Damit schien das Thema und jegliche Konversation bis zu ihrer Ankunft für ihn erledigt zu sein. David gab sich nicht die Blöße, seinen Bruder noch einmal anzusprechen und wieder nur mit einen abgehackten Halbsatz abgespeist zu werden. Er hasste die Stille und das nutze Fred nun gegen ihn aus, aber dieses Spiel konnte man auch zu zweit spielen.
Ungeduldig waren seine Hände damit beschäftigt, seine Waffe auseinander und wieder zusammen zu bauen. Eine so routinierte Angelegenheit, dass David nicht einmal hinschauen musste. Die endlose dunkle Straße vor und Schweigen um sich herum.
Die Sterne am Himmel waren verschlungen von der Finsternis und auch der Mond versteckte sich.
Angsthasen, dachte David belustigt und wünschte sich hinaus in die Nacht. Wünschte sich zu fliegen, fort von diesem öden Planeten, der ihm nichts mehr zu bieten hatte. Merkte, wie seine Gedanken klarer wurden, Informationen bewusst zu ihm drangen, sein Verstand ausbrach und seine dunkle, selbst zerstörerische Ader hervor brachte. Seinen Selbsthass, seine Unzufriedenheit. Mit fliegenden Fingern durchsuchte er seine Taschen und atmete erleichtert auf, als er ein kleines Tütchen mit weißem Pulver fand. David machte sich nicht einmal die Mühe, sich eine ordentliche Line zu legen, sondern steckte einfach die Nase hinein und inhalierte. Fred schenkte ihm einen viel sagenden Seitenblick, doch enthielt sich jeden Kommentars.
Ideen verkamen, Ängste vergingen, Gefühle wurden erstickt und die Gewalt des Wahnsinns bestieg erneut den Thron. Kraftlos ließ er sich in den Sitz sinken, schloss die Augen und wurde hinab gerissen. Tief und tiefer, in eine Welt, die er so gut kannte. Eine Welt, die er für sich erschaffen hatte und er lachte, denn endlich war er zurück in seiner eigenen Hölle. Feuer überschwemmte seine Sinne und heißer Zorn brannte sich durch seine Nervenbahnen.
„Wir sind da!“, hörte er Freds Stimme neben sich, ganz weit entfernt.
Seine Hände nach oben gestreckt ergriff er den kalten Stein und erklomm seinen Weg aus der Hölle. Aber er würde wiederkommen, ganz gewiss, doch noch gab es etwas für ihn zu erledigen.
Sie stiegen aus. Eine dunkle Lagerhalle. Wie passend, durchfuhr es Dirk und er kam sich ein bisschen so vor wie in einem schlechten Mafiafilm, in dem gleich zwei Mafiosi kamen und ihm das Geld für die Drogen brachten.
„Was machen wir hier?“, hakte Dirk nach, doch Mickey regierte erst nicht, dann wirbelte er herum und musterte ihn mit einem seltsamen nachdenklichen Blick.
„Was ist los?“
„Nichts“, antworte Mickey flüsternd. „Es ist nur so … es ist ein komisches Gefühl, dass bald alles vorbei ist. Denkst du …“ Er brach ab und fixierte eine imaginären Punkt in der fernen Dunkelheit. Nervös fuhr er sich über sein Kinn.
„Sie werden bald mit dem Geld hier sein, dann trennen sich unsere Wege. Zehn Millionen für jeden.“
„Klingt fair“, bestätigte Dirk. Etwas beunruhige ihn ungemein und es war nicht nur Mickey, der vor Nervosität zu platzen schien. Es war alles. Die Nacht hatte einen unangenehmen bitteren Geschmack, ein Geruch lag in der Luft, der Geruch des Todes. Langsam tastend strichen seine Fingerspitzen über die Waffe in seinem Hosenbund, doch noch zögerte er sie zu ziehen. Mickey sollte den Deal einfädeln, aber dass es so schnell ging ... Irgendwie störte ihn alles. Alte, jahrelang antrainierte Instinkte blühten auf. Misstrauen sickerte unablässig in seinen Verstand. Wie ein verletztes Raubtier wich er einige Schritte zurück, nur um einen Moment zu verschnaufen vor dem großen Angriff. Seine Hand schloss sich um die Waffe, doch noch beherrschte ihn ein leises Zögern. Nervös wanderte sein Blick zu Mickey und fixierte ihn. Ein Mann, der kämpfte, gegen den schlimmsten Feind, den es gab – sich selbst. Unwillig fuhr er sich immer wieder durch das lichte, schwarze Haar, murmelte Worte lautlos vor sich hin und wartete.
Zwei Gestalten traten aus der Dunkelheit und wurden zu körperlosen Schemen, die sich ihnen langsam näherten.
Showdown. Nun würde sich alles bezahlt machen. Endlich würde er den Lohn seiner Arbeit ernten, zwar auf eine andere Weise als anfangs geplant, aber zehn Millionen waren immer noch zehn Millionen.
Seine Welt war schon einige Monate nachdem er anfing für David und seinen Bruder zu arbeiten, ins Wanken geraten. Wenig später zerbrach das Gerüst, welches er schützend um sein Weltbild gespannt hatte gänzlich. Hilflos ließ man ihn zurück in der Höhle des Löwen und erwartete immer noch, dass er seinen Job machte. Kontakt wäre zu riskant, er sollte nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, hatten sie gesagt. Er wäre so nah wie noch nie jemand am Ziel. Bullshit. Sie haben ihn allein gelassen. Ließen ihn Menschen töten nur damit seine Tarnung nicht aufflog. Immer mehr war er ohne es zu wollen zu einem von ihnen geworden. Dies war nur der nächste Schritt, die nächste logische Konsequenz. Er würde sich nur noch um sich selbst kümmern.
Mickey war nur Mittel zum Zweck. Er war schon immer korrupt gewesen und daher ideal, um einen geeigneten Käufer zu finden. Zuerst wollte er ihn eigentlich erschießen, aber jetzt ... Vielleicht würde er ihn sogar am Leben lassen, der alten Zeiten wegen, aber vielleicht auch nicht. Langsam löste er seine Waffe gänzlich aus seinem Hosenbund, doch noch verbarg er sie hinter seinem Rücken. Beobachtete noch immer die zwei Schatten, die langsam an Kontur gewannen. Vertraute Konturen… Sein Blick suchte Mickey, weg …
Er begriff zu spät, als sich schon die unverwechselbare Berührung eines Pistolenlaufes an seinen Hinterkopf legte.
„Tut mir leid“, flüsterte eine vertraute und doch so fremde Stimme in sein Ohr, als sie ihm die Waffe abnahm.
„Warum?“ Eine Frage, wie sie schon Millionen Mal gestellt wurde und noch öfters in Zukunft gestellt werden würde. Von Menschen, die hintergangen wurden, verletzt, allein gelassen. Die Frage war Schmerz, aus Schmerz geboren und im Schmerz ertränkt.
Schweigen. Keine Antwort. Nur Schweigen.
Warum? Warum?, tönte die Frage ungehört in seinen Gedanken.
David und Fred kamen langsam näher, unheimlich langsam, denn sie hatten alle Zeit der Welt.
Irgendwie war es fast lustig, bemerkte Dirk. Alle verließen ihn, ließen ihn zurück oder verrieten ihn.
Das blasse Licht des Mondes schälte Davids Gesicht aus der Schwärze und ließ seinen irren Blick funkeln. Früher, früher hätte ihm dass Angst gemacht, hatte er ihm Angst gemacht, doch nun, da alles unausweichlich vorbei war, war es egal. Es war nicht länger der Blick eines gestörten Monsters, sondern der eines kleinen Kindes, das Angst vor der Welt hatte und sich hinter dem Monster versteckte. Kein Hadern, kein Zögern, kein Betteln.
„Huhu Dirk“, quietschte David entzückt los, während Fred Mickey kurz zunickte und ihm, im selbem Atemzug, als dieser das Nicken erwiderte, in den Kopf schoss.
Dirk rührte keinen Muskel, als das Blut seines ehemaligen Partners sein Gesicht benetzte.
„Hallo Dirk“, begrüßte nun auch Fred seinen ehemaligen Angestellten.
„Hallo Fred“, gab er tonlos zurück.
Grimmige Entschlossenheit ließ seine Züge zu einer undurchdringlichen Grimasse verkommen.
„Schau mal. Unser großer Held, der große Krieger“ spottete David unverhohlen, doch niemand schenkte ihm Beachtung. Blicke trafen sich. Realitäten teilten sich und am Ende waren es nur noch zwei Männer.
„Ein Bulle“, lächelte Fred anerkennend. „Ein Bulle. Ich konnte es kaum glauben. Ein Polizist in meiner Organisation. Ein Mörder. Ein Dieb.“
„Überraschung“, flüsterte Dirk einseitig.
„Ja, das war es wirklich“, bestätigte Fred.
„Überlass ihn mir, ja? Fred, ich will …“ Eine Patronenhülse fiel klirrend zu Boden. Fassungslos betrachtete David das Blut, das unaufhörlich über sein Gesicht lief. Grinsend stolperte er einige Schritte zurück, hob die Waffe und kassierte einen weiteren Schuss, doch noch immer stand er. Es war genau wie mit den Hummeln, die nur flogen, weil sie nicht wussten, dass sie gar nicht fliegen können, genau aus dem Grund schien David noch zu leben, weil er nicht begriff, dass er schon tot war.
„Warum?“, drang auch ihm die eine Frage mit einem Schwall Blut über die Lippen. Fred verschwendete noch zwei weitere Kugeln, bevor sein Bruder endlich bereit zu sein schien zu sterben. Dirk stand noch immer teilnahmslos an seinem Platz, wie ein Zuschauer, der sich einen spannenden Film anguckt, die Handlung zwar sieht, aber nicht Teil davon ist.
Der Lauf der Waffe suchte seinen Körper und fand ihn.
„Großes Reinemachen“, verkündete Fred beiläufig, als würde er die letzte Frage seines Bruders nur zum Hohn an dessen toten Körper beantworten. „Wo es dich gibt, da gibt es sicher noch andere.“, stellte Fred fest und ließ die Waffe sinken. „Es ist gerade ein Platz frei geworden und ich habe Personalmangel. Interesse?“
Dirk überlegte. Bilder zuckten durch seinen Schädel. Überlegungen, logische Abschätzung. Es gab nichts, was auf ihn wartete. Familie gab es nicht. Freunde ebenso wenig und Mickey war auch tot. Seine Berufliche Laufbahn war zu Ende, vielleicht war es wirklich Zeit, sich neu zu orientieren. Unwillkürlich nickte er, hob seine Waffe auf und folgte Fred in die Dunkelheit, auf die andere Seite, die ihm über die Jahre schon so vertraut geworden war.
Manchmal kommt eben alles anders und vor allem anders als man denkt. Gott schließt eine Tür, aber öffnet ein Fenster und wenn es nicht klappen sollte, dann könnte er ihn immer noch erschießen.