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Roman-Tick

Seniors
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02.06.2001
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Roman-Tick

„Das ist total nett von dir, dass du mich in dieses Lokal eingeladen hast“, sagte Bettina. „Ich esse gerne beim Italiener.“
Unwillkürlich rutschte es aus Roman heraus: „Pizzaficker!“
Zu seiner Verblüffung reagierte sie nicht schockiert, sondern klatschte mit der flachen Hand gegen die Stirn.
„Das ist eine Zwangshandlung. Wenn jemand etwas Rassistisches oder Vulgäres sagt, muss ich das machen“, erklärte sie und lächelte ihn an.
Ihre Zahnspange glitzerte im Schein der Deckenlampen, als wollte sie das Lächeln vergolden. Roman bemühte sich um eine gefasste Haltung. Sie kannten sich seit über einem Jahr aus einem Internet-Chat und kannten einander wohl besser als ihre eigenen Eltern, falls die sich für ihre Kinder interessiert hätten. Dennoch war es etwas ganz anderes, jemanden durch elektronische Impulse oder in real kennen zu lernen.
„Ach so“, erwiderte er rasch und nahm die Speisekarte, um die peinliche Situation etwas zu entschärfen.
„Das hätte ich vielleicht mal erwähnen sollen“, sagte sie entschuldigend und strich ihre Serviette glatt. „Aber ich hatte Angst, dass du es nicht verstehen würdest.“
Er blickte von der Karte auf in ihr Gesicht. Für ihre siebzehn Jahre wirkte sie viel zu alt. Mindestens wie zwanzig. Falls er ihr die Gunst erwies, als seine Freundin an seiner Seite zu agieren, würde diese Gunst freilich nicht allzu lange währen. Sobald er reich und berühmt war, würde er es wie alle reichen und berühmten Männer machen und sich mit Gespielinnen umgeben, die höchstens fünfundzwanzig sowie Topmodels waren. Eine in bayerischen Gegenden eher unübliche Mischung. Derweil müsste er sich wohl mit normalen Mädchen wie ihr begnügen müssen.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
„Gehst du auch gerne zum Griechen?“, fragte sie plötzlich.
„Pizzaficker-Ficker“, antwortete er und ärgerte sich über ihre unsensible Art.
Mit Genugtuung registrierte er das Klatschen gegen ihre Stirn.
Am Nebentisch lachte jemand und sah dabei unmissverständlich in ihre Richtung.
Wieder lächelte sie. „Mein Vater nahm mich einmal zum Landesparteitag der CSU mit. Nach einer Stunde musste ich nach Hause, weil meine Stirn aussah, als hätte ein Regenbogen eingeschlagen.“
Roman nickte und suchte nach einem Thema, das sie anschneiden konnten. Hier erwies sich ihre Vertrautheit als Stolperstein: Worüber redete man mit jemandem, der einem selbst intimste Details bereits verraten hatte? Er kannte sogar ihre Körbchengröße, obwohl er seine eigene Schuhgröße nicht wusste. Über ihre Berufe konnten sie sich nicht austauschen, und plötzlich beneidete er Menschen, die mit beiden Beinen fest im Berufsleben standen und aus dem Fundus interessanter Erfahrungen in hippen Werbeagenturen oder den Schwierigkeiten der Ölgewinnung in Ostasien schöpften. Er ging genau so wie sie noch zur Schule. Das Verstecken der Kreide oder ungemein erheiternde Späße wie vollbusigen Mädchen Regenwürmer in den Ausschnitt zu werfen schieden als Konversationsgrundlagen aus.
Der Kellner errettete ihn aus seiner Wortlosigkeit und nahm ihre Bestellungen auf.
„Weiß du“, sagte sie und zeichnete mit den Fingerspitzen Kreise auf das Tischtuch, „für mich ist das das erste Blind Date. Na ja, und dass ich mit Jungs nicht viel Erfahrung habe, weißt du ja auch.“
Sie räusperte sich und genau in diesem Augenblick begannen drei Männer mittleren Alters ein politisches Gespräch und provozierten Roman über diverse Staatsgemeinschaften unflätige Bemerkungen zu machen, die Bettina ihrerseits mit körperlicher Selbstkasteiung quittierte.
„Jedenfalls finde ich es toll, dich mal persönlich zu treffen. Wir haben ja so viel gemeinsam, findest du nicht auch?“
Das fand Roman zwar nicht gerade, doch der Höflichkeit halber bejahte er.
„Vielleicht ist es Schicksal.“
„Wie bitte?“, fragte er nach und runzelte die Stirn.
„Na, dass wir uns in diesem Chat kennen lernten“, klärte sie ihn auf.
Wieder stimmte er ihr zu, wiewohl er eigentlich nach aufgeschlossenen Schnitten gesucht hatte, die sich ihm förmlich an den virtuellen Hals werfen sollten. Aber erstaunlicherweise schienen sich in Chats zum größten Teil Typen wie er herumzutreiben, die kaum imstande waren, sich von hübschen Verkäuferinnen in Modefragen beratschlagen zu lassen ohne mit rotem Kopf schreiend davonzulaufen. Den weiblichen Rest stellten frustrierte Hausfrauen auf der Suche nach besseren Männern als jenen, die Eier kraulend und Bier saufend das Sofa in ihrer Wohnung vergewaltigten, dar, sowie Mauerblümchen wie eben Bettina.
Falls es tatsächlich Schicksal war, ausgerechnet ein Mädchen wie Bettina kennen zu lernen, dann war es auch Schicksal, beim Zoobesuch die Hand in den Löwenkäfig zu stecken und voller Spannung darauf zu warten, was geschähe.
Kurzum: Er hatte lediglich aus reiner Menschenfreude ein Jahr lang mit ihr verschwendet, anstatt sich von zwanzigjährigen Topmodels umschwärmen zu lassen.
Endlich kam das Essen und er musste die anstrengende Stille, die ihm mittlerweile wie eine zehnjährige Denkpause erschien, nicht weiter vertiefen. Immer wieder erwischte er sie dabei, ihm scheue Blicke zuzuwerfen. Himmel! Am Ende verliebte sie sich wirklich noch ihn. Anfangs hatte er ja tatsächlich so etwas wie Freude an ihrem beständigen Mail- und Chatverkehr empfunden. Doch dann hatte sie ihm ein paar Bilder von ihr gemailt und jegliche Hoffnung, Bettina würde sich als Claudia Schiffer oder wenigstens VIVA-Moderatorin entpuppen zerstört. Die Realität hatte ihn nicht einfach auf den Boden zurückgeholt, sondern ein Loch gegraben, ihn hineingeworfen und den Boden betoniert.
„Das war echt lecker“, bemerkte sie, nachdem der Kellner abgeräumt hatte.
Roman fühlte sich in jene Turnstunde zurückversetzt, als er einen Ball mit seinen Weichteilen gestoppt hatte. Er hatte zunächst gekotzt und danach gefürchtet er müsse sterben. Vielleicht wäre das besser gewesen, dachte er benommen, obwohl er sich einen würdevolleren Abgang von diesem Planeten vorstellen konnte.
„Ein € 9,99 teurer Fußball von Aldi prallte gegen seine Eier und beendete sein Leben so, wie er es begonnen hatte: In gekrümmter Stellung.“
Nein, das hätte definitiv nicht cool geklungen!
Roman zückte sein Portemonnaie und legte es auf den Tisch. „Du, ich muss morgen früh auf und noch –“
„Aber es ist doch erst halb-sieben“, unterbrach sie ihn mit erstaunter Stimme.
„Ich muss noch ein paar wichtige Dinge erledigen, die ich nicht aufschieben kann.“
Sie setzte zu einer Erwiderung an, schloss den Zahnspangenmund jedoch wieder und akzeptierte seine Entscheidung. Roman winkte übertrieben gestikulierend den Kellner heran, der noch nie jemanden dermaßen enthusiastisch bezahlen hatte sehen.
Draußen bot er ihr an sie nach Hause zu begleiten und schluckte den Ärger hinunter, als sie sein Angebot ganz dreist annahm.
„Ich bin echt froh, dass wir uns mal getroffen haben und hatte viel Spaß“, meinte sie mit so leiser Stimme, dass er zunächst gedacht hatte, er hätte sich die Worte nur eingebildet.
„Ja, ich auch“, sagte er automatisch und dachte an Stunden, die ihm mehr Spaß bereitet hatten. Selbst das Rendezvous seiner Leisten mit dem Ball hatte größeres Vergnügen bereitet, überlegte er und kam sich schäbig vor, um sein Gewissen zu beruhigen.
„Ich finde, wir passen total gut zusammen.“
Erschrocken sah er sie an.
„Ja“, quäkte Roman hilflos.
In so manchen Nächten hatte er gehofft, eines der Postermädchen in seinem Zimmer würde so etwas sagen. Bettina hatte er nicht auf seiner Rechnung gehabt.
Ihm wurde schwummrig. Er brauchte eine Zigarette! Er tastete die Jacke ab und fand eine Packung. Bettina blieb neben ihm stehen und starrte ihn plötzlich aus weit aufgerissenen Augen an. „Du rauchst?“
„Selten“, sagte er wahrheitsgetreu und klemmte die Zigarette zwischen die Lippen.
Bettina schüttelte traurig den Kopf. „Du, ich glaube, wir passen doch nicht zusammen.“

 

Und hiermit komme ich einem der am öftesten gehegten Wünsche nach und fasse mich in einer Geschichte tatsächlich kurz (dem am öftesten gehegten Wunsch, ich möge endlich mal nichts mehr posten, kann ich aus zugegeben sehr egoistischen Gründen nicht entsprechen).
Der ursprüngliche Schluss der Story war übrigens wie folgt:

Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen.
An seiner Zigarette ziehend blickte er ihr nach, bis sie hinter dem nächsten Straßenzug und aus seinem Leben verschwunden war. Ironischerweise erblühte sie drei Jahre später zu voller Blüte und avancierte zum begehrtesten Model Deutschlands. Verbittert beging Roman Selbstmord, indem er vor einer geladenen Tennisballmaschine die Hosen runterließ, die Maschine auf Höchstschussgeschwindigkeit einstellte und anschaltete.

Das erschien mir dann aber sogar für mein unterirdisch grottiges "Niveau" sauschlecht. Da soll noch einer behaupten, ich würde nichts dazu lernen!

 

Hi Rainer,

ich glaube, das ist die erste k&g-Geschichte von dir, die ich lustig finde. Sehr lustig. Egal, mit welchem Schluss! Ob das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen für das Gros der Leser ist, weiß ich nicht. :shy:

Gruß, Elisha

 

Hallo Rainer,
hat mir gefallen, viele Stellen wie diese lassen mich nicht mehr vom Boden aufstehen ...

und dachte an Stunden, die ihm mehr Spaß bereitet hatten. Selbst das Rendezvous seiner Leisten mit dem Ball hatte größeres Vergnügen bereitet,

das war schon hart - der arme Roman:
„Ein € 9,99 teurer Fußball von Aldi prallte gegen seine Eier und beendete sein Leben so, wie er es begonnen hatte: In gekrümmter Stellung.“

Der Schluss war nicht schlecht:
Weil er raucht, ist er wohl doch nichts für sie ... :D

Der Text in blau war aber auch nicht so schlecht, fände ich fast besser.

Wirklich gut, hat mir gefallen.
Gruß KaLima

 

Danke für eure Kritiken.

@ Elisha

ich glaube, das ist die erste k&g-Geschichte von dir, die ich lustig finde

ich glaube, das ist die erste Kritik von dir, die ich zutreffend finde ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich als Rainerexperte sag mal
Skandal! Man hat mich meines Postens enthoben!

Als Tropfen der Wehrmut auf dem heißen Stein des Lobs muss ich dir leider sagen, dass mir die Geschichte insgesamt gar nicht gefallen hat. Also. Das war doch echt gar nix. Das ist kein Rainer, nie gewesen!

Na gut. Das Alternativende, obwohl vermutlich als Scherz gedacht (jaja, du machst nie Scherze), fand ich sogar ziemlich lustig.

Den Rest (fast) gar nicht. :(

Humorlose Grüße von
Bruder Tserk

P.S:
ok:

und kam sich schäbig vor, um sein Gewissen zu beruhigen.
hehe

P.S.S: Ach ja, die Viecher heißen Topmodels

 
Zuletzt bearbeitet:

Also. Jetzt mal im Ernst.

„Das ist total nett von dir, dass du mich in dieses Lokal eingeladen hast“, sagte Bettina. „Ich esse gerne beim Italiener.“
Unwillkürlich rutschte es aus Roman heraus: „Pizzaficker!“
Zu seiner Verblüffung reagierte sie nicht schockiert, sondern klatschte mit der flachen Hand gegen die Stirn.
„Das ist eine Zwangshandlung. Wenn jemand etwas Rassistisches oder Vulgäres sagt, muss ich das machen“, erklärte sie und lächelte ihn an.
Das ist dämlich. Kein Rainer. Nein. Ich weigere mich. So. Ich geh jetzt vor die Tür.

Das Ende in seiner jetzigen Form ist übrigens auch dämlich. Diesmal aber auf eine halbwegs lustige Weise.

EDIT:
Bin wieder im Zimmer.
Habe eine These: Rainer hat seinen Ghostwriter gefeuert und versucht, selber etwas zu fabrizieren. Anders kann ich mir das hier nicht erklären.

 

Hallo Rainer,
mein Kommentar zieht sich eher in Tserks Richtung. Ich fand die Kg weder sondelrich witzig, noch hat sich mich anderweitig vom Hocker geschubst. Da sind zwar einige nette Ideen drinnen, aber es plätschert alles irgendwie so dahin, ohne das was feste Konturen annimmt.
So zumindest mein Eindruck.
Will mich nicht in die Streitfrage nach der Rainerexpertise einklinken, aber ich habe schon besseres von dir gelesen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Ja, okay, hat nicht gefallen, hab´s kapiert, danke, nächste Frage. :)
Trotzdem danke fürs Lesen und Kommentieren. Immerhin habt ihr nicht allzu viel Zeit mit dem Lesen verschwenden müssen. Kann man als positiv werten, oder?

 

Bevor Du zum Strick greifst, um Dir damit die Tränen abzuwischen, hier ist noch einer, der die Geschichte eigentlich ganz lustig findet. Ich fand allerdings die erste Hälfte der weggelassenen Pointe besser als das was jetzt da steht, das dann noch mit einem anderen zweiten Teil der weggelassenen Pointe versehen...

Ich denke, die Geschichte wird am Schluss weiter vorne landen.

Ist der Bundesparteitag Gag oder Absicht?

Beste Grüße, nic

 

Nun ja: Nirgendwo kann man so gut wie in dieser Rubrik lässig die Achseln zucken und auf die Geschmacksfrage hinweisen.

Ist der Bundesparteitag Gag oder Absicht?

Weder, noch. Es muss natürlich Landesparteitag heißen.

 

Hallo Rainer

bemühte sich um eine gefasste Haltung
irgendwie ist das doppelt. „Gefasste“, denke ich, könnte man weglassen.

Toppmodels
Topmodels. Fehler war noch ein zweites Mal drin.


an ihrem beständigen Mail- und Chatverkehr empfunden gehabt
„gehabt“ könnte man weglassen.


Hat mir sehr gut gefallen. Wenn ich an den CSU-Parteitag und das sich schlagende Mädchen denke, muss ich jetzt noch grinsen.

Diese beiden Gags fand ich ebenfalls speziell erwähnenswert:

das Sofa in ihrer Wohnung vergewaltigten,

„Ein € 9,99 teurer Fußball von Aldi prallte gegen seine Eier und beendete sein Leben so, wie er es begonnen hatte: In gekrümmter Stellung

Bettina hätte ruhig noch ein paar Macken mehr haben dürfen. So stand es mit Romans Rauchen ja beinahe 1:1. (Die Zahnspangen kann man wohl nicht als Tick durchgehen lassen)
Die Pointe war mir schon fast etwas zu realistisch, allerdings deutlich besser als deine nicht verwendete vom ersten Posting.
So ... jetzt geh' ich stimmen ...

Gruss Rolf

 

rolfschoenenberger schrieb:
Bettina hätte ruhig noch ein paar Macken mehr haben dürfen. So stand es mit Romans Rauchen ja beinahe 1:1. (Die Zahnspangen kann man wohl nicht als Tick durchgehen lassen)

Ich habe mich lieber kürzer gefasst, da der Thread ja tatsächlich "kurz" im Titel beinhaltet.
"Tick" bezieht sich übrigens auf Roman, nicht auf Bettina!

Danke fürs Lesen und Kommentieren.

 

Hallo Rainer!

Das Figurensetting ist durchaus amüsant: Ein Typ mit Tourette-Syndrom und eine Tussi mit einer Zangshandlung. Ich hab auch einige Stellen ziemlich lustig gefunden.

NUR: Das ist das Problem von Geschichten dieser Art: Sie reiten auf dem ursprünglichen Einfall herum und treten auf der Stelle. Aber es müsste so sein, dass sich die Spirale immer mehr nach oben dreht, immer ein bisschen absurder wird. Es gibt aber keinen echten Höhepunkt, vor allem keine Überraschungen in deiner Geschichte. Und ich find´s auch zu langatmig.

Trotzdem: eine der besseren Beiträge! :)

Gruß
Andrea

 
Zuletzt bearbeitet:

Mutig. Und sehr gelungen. Mir hat es ausgezeichnet gefallen. Und sehr schön, dass du das Ende weggelassen hast. Das wäre dann doch zu platt gewesen. Und das wiederum hätte der Rest der Geschichte nicht verdient.

Roman hat also das Tourette-Syndrom. Eine Erkrankung, die gar nicht so selten ist, die aber oft tabuisiert wird. Betroffene sind es in der Regel gewohnt, dass Menschen in ihrer Umgebung peinlich berührt wegsehen, wenn sich ihr Tick bemerkbar macht. Oder vielleicht sogar ärgerlich reagieren, weil sie nicht wissen, worauf das "abnorme" Verhalten zurückzuführen ist. Anscheinend ist auch Roman solche Reaktionen gewohnt. Denn er ist ja überrascht, dass Bettina anders reagiert. Allerdings scheint er sich seiner Ticks selbst nicht bewusst zu sein, was aber auch nicht ungewöhnlich ist. Sonst würde er nicht unbedingt von einem solchen Werdegang träumen, wie er es tut.

Was mir besonders gefallen hat:

Ihre Zahnspange glitzerte im Schein der Deckenlampen, als wollte sie das Lächeln vergolden.

Wieder lächelte sie. „Mein Vater nahm mich einmal zum Bundesparteitag der CSU mit. Nach einer Stunde musste ich nach Hause, weil meine Stirn aussah, als hätte ein Regenbogen eingeschlagen.“
Sehr böse, sehr schön, sehr satirisch.

Worüber redete man mit jemandem, der einem selbst intimste Details bereits verraten hatte? Er kannte sogar ihre Körbchengröße, obwohl er seine eigene Schuhgröße nicht wusste.
Da steckt so viel an Info über beide Charaktere wie auch über ihre Beziehung zueinander drin. Gelungen.

Diese Geschichte passt in keine Schublade. Da haben wir viel, was die Rubrik Gesellschaft rechtfertigen würde, eine Prise Humor und satirische Attacken. Und der Plot an sich ist im Grunde alltäglich. Und das ist das Problem: Diese Geschichte gefällt mir sehr gut, aber sie ist relativ lang (wenn auch für deine Verhältnisse sehr kurz) und sie passt aus meiner Sicht eher nach Gesellschaft als hierher. Ich habe zum neuen Thema bisher 4 Geschichten gelesen und diese gefällt mir (als Geschichte) am besten, aber wenn ich mit der Rubrikenbrille drüber nachdenke, hat sie hier eventuell ein bisschen das Thema (kurz, Humorgeschichte) verfehlt. Tja, was tun? Entweder nach Gesellschaft verschieben lassen und eine Empfehlung kassieren, oder einen Teil radikal kürzen. Und zwar diesen:

Das fand Roman zwar nicht gerade, doch der Höflichkeit halber bejahte er.
„Vielleicht ist es Schicksal.“
[...]
Sie setzte zu einer Erwiderung an, schloss den Zahnspangenmund jedoch wieder und akzeptierte seine Entscheidung. Roman winkte übertrieben gestikulierend den Kellner heran, der noch nie jemanden dermaßen enthusiastisch bezahlen hatte sehen.
Damit meine ich nicht, dass du exakt so kürzen sollst, sondern will nur den Anfangs- und Endpunkt setzen für die Passage, die ich kürzen würde. Wobei da auch nette Formulierungen und Bilder drin sind. Aber sie bringen die Geschichte nicht wesentlich weiter. Die gesamte Passage kann man sicher auf drei bis vier Sätze kürzen. Oder so lassen und die Geschichte verschieben. ;)


********
So, nun hatte ich eine sehr lange Pause bei der Kritik hier gemacht und die restlichen Geschichten auch noch gelesen. Was hat mir das an Erkenntnissen gebracht? Deine Geschichte gefällt mir immer noch am besten, dicht gefolgt von einer Geschichte, die ebenso "am Thema vorbei" ist. Was du sogar darunter angemerkt und andere Rubriken vorgeschlagen hast. :schiel:

Ich bin vielleicht hier einfach falsch. Also nimm meinen Kommentar besser nicht zuuu ernst, obwohl ich ihn schon ernst gemeint habe. Aber wenn mir in der Humorrubrik die weniger lustigen Geschichten mit ernsten Hintergründen am besten gefallen, bin ich vielleicht nicht prädestiniert dazu, hier Kritiken zu schreiben.

Viele Grüße
Kerstin

 

@ Andrea

Es gibt aber keinen echten Höhepunkt, vor allem keine Überraschungen in deiner Geschichte. Und ich find´s auch zu langatmig

Nun ja: Höhepunkt in einer humoristischen Geschichte?
Wenn du es überraschungsarm und langatmig fandest, tja, muss ich halt akzeptieren. Man kann Texte ohnehin nicht für jeden Geist maßschneidern, und Geschichten, die ich völlig witzlos finde, werden von anderen als das Lustigste seit Entdeckung des vierten Wortes vom tödlichsten Witz aller Zeiten gehalten.
Ist doch gut, wenn wir Menschen so unterschiedlich sind!

@ Katzano

Roman hat also das Tourette-Syndrom.

Äh, nein. Er springt nur auf Ländernamen auf, und das ist, wenn ich nicht irre, beim Tourette-Syndrom nicht der Fall.

Allerdings scheint er sich seiner Ticks selbst nicht bewusst zu sein, was aber auch nicht ungewöhnlich ist. Sonst würde er nicht unbedingt von einem solchen Werdegang träumen, wie er es tut.

Ich denke schon, dass er sich dessen bewusst ist. Aber er empfindet seinen Tick nicht als schlimm, wohingegen jeglicher "Makel" bei Mitmenschen für ihn unverzeihlich ist. Das findet man oft in Partnerschaften, wenn erörtert wird, wer die schlimmeren Angewohnheiten hat, also: "Na schön, ich wasche mich nicht täglich - aber das ist wohl gar nichts gegen dein verdammtes Rauchen!"
Eine Art verzerrte Wahrnehmung, die vermutlich jeder Mensch hat - der eine mehr, der andere weniger.

sie passt aus meiner Sicht eher nach Gesellschaft als hierher

Hm. Ich fürchte ehrlich gesagt, sie ist dafür etwas zu albern. Die Rubrik "Gesellschaft" hat für mich etwas Betuliches an sich. Oder um einen Vergleich zu setzen: "Humor" ist was für Leute, die sich mit einer Chips-Packung vor die Glotze hocken und RTL gucken - "Gesellschaft" wird am besten mit einem Glas Rotwein genossen, während im Fernsehen irgendein stinkfader Kulturbeitrag auf 3SAT läuft. :D
Kurz gesagt: Ich bin sehr skeptisch eingestellt, ob man den Text in "Gesellschaft" nicht als zu infantil und "tief" einstufen würde. Ansonsten spräche von meiner Seite aus natürlich nichts dagegen - ich bin nur skeptisch und etwas überrascht, weil ich eher mit "Boah, ist das ein tiefer Scheiß, ey!" gerechnet hatte.

Danke für eure Kommentare! Ich denke auch, dass meine Geschichte zu den zwanzig Besten bei dieser Wahl zählt. Wenn nicht sogar zu den Top 10! :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Rainer schrieb:
Äh, nein. Er springt nur auf Ländernamen auf, und das ist, wenn ich nicht irre, beim Tourette-Syndrom nicht der Fall.

*rumgoogle*

Okay, die Tics (so in der Regel im Zusammenhang mit dem TS geschrieben) treten wohl in der Mehrzahl unwillkürlich auf. Ich hatte im Kopf, dass es bestimmte Reize gibt, die einen Tic auslösen können. Zumindest scheint es aber tatsächlich so zu sein, dass äußere Einflüsse Tics verstärken oder die Frequenz ihres Auftretens erhöhen können.

Dazu 2 Zitate, beide aus dieser Quelle:

Typischerweise nehmen Tics bei ärgerlicher oder freudiger Erregung, innerer Anspannung oder Streß zu.
Welchen Bezug hat die "Koprolalie" (Ausstoßen obszöner Worte) zur Umgebung?

Um die Hintergründe dieses Phänomens ranken sich viele Spekulationen. Diese reichen vom zufälligen Auftreten obszöner Worte bis zu (teilweise willentlichen) Provokationen. So wie motorische Tics durch das 'Darübersprechen' verstärkt werden können, kann die Koprolalie durch die Anwesenheit bestimmter Personen ausgelöst und gelenkt werden. Z.B.: Eine Jugendliche äußert ihre Koprolalie (z.B. "Sau") häufiger, wenn die Mutter redet. Andere Worte (z.B. "ficken") platzen eher zufällig in die Satzpausen.

Würde demnach aus meiner Sicht mit deiner Geschichte funktionieren.


Rainer schrieb:
Kurz gesagt: Ich bin sehr skeptisch eingestellt, ob man den Text in "Gesellschaft" nicht als zu infantil und "tief" einstufen würde. Ansonsten spräche von meiner Seite aus natürlich nichts dagegen - ich bin nur skeptisch und etwas überrascht, weil ich eher mit "Boah, ist das ein tiefer Scheiß, ey!" gerechnet hatte.
Lese ich die Geschichte so anders, als du sie geschrieben hast? Okay, ich bin vom Tourette-Syndrom ausgegangen, das du nicht meintest, aber nichtsdestotrotz. Flach (wahrscheinlich das, was du mit "tief" meinst?) finde ich die Geschichte so oder so nicht. Da ist eine Menge (Gesellschafts-)Kritik enthalten, die anschaulich präsentiert wird, in einer guten Geschichte verpackt. Nur meine bescheidene Meinung.


P.S.: Okay, der Titel ist tatsächlich so ... hm ... na, etwas flach.

 

@ Katzano (warum muss ich da immer an Katzenstreu denken?)

Flach (wahrscheinlich das, was du mit "tief" meinst?) finde ich die Geschichte so oder so nicht. Da ist eine Menge (Gesellschafts-)Kritik enthalten, die anschaulich präsentiert wird, in einer guten Geschichte verpackt. Nur meine bescheidene Meinung.

... die dir unbenommen sei. Ich habe nur ein wenig Angst, dass sie in "Gesellschaft", äh, etwas schief angeguckt werden würde. :schiel:

P.S.: Okay, der Titel ist tatsächlich so ... hm ... na, etwas flach.

Was...? He! Ich habe mindestens drei Sekunden gebraucht, bis er mir einfiel! Nee, Quatsch, vier Sekunden! Ja, echt jetzt: Es waren vier Sekunden! Und dann kommst du mit "flach". :(

 

Hallo Rainer!

Also mir hat sie gefallen, auch das Ende! :) Nur jenes Ende, das Du ins Posting drunter geschrieben hast, wäre zuviel des Guten gewesen, und ich frage mich, warum Du es überhaupt gepostet hast. Wenn man das hinterher liest, läßt der positive Eindruck natürlich nach. Aber wie sich sein Problem durch die Zigarette so plötzlich löst, fand ich schon cool. Höchstens würde ich ihn ihr hinterherschauen lassen, dann auf die Zigarettenpackung und dazu irgendeinen blöden Spruch wie "Für Camel geh ich meilenweit" (ist nicht grad der Passendste, aber der fällt mir halt grad ein). Aber es paßt auch so, für meinen Geschmack - wenn auch offenbar nicht für viele ...

Andrea schrieb:
Aber es müsste so sein, dass sich die Spirale immer mehr nach oben dreht, immer ein bisschen absurder wird. Es gibt aber keinen echten Höhepunkt
Hm, sie könnte ihn, bevor er in Aufbruchsstimmung verfällt, fragen, ob er sich eigene Kinder vorstellen kann ... :D

Ansonsten hab ich noch das:

Roman nickte und suchte nach einem Thema, das sie anschneiden konnten.
Würde sagen "das er anschneiden konnte", sie will es ja nicht anschneiden, da sie sich ja prächtig unterhält.

Der Kellner errettete ihn aus seiner Wortlosigkeit und nahm ihre Bestellungen auf.
Für den Kellner ist es nur eine Bestellung (die vom Tisch sieben).

Immer wieder erwischte er sie dabei, ihm scheue Blicke zuzuwerfen.
wie sie ihm scheue Blicke zuwarf.

Doch dann hatte sie ihm ein paar Bilder von ihr gemailt und jegliche Hoffnung, Bettina würde sich als Claudia Schiffer oder wenigstens VIVA-Moderatorin entpuppen zerstört.
ein paar Bilder von sich ... entpuppen, zerstört.

„Aber es ist doch erst halb-sieben“
ohne Bindestrich: halb sieben

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi Rainer,

Die Geschichte gefällt mir, dein trockener Humor gibt ihr die notwendige Würze. So stört es am Ende fast gar nicht mehr, dass der Tick etwas an den Haaren herbeigezogen ist. An Tourett-Syndrom habe ich dabei jedoch keinesfalls gedacht.

Wer beim Lesen der Geschichte gesellschaftskritische Aspekte sieht, liest m.E. nicht die Geschichte, sondern versucht einzelne Sätze zu analysieren. Man könnte dann auch noch medizinische und / oder psychologische Aspekte sehen. Wäre aber genauso übertrieben. Ich habe sie als eine humorige Kurzgeschichte gelesen und war damit durchaus zufrieden; wenn ich was Anspruchsvolles suche, gehe ich in eine andere Rubrik.

Dass dein Prot. sich eine VIVA-Moderatorin gewünscht hätte versetzt seinen IQ für den Leser Richtung einstelliger Bereich :lol:

gruss vom querkopp

 

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