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Rosen aus Glas
Habe das Wort Vergänglichkeit als Input bekommen und dazu eine Geschichte für einen Freund geschrieben.
Laron stand vor dem großen gewölbten Fenster, dass einen freien Blick auf den See ermöglichte. In seinen schlanken Fingern hielt er die filigran gearbeitete Rose aus Glas, welche das Licht in ein wunderschönes Farbspektrum verwandelte, als es sich in ihr brach. Das ganze Zimmer schien von dem Glanz der Rose erleuchtet zu sein. Larons Augen lagen mit einem Blick, der in seiner Traurigkeit kaum fassbar war auf dieser Rose.
Er war eine anmutende Erscheinung, auch wenn er sich selbst wahrscheinlich noch nicht mal ansatzweise als schön bezeichnen mochte, war er dies. Seine dunklen fast schwarzen Haare fielen zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden gleichmäßig über seinen Rücken. Seine zierliche Gestallt schien wie aus Stein gehauen, das magische an ihm waren allerdings seine großen grauen Augen die in seinem fein geschnittenen, beinahe feminin wirkendem Gesicht jeden in seinen Bann zogen. Seine schlichte, aber dennoch nicht zu übersehend edle, Kleidung rundeten das Bild vollständig ab und das weiße nicht ganz zu geknöpfte Hemd, welches über die graue Seidenhose fiel, erlaubte einem einen winzigen Blick auf seinen durchtrainierten Oberkörper.
Laron schien sich schon eine winzige Ewigkeit lang nicht mehr bewegt zu haben, lediglich ein kleines Glitzern in seinen Augen mochte auf den mit einer so plötzlichen Heftigkeit aus ihm herausdringenden Schrei vorbereitet haben, dennoch schien es als würde alles um ihn herum für einen Moment die Luft anhalten vor Schreck, als er gleichzeitig die Rose in eine Ecke des Zimmers schleuderte. Eine träne lief über sein Gesicht, während er sich mit bloßen Fingern und zitternden Händen daran machte, die viele Scherben aufzusammeln, welche sich wie böse kleine Dornen in seine Haut bohrten.
Leila hatte den Aufschrei auch gehört und kam hastig in seinen Raum. Sie schaute entgeistert auf seine blutenden Hände, fragte aber nicht nach, sondern ging nur stumm zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter und führte ihn sanft, aber auch mit Nachdruck ins Bad, wo sie seine Hände unter fließendes Wasser hielt. Langsam, nacheinander ließen die Glasdornen von seinen Händen ab und verschwanden mit kleinen hellroten Rinnsälen aus Blut im Ausguss.
Ein plötzlicher Hustenanfall veranlasste den jungen Mann sich am Rande des Waschbecken festzuhalten. Im Vergleich zu Leila wirkte er nicht nur blass, sondern beinahe krank, und während er krampfhaft hustete bildeten sich feine Schweißperlen auf seiner Stirn, die von der Anstrengung zeugten unter der sein Körper stand. Leila streichelte sanft über seinen Rücken und wartete, bis sie ihn zu seinem Bett führen konnte. “Es wäre besser für dich, wenn du dich ein weinig ausruhen würdest.“, sagte sie zu ihm, während sie darüber nachdachte, dass er nicht wieder gesund werden würde, wenn die Person, welche ihm all die Sorgen und Pein bereitete nicht bald wieder käme. Sie war sich auch dessen bewusst, dass er höchstens eine halbe Stunde in seinem Bett verweilen würde, bevor er sich erneut in seine Werkstatt zurückziehen würde. Sie schaute traurig auf die Hände Larons und während sie diese verband konnte jeder die Familienähnlichkeit, die die Geschwister auszeichnete sehen, Leilas Haare, die sie etwas kürzer als seine offen zu tragen pflegte, waren von der selben dunklen Farbe wie seine. Sie umrandeten ihr, auch blasses und fein geschnittenes, aber wesentlich gesünder erscheinendes, Gesicht aus dem einen die gleichen magisch erscheinenden grauen Augen heraus anblickten. Leila wünschte sich er würde wenigstens einen Tag mal nicht in die Werkstatt gehen, der Glasstaub, den er dort die ganze Zeit einatmete war pures Gift für seine Lungen, aber er würde nicht eher zur Ruhe kommen, bis sie, nach der er sich mit jeder Faser seines Körpers verzehrte, wieder da sein würde. Leila wusste nicht genau, woran er im Moment arbeitete, aber all die vielen Rosen, welche er in den letzten Wochen auf ähnliche Art und Weise zerstört hatte, ließen sie es erahnen. Er baute den Rosengarten nach, den er nachdem sie gegangen war aus Wut, Zorn und Verzweiflung vernachlässigt hatte, weil es ihn zu sehr schmerzte den Garten, den sie damals angelegt hatte zu betreten. Leila streichelt ihrem Bruder über seinen Kopf, bis dieser von der Anstrengung des Anfalls übermannt in einen unruhigen Schlaf fiel. Selbst im Schlaf sah er so unwahrscheinlich traurig aus, dass es ihr die Kehle zuschnürte und sie die Tränen zurückhalten musste, als sie sah, wie seine Träume ihn im Schlaf weiter peinigten.
Leila schaute durch die Glasfront seines Zimmers auf den See hinaus, der heute so ruhig wie schon lange nicht mehr in seiner, unnatürlich wirkenden, türkisen Farbe vor ihnen lag. Sie löste sich mit einem Ruck von seiner Seite und begab sich in die große Küche des Hauses, welches einst so vielen Menschen ein zu Hause gewesen war. Kaum etwas zeugte von dem geschäftigen Treiben, das früher hier geherrscht hatte, vor jenem dunklen Tag. Sie schob die aufkommenden Gedanken energisch bei Seite, während sie viel zu viel Zucker in ihren Kaffee löffelte. Widerlich süß, aber auch noch bitter rann er ihr die Kehle hinunter, als sie hörte, wie ihr Bruder aufstand und sich wenig später in der Werkstatt einschloss, welche er nun den ganzen Tag nicht mehr verlassen würde. Das einzige, was sie von ihm vernehmen würde, war der bellende Husten, der seinen Körper in regelmäßigen Abständen schütteln würde. “Oh bitte, bitte komm zurück“, murmelte sie vor sich hin, “ich möchte nicht auch noch ihn verlieren.“
Ihre eigene Stimmer erschreckte sie beinahe, als sie von den langen Gängen des Hauses, obwohl es lediglich ein Flüstern war, zurückgeworfen wurde. Seid dem Tag, als Laron aufgehört hatte zu sprechen, hatte sich auch ihr Sprachgebrauch auf ein Minimum reduziert.
Am nächsten Morgen, lange nachdem Laron sich eingeschlossen haben musste wanderte sie durch die langen, leeren Flure des Hauses, wie sie es jeden Tag tat. Es hatte beinahe etwas ritualhaftes für sie, den Herzschlag der längst vergangenen Zeit in den Gemäuern des Hauses zu spüren. Wie vergänglich war doch das Leben in all seinen kleinen, kurzen, wunderbaren und grausamen Augenblicken. Wie schnell doch die Zeit verrann, auch wenn manche Momente wie eine Ewigkeit erschienen, wie schnell sich alles änderte und mit welcher macht das Schicksal zuschlagen konnte und scheinbar alles veränderte, einem alles nehmen konnte, was man zum atmen brauchte.
Sie dachte an Aaron, ihren geliebten Aaron, den sie so sehr vermisste, aber auf den sie nicht mehr warten musste. Sie hatte die Gewissheit, dass er nie Mals mehr wieder kommen würde, ganz anders als Laron, den die Hoffnung, die Hoffnungslosigkeit zerfraß. Aaron, der sie am selben Tag, an jenem schicksalsschweren Tag, verlassen hatte, an dem auch ihre Eltern von ihnen gegangen waren. Jener Tag, an dem ihr alles in den Händen zu zerbrechen schien und sie sich vor einem Trümmerhaufen aus feinsten Scherben gesehen hatte, genau wie Larons Rosen jeden Tag vor ihm aufs neue zerbrachen. Laron, der ihr Halt gewesen war, ihr Grund gewesen war weiter zu machen, weil sie ihm beistehen musste, weil sie ihn retten wollte, ihn retten musste. Laron, der sie dazu brachte jeden Tag aufs neue aufzustehen und sich nicht dem Schicksal zu ergeben. Laron, der immer schwächer wurde, den seine Krankheit zerfressen würde. Sie trat auf einen der vielen Balkone mit Seeblick hinaus und schaute auf das immer noch so ruhige Wasser. Sie fragte sich, welche düsteren Geheimnissee der See hinter seiner fröhlichen Farbe verbarg. Wie konnte es sein, dass er drei Menschen, drei geliebte Menschen, für immer bei sich behalten hatte. Die lautlosen Tränen. Die ihr über das Gesicht rannen, sich an ihrem Kinn zu größeren Tropfen vereinten und dann beinahe rhythmisch auf die Marmorbrüstung tropften verliehen ihrem Gesicht, in dem Licht der aufgehenden Sonne einen feenhaften Schimmer. Wie lange würde Laron noch durchhalten können, wenn sie, jene Frau die ihn mit ihrer mächtigen Aura in ihrem Bann hielt, diese Frau, die ihn nach jenem Tag zum Leben erweckte und die ihn nun sterben ließ, nicht wieder käme.
Das unangenehme Gefühl dessen, dass sie beobachtet wurde schlich ihr den Rücken hinauf und der Schreck, der ihr durch die Glieder fuhr, als Laron von hinten an sie heran trat, brachten sie zum Zittern. Er war meisterhaft im katzenhaften anschleichen, schon immer waren seine Bewegungen so flüssig und fließend gewesen, dass sie ihn darum beneidet hatte. Er streichelte ihr sanft über den Rücken und nahm sie bei der Hand, sie schaute ihm in die Augen und war irritiert, als sie ein ihr lange nicht mehr gezeigtes Leuchten in ihnen entdeckte. Sie folgte ihm ohne zu fragen in einen Teil des Hauses, den sie, so schien es ihr, seid einer halben Unendlichkeit nicht mehr betreten hatte. Sie gingen durch das Tor, welches den mächtigen Wintergarten von dem Rest des Hauses trennte und durch das sie seid dem sie Laron verlassen hatte nicht mehr gegangen war. Leila war es, als würde ihr der Atem genommen werden, als sie auf die vielen ausnahmslos perfekt gearbeiteten Glasrosen blickte, die das Licht in zu einem wunderschönen Farbenspiel zertrennten. Laron hatte ein Meisterwerk erschaffen, er hatte die Schönheit, der vorher dagewesen Rosen beinahe übertroffen, aber dennoch schienen sie ihr irgendwie fehl am Platz, weil diese leblosen Rosen ihre Vorgänger nicht ersetzen konnten. Leila schaute ihn an und erkannte, dass das Leuchten in seinen Augen Hoffnung war. Er schien anzunehmen, dass nun, nachdem er ihrer Rosen in dieser anderen Form erneut zum Leben erweckt hatte, sie auch bald wieder kommen musste.
Plötzlich verstärkte sich der Griff um ihre Hand und nur den Bruchteil einer Sekunde später begann ein Anfall seinen Körper zum beben zu bringen. Hilflos musste Leila zusehen, wie ihr Bruder damit rang Luft in seine Lungen zu ziehen. Schwer atmend, keuchend ließ er sich auf dem kalten Boden nieder. Einige Haarsträhnen hatten sich aus seinem Zopf gelöst und hingen ihm nun ins Gesicht. Die Hand, welche er vor seinen Mund gehalten hatte schaute Leila mit vor entsetzen geweiteten Augen an, Blut, er hustete bereits Blut. Auch Laron schaute auf seine Hand, jedoch eher verächtlich, bevor er sie an seiner Hose abwischte und sie von unten herauf anlächelte. Er lächelte und Leila trieb es erneut die Tränen in die Augen. Wie lange hatte sie ihn nicht mehr lächeln sehen? Wie lange? “Weine nicht mein Engel.“, sagte er und der melodische Klang seiner Stimme, die sie so lange nicht mehr gehört hatte jagte ihr eine Gänsehaut über den Körper. Sie war etwas kratziger als früher, auch hier hatte das Glas, welches sich durch seine Lunge gefressen hatte, seine Spuren hinterlassen. “Weine doch nicht, ich bin fertig, ich habe es vollbracht und muss jetzt nicht mehr in die Werkstatt, ich kann mich jetzt erholen.“ Diese Melodik, die seine Stimme zu Gesang machte, war so unfassbar für sie, er konnte ja nicht wissen, dass sie vor Freude über sein Lächeln weinte und nicht vor Sorge, er konnte es nicht wissen. Sie war sich sicher, dass er nicht wieder gesund werden würde, auch ihr Vater hatte unter jener Krankheit gelitten, wenn auch erst in einem sehr viel höherem Alter, da er nie Monate lang die Werkstatt kaum verlassen hatte. Auch ihn hatte der Husten, selbst als er lange nicht mehr arbeitete zunehmend schwächer werden lassen.
Einige wenige tage hielt die beinahe als gut zu bezeichnende Laune Larons an. Er ging mit ihr in die Stadt, er aß regelmäßig und auch sie hätte sich fast der Illusion hingegeben, dass auch sein Husten weniger geworden wäre. Doch die immer größer werdenden Blutflecken, die sie jeden Morgen auf seinem Kopfkissen entdeckte, bevor sie es frisch bezog straften diesem Gedanken Lüge.
Dann kam der Morgen, an als ihn seine Traurigkeit und seine Schwäche übermannten, er wollte nicht mehr, er konnte nicht mehr aufstehen. Seine Hoffnung hatte ihn schlagartig wieder verlassen, sie würde nicht kommen, nicht jetzt, nicht morgen und wenn überhaupt, dann zu spät..
Leila umsorgte ihren Bruder, während er immer schwächer wurde, die Anfälle häuften sich zusehends und jeder Tag an dem er mehr schlief, als das er wach war, waren eine Wohltat für ihn. Selbst in Ruhe wurde sein schwacher Körper so gut wie ständig vom Husten geplagt.
Leila bereitete alles für jenen Tag, der nun bald kommen würde vor, sie hatte bereits alles da und wartete nun nur noch, während sie ihrem dahinsiechendem Bruder die von ihm jeden Morgen gestellte Frage, ob sie gekommen wäre, wieder und wieder verneinen musste. Seine Stimme hatte all ihren lieblichen Klang verloren und glich nun eher dem Krächzen eines flüsterndem Raben. Das Fieber, mit dem sein Körper gegen sich selbst kämpfte stieg jeden Tag und nichts vermochte es mehr zu senken.
An jenem Tag, als er von hohem Fieber geplagt in seinem Bett lag, außerstande seine Frage nach ihr zu stellen, wusste sie, dass es so weit war, ihr Bruder würde sie verlassen. Er war kaum noch wach und seine Sinne schwanden mit jedem Tag mehr und mehr, es war so weit, der Tag auf den sie sich vorbereitet hatte war gekommen.
Am Abend brachte sie ihm sein Wasser, wie jeden Abend, sie hielt die beiden Gläser fest in ihren Händen um zu verhindern, dass eben jene zitterten. Sie flößte ihm, wie jeden Abend sein Wasser ein, er war schon zu lange zu schwach um selbst zu trinken und wie jeden Abend trank auch sie ihr Wasser bei ihm am Bett. Laron, der unter seiner Entkräftung litt schlief fast augenblicklich wieder ein und so bemerkte er nicht, dass Leila etwas tat, was sie noch nie getan hatte. Sie legte sich neben ihn ins Bett, nahm ihn in den Arm und eine Träne rann ihr über die Wange, während sie von einer bleiernen Müdigkeit erfasst wurde, die sie neben ihm einschlafen ließ.
Dieser Tag brachte die Nacht mit sich die sie beide in einen Schlaf wiegte, der sie nie wieder freigeben würde. Ewiger Schlaf.
Behutsam wehte am nächsten Morgen ein leichter Wind über das Land hinweg, als wolle er es aufwecken, es war ein wunderschöner Morgen, der in seinen Farben so leuchtend war, dass er auf einem Bild als irreal zu bezeichnen gewesen wäre. An diesem Morgen schallte ihre glockenhelle Stimme durch das große Haus, auf der Suche nach Laron.
An jenem Morgen hörte sie niemand mehr außer der gläsernen Rosen, die in ihrer ganzen Schönheit erleuchtet waren.
Danke fürs Lesen!