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Rote Milch

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03.08.2002
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Rote Milch

„Jürgen, nähern Sie sich dem Punkt, der Sie bewogen hat, einen Termin bei mir zu nehmen.“ Dr. Lech lächelte zwar, nach dem er die Worte in seiner gewohnt ruhigen Art ausgesprochen hatte, doch wusste Jürgen nur zu gut, was er damit meinte. Es war eine Angewohnheit aus Kindertagen, immer dann besonders viel Unwichtiges in besonders Adjektiv lastigen Details zu erzählen, wenn es um eine Sache ging, die ihm wirklich nahe ging. Und diese Sache, nun ja…
„Es hat etwas mit Ihrer Frau zu tun, haben sie meiner Sekretärin am Telefon gesagt. Etwas Körperliches.“
„Ja, richtig.“
Es lief genauso ab, wie er es sich vorgestellt hatte, nachdem er vor einem Monat den Entschluss gefasst hatte, einen Psychologen aufzusuchen. Der Raum in dem er saß, war eingerichtet wie ein Wohnzimmer und hatte nichts von einer Arztpraxis, ließ man einmal die dicken Medizinbände, die drei Reihen des Bücherregals an der Wand neben der Tür außen vor. Die Wände waren in einem mediterran anmutenden Gelbton gestrichen und bewirkten im Verbund mit dem roten reichlich verzierten Teppich und den edlen Ledersesseln in denen sie beide sich gegenüber saßen eine warme Atmosphäre. Auch Dr. Lech entsprach in etwa seiner Vorstellung; ein Mittfünfziger, von schlanker Gestalt und einem ausdrucksstarken aber weichen Gesicht.
Jürgen hatte sich etwas anderes gewünscht. In diesem Umfeld erschien es falsch eine Geschichte zu erzählen, wie die, die eine depressive Ader in ihm hatte aufplatzen lassen.
„Meine Frau…“
„Schildern Sie zunächst das Problem in einem Satz“, unterbrach ihn Dr. Lech. Er schaute Jürgen dabei konzentriert in die Augen, was seine Nervosität verstärkte.
„Danach die Hintergründe. Aber zuerst… präzise ihr Problem.“
Jürgen wich den Augen des Psychologen aus und senkte den Blick auf den Teppichboden mit seinen eingestickten Blumenmustern. Dann sagte er mit zittriger Stimme: „Ich muss ihr die Brust geben.“

„Wissen Sie, meine Frau – sie ist 32 – habe ich vor sieben Jahren kennen gelernt, in Augsburg, nicht weit von hier. Sie hat sich bei der Zeitung als Sekretärin beworben. Ich war damals für alles was mit Einstellungen zu tun hatte, zuständig. Und… wie soll ich sagen, glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?“
Dr. Lech überlegte nicht lange, bis er mit einem Ja antwortete. Jürgen vermutete, dass ihm diese Frage schon öfters von einem Patienten gestellt worden war. Ob er die Wahrheit sprach? Ja, daran glaubte Jürgen, der zunehmende Sympathie für den annähernd Siebzigjährigen empfand.
„Es war so. Wie in Schundheftchen an Kiosken, wissen Sie? Als ich das erste Mal in ihre Augen sah, und dort diese tiefgründige Traurigkeit entdeckte, hatte ich sie ins Herz geschlossen. Sie war nicht wirklich hübsch, doch die Verletzlichkeit, die in den kleinen Bewegungen lag, wie dem Zittern, dass von ihren Fingern ausging, die sie krampfhaft gefaltet hatte, oder dem Zucken der Mundwinkel, wenn ich ihr eine Frage stellte… Sie als Psychologe nennen so was wahrscheinlich Beschützerkomplex, oder?“
Dr. Lech antwortete nicht.
„Na ja, es dauerte ziemlich lange, bis ich zu ihr ein Verhältnis aufgebaut hatte, das mir erlaubte, sie auszuführen. Essen gehen im Thai-Restaurant, einen französischen Film in einem Kunstkino anschauen… Sie wissen schon.
Schleichend wurden wir so zu einem Paar. Sie war sehr schüchtern und es brauchte viel Willenskraft meinerseits, aber schließlich kamen wir in einem Zustand, den man eine Liebesbeziehung nennt.“
„Jürgen, kommen Sie…“
„Ich weiß, ich weiß! Ich verirre mich schon wieder in Geschwafel. Entschuldigen Sie. Das nächste, was wichtig zu erwähnen ist, ist der Abend, als ich sie entjungferte. Sie war 25, aber das passte irgendwie zu ihr. Ich hatte mir das Ganze perfekt ausgemalt, hatte kleine Teelichter ums Bett verteilt, Sekt befand sich auf Abruf im Kühlschrank. Vorher wollte ich mit ihr Essen gehen. Sie muss geahnt haben, dass ich an diesem Abend mit ihr Sex machen wollte, denn als ich sie zurecht gemacht im Anzug an der Haustür erwartete, brach sie plötzlich in Tränen aus und stammelte wirsch vor sich her, dass ich nichts Zusammenhängendes heraushörte. Ich schob es im ersten Moment auf ihren harten Arbeitstag im Büro. Bei einer Zeitung, die täglich außer Sonntags erscheint, werden die Arbeitszeiten ziemlich unkonventionell gestaltet, und dieser Freitag war der dritte Tag infolge, der zwölf Stunden gedauert hatte.
Ihr nahm sie in den Arm, doch sie stieß mich fast schon panisch weg, und rannte dann zur Toilette, wo sie sich einschloss.“
„Welches Problem kam für Sie als zweites in Frage?“ Dr. Lech griff in die Tasche an seinem Hemd und holte einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber hervor.
Ziemlich unprofessionell, dachte Jürgen. Der Psychiater hatte bisher den Eindruck erweckt, als würde er alles, was mit seiner Arbeit zu tun hatte, penibel behandeln. Der Spiralblock, dessen unzählige Brüder wohl mit den Einkaufslisten von Hausfrauen gefüllt worden waren, passte nicht in dieses Bild.
„Mein zweiter Gedanke war, dass es etwas mit ihrer Kindheit zu tun hatte. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel von sich erzählt. Besonders nicht, was ihre Familie anging. Ich wusste damals nur von einem Vater und einem jüngeren Bruder, die Mutter wäre kurz nach ihrer Geburt gestorben sagte sie. Mehr erzählte sie nicht, und in mir keimte die Vorstellung, dass sie Zuhause missbraucht worden ist. Daran musste ich auch denken, als ich vor der Badezimmertür kniete und versuchte sie zu beruhigen.“
„Dies wäre zumindest eine logische Erklärung für den Umstand ihrer überportionierten Zurückhaltung anderer gegenüber. Und so selten, wie viele denken ist sexueller Missbrauch innerhalb der Familie gar nicht. Es geistern häufig Zahlen durch die Medien, manche von ihnen nennen zehn Prozent realistisch. Dennoch scheint das niemand so richtig für voll zu nehmen.“ Er lächelte. „Entschuldigen Sie, nun war ich es der abgeschweift bin.“
Er machte eine Handbewegung, die Jürgen deutete fortzufahren.
„Es war kein sexueller Missbrauch, das sollte ich an diesem Abend erfahren. Ich schaffte es schließlich Karin zu beruhigen.“
„Karin… Das ist der Name ihrer Frau?“
Jürgen nickte.
„Ja, so heißt sie. Den Nachnamen hat sie ändern lassen, noch bevor wir uns kennen gelernt haben. Als Karin Schneider wurde sie geboren. Jedenfalls verstummte nach quälender Zeit das laute Schluchzen. Ich weiß nicht, ob das an meinen Worten lag. Dann hörte ich ihre Schritte auf den Fließen, und einen Moment später drehte sich der Schlüssel im Schloss. Vorsichtig trat ich ein, und da sah ich, wie meine Frau mit nacktem Oberkörper auf dem Klodeckel saß, die Arme unter den kleinen Brüsten verschränkt vor und zurück wippend. Sie sah mich an… Und diesen sehnsuchtsvollen Blick werde ich nie vergessen, das können Sie mir glauben. Ich sah ihr in die Augen, dann wanderte mein Blick zu ihren Brüsten, dich ich bis dato noch nicht einmal ansatzweiße entblößt zu sehen bekommen hatte. Und dann sah ich… Karin hatte keine Nippel. Ihre Brüste endeten in Spitzen, die aus harten Knoten vernarbten Gewebes bestanden.
Unsensibel von mir, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders, als mich über die Badewanne zu beugen und sie mit Kotze zu füllen.“

Nun würde der wahrhaft unheimliche Teil der Geschichte folgen. War er an Orten allein, sei es in der kleinen Wohnung, die er mit Karin teilte, was aber nur selten vorkam, da sie nur wenn unbedingt nötig das Haus verließ, sei es in seinem Büro, konnte er seine Gedanken nicht um diesen Teil drehen lassen, ohne zu riskieren in einen Zustand zu verfallen, der ihn vor lauter Angst lähmte.
Natürlich drängten sich manche Szenen immer wieder grausam an die Oberfläche, aber wenn das geschah, fand er normalerweise genügend Möglichkeiten sich abzulenken. Das Beste Mittel war ein heißer Kaffee, getrunken während im Fernseher eine belanglose Sitcom lief. Auch Musik half – egal welcher Art.
Wahrscheinlich würde auch Alkohol die Gedanken vertreiben, doch Jürgen war schlau genug gewesen kein Bier oder einen Wodka anzurühren, wenn er bemerkte, dass sich das Entsetzen einschlich. Hätte er es doch getan, hätten er und Dr. Lech wahrscheinlich ein anderes Gesprächsthema.
„Es war eine Art Kult“, erklärte er. „Kommt einer Teufelssekte wahrscheinlich nahe, auch wenn sie unter Tränen immer wieder sagte, dass ein gewisser Tephlef der angebetene Gott gewesen sei. Diesen Namen hat sie an jenem Abend wie ein Gurgeln ganz tief in der Kehle ausgesprochen – und nur an diesem Abend. Ich habe kurz darauf Nachforschungen angestellt, wobei mir mein Job bei der Zeitung gelegen kam. Ist zwar nur eine Lokalzeitung, dennoch treffen sie dort Experten für eine Vielzahl von Themen. Dorothea Reichmann hat bevor sie bei uns gelandet ist ein Theologiestudium abgeschlossen. Mit Schwerpunkt auf das Sektenwesen zur Hautzeit des Katholizismus im ausgehenden 12. Jahrhundert.
Eines Tages trat sie während der Mittagspause in mein Büro und knallte mir ein Buch auf den Schreibtisch. Es war nicht so alt, wie die, die man in der Bibliothek des Vatikans vermuteten würde, dennoch datiere ich es auf mindestens hundert Jahre, wenn man die vergilbten Seiten und die altertümliche Schrift nimmt. Es hieß Das Auftreten der Teufel in der Geschichte.
Viele Kulturen waren darin vertreten, viele Geheimbünde, von denen ich noch nie gehört hatte. Und selbstverständlich eine Vielzahl von Teufel. Die meisten glichen sich in ihrer Darstellung bis auf kleinere Abeichungen und ihre angebliche Entstehungsgeschichte. Ein Kult aber, die Fußnoten der Geschichtsschreibung sprechen nach ihrem Auftreten in Süddeutschland schlicht von den Badenern, hatte einen Teufel, der sich von allen Unterschied: Er war weiblich. Sein – bzw. ihr – Name war Tephlef.“
Jürgen machte eine Pause. Augenscheinlich um ein Taschentuch aus seiner Jeans zu holen und sich damit den Schweiß von der Stirn und der Nasenpartie zu wischen. In Wirklichkeit interessierte ihn nur das Gesicht des Doktors. Jürgen suchte in ihm angestrengt nach einem Ausdruck des Spotts. Und er war sich sicher, dass selbst die kleinste Andeutung davon, ihm zum sofortigen Beenden seiner Erzählung veranlassen würde. Doch das Gegenteil war der Fall; die großen Augen und die opulenten dunklen Lippen zeigten anstatt von Spott wirkliches Interesse. Mehr noch, die Aufforderung, er solle weiter erzählen, mehr erzählen.
Und so berichtete er, dass er das Buch mit nach Hause geschafft hatte, um unter dem kühlen Licht der Küchenlampe die dreiundzwanzig Seiten zu lesen, nachdem er sich versichert hatte, dass seine Frau fest schlief.
Tephlef, so glaubten die Badener, hatte mit Luzifer den Aufstand im Himmel angezettelt, und war mit dem Engel des Lichts in ein anderes Reich verbannt worden. Anders als es die Vorstellung der Katholiken besagt, war nicht Luzifer der Herrscher an diesem Schwefel verseuchten Ort der Qualen gewesen, sondern Tephlef, das einzig weibliche Wesen unter den Engelsscharen. Wie eine Mutter habe sie sich um Luzifer gesorgt und ihm als eine Art Beruhigungsmittel Milch aus ihren Brüsten gespendet, womit er die Niederlage verkraften sollte.
Engel, die diese Szene erblickt hatten, machten Gott Bericht und dieser befahl, man solle ihr die Zitzen herunterreißen. Die Ausführung dieser Tat, in der illustre Foltermethoden und Zangen aus flüssigem Metal die Hauptrolle spielten, dauerte alleine drei Seiten.
Letztendlich blieb Tephlef gebrochen und wahnsinniger als ihr Gefährte zurück in der Hölle, selbstverständlich sich nach Vergeltung verzehrend.
Um dieses Gemüt zu besänftigen hatten die Badener eine Menge Rituale ins Leben gerufen, die meisten grausamer, als sie sich die Inquisitoren wohl zu denken getraut hätten. Einmal im Jahr, so besagte das Buch, als dessen Autor ein Professor Alvin Hudenbrück auf dem Titel angegeben war, wurden die dreizehnjährigen Mädchen der Gemeinde auf eine Lichtung geführt, wo ihnen deren Väter die Brustwarzen mit Schmiedezangen abtrennten.
„Der Bericht schließt mit dem Vermerk, dass der Kult der Badener ihren Höhepunkt im ausgehenden 12. Jahrhundert erreicht hatte. Danach wird er nirgends wo mehr erwähnt, weder in Dorfchroniken, noch in Prozessakten der heiligen Inquisition.“
Dr. Lechs Gesicht hatte eine dunkle Röte angenommen. Seine Augen sahen verträumt aus, als sähen sie nicht in Jürgens kalkweißes Gesicht, sondern in eine andere Ebene von Zeit und Raum.
Er war schon wieder viel zu weit ausgeschweift, erkannte Jürgen, doch eine Aufforderung des Doktors, dies zu unterbrechen war nicht erfolgt. Er glaubt mir, sagte ihm sein nächster Gedanke euphorisch. Er glaubt mir tatsächlich!
„Dies tat man auch mit Karin. Als sie dreizehn war, so hat sie mir schluchzend erzählt, hat ihr Vater ihr die Brustwarzen abgetrennt, während weitere Menschen um sie herum standen, und weitere Mädchen auf das Abspalten warteten und schrieen und bettelnden. Eine Art Priester ließ dabei aus einem Buch. Was das für eines wahr, und was er vorlas, das wusste sie nicht mehr.“
Jürgen spürte, wie sich bei dieser Vorstellung sein Hodensack schmerzhaft zusammenzog.
„Doch seinen Namen. Charlie hätten sie ihn damals genannt. Können sie sich vorstellen, wie es war, nachts über Tephlef und das Ritual mit den Brustwarzen zu lesen, nachdem die Frau die ich liebe, mir dies an dem Abend, an dem ich sie entjungfern wollte, halb apathisch erzählt hat?“
„Sie bekamen ein Gefühl, das besagte, Realität und Wahnsinn ließen sich nicht weiter eindeutig auseinander halten“, antwortete Dr. Lech

„Sie erzählte mir, dass sie von ihrem Vater und ihrem Bruder geschlagen wurde. Man gab ihr kaum zu essen, und sie hatten einen Topf für sie in der Küche aufgestellt, woraus sie manchmal trinken musste. Darin war Pisse von den beiden. Sie erzählte vom Quälen aus Spaß mit Zigaretten, die sie ihr an allen möglichen Körperstellen ausdrückten. Fernsehen gab es keins. Bei Familie Schneider wurde auch keine Zeitung gelesen, und auf in die Schule ging Karin mit der Gewissheit eine Sünde vor ihrer Göttin zu begehen, da alles Wissen nichts Wert sei, wenn das Endgericht eintritt und alle Seelen außer die, die an sie geglaubt und die gehorsam waren, von Tephlef verspeist werden würden, um in ihrem ätzenden Fleisch zu wohnen. Wie der Zeremonienmeister Charlie die Nippel der Jungfern verspeist.
Fünf Jahre dauerte das Ganze, angefangen mit ihrem zehnten Geburtstag, bis sie floh. Sie sagte, hätte sie drei Jahre länger gewartet, bis zu ihrer Volljährigkeit, hätte sie der Priester entjungfert und sie dann ermordet. Ein Messerstich mitten ins Herz. Sie selbst hätte das vier Mal gesehen.“
Er unterbrach sich, um die Wirkung seiner Worte auf Dr. Lech beobachten zu können. Dessen Gesicht hatte deutlich an Farbe zugenommen. Auffälliger jedoch war die Halsschlagader, die Jürgen nun deutlich hervortreten sah.
„Erzählen Sie bitte weiter“, sagte der Psychologe. „Nur weiter. An einem Stück runter von der Seele. Tut Ihnen nur gut.“ Während dessen schrieb er etwas auf seinen Block. Seiner unruhigen Handführung nach zu urteilen, würde das Gekritzel später keiner mehr, außer ihm selbst lesen können.
„Wir schliefen an dem Abend, an dem sie mir ihre Brüste gezeigt hatte, doch noch mit einander. Es hört sich komisch, vielleicht grotesk an, mit Sicherheit wird es ihnen vorkommen, als sei ein Schuss Perversion mit im Spiel gewesen. Ich meine, sie erzählt mir diese Geschichte, von der ich erst nichts glauben kann, je länger sie aber erzählt, um so mehr will ich ihr glauben, und zum Schluss musste ich ihr einfach glauben. Es war so abstoßend, und gleichzeitig ein solcher Vertrauensbeweis, dass…“ Jürgen rang um die richtigen Worte.
„Das Teilen schlimmer Erfahrungen kann eine enorme emotionale Bindung zwischen zwei Menschen entstehen lassen“, beendete Dr. Lech den Satz. „Das wollten Sie damit doch sagen, oder?“
Jürgen nickte.
„Genau. So war’s. Jedenfalls, diese Intimität… Ich wollte ficken. War besessener danach, als ein Vierzehnjähriger, der den Blick in der Mathestunde nicht von den Beinen seiner Mitschülerin abwenden kann.
Und es gab nur eine Frau, mit der ich’s erleben wollte. Und, wie soll ich sagen? Es passte, denn während sie erzählte ging ein Prozess der Verwandlung mit ihr vonstatten. Als würde sie für alle hundert gesprochenen Wörter ein Teil ihrer Schüchternheit verlieren. In ihrem Blick sah ich es am deutlichsten. Traurigkeit war Verlangen gewichen.
Und dann fanden wir uns im Bett wieder. Es war keineswegs, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war nichts, was man je in der Bravo als Bericht wieder finden würde. Weder zärtlich, noch kümmerten wir uns um Verhütungsmittel. Ich drang in sie ein und es war, als wären wir zu einem Fleischgemisch geworden. Ihr Atem, mein Atem… Mein Gott, ich habe so etwas noch nie vorher erlebt. Ein Impuls der schweinischsten Lust, die man sich vorstellen kann, dauernd in unsrer beider Körper strömend. Und ganz besonders fesselten mich ihre Brüste. So unschuldig aussehend und so verletzlich wegen der fehlenden Nippel.
Als ihr Atem schneller ging, und sich ihr Orgasmus ankündigte, lag ich auf ihr und dann spürte ich, wie sie ihren Mund um meine Brustwarze schloss. Zuerst saugte sie kräftig, dann biss sie zu. Ich habe laut geschrieen vor Schmerz und war der Ohnmacht sicherlich nahe. Doch gleichsam holte mich der schmerz noch etwas weiter weg von der Realität und ließ mich den Kosmos der Fleischeslust in dem ich mich befand noch intensiver wahrnehmen. Sie saugte mein Blut, bis sich ihr Unterleib, der mit ihrem Jungfernblut beschmiert war, verkrampfte und es immer wieder tat, dass ich dachte, ihr Orgasmus würde ewig andauern. Dann kam auch ich.
Wir blickten uns lange in die Augen, ohne zu wissen, was wir nach dieser Erfahrung noch sagen oder denken sollten.
„Das haben die Mädchen bei Charlie gemacht, nachdem sie das Ritual hinter sich hatten. Er hat ihnen seine Milch gegeben. Rote Milch. Es war nicht Blut, wie du es mir gegeben hast, hat sie gesagt. Es war anders, wohltuender.
Seitdem gebe ich ihr jeden Tag vor dem Bettgehen die Brust. Sie beißt meine Warze nicht mehr auf. Ich steche mich vorher mit einem Messer. Das geht schon seit zwei Jahren so. Es scheint als wäre sie mit der Zeit förmlich süchtig danach geworden. Damit endet meine Geschichte.“
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er am ganzen Leib zitterte. Er holte noch einmal das Taschentuch hervor, um nach dem Schweiß in seinem Gesicht zu tupfen. Was würde der Doktor dazu sagen?
„Interessant“, flüsterte dieser, wie als Antwort auf den Gedanken.
„Eine Geschichte, die tatsächlich ungewöhnlich ist. Ungewöhnlich und verstörend.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Jürgen, ich möchte, dass Sie weitere Termine bei mir nehmen, wenn Ihnen das Recht ist.“
Jürgen nickte.
„Ich glaube, es gibt sehr viel aufzuarbeiten. Vielleicht werden wir zu einem späteren Zeitpunkt auch Ihre Frau bei unseren Sitzungen begrüßen können. Es wäre wichtig für sie, ich denke, dass kann ich auch jetzt schon diagnostizieren.“
Er erhob sich aus seinem Sessel und streckte Jürgen die Hand entgegen. „Im Vorzimmer wird meine Sekretärin einen Termin mit ihnen ausmachen, nun ist unsere Zeit leider schon um.“

Es war 18 Uhr, als er seine Sekretärin zu sich rief. Sein letzter Patient war gerade gegangen, alle restlichen Termine des heutigen Tages hatte Dr. Lech absagen lassen. Es war ihm schon schwer gefallen, Julia Schmidt mit ihren Bulimie-Geschwafel zuzuhören. Karl – Heinz Lech hatte jetzt nur noch eine Sache im Kopf…
Die Tür öffnete sich und zögernd trat seine junge Sekretärin ein. Siebzehnjahre alt, hübsch, intelligent.
Die weiße Bluse hatte sie aufgeknöpft, wie er es ihr befohlen hatte, wenn sie allein in der Praxis waren. Den BH hatte sie im Vorzimmer abgelegt. Ihre Brüste waren groß für ihre schlanke Gestalt und hingen trotz ihres jungen Alters. Er verfolgte den Lauf der deutlich hervortretenden Adern, wie sie am vorderen Teil der Brüste immer mehr in Erscheinung traten, bis hin zu dem Narbengewebe, das wie in sich verschlungene Maden den Abschluss bildete.
Sie lächelte, als sie seinen Blick auf ihrem Busen ruhen sah.
„Charlie?“, fragte sie.
„Druck mir bitte die Adresse von dem Typen aus, der den Termin um 16 Uhr hatte“, sagte er mit lieblicher Stimme. Er empfand wie ein Vater für sie. Er hatte für alle von ihnen wie ein Vater empfunden.
„Ich glaube, wir haben sie gefunden.“

 

wirklich gruselig

die Geschischte ist wirklich gruselig und brutal.
fast schon so gruselig und brutal wie von stephen king.
ich habe rischtig schon die Bilder gesehen wie im film.

meine glückwünsche für diese Geschichte

 
Zuletzt bearbeitet:

hi kevin,

die geschichte ist einiges, aber zuerst: viel zu lang. es scheint fast, als parodiere der erzähler die erzählung selbst, als er den arzt nach dessen ausführungen sagen lässt, daß dieser wisse, er schweife ab. das verleiht der geschichte einen tragikomischen zug und läßt vermuten, daß du unentschieden warst, ob du nun kürzen und wenn ja, welche stellen du streichen sollst.

nun denn: für textarbeit bin ich zu faul. das gilt es zu entschuldigen, ich sitze hier und schwitze mir einen ab -- habe die geschichte schon heute nachmittag gelesen, deshalb sind mir einige mißliebigkeiten nicht mehr unmittelbar zugänglich.

inhaltlich ist die geschichte interessant: du spielst geschickt mit der sektenproblematik und der stetigen gefahr, in der sich aussteiger bewegen - das natürlich auf einer fiktiven ebene, aber durchaus ansprechend gestaltet: vor allem die überlieferung, die du um den dämon spinnst, verleiht der geschichte eine beklemmende atmosphäre.

unsauber ist beispielsweise der zufall, daß ausgerechnet dieser onkel doc der bösewicht ist: das wird früh klar und raubt dem aufmerksamen leser die lust an der story. demnach der große schwachpunkt der geschichte: die sehr schlichte handlungsabfolge - keine komplexität, linear, ab dem zweiten drittel vorhersehbar!

sprachlich gäbe es einiges zu bekritteln, vor allem wortwahl und stilistik, aber das mache ich ein anderes mal.

was bleibt: eine geschichte, die luft nach oben hat. nutze sie!!

viele grüße,
art> isto

 

@Krilliam

Gracias, freut mich zu lesen.
Aber King, naja... Strebe im Moment eher die Ebene Annehmbare-Geschichte an.


@Aristo

Danke für die ausführliche Kritik!
Freut mich, dass dir die Idee hinter dem Plot gefallen hat, auch wenn es natürlich recht unwahrscheinlich ist, dass er gerade an diesen speziellen Psychologen gerät. Aber da fällt mir jetzt keine Lösung für ein, wenn sie nicht noch wesentlich länger werden soll.
Ja, das mit der Ausschweifung ist ein Teil Selbstironie, war aber vor allen Dingen als Selbstschutz vor Kritikern wie dir gedacht :Pfeif:

Kein Problem.

Ich muss dir leider zustimmen, dass die Pointe viel zu vorhersehbar ist. Aber auch da fällt mir keine bessere Lösung ein. Getroffen hat mich aber die Kritik am Stil. Nicht, dass ich es nicht einsehen würde (hab dazu bei den letzten Geschichten auch schon stark negative Kommentare geerntet), aber da gibts wohl nichts anderes, als auf die Zeit zu setzen. Denn das kann ich leider so schnell nicht ändern, deshalb bezweifle ich, dass ein nochmaliges Umschreiben dies verbessern würde.
Werde mich erst einmal anderen Ideen zuwenden.

 
Zuletzt bearbeitet:

kevin2 schrieb:
@Aristo

Danke für die ausführliche Kritik!
Freut mich, dass dir die Idee hinter dem Plot gefallen hat, auch wenn es natürlich recht unwahrscheinlich ist, dass er gerade an diesen speziellen Psychologen gerät. Aber da fällt mir jetzt keine Lösung für ein, wenn sie nicht noch wesentlich länger werden soll.


In einer anderen Funktion wäre der Psychologe sogar eine willkommene, weil für den Erzähler dankbare Figur: er eröffnet dir die Möglichkeit, die Handlung durch Jürgen nacherzählen zu lassen und entbindet den Psychologen von der unglaubwürdigen, behäbigen Aufgabe, neben dem Zuhörer auch noch Bösewicht zu sein.

Ja, das mit der Ausschweifung ist ein Teil Selbstironie, war aber vor allen Dingen als Selbstschutz vor Kritikern wie dir gedacht :Pfeif:

Unbedingt streichen! Hättest du eine Satire geschrieben, dann stünde ihr die Selbstironie wirklich gut zu Gesicht, einem ernsthafteren Text versetzen derlei Spielchen den Todesstoß: es sei denn, du verwendest dieses Stilmittel bewusst, gekonnt und häufig.

Kein Problem.

Ich muss dir leider zustimmen, dass die Pointe viel zu vorhersehbar ist. Aber auch da fällt mir keine bessere Lösung ein.


s.o.

Getroffen hat mich aber die Kritik am Stil. Nicht, dass ich es nicht einsehen würde (hab dazu bei den letzten Geschichten auch schon stark negative Kommentare geerntet), aber da gibts wohl nichts anderes, als auf die Zeit zu setzen.

Dein Stil ist nicht verheerend, aber verbesserungsfähig: drei grundlegende Tipps, falls du's noch nicht so handhabst:

(a) lies wie ein Besessener - am besten die alten Meister, sprich: Klassiker! Es ist fast so wie mit der Diät, nur gerade umgekehrt: ein King zwischendurch geht in Ordnung, aber sonst gibt es nur Schwerverdauliches. Daran reift man. ;)

(b) schreibe eine Geschichte nicht direkt am Computer, sondern setze sie handschriftlich auf; oder noch besser: tippe sie an einer Schreibmaschine. Du verlierst nie den Überblick und es kostet dich beileibe mehr Überwindung, ein Wörtchen aufzuschreiben: du wirst nach kurzer Zeit feststellen, daß deine Geschichten nicht mehr reihenweise ausgestülpt werden, sich dafür aber merklich verbessern.

(c) laß dir für eine Geschichte noch mehr Zeit. Warum? Weil du erst mit der nötigen Entfernung zur Geschichte ihre kleinen Makel und Unfeinheiten entdeckst und ihr dann sorgfältig die Kanten glätten kannst. Das ist bei weitem hilfreicher als diese Arbeit an kurzgeschichten.de-User abzuwälzen.

Und sollte es dir partout nicht nützen, die Geschichte über Monate hinweg an einem sicheren Ort zu verwahren, dann beauftrage eine vertrauensselige Person damit, die Geschichte zu redigieren.

Denn das kann ich leider so schnell nicht ändern, deshalb bezweifle ich, dass ein nochmaliges Umschreiben dies verbessern würde.
Werde mich erst einmal anderen Ideen zuwenden.

Nimm das Motiv dieser Geschichte und flechte sie in eine neue Erzählung ein, so schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe.

art> isto, der hier noch keine kg veröffentlicht hat und deshalb nicht besserwisserisch wirken will und aufgrund der hitze ein kommunikatives problem hat

 

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