- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Rotplüschig
Wir saßen an der Bar und tranken Bier für drei Euro die Flasche. Das Ambiente war rotplüschig und chromblitzend, an den nicht grellroten und funkelnden Stellen hingen Spiegel.
Wo man auch hinsah, man wurde gezwungen sich selbst zu beobachten.
Wir waren die einzigen Gäste in der Bar und so beobachteten wir uns hinreichend selbst im Spiegel hinter der Bar, im Spiegel links und im Spiegel der rechts, die an den Wänden hingen.
Anderen kamen rein, blickten sich um, sahen uns, erschreckten und flohen die Treppe nach oben. Am Anfang hatten wir uns einen Spaß daraus gemacht die anderen Gäste zu begrüßen, die dann wegen der ungeteilten Aufmerksamkeit, die sie erfuhren nur umso schneller in die erste Etage flüchteten. Irgendwann war aber die Luft aus diesem Scherz raus und wir begannen uns in den Spiegeln zu beobachten.
Was wir sahen war nicht überraschend, aber doch frustrierend genug um einen jeden von uns zu deprimieren und die Musik aus den Boxen für noch nichtssagender zu machen. Blickten wir in die Spiegel sahen wir drei Männer die wie Hühner auf der Stange vor dem Tresen saßen, alle mit einem typischen betrunkenem, verklärtem Blick, den Blick den betrunkene Verlierer haben, die nur noch auf Kaffee laufen.
Menschen, die sich für Sieger halten, betrinken sich mit Cola-Schnaps-Mischen und reiten dann eine Woge aus Spaß oder Euphorie ab, die aber eingentlich eine aus Koffein und Alkohol ist und den Sieger am nächsten Morgen ausgebrannt liegen läßt.
Bier ist gnädiger. Es schleift nur die Kanten ab, die in der Weltanschauung sind, läßt aber die Stimmungen und Gefühle in Ruhe, hinterläßt bloß einen schweren Kopf une einen Bierschiß.
Bier ist für Masochisten und für uns war ein Bierabend.
So sassen wir dort also, jeder eine Welt für sich, die um ihre Sonne aus persönlichen Problemen kreiste bis plötzlich die Bardame ihre Stimme, die nach Marlboro und Asbach klang erhob:
„Entweder geht nu' einer von euch rauf oder ich schmeiß euch raus.“
Die Welt, die zwei Plätze links von mir saß, hob darauf hin auch die Stimme:
„Also gute Frau, sie denken doch nicht, dass wir hier unten sitzen würden, wenn wir es uns leisten könnten raufzugehen.“ - in meinen Ohren war das ein hervorragendes Argument, aber leider nur in meinen Ohren, wie ich hörte:
„Na dann laß' ich euch rauswerfen.“ Sie drückte einen unter dem Tresen verstecken Knopf und ein Kerl, in den Schultern so breit, wie ich groß bin, kam rein, was mir die Idee für einige rettende Worte gab:
„Wir können ja zusammenlegen und dann geht einer von uns.“
Die Barfrau schien damit einverstanden. Der Muskelmann hatte keine Meinung und die Welt direkt neben mir, kehrte mit den Worte:
„Weh sus, sus soll,“ in unser Sonnensystem zurück. Niemand wusste was er damit meinte. Entweder war er schwer betrunken und lallte oder er sprach in seiner eigenen Sprache. Dann schlug er mit dem Kopf auf den Tresen und wimmerte leise vor sich hin, damit war auch geklärt, dass er für das Nach-oben-gehen ausschied. Verblieben zwei Deliquenten, mich mitgezählt. Scheiße.
Wir zwei einzigen zurechnungsfähigen Gäste in der Bar verglichen unsere Barschaften. Jeder von uns hätte zwar einen Besuch der ersten Etage wuppen können, die Folge wäre aber für jeden von uns gewesen sich bis zum Monatsende von Toastbrot, ungestoastet und trocken, ernähren zu müssen. Als legten wir zusammen. Tobi griff sich noch das Portèmonnaie unseres betrunknen Freundes. Zusammen kammen wir auf die nötige Summe.
Das nächste Problem tauchte auf und Tobi brachte es auf den Punkt:
„Wer von uns geht?“
Ich war voll von naiven Hoffnungen und schlug der wimmernden Welt neben mir auf den Rücken.
„Er geht, wird bestimmt toll, wenn sich eine mit ihm abmü*hen muss. Wir warten dann hier und hören, wie er beschimpft wird. Außerdem können wir ihn in Zukunft damit aufziehen, dass er das nicht gebacken bekommen hat.“
Tobi zweifelte an meiner Idee. Ihn störte, dass wir unseren dritten Mann die Treppe würden rauftragen müssen. Die Idee fand ich auch beschissen. Einen Mann, auch wenn er nur dreiundsiebzig Kilo wiegt, ein Stockwerk raufzutragen ist beschissen!
Eine Sache muss ich anmerken. Während Tobi und ich unseren Konflikt austrugen warteten die Barfrau und der Muskelmann ab. Wenn ich mich recht erinnere hatten beide kein Spiegelbild. Hätten sie eines gehabt, bei den vielen Spiegeln wäre es mir sicherlich aufgefallen.
„Also ich kann nicht rauf gehen. Wenn meine Freundin das rauskriegt, reißt sie mir die Eier ab,“ sagte Tobi, was ich aber nicht als Argument zählen lassen konnte, ich sagte:
„Deine Freundin wohnt dreihundert Kilometer weit weg. Du kannst Deine Klamotten waschen und duschen. Wie soll sie was rausbekommen? Ich erzähl ihr bestimmt nichts,“ meine Antwort schien ihn nicht überzeugt zu haben. Das merkte ich daran, dass er Widerworte hatte.
„Kai, deine Olsch hat Dich doch seit eineinhalb Jahren nicht rangelassen. Wäre doch was wenn Du wieder mal zum Schuß kommen würdest. Ich würde sogar was drauflegen. Das wäre ein Freifick für Dich.“
Ich war zu betrunken um das Angebot anzunehmen. Schade. Außerdem befürchtete ich, dass meine Frau was rauskriegen würde, wenn ich betrunken und nach Parfüm stinkend nach Hause kommen würde. Schließlich lebte ich schon in der Hölle, noch heißer musste die nicht brennen. Ich war also entsetzt über diesen nettgemeinten und selbstlosen Vorschlag, wirklich Schade:
„Ne, vergiss es. Nicht mit mir.“
Das war die Stelle an der die Barfrau ungeduldig wurde, was nicht weiter wild war, wild war, dass der Muskelmann auch ungeduldig wurde. Also mußten Tobi und ich eine Entscheidung erzwingen. Koste es, was es wolle. Wir entschieden uns dafür die Angelegenheit dadurch zu klären, dass wir eine Münze werfen. Tobi nahm Kopf und ich Zahl. Wir hatten aber nur eine Ein-Euro-Münze. Auf der Ein-Euro-Münze ist kein Kopf, also nahm Tobi den Adler und der Adler kam und Tobi ging nach oben nach dem er bezahlt hatte.
Die Zeit bis er fertig war wollte ich mit einem lockeren Plausch mit der Barfrau und dem Muskelmann verbringen in dem ich unverfänglich eine Frage stellte wie zum Beispiel „Wie wird man eigentlich Puffmutter“ oder „Wie kommat man zur Security in einem Bordell“ als die Frequenzen vom Planeten Zehn, die neben mir ausgesandt wurden, sich in deutsche Sprache verwandelten, die mir mitteilte:
„Scheiße, ich muss mal kotzen!“
Ich hielt also eine halbe Stunde den Kopf eines betrunknen Freundes beim Kotzen, während eine anderer betrunkener Freund ein Stockwerk über mir 'ne Nummer schob.
Der Spruch „Freunde kann man sich aussuchen“ ist eine Lüge. Man bekommt die Freunde die man verdient.
Nach der halben Stunde kam Tobi runter, grinste und teilte uns allen mit:
„Ich hab' zuviel getrunken, ich wollte einfach nicht fertig werden,“ das kannte ich. Ich glaube, dass ich das auch erfunden habe. Aber immerhin grinste er zufrieden, eine Sache, die ich auch gerne mal wieder tun würde.
Wir klemmten unseren Betrunkenen zwischen uns und gingen. Auf dem Weg zu Tobis Wohnung fragte Tobi mich:
„Als die Puffmutter anfing Stress zu machen, warum sind wir eigentlich nicht einfach gegangen?“
Ich kicherte wie ein kleines Mädchen und antwortete ehrlich:
„Ich hab' keine Ahnung.“