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RubberMan

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13.06.2002
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RubberMan

Langsam und würdevoll durchschnitt der Held in seinem homoerotisch enganliegenden Polyachrylanzug die Luft von Central City. Jeder Muskel wurde durch den farbenfrohen Stoff betont. Es erinnerte ein wenig an Ballettkleidung, wobei dieser Eindruck durch die grazilen Bewegungen des Mannes noch weiter verstärkt wurde, mit denen er springend und beinahe fliegend den Schurken verfolgte.
Artig in klischeehaftes Schwarz gekleidet und diabolisch grinsend flüchtete der Bösewicht durch die engen Straßenschluchten, immer in der Gewissheit, daß das Gute nur einen Schritt hinter ihm war. In der Hand hielt er das Kleinod, das er soeben aus dem städtischen Museum geklaut hatte. Es war nicht wichtig, um was es genau ging oder was dieses Artefakt zu leisten vermochte - auf jeden Fall würde es dem Schurken wohl die Weltherrschaft einbringen. Oder zumindest die über Central City.
Mit einem gewaltigen Satz sprang der maskierte Held von einem Vordach und landete auf dem Schurken, der durch die Wucht das Aufpralls zu Boden fiel. Das Artefakt fiel ihm aus der Hand und kullerte unaufhaltsam auf einen Gulli zu. Im letzten Augenblick konnte der Held es aber retten und

Gelangweilt schaltete Jakob Eden den Fernseher aus und rülpste herzhaft. Sein alter Sessel gab ein erleichtertes Stöhnen von sich, als der stämmige Mann sich erhob und in Richtung Küche marschierte, wobei er sich langsam und genüßlich am Hintern kratzte. Um ein Haar wäre er über den Stapel leerer Pizzaschachteln gestolpert, die ihn daran erinnerten, wie lange er den Müll schon nicht mehr rausgebracht hatte.
Der Kühlschrank war natürlich leer. Das letzte Bier hatte er eben getrunken. Einen Moment lang überlegte Jakob, ob er schnell zur Tanke marschieren oder heute doch lieber eine Wasserdiät einlegen sollte. Nach einigem Hin und Her entschied er sich für die zweite Alternative, füllte ein nur scheinbar dreckiges Glas mit Wasser und setzte sich wieder in den Fernsehsessel. Das Glas war deshalb nur scheinbar dreckig, weil das Wort dreckig hier eine andere Dimension bekommt. Im Vergleicht zum Rest der Wohnung konnte man es tatsächlich fast als sauber bezeichnen.
Jakob griff tief in die Chipstüte, trank angewidert einen äußerst kleinen Schluck Wasser und schaltete den Fernseher wieder ein - einfach weil ihm nichts besseres einfiel, das er sonst hätte tun können.

Der maskierte Held bekam eine Auszeichnung vom Bürgermeister der Stadt, weil er verhindert hatte, daß der Bösewicht selbige unter seine Kontrolle bringen konnte. Er nahm die Ehrung mit einer gewissen Routine entgegen, so als würde ihm so etwas jeden Tag passieren. Das lag daran, daß es ihm wirklich fast jeden Tag passierte.
Durch ein Spalier ebenso üppig ausgestatteter wie spärlich bekleideter junger Damen marschierte er würdevoll zu seinem knallgrünen Wagen und fuhr in den Sonnenuntergang. Auch das tat er sehr oft, weil der Bürgermeister ihn immer um diese Uhrzeit ehrte. Er fand, es sah einfach besser aus, wenn die Sonne im Hintergrund gerade unterging. Es folgte ein kurzer Abspann und der Film war zu Ende.

Die Werbung interessierte Jakob nicht. Er kaufte sowieso seit jeher die selben Produkte. Darum wollte er gerade zu einem anderen Kanal umschalten, wo um diese Zeit sein Lieblingsquiz begann, als das Telefon klingelte. Nein, Moment... das war gar nicht das Telefon. Nicht das normale, welches auf einem kleinen Tisch im Flur stand und bei dem die Nummer vom Pizzabringdienst noch vor der Notrufnummer eingespeichert war. Es war das andere Telefon.
Wie von der Tarantel gestochen fuhr Jakob in seinem Sessel hoch und sprintete zu seinem Kleiderschrank, wobei er mit dem Fuß in einer Teppichkante hängenblieb und ein wenig ins Straucheln geriet, sich aber im letzten Moment fangen konnte.
Der Schrank sah von innen genauso aus, wie er von außen wirkte. Vollkommen chaotisch eingeräumt und voller Müll, der mit einer dicken Staubschicht überzogen war. Jakob streckte sich, was gar nicht so einfach war, und holte einen Schuhkarton aus dem obersten Fach. Schnaufend vor Anstrengung öffnete er den Karton und ein rotes Telefon kam zum Vorschein, das zusätzlich zum Klingeln rhythmisch blinkte. Wann hatte es das zum letzten Mal getan? Es mußte Jahre her sein. Mit klopfendem Herzen hob Jakob Eden den Hörer ab.

„RubberMan, hier spricht Bürgermeister Phillips. Wir brauchen Sie! Der Schwarze Schakal ist ausgebrochen. Kommen Sie sofort in mein Büro.“
RubberMan... schon lange hatte ihn niemand mehr so genannt. Ja, die gute alte Zeit... damals war er noch ein ganz anderer Mensch gewesen. Doch nachdem er den Schwarzen Schakal vor einigen Jahren eingebuchtet hatte, brauchte die Welt keine Superhelden mehr. Und so hatte Jakob seine Geschichten für viel Geld ans Fernsehen verkauft und war seitdem hier in dieser lausigen Wohnung versumpft. Sein Anlagenberater hatte ihn damals kräftig hinters Licht geführt. Er wischte sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel und machte sich auf die Suche nach seinem Kostüm.

...

Hätten Passanten den Mann so sehen können, sie hätten ihn sicher für verrückt erklärt. Natürlich kannten sie den RubberMan noch – die meisten aus Erzählungen oder aus dem Fernsehen, andere hatten ihn sogar noch live miterlebt. Aber für sie war er Geschichte. Man hätte Jakob vermutlich einfach für einen armen Irren gehalten. Zum Glück gab es hier oben aber keine Passanten, denn Jakob stand auf dem Dach des hundertstöckigen Wohnblockes mitten in Central City.
Sein giftgrüner Anzug aus Polyachryl war sehr dehnbar. Das hatte eine gute und eine schlechte Seite. Zum Einen paßte er daher noch wie angegossen, sah zum Anderen aber leider auch wirklich so aus, als hätte jemand Jakob mit grüner Farbe bestrichen. Die über die Jahre angefutterten Fettpölsterchen traten deutlich zutage und auch der Bierbauch wölbte sich mutig über den engen Gürtel. Naja, man muß seine Füße ja auch nicht ständig sehen, dachte Jakob und hob ab.
Er wäre abgehoben, wenn er es denn noch gekonnt hätte. Damals war es kein Problem gewesen, er hatte sich einfach vom Boden abgestoßen und konnte daraufhin wie ein Flummiball springen. Viele hatten deshalb damals gedacht, er könne auch fliegen, aber das war natürlich Unsinn. Niemand kann fliegen – nicht einmal Superhelden. Jetzt stand Jakob immer noch auf dem Dach und fluchte wie ein Droschkenkutscher. Er konnte sich schlicht nicht mehr erinnern, wie er das einst angestellt hatte und das ärgerte ihn maßlos.

Noch einmal von vorne. Erst in die Knie gehen. Sein Kniegelenk knackte, aber Jakob ignorierte das. Jetzt tief Luft holen und einfach... einfach... für einen Moment war es wieder wie früher. Er flog tatsächlich mit der Anmut einer mittelgroßen Preßwurst durch die Luft und landete einigermaßen sicher auf dem Nachbarhaus. Jakob freute sich wie ein kleines Kind und schrie sein Glück in die Welt hinaus. Er konnte es wieder! Ein paar weite Sprünge später hatte er beinahe wieder seine alte Sicherheit zurück und traute sich sogar, einige übermütige Salti und Pirouetten zu probieren.

...

„Was bist du denn für ein Komiker?“
„Ich bin RubberMan! Und ich bin gekommen, um die Welt zu retten!“
„In meiner Apotheke?“
„Was? Ach so... nein, natürlich nicht. Ich bin vorhin echt böse auf den Kopf geknallt und jetzt brummt mir der Schädel.“ Bei einem seiner Flugmanöver hatte er sich um ein paar Meter verschätzt und die Drehbewegung vor der Landung nicht mehr vollenden können. Die nette Apothekerin schenkte ihm zwar einen Blick, der irgendwo zwischen Skepsis und Lachkrampf lag, aber sie gab ihm eine Schnellinjektion und Jakobs Schmerzen waren wie weggeblasen. Er legte all seinen damaligen Charme in die Waagschale und schenkte ihr zum Dank das gewinnendste Lächeln aus seinem Repertoire.
Eigentlich hätte sie jetzt vor Verlangen und unerfüllten Sehnsüchten auf den Boden sinken und ihm hoffnungslos verfallen müssen, aber sie schien sich nicht an die alten Abenteuer des RubberMan zu erinnern und so ließ sie es bleiben. Ein wenig enttäuscht trat Jakob wieder auf die Straße und hob ab. Er hatte schließlich eine Mission zu erledigen. Frauenherzen konnte er später immer noch brechen.

...

Bürgermeister Thomas Phillips trommelte nervös mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. Wo blieb der Kerl nur? Der schwarze Schakal war der Schlimmste Schurke, den die Stadt je erlebt hatte und jetzt war er wieder frei. Die Polizei würde keine Chance gegen ihn haben. Es gab nur einen Menschen, der den Schwarzen Schakal wieder einfangen kann – und der fiel in diesem Moment buchstäblich mit der Tür ins Haus.
„Verdammt... das mit dem Landen muß ich wieder mehr üben...“
„Wer zum Geier sind Sie?“ Phillips schreckte in seinem Stuhl hoch und sah fassungslos auf den grünen Fleischberg, der da in seiner Tür lag.
„Ich... ich bin RubberMan! Und ich bin gekommen, um die Welt zu retten!“
„Ach, so ein Unsinn! RubberMan ist ein starker, muskulöser Superheld. Nicht so ein... Möchtegern... ach, was rede ich überhaupt? Wachdienst! Schafft den Mann hier raus!“

Auf Geheiß des Bürgermeisters stürmten drei muskelbepackte Kleiderschränke in modischen blauen Uniformen in das Büro und zielten mit ihren Waffen auf Jakob. Der kauerte ein wenig überrascht auf dem Boden und versuchte, auf die Wachmänner wie ein möglichst ungefährlicher Haufen Mensch zu wirken, damit die gar nicht erst in Versuchung kommen, abzudrücken. Unauffällig holte er Schwung. Mit einem plötzlichen Ruck, der ihn selbst ein wenig überraschte, hob Jakob ab und sprang an die Decke des Raumes.
Von hier stieß er sich abermals ab und hechtete gegen die eichenvertäfelte Wand, von der er an die gegenüberliegende Mauer flog. Die Wachleute trauten ihren Augen nicht. Immer schneller wurde der grüne Mann und nach kurzer Zeit erkannten sie ihn nur noch als giftgrünen Schemen. Einen ziemlich dicken Schemen zwar, aber sie konnten mit ihren Waffen trotzdem kein Ziel ausmachen.
Bürgermeister Phillips war ziemlich fassungslos. Niemand konnte sich so schnell bewegen, bis auf... aber das war unmöglich. Dieser Wicht konnte einfach nicht... oder etwa doch?

„Das genügt!“, sagte er dann. „Lassen Sie dieses Theater und bleiben Sie stehen. Ich werde die Wachen abziehen lassen.“ Mit einem Wink befahl er seinen Untergebenen, den Raum zu verlassen, was diese mit einem gehorsamen Nicken auch taten.
Jakob war erleichtert, daß der Bürgermeister ihm nun endlich Glauben zu schenken schien und wollte auch wirklich mit dem Springen aufhören. Er wußte schlicht nicht, wie zum Geier er das anstellen sollte. Nach einiger Zeit bekam er endlich mit der Hand den Türrahmen zu fassen und kam so ein wenig schwankend zum Stehen.
„Bürgermeister Phillips. RubberMan meldet sich zum... ui, mir ist vielleicht schwindelig... zum Dienst... haben Sie vielleicht einen Eimer oder so? Mir ist ein wenig... ziemlich... übel...“
„Für so etwas haben wir keine Zeit! Nun, Sie scheinen tatsächlich RubberMan zu sein.“
„Das habe... habe ich doch gesagt... haben Sie wirklich keinen...“
„Ich komme gleich zur Sache. Der Schwarze Schakal ist aus seiner Sicherheitszelle ausgebrochen. Sie waren damals der einzige, der ihn dingfest machen konnte. Wir sind dazu leider nicht in der Lage. Darum brauchen wir Sie, um...“
„Lassen Sie mich... raten.“ unterbrach Jakob „Sie wollen von mir wissen, wo sein... sein Versteck ist."
„Was? Nein. Das wissen wir aus den Fernsehsendungen. Sie haben damals ganze Arbeit geleistet und den Produzenten wirklich jedes Detail beschrieben – alle Achtung.“ Jakob deutete ein sanftes Nicken als Dankeschön für dieses unerwartete Kompliment an. Mehr konnte er seinem Kopf im Moment einfach nicht zumuten.
„Wir brauchen Sie, weil Sie als einziger schnell genug sind, den Angriffen des Schwarzen Schakals auszuweichen. Unsere Männer haben ihn bereits in seinem alten Versteck umzingelt. Aber wir trauen uns nicht zu ihm hinein, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Okay... ich habe verstanden und mache mich sofort auf den... auf den Weg. Aber zuerst muß ich mal ihr Klo benutzen.“

...

„Verdammt, wo steckt der Junge? Lange kann ich den Schwarzen Schakal nicht mehr hinhalten.“
„Machen Sie weiter, Sir. Sie machen das hervorragend.“
Inspektor Peterson war sich da nicht so sicher. Zwar hatte er den Schurken nun schon seit drei Stunden erfolgreich hingehalten, aber irgendwann würde sein Bluff sicher auffliegen. Der Stützpunkt des Bösen – eine Fabrik für Gummimasken – war zwar umstellt, aber im direkten Aufeinandertreffen mit dem Schwarzen Schakal hätten die Polizisten sicher nicht den Hauch einer Chance. Peterson ergriff das Megaphon und schaltete es ein.
„Jetzt geben Sie schon auf! Sie haben keine Chance. Das Gebäude ist umstellt!“

Ein langgezogenes asthmatisches Keuchen suchte sich seinen Weg durch die finsteren Fabrikhallen und verhallte dann ungehört in der Dunkelheit. Der Schwarze Schakal saß zusammengekauert an einen Stahlträger gelehnt und wartete auf die Dinge, die da kommen mögen. Er wußte selbst nicht, wie ihm die Flucht aus dem Hochsicherheitstrakt gelungen war. Sicher war nur, daß er nun hier war und erbärmlich fror.
Ein dunkler Schatten trat auf ihn zu und warf ihm eine Decke auf den alten, knochigen Körper.
„Hier, Sir. Nehmen Sie die.“
„Danke... Bill... du bist doch Bill, oder?“
„Ja, Sir. Ich war Ihnen immer treu ergeben.“
„Bill... ja, ich erinnere mich. Immer... immer meine recht Hand. Du solltest immer... immer mein Nachfolger werden... Bill...“
Die erbärmliche Gestalt deutete ein leichtes Lächeln an und versank wieder in dumpfes Schweigen. Es war so schön gewesen im Gefängnis. Jeden Tag eine warme Mahlzeit und eine Krankenschwester, die ständig das Bett neu machte. Der Schwarze Schakal war alt geworden – sehr alt.
Nur drei Leute hatten Zutritt zu seiner Zelle gehabt und die hatte Bill hoffentlich getötet. So wußte niemand, wie es um den Schakal wirklich bestellt war. Nur in dem Fall würden die Polizisten glauben, er hätte noch seine ganze Macht und den Laden hier nicht stürmen. Der Schwarze Schakal hielt seine Zeigefinger aneinander und versuchte, einen Blitz zu erzeugen. Aber es war sinnlos, er hatte seine Energie schon vor langer Zeit verloren.
„Bill... sei doch so nett und hol mir ein... ein weiches Kissen...“

...

„Ich bin RubberMan! Und ich bin gekommen, um die Welt zu retten!“
„Na endlich sind Sie... verdammt, soll das ein Witz sein?“, sagte Inspektor Peterson, als er sich umgedreht hatte und den Urheber der Stimme erkannte.
„Witz?“
„Naja, du siehst nicht aus, wie der berühmte RubberMan...“
„Sie sehen auch nicht aus, wie ein Ferrari und trotzdem bin ich schneller als Sie.“ Jakob war wirklich stolz auf diese seiner Meinung nach lustige Erwiderung, die er sich während seines Weges vom Bürgermeister hierher ausgedacht hatte. „Ist er noch da drin?“
„Ich wüßte nicht, was dich das angeht.“
„Ich bin immerhin Rubber...“
„Jaja, schon gut. Kann mal jemand diesen Komiker hier wegschaffen? Verdammter Mist, wo ist er? Der war doch eben noch... ach, Scheiße!“

Jakob befand sich zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Meter über dem Polizisten in der Luft und flog in hohem Bogen auf eines der oberen Fenster der Fabrik zu. Er schloß die Augen, um keine Splitter hineinzubekommen und durchbrach die Scheibe mit einem lauten Knall. Die Landung war nicht sonderlich weich, denn er prallte erst gegen einen Betonpfeiler und von dort unsanft auf die Erde und die dort gelandeten Glassplitter.
„Ich bin RubberMan! Und ich bin gekommen, um die Welt zu retten!“, sagte er, während er sich einen Splitter aus der Hand pulte.

„Verdammt... es ist... es ist...“
„Ja, Sir. Es ist dieser verdammte RubberMan. Überlassen Sie ihn ruhig mir.“, sagte Bill, strich sich über die leicht ergrauten Haare – auch er war schließlich über die Jahre nicht jünger geworden – und nahm seine Pistole aus dem Anzug.
„Nein, Bill... du hast... keine Chance. Wir sind alt geworden...“
„Na und? Er doch auch.“
„Nein, du... du verstehst das nicht, Bill... Superhelden... sie altern nicht.“
„Das mag sein, aber... aber sie werden fett.“
Bill konnte sich ein Lachen kaum verkneifen, als Jakob hinter einem Zuber mit geschmolzenem Gummi hervortrat. Er hob langsam die Waffe und zielte auf den Superhelden.
„Bill... nein, laß das... du wirst ihn... ihn nicht treffen....“, stammelte der Schwarze Schakal und starrte apathisch auf seine Finger. Alt, knochig und kraftlos waren sie. Vor zwanzig Jahren, als er damals verhaftet wurde, da konnte er noch Blitze erzeugen. Mächtige Blitze, die jedem das Fürchten gelehrt hatten. Aber jetzt... jetzt war nichts mehr davon übrig, es reichte nicht mal mehr, um sich eine Zigarette anzuzünden.

Jakob sah sich um und kalkulierte seine Chancen. Der Kerl mit der Knarre und der Alte schienen wirklich alleine zu sein. Keine große Schurkenarmee mehr zum Verprügeln. Natürlich war Jack sehr froh darüber, aber auf der anderen Seite juckte es ihn nun irgendwie doch in den Fingern. Wie gerne würde er mal wieder so richtig...
In diesem Moment drückte Bill ab. Die Kugel hielt genau auf Jakobs Kopf zu. Im letzten Moment erinnerte der sich an seine Schnelligkeit und wich der Kugel aus, die an den runden Gummibottich schlug und von dort funkenstiebend abprallte. Der Querschläger flog quer durch die Halle und traf einen Knopf auf einem Kontrollpult, woraufhin irgendein Kran weiter hinten aktiviert wurde.
„Scheiße, Mann! Du hättest mich eben fast umge...“, begann Jakob, doch weitere Geschosse hinderten ihn, diesen Satz zu beenden. Fast wie in alten Zeiten hüpfte er nun kreuz und quer durch die Halle, immer den Querschlägern ausweichend, die nach und nach zufällig alle möglichen Maschinen der Halle in Gang setzten.
„Bill... Bill, das bringt doch nichts... laß uns ge... gehen.“, stammelte der alte Mann, aber Bill hörte ihm nicht zu. Er wollte diese Sache beenden. Jetzt und hier. Aus blinder Loyalität heraus rannte er eine Eisentreppe hinauf und hoffte, den RubberMan dadurch besser im Auge behalten zu können. Er stand auf einem Metallsteg, der einmal durch die Halle führte und unter dem das heiße Gummi bedrohlich waberte. Als er sein Magazin verschossen hatte und nachladen mußte, erkannte Jakob seine Chance zum Angriff. Er landete direkt gegenüber des Schurken auf der Planke und starrte ihm grimmig entgegen.

„Was willst du, Fettsack?“, keuchte Bill.
„Ich will die Welt retten. Was sonst?“
„Du bist nur ein alter Mann. Keiner braucht sowas wie dich. Verpiß dich!“
„Hat dir niemand gesagt, daß Superhelden nicht altern?“, sagte Jakob und sprang seinem Widersacher im selben Moment entgegen. Der verlor durch die Wucht des Aufpralls seine Waffe, die den Metallsteg entlangrutschte und schließlich in einen Bottich mit blutrotem Inhalt landete. Aber Bill gab nicht so einfach auf. Er wand sich aus Jakobs Griff und konnte sich aufrichten.
Jakob merkte nun, daß er doch ein wenig schwerfällig geworden war und konnte den wütenden Angriffen des Schurken kaum etwas entgegensetzen. Im Nahkampf war er noch nie der Beste gewesen. Es reichte gerade so eben aus, um die Schläge einigermaßen abzuwehren. Der RubberMan wurde trotzdem immer weiter in die Ecke gedrängt. Noch weiter zurückweichen konnte er nicht, dann würde er in einen der Bottiche fallen, aus dem schon bedrohliche Blasen nach oben stiegen.
Bill gönnte sich keine Pause und schlug immer wieder auf den Helden ein. Endlich wollte er ihm den finalen Stoß geben und ihn vom Gerüst stoßen. Dazu hechtete er Jakob mit voller Wucht entgegen und sprang ins Leere. Der RubberMan hatte sich nämlich im letzten Moment auf seine Reflexe besonnen und konnte diesem Angriff ausweichen. Jetzt stand er schwer atmend auf dem Gerüst und blickte schnaufend hinunter in den Bottich, wo nur noch Bills ausgestreckte Hand zu sehen war, sie sich zu einer Faust ballte und langsam unterging.

Der Schwarze Schakal hatte dies alles von unten beobachtet und immer wieder mal versucht, seinem besten Mann mit einigen Blitzen zu Hilfe zu kommen. Aber er scheiterte ein ums andere Mal. Resigniert ließ er es zu, daß der RubberMan direkt vor ihm auf dem Betonboden landete.
„So, du Schurke. Jetzt sind nur noch wir beide übrig.“
„Nein... ich bin kein... kein Gegner für dich... ich will nicht kämpfen.“
„Oh, das trifft sich gut. Ich eigentlich auch... hey, das ist das erste Mal, daß du dich so einfach ergibst.“
„Ja, ich bin... ich bin alt... sieh mich doch an... bring mich... bring mich nur wieder ins Gefängnis. Da kriege ich Essen und... und es ist warm...“
„Aber, wenn du wieder reinwillst, warum bist du dann geflohen?“
„Wollte ich nicht... Bill hat... er hat...“
„Schon klar. Komm, ich bring dich nach Hause.“
Und so trug der RubberMan seinen stärksten Widersacher aus alten Tagen auf Händen aus der Fabrik, wo er von der Polizei erleichtert entgegengenommen wurde.

...

„Mit Freuden überreiche ich dem RubberMan nun den Schlüssel zur Stadt. Nur seinem heldenhaften Einsatz ist es zu verdanken, daß Central City noch einmal der eisigen Hand des Schwarzen Schakals entrinnen konnte. Ich spreche im Namen der Bevölkerung von Central City, wenn ich sage: Danke, RubberMan.“
Es folgte ein Tusch der Kapelle und begeisterter Beifall der Menge. Natürlich hatte Bürgermeister Phillips mitbekommen, daß der Schwarze Schakal eigentlich gar nicht mehr gefährlich war, aber um nichts in der Welt wollte er sich diesen Moment nehmen lassen. Er übergab Jakob symbolisch den Schlüssel und fiel dann in den Beifall mit ein.

Jakob kratzte sich unauffällig am Hintern und ging dann durch das Spalier einiger ebenso üppig ausgestatteter, wie dick bekleideter Damen – es war immerhin kalt – um aus reiner Gewohnheit seinen Wagen zu suchen. Den hatte er leider schon vor Jahren an einen Filmfreak verkauft und so machte er sich notgedrungen zu Fuß auf den Weg nach Hause. Die tiefstehende Sonne blendete ein wenig, aber ein echter Held muß am Ende nun einmal der Sonne entgegen gehen.

 

Hallo gnoebel,
Ich hab mich gut amüsiert. Ein gealteter Superheld und ein gealteter Superschurke liefen sich einen letzten Kampf, wenn man das überhaupt Kapf nennen konnte.
Gesonders gelungen fand ich den Gag, das sich der Held seine alten Abenteuer als Fernsehserie ansieht.
Der letzte Satz war ein guter Abschluss für die Geschichte.
Fast hättest du die Geschichte auch in Humor posten können.
Gruß Shinji

 

Einfach köstlich - sowohl der Schreibstil als auch die Idee!

Viele Grüße
HovaLiese

 

Hi Gnoebel,

wenn du dauernd so gute neue Geschichten schreibst, komm ich nicht dazu, deine alten zu lesen. :D

Es sind die Kleinigkeiten, die die Story so witzig machen, angefangen vom "giftgrünen" Anzug bis zum Verkauf des Wagens an einen Filmfreak.

Ich empfinde die Geschichte als böse Parodie auf Superman & Co. mit einer Prise Western - der Cowboy reitet in den Sonnenuntergang. Schöööööön!

Seeeeeeeeeeehr gelungen! :bounce:

LG
merenhathor

 

Moin,

Danke fürs Lesen und Kommentieren. Freut mich, daß euch die Geschichte gefallen hat.

Ich sehe das Ganze aber weniger als böse Parodie, sondern eher als eine liebevolle Hommage an die Helden aus meiner Kindheit (hui, jetzt kling ich alt...) - Batman, Supermann etc.

 

Hi Gnoebel,

liebevolle Hommage ist auch gut. Musst verzeihen, ist halt mein "biblisches" Alter.

LG
merenhathor

 

Mahlzeit!

Doch, Gnoebel, die Story hat mir sehr gut gefallen. War sehr amüsant zu lesen, sprachlich einwandfrei, mit einer liebenswert-tragischen Hauptfigur und einem mir persönlich sehr zusagenden sarkastischen Grundton erzählt. Eine humorvolle Remineszenz an die Klischees der Superheldenliteratur. Und der Name RubberMan (hübsch zweideutig... :D ) ist ein Brüller - Schön! :thumbsup:

So ganz 1000%ig zündet sie allerdings noch nicht. Irgendwie fehlt noch so der allerletzte Biss - vielleicht, weil doch noch ein paar flachere Stellen drin sind (Der Schlussteil wirkt stellenweise etwas uninspiriert) bzw. die Klischees noch nicht subtil und "twisted" genug verwurstet sind - das ginge glaube ich noch bissiger und abgedrehter. Aber trotzdem eine schöne Geschichte. Hoffe bald neues dieser Art lesen zu können, dann vielleicht noch herzhafter (evtl. einfach mal eine Weile liegen lassen und dann noch mal gründlich abklopfen und verbessern?). Ein paar Detailsnörgels hab ich unten aufgeführt.
Weiter so! :)

Gruss,
Horni

Jeder Muskel wurde durch den farbenfrohen Stoff betont und es erinnerte ein wenig an Ballettkleidung, wobei dieser Eindruck durch die grazilen Bewegungen des Mannes noch weiter verstärkt wurde
Klingt etwas umständlich. Mein Vorschlag wäre: Jeder Muskel wurde durch den farbenfrohen Stoff betont. Er erinnerte ein wenig an Ballettkleidung, wobei dieser Eindruck durch die grazilen Bewegungen des Mannes noch verstärkt wurde.
um was es genau ging oder was dieses Artefakt zu leisten im Stande sein kann
zu leisten vermochte
- auf jeden Fall wird es dem Schurken wohl die Weltherrschaft einbringen.
würde es dem...
ob er schnell zur Tanke marschieren oder
Vielleicht schreibst du doch besser "Tankstelle"? ;)
ihm nichts besseres einfiel, was er sonst hätte tun können.
das er sonst...
junger Damen marschierte er respekteinflößend zu seinem knallgrünen Wagen und
Du hast scheinbar ein ähnliches Problem wie ich in manchen meiner Texte. Seitdem ich das weiss, hab ich mir angewöhnt, besondere Härtefälle durchzuackern und probehalber stur statistisch jedes zweite Adjektiv rauszustreichen. Die meisten entpuppen sich bei dieser Prozedut in der Tat als überflüssig. Dieses "respekteinflößend" scheint mir ein extrem wegstreichenswürdiges Adjektiv zu sein, wollte ich damit sagen. ;)
Er fand, es sähe einfach besser aus
sah besser aus
im letzt Moment fangen konnte
letzten.
von Innen
innen
Und so hatte Jakob seine Geschichten für viel Geld ans Fernsehen verkauft und war seitdem hier in dieser lausigen Wohnung versumpft, weil sein Anlagenberater ihn kräftig hinters Licht geführt hatte.
Irgendwie zündet der Satz so noch nicht richtig. Evtl. musst du ihn etwas umstellen, damit die Sache mit dem Anlageberater noch witziger rüberkommt...
andere haben ihn sogar noch live miterlebt
hatten ihn sogar
Naja, man muß seine Füße ja auch nicht ständig sehen, dachte Jakob und hob ab.
:rotfl: Der Satz gefällt mir ganz besonders! ;)
„Was? ach so...
Ach so...
stürmten drei muskelbepackte Kleiderschränke in modischen blauen Uniformen in das Büro
Das "muskelbepackt" ist eigentlich überflüssig. Ich denke, die "Kleiderschränke" machen das Bild bereits hinreichend deutlich.
damit die gar nicht erst in Versuchung kommen, abzudrücken.
kamen
Unauffällig holte er Schwung, und mit einem plötzlichen Ruck
(Komma!)
Mit einem Wink befahl er seinen Untergebenen, den Raum zu verlassen, was diese mit einem gehorsamen Nicken auch taten.
Im Grunde könntest du nach "verlassen" bereits einen Punkt machen. Feddich is der Satz. ;)
Nur drei Leute hatten Zutritt zu seiner Zelle gehabt und und die hatte Bill hoffentlich getötet. So wußte hoffentlich niemand, wie es um den Schakal wirklich bestellt war.
Wenn du jeweils ein "und" sowie ein "hoffentlich" liquidierst, sieht das schon viel besser aus! *g*
Nur in dem Fall würden die Polizisten glauben, er hätte noch seine ganze Macht und den Laden hier nicht stürmen.
Nur so würden die Polizisten glauben, er sei noch im Vollbesitz seiner Macht und sich eine Erstürmung der Fabrik gründlich überlegen. wäre mein Vorschlag, um den Satz etwas lesbarer zu machen.
Mächtige Blitze, die jedem das Fürchten gelehrt hatten.
die jeden das...
Aus blinder und auch falsch verstandener Solidarität rannte er eine Eisentreppe hinauf und hoffte, den RubberMan dadurch besser im Auge behalten zu können.
Sorry, aus diesem Satz werd ich nich so ganz schlau. Evtl. sowas wie "In blinder Loyalität...(tat er irgendwas...)". Würde ich nochmal überarbeiten.
Er wand sich aus dem Griff von Jakob und konnte sich aufrichten.
Genitiv paleeeze! "wand sich aus Jakobs Griff und..."

 

Moin Horni,

Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Deine Anmerkungen habe ich zum Teil übernommen, zum Teil auch nicht (Begründungen folgen). Besten Dank dafür. Insgesamt habe ich ein großes Problem mit Kettensätzen. Manchmal vergesse ich einfach die Punkte...

Stichwort Schlußteil: Ich wollte einen typischen Showdown. Brodelnde Lava (hier Gummi), Prügelszenen zwischen Schwenkkränen, der Held kriegt ordentlich auf die Mütze, bevor er sich im letzten Moment aufrappeln kann etc. Also die ganze Bendbreite des Spektrums.
Klar, hier ist die Geschichte nicht mehr lustig, aber hätte ich da noch Gags eingebaut, wäre der showdown wohl zu lang geworden.

"respekteinflößend" scheint mir ein extrem wegstreichenswürdiges Adjektiv zu sein, wollte ich damit sagen.
Ja, du hast Recht. Ich setze gerne und häufig Adjektive. Manchmal auch zuviele. Ich denke aber, daß es in dieser speziellen Geschichte recht passend ist. Immerhin handelt es sich um einen Comic und da wollte ich möglichst bildhaft die Situationen beschreiben.
Respekteinflößend war aber tatsächlich das falsche Wort.

damit die gar nicht erst in Versuchung kommen, abzudrücken.

kamen

naja... Ich bin mir hier grammatikalisch nicht ganz sicher. Vom Klang klingt meine Version irgendwie richtiger, als deine.

Mit einem Wink befahl er seinen Untergebenen, den Raum zu verlassen, was diese mit einem gehorsamen Nicken auch taten.

Im Grunde könntest du nach "verlassen" bereits einen Punkt machen. Feddich is der Satz.

Ich finde, das Nicken gehört dazu und verweise auf die kultige Batman-Serie aus den sibzigern, wo die Schergen des Bösen auch jeden Befehl ähnlich angenommen haben, wenn ich mich recht erinnere. Hier sind es zwar die Leute des Bürgermeisters, aber das macht ja nichts...

Sorry, aus diesem Satz werd ich nich so ganz schlau. Evtl. sowas wie "In blinder Loyalität...(tat er irgendwas...)". Würde ich nochmal überarbeiten.
Hihi... ja, da hatte ich wirklich das falsche Wort benutzt. Loyalität ist das passende.

Nochmal vielen Dank für deinen Kommentar.

 
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Edel sei das Hörnsche, hilfreich und gut... ;)

kommen vs. kamen : Glaub mir - "kamen" ist grammatikalisch richtig. Da du dich durchgängig im Präteritum bewegst, kannst du nicht mitten im Satz das Tempus wechseln! D.h. - kannst du natürlich schon, wenn's dir beliebt - aber dann kommen TempusMan und GrammarGirl und geben dir eins auffe Mütze... :D

Der Satz mit dem Anlageberater kommt allmählich aussen Puschen - mein beim nochmaligen Lesen spontan vom Himmel fallender ultimativer Vorschlag wäre:

"Und so hatte Jakob seine Geschichten für viel Geld ans Fernsehen verkauft, sich von seinem Anlageberater kräftig übers Ohr hauen lassen und seitdem damit bescheiden müssen, in dieser lausigen Wohnung zu versumpfen."

Ich finde, das Nicken gehört dazu und verweise auf die kultige Batman-Serie aus den sibzigern, wo die Schergen des Bösen auch jeden Befehl ähnlich angenommen haben, wenn ich mich recht erinnere.
Okay, wenn's denn einen Hintergrund hat...bin ja kein Superheldenexperte. Wir wollen ja auf keinen Fall, dass die Schergen sich nicht wie echte Schergen gebaren. Da sei SchergenMan vor... ;) (Soll heissen: Ich lese normalerweise nach dem irgendwo mal erlesenen Grundsatz, man solle mit Worten umgehen, als müsste man sie bezahlen und sie daher so effizient und sparsam wie möglich zum Einsatz bringen...blablaberfasel...ach, ich halt jetzt einfach meine Klappe... :) )

 

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