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Das ist meine erste Kurzgeschichte, die ich geschrieben habe und würde gerne Feedback dazu erhalten
Sackgasse
Eigentlich wollte Jascha aufhören zu rauchen. Er wusste aber genau, dass noch eine Kippenschachtel Gauloises Rot in seinem Nachtschrank neben ihm war. Er dachte daran, wie er seine Ex betrunken vor einer Kneipe an einem Kippenautomaten fragte: “Welche Zigaretten soll ich mir holen? Mir sind Marlboro Rot immer zu stark.” Sie überlegte kurz und antwortete schmunzelnd: “Ich rauche nur selbstgedrehte, aber wenn es mal doch Fertige sein sollen, dann finde ich die roten Gauloises am besten.”
Er fand damals noch die Ästhetik so ansprechend. Ein verwegener Detektiv, der komplett schwarz gekleidet in Anbetracht des Sternenhimmels eine Zigarette anzündet, um voll all den verstrickten Indizien einen klaren Kopf zu bekommen. Eine Kippe dachte er sich. Nur eine und es würde ihm wieder gut gehen.
Er sprang geplagt von Gedanken an seine Ex aus seinem Bett und schnappte seine Klamotten vom Boden auf und zog sich ein weiteres Mal an für diesen Tag an.
Wehleidig schlich er sich zur Tür seines Mitbewohners. Er vergewisserte sich, dass dieser auch wirklich nicht zu Hause war, indem er kontrollierte, ob die Schuhe des Mitbewohners im Schuhregal standen. Nichts, nur seine eigenen, abgetragenen und dreckigen Schuhe.
Er öffnete die Tür und zog weiter zur Balkontür und öffnete diese.
Ein kalter Hauch kam ihm entgegen. So muss sich auch der Detektiv fühlen, wenn er spät nachts durch die Straßen schlich, um endlich eine Spur der vermissten Tochter des Bürgermeisters zu finden.
Jascha tappte barfuß auf den Balkon. “Scheiße, ist das kalt”, nuschelte er fluchend vor sich hin. Früher, als seine Ex noch bei ihm war und sie zusammen auf den Balkon gingen, gab er ihr immer seinen dicksten Oberteile. Er selbst hat immer zurückgesteckt, damit es ihr gut ging. Trotz der warmen Oberteile, fror sie oft an den Beinen, und Jascha umarmte immer ihre Oberschenkel, um sie zu wärmen. Er musste immer in einer unbequemen, aber trotzdem warmen Pose rauchen. Die Wärme, die er ihr damals schenkte, fehlte ihm jetzt. Die Kälte machte ihm trotzdem nichts aus, denn immerhin konnte er sich normal in seinen Stuhl setzen.
Man muss verstehen, dass er in seinem Kopf immer noch zwischen seinem und dem Stuhl seiner Ex unterschied. Es hat ihm immer ein bisschen Trost gespendet, wenn er versuchte, alles so wie früher sein zu lassen. Jascha fiel es immer schwer aus alten Gewohnheiten auszubrechen. Letztendlich saß er deswegen auch hier in erster Linie.
Er zündete seine Zigarette an und nahm den ersten Zug. Der beißende Qualm stieg ihm in die Nase und weckte alte Erinnerungen. Der Geruch von kaltem Tabakrauch hatte für ihn immer etwas Wärmendes. Im Winter hatte seine rauchende Mutter ihn oft umarmt, und der Duft ihrer Kleidung war stets ein Trost gewesen. Jetzt, allein auf dem Balkon, dachte er an ähnliche Momente mit seiner Ex, die ihm ebenfalls Wärme geschenkt hatten. Er nahm noch einen tiefen Zug, als wolle er diese flüchtige Freiheit in sich aufnehmen. Kurz mal die Dinge betrachten, wie sie sind. Im Moment sein. Das dachte er sich. Er schaute nochmal auf den Stuhl, der ihm gegenüberstand. Ihm wurde klar, dass er sich gedanklich komplett verfangen hat, Annahmen von Annahmen herleitete, was ein riesiges wirres Konstrukt bildete. Vielleicht war er auf der falschen Spur. Hatte Dinge, die gar nichts bedeuten, einen Sinn gegeben.
Vielleicht muss er als Detektiv die Gasse nochmal entlanggehen und bemerken, dass diese Gasse auf zweierlei Ebene eine Sackgasse war. Eine von vielen, die New York besaß. Voller Müll, den keiner mehr vermisste. Es mag sein, dass hier andere Spuren zu anderen Fällen zu finden sind, aber es waren nicht seine. Er musste umkehren und in die nächste Gasse gehen. Vielleicht eine weitere Sackgasse, vielleicht eine Gasse mit Kellereingang, in der die Tochter angebunden an eine Stuhl in einem leeren Raum auf ihn wartete.
Jascha bemerkte, dass er trotz Kippe wieder abschweifte. Sie war halb fertig. “Was mache ich hier eigentlich?”, fragte er sich flüsternd. Die eine Kippe noch und dann ist es aber gut, dachte er sich. Er wühlte die Kippenschachtel aus seiner Jackentasche, schaute sie noch ein letztes Mal an und dachte an all die Momente seiner Ex, bei denen Rote Gauloises sie begleitet hatten. Dann warf sie so weit es ging. Sie verschwand innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde in der Dunkelheit. Darauf folgte eine brutale Stille. Eine leichte Brise wehte ihm ins Gesicht und die Kälte fing an, ihn zu zerfressen. Anschließend stand er auf und nahm sich endlich den Platz, der sowieso schon immer den besseren Ausblick auf den Sternenhimmel hatte und verweilte noch einen Moment.