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Santa kommt pünktlich um sechs
"Hast du dir auch die Hände schön gewaschen?"
Lukas nickte und lächelte unschuldig.
"Na dann zeig doch mal her ... aha, und der Keksteig ist dabei nicht abgegangen?"
Der Junge zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß auch nicht, er ist einfach nicht abgegangen, wie sehr ich auch gerubbelt habe."
Katharina lachte.
"Nun mach´ schon hin du Strolch, der Weihnachtsmann ist sicher bereits in der Stadt, und wir wollen doch gleich Bescherung machen."
"Na gut", sagte Lukas aufgeregt und lief ins Badezimmer.
Katharina streckte sich; es war ein anstrengender Tag gewesen. Sie ging zu ihrem Mann ins Wohnzimmer, und setzte sich neben ihn auf die Sessellehne.
"Und du sitzt hier und liest in aller Ruhe dein Buch, hm?"
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Jörg sah auf und legte den Roman beiseite.
"Tut mir Leid, Maus. Soll ich dir noch was helfen?"
Katharina wehrte ab, gähnte laut.
"Nein, schon gut. Der Puter ist gleich fertig, die Champignons auch ... ich hoffe, er kommt nicht zu spät."
Jörg sah auf die Uhr.
"Sechs Uhr haben sie am Telefon gesagt. Aber auf ein paar Minuten mehr oder weniger kommt es ja auch nicht an."
Katharina schmiegte sich an ihren Mann, schnurrte dabei wie eine Katze.
"Wie Lukas sich freuen wird. Ich bin selbst schon ganz aufgeregt."
Die Musik im Hintergrund trieb immer noch Würmer ins Ohr, obwohl es jedes Jahr die selbe war. Die buntgeschmückte Nordmanntanne strahlte festlichen Glanz aus. Die vier Kerzen auf dem üppig gesteckten Adventskranz verbreiteten ein warmes, flackerndes Licht.
"Ganz große Augen wird er bekommen", sagte Jörg.
Lukas kam hereingelaufen.
"Draußen war ein Knall."
Ehe jemand antworten konnte, klingelte es an der Tür. Lukas´ Eltern grinsten vorfreudig. Ganz genau sechs Uhr.
"Sollen wir zusammen schauen gehen, wer da ist", fragte sein Vater.
Lukas nickte.
Zusammen gingen sie in den Hausflur.
Durch das Milchglas der Tür ließ sich bereits erahnen, wer da draußen wartete.
Ein dicker roter Bauch, hier und da etwas Weiß, vorallem in der Gesichtsregion, und dann wieder etwas Rotes über dem Kopf.
Lukas holte tief Luft.
"Aber das ist ja ... der Weihnachtsmann", stellte er mit hoher Stimme fest.
Katharina und Jörg sahen sich an, und küssten sich.
"Willst du denn nicht aufmachen, und den Weihnachtsmann begrüßen?"
"Ja klar!"
Der kleine Junge rannte zur Tür und öffnete sie, und da stand er: Santa.
Sekunden verstrichen, in denen er einfach bloß dastand, ohne etwas zu sagen. Von draußen gelangte ein Geruch von Verbranntem ins Haus.
"Wo hat er denn den Geschenkesack", flüsterte Katharina ihrem Mann ins Ohr. Jörg antwortete ihr nicht.
"Bist du der Weihnachtsmann", fragte Lukas schließlich laut.
Der Mann mit dem dicken Bauch humpelte in den Flur, beachtete den Jungen nicht weiter, und stützte sich an der Wand ab, an der sofort Blut klebte.
"Ich ...", röchelte er, "... hatte gerade einen schlimmen Autounfall. Ich ..."
Er fiel vornüber und schlug mit dem Kopf gegen die Kommode. Dann blieb er liegen und atmete schwer.
Katharina verschränkte die Hände vor dem Mund und schluchzte. Jörg griff nach dem Telefon.
"Geht es dem Weihnachtsmann nicht gut", wollte Lukas wissen.
Erst jetzt erkannte Katharina, dass der dicke rote Mantel an vielen Stellen zerrissen war und qualmte. Unter der Mütze hatte sich ein winziges Bächlein gebildet, das am Hals entlang lief und in einem dunklen See auf dem Teppich mündete.
"Scheiße, ich sterbe", sagte Santa.
Jörg stolperte hin und her. - "Ja? Wir haben einen Notfall. Geringerstraße 28, bei Fischer. Wir haben ..."
Lukas bekam große Augen, als er sah, wie schwarz der Rücken vom Weihnachtsmann geworden war.
Die Rentiere mussten abgestürzt sein. Er lief nach draußen, auf die Straße.
Einige der Nachbarn hatten sich um die beiden brennenden Autos versammelt. Eine junge Frau lag auf der Straße und weinte. Ihr rechter Arm lag gleich neben ihr.
Von ihr aus führte ein Pfad von Geschenken bis zur Haustür. Die meisten davon waren verkohlt. Lukas sah eine aufgerissene Verpackung des LEGO Piratenschiffes, das er sich so gewünscht hatte.
Dann wurde er von seiner Mutter gepackt, die mit ihm in den Armen weglief.
"Aber Mama", schrie Lukas, "wir müssen dem Weihnachtsmann doch helfen!"
Ihr Weinen übertönte die Worte des Jungen.