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Sayonara

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07.07.2007
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Sayonara

Sayonara

Etwas abseits eines Flugplatzes. Felix saß auf einer Bank und beobachtete Cessnas, Pipers, Beechcrafts und deren Starts und Landungen. Als Schüler hatte er, gar nicht weit von dort, wo er jetzt saß, ein Praktikum bei einem Flugzeugbauer gemacht. Und seitdem zog es ihn immer wieder hierher.​
Seit Stunden saß er auf dieser Bank. Beobachtete und rauchte. Nickte den Spaziergängern zu, die hin und wieder an ihm vorbei schlenderten, und ließ sich die Sonne aufs Haupt scheinen. Und er malte sich aus, wohin er fliegen würde, wenn er denn fliegen könnte.​
Nach Rom würde er fliegen und am Piazza del Campidoglio einen Espresso trinken. Das Kolosseum würde er sich anschauen. Bei Nacht. Nur bei Nacht.​
Dann würde er weiterfliegen.​
Nach Barcelona. Wo er den Montjuic besteigen und den herrlichen Blick auf die Stadt genießen würde. Bevor er der Sagrada Familia einen Besuch abstatten und über die Rambla de Santa Mònica flanieren würde.​
Dann würde er weiterfliegen.​
Nach Paris. Wo er eine Bootsfahrt auf der Seine machen und vor dem Élysée-Palast und unter dem Triumphbogen und auf dem Eifelturm in bewunderndes Schweigen ausbrechen würde.​
Dann würde er weiterfliegen.​
Nach Hause. Wo er seinen Freunden und der Familie Fotos zeigen würde. Und er würde Anekdoten zum Besten geben können, die so noch nie jemand zum Besten gegeben hatte.​
Aber ach, er konnte ja nicht fliegen.​
Da setzte sich ein kleiner, blonder Junge neben ihn. Schweigend. Erst. Dann zeigte er auf eine landende Piaggio und sagte:​
„Ich werde Pilot.“​
Felix lachte und antwortete:​
„Das wollte ich auch, als ich so alt war wie du jetzt.“​
„Und bist Du’s geworden?“​
„Nein.“​
„Wieso nicht?“​
„Hm, keine Ahnung. Hat sich nie ergeben.“​
„Ich werde auf jeden Fall Pilot! Und dann kaufe ich mir ein Flugzeug und fliege um die ganze Welt.“​
„Das hört sich gut an. Vielleicht kannst du mich ja dann mitnehmen.“​
„Nee, ich glaub nicht.“​
„Was? Wieso denn nicht?“​
„Na, ich kenn dich doch gar nicht.“​
„Das stimmt natürlich.“​
„Aber vielleicht schick ich dir ne Postkarte.“​
„Versprochen?“​
„Jap.“​
„Hand drauf?“​
„Hand drauf.“​
Sie gaben sich die Hand. Als eine Stimme neben ihnen losschrillte.​
„Max! Ja, glaub ich’s denn? Kannst du mir mal erzählen, was du da machst?“​
„Mama?“​
„Ja, richtig, deine Mutter. Also, kommst du jetzt hier her, oder wie seh ich das? – Sofort!“​
„Ich muss gehen.“​
„Hat mich gefreut, Max.“​
„Tschüss.“​
„Mach’s gut.“​
Max hüpfte von der Bank und rannte los. Felix blickte ihm nach. Sah Max’ Mutter. Sie hielt die Arme verschränkt und verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. Immer hin und her.​
Er lächelte ihr zu.​
Sie verdrehte die Augen, schnappte sich die Hand ihres Sohnes und zerrte ihn hinter sich her in Richtung Parkplatz. Der kleine Junge schaute sich noch einmal um. Ängstlich. Fragend. Felix streckte ihm einen Daumen entgegen. Max lächelte. Befreite sich aus dem Griff seiner Mutter, breitete die Arme aus und flog los.​
Ein paar Minuten später saß Felix in seinem Wagen und war auf dem Weg nach Hause. Im Radio spielten sie die Pogues. Er trat aufs Gas und schloss die Augen. Nach New York würde er fliegen. Nach Rio, Moskau, Peking. Nach London, Sydney, Kapstadt. Tokio. Nach Dublin. Aber ach...

 
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Hi Alfred,

deine Geschichte über zwei Träumer gefällt mir. Der eine träumt, aber verwirklicht nicht, bleibt in der Realität stecken, der andere muss träumen und fliegen, um der Realität der Dominanz zu entfliehen.
Bei geschlossenen Augen aufs Gas tretend zu träumen kann natürlich böse in dieselben gehen.
Ein paar sprachliche Kleinkrämereien:

und beobachtete Cessnas, Pipers, Beechcrafts und ihre Starts und Landungen.
deren Starts und Landungen
Stundenlang saß er bereits auf dieser Bank.
Wenn ich sprachlich sehr penibel bin, verwendet man "stundenlang" eher im Bedeutungssinne von Zeit, die man für etwas benötigt hat oder im regelmäßigen Ablauf, etwa: "Ich habe stundenlang gebraucht, den PC einzurichten" oder "Oft/täglich/jeden Dienstag saß er stundenlang auf der Bank" Im Zusammenhang mit "bereits" vergangener Zeit steckt in dem "bereits" schon das "lang" und macht es überflüssig, höchstens ein "Seit" wäre eventuell zuzufügen.


Lieben Gruß, sim

 
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Hallo Alfred,

ich mag Geschichten, die kleine Momente auf eine besondere Weise beleuchten und so zum Nachdenken bewegen. Deine Zusammenführung zweier Träumer, die aus ganz verschiedenen Richtungen geflogen kommen, hat mir ausgesprochen gut gefallen. Es steckt mehr Tiefe in dem Text, als man zunächst meint, jedenfalls bin ich zu dieser Erkenntnis gelangt. Wenn ein Text über das Lesen hinaus zu weiteren Gedanken animiert, dann ist das eine erfreuliche Sache. Für den Leser ebenso wie für den Autoren.

Grüße von Rick

 

Ja, vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Es freut mich natürlich, dass euch die Geschichte gefallen hat.
Nachdem ich von dem einen oder anderen - sagen wir - darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Sprache nicht alles ist, habe ich versucht, mich auf den Inhalt zu konzentrieren und die Sprache so schlicht wie möglich zu halten. Nun, ich hoffe, mir ist es trotzdem gelungen, eine passable Geschichte über Träumer zu schreiben.

@sim:
Deine Anmerkungen wurden eingearbeitet. Vielen Dank dafür!

Ta!

AZ

 

Hallo Alfred,

auch mir hat Deine Geschichte - oder vielmehr; Deine Momentaufnahme - sehr gut gefallen. Vor allem die Begegnung des großen und des kleinen Träumers hast Du sehr gut dargestellt: Der Kleine glaubt noch an seine Träume, der Große wurde bereits von der Realität eingeholt, kommt aber dennoch auf den Ort des Träumens zurück und hält so stückweit auch daran fest.

Wirklich gelungen!

Gruß
stephy

 

Hallo,
mir hat Deine Geschichte gut gefallen, vielleicht auch gerade deswegen, WEIL Du den Stil so einfach gehalten hast.

Dann würde er weiterfliegen.
Nach Hause. Wo er seinen Freunden und der Familie Fotos zeigen würde...
Nicht nur ein Träumer, sondern auch ein kleiner Angeber?;)
„Und bist Du’s geworden?“
klingt für mich nicht so wirklich nach einem Kind. "Du bist Pilot?!" oder etwas ähnliches würde m.E. vielleicht besser passen.
Dein Prot hört die Pogues im Radio und es kommt ihm nicht in den Sinn nach Irland zu reisen? Schämen soll er sich^_^
Danke für die nette Unterhaltung
Juby

 
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Hallo Alfred,

Deine Geschichte hat mir auch gefallen und mich sehr an einen meiner Brüder erinnert (der Felix).

Schön auch und passend die Knappheit der Sprache im Dialog.

'Er trat aufs Gas und – schloss die Augen.'

Da kann der '-' ruhig weg. Is auch ohne Gedankenstrich und sowieso ein Knüller.

Nur das 'Aber ach...' am Schluss. Ich kann nicht sagen, warum, aber es stört mich an der Stelle. Ich würde es lieber so lesen:

'Nach Rio, Moskau, Peking. Nach London, Sydney, Kapstadt. Tokio. Aber ach...'

Der Zeilenabstand ist wie ein Schluckauf...


Lieben Gruss durch die Luft zu Dir, Gisanne

 

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