- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Schatten über dem Feld
Die noch grünen Halme der Gerste schaukelten seicht im Wind. Die Sonne stand hoch am blauen Himmel. Die Vögel sangen ihr fröhliches Lied. Es schien alles ruhig und friedlich zu sein. Und doch, tief im Feld regte es sich. Insekten krabbelten, mit von der Sonne glänzendem Panzer, an den Halmen der Gerste auf und ab. Am Boden waren unzählige Ameisen damit beschäftigt, unsichtbaren Strassen nachzulaufen und anscheinend auf der Suche nach irgendetwas zu sein. Es raschelte. Eine Maus huschte über den Boden. Immer wieder hielt sie an und schaute umher, horchte auf jedes noch so leise Geräusch. Sie tänzelte mit ihrem hellbraunen Fell zwischen den Halmen der Gerste hindurch, die sich kaum merklich bewegten. Sie huschte weiter durch die nie enden wollende Wüste aus grünen Halmen.
Leise pfiff der Wind durch seine Federn. Die Enden seiner Flügel vibrierten immer wieder durch die aufsteigende Wärme aus dem Feld unter ihm. Wie die Wellen auf dem Meer wogte unter ihm die grüne Masse des Gerstenfeldes. Rastlos bewegten sich seine Augen in scharfen, scheinbar wirr abgehackten Bewegungen über die grüne Masse. Jede noch so kleine Bewegung ließ sich von hier oben bemerken. Und so zog er, hier oben im tiefen Blau des Himmels, seine Kreise und wartete.
Helles Sonnenlicht durchbrach das schützende Dach des Feldes. Das Sonnenlicht ließ das Fell hell leuchten. Noch einmal blieb die Maus regungslos stehen, lauschte und huschte über den kargen Boden des Feldes. Sie wurde schneller und schneller, um das andere Ende der Lichtung zu erreichen. Der Boden und die verkümmerten Halme der Gerste hier auf dem Untergrund boten der Maus keinen Schutz. Nur die langen Halme in einiger Entfernung waren dazu wieder in der Lage.
Unter ihm bewegte sich etwas. Auf dem braunen Boden des Feldes, wo die Halme kaum gewachsen waren, huschte ein hellbrauner Körper über den Boden. Mit seinen Augen konnte er selbst aus dieser Höhe die Maus deutlich erkennen, die über die Lichtung huschte. Der Bussard drehte eine weite Kurve, immer die Maus im Auge behaltend. Dabei streifte sein noch winziger Schatten die Maus. Immer tiefer fliegend, näherte sich der Bussard der Maus. Sein Schatten fiel auf die ersten Halme und verdunkelte den Boden unter seinen Flügeln .
Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde, doch er genügte, dass die Maus ihn wahrnahm. Ihr kleiner Körper schien noch schneller zu werden. Sie bewegte sich nun auch seitwärts und änderte immer mal wieder die Richtung, ohne das rettende Ende des Feldes außer Sicht zu lassen.
Ohne es sehen und hören zu können, kam der Schatten immer weiter auf sie zu. Schon bedrohlich groß, raste er noch über die Gerste, dann über die Lichtung. Ein Pfeifen wurde hörbar. Es war die Luft, die sich in den Schwingen des Vogels brach, als er auf die Maus niederstürzte. Von der plötzlichen Dunkelheit des Schattens umgeben, wurde sie langsamer. Ihre Augen suchten noch, wohin sie laufen konnte. Aber es war zu spät. Mit seinen scharfen, gebogenen Krallen durchbohrte der Bussard den kleinen Körper der Maus. Blut trat aus den Wunden der Maus hervor, die noch in den Fängen des Raubvogels zuckte. Zielsicher biss der Bussard mit seinem mächtigen Schnabel zu und die Maus erschlaffte. Er breitete seine mächtigen Schwingen aus und erhob sich aus dem Feld. Unter den Schlägen seiner Flügel wirbelte er noch ein wenig Staub auf, bevor er wieder hoch in die Luft entschwand. Nur der noch in der Luft tanzende, von der Sonne beschienene, rotbraune Staub und der immer kleiner werdende Schatten des Raubvogels auf dem Feld, blieben noch für kurze Zeit Zeugen dieses tödlichen Schauspiels. Eines, dass sich täglich überall, auf jedem Feld aufs neue abspielt. Immer dann, wenn die Schatten über dem Feld sind.