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Schatten am Horizont

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28.04.2004
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Schatten am Horizont

Schatten am Horizont

Ich muss mir dringend die Haare färben, denkt Achim. Im Spiegel betrachtet er seine grauen Schläfen und das haarige Pfeffer-und-Salz-Gemisch am Kinn.
Entsetzlich, wie ich aussehe. Die Geheimratsecken. Die Falten an den Augen. Mag gar nicht hinschauen.
47 ist ein beschissenes Alter. Die Jugend – vorbei. Das Alter – ein drohender Schatten am Horizont. Die Lebensmitte: verblühende Schönheit und offene Wunden, über die noch nicht die heilende Verband des Vergessens gelegt ist.
Das Fitnesstudio ist voll an diesem Nachmittag; es ist ein Donnerstag im Juli, ein ganz normaler Donnerstag.
An den Geräten turnen braungebrannte, durchgestylte, top-muskulöse Bodies, männliche wie weibliche, und vor allem, keiner ist über 30.
Achim seufzt. eigentlich bin ich ja noch ganz gut in Schuss, denkt er. Die paar kleinen Speckröllchen an Bauch und Hüfte kriege ich noch weg, und ein bißchen mehr Bizeps müsste auch noch drin sein. Wehmütig denkt er an seinen Waschbrettbauch, den er vor zwanzig Jahren hatte, an wilde Nächte mit den Mädels aus dem Freud-Seminar. Diskussionen über die Libido mündeten in diversen Praxistests. Naja, auch das lässt nach, und der Gedanke erfüllt ihn mit Wehmut, dass die Uhr leider nur in eine Richtung läuft.
Das heißt: Wieso eigentlich?
Man kann sie doch wenigstens etwas zurückstellen. Schmunzelnd denkt er an das Haarfärbemittel in seinem Rucksack. Er hat es vorhin gekauft. Heute abend muss es passieren. Weg mit den grauen Strähnen. Er hatte bis heute gezögert, aus Angst vor blöden Bemerkungen seiner Kollegen –oder schlimmer noch, dem Getuschel hinter seinem Rücken. Aber der Leidensdruck ist in den letzten Wochen größer geworden als die Furcht vor Klatsch und Tratsch.
An der Butterfly-Maschine steht ein junger Mann, nicht älter als Mitte Zwanzig, mit breiten Lippen und verwegenen blonden Locken. Achim wirft einen kurzen neidvollen Blick auf die makellose Figur.
"Können wir uns abwechseln?" fragt Achim, und der Andere nickt.
Achim setzt sich auf die Bank, ergreift die Hantelstange, an der eigentlich zu viel Gewicht hängt, aber er will sich keine Blösse geben. Doch der Junge beachtet ihn gar nicht, sondern fummelt mit seinem Handy rum. Er hält es ans Ohr.
Am anderen Ende der Leitung ist offenbar eine Mailbox. "Hallo, Birgit, ich bins nochmal, Heiko", sagt er mit dringlichem Unterton in der Stimme. "Wo warst du denn? Ruf mich doch an, ich warte auf deinen Anruf. Ich will dich sehen. Bitte melde dich, dringend!" Dann legt er auf.und flucht leise vor sich hin: "Scheiß-Weiber. Nix als Verarschung."
Achim wirft ihm einen amüsierten Blick zu, den Heiko mit den Augen auffängt.
"Ist doch wahr. Können mich alle mal."
"Nanana", sagt Achim und versucht, es nicht allzu altväterlich klingen zu lassen.
"Wissen nicht, was sie wollen."
"Weißt du denn, was du willst?"
"Klar!"
Wer's glaubt, denkt Achim, aber er sagt nichts. Er steht auf, nimmt sein Handtuch und geht ans nächste Gerät.
War ich auch so vor zwanzig Jahren? Vielleicht. Wußte auch nicht was ich wollte. Jugendliche Unentschlossenheit, getarnt als Experimentierfreudigkeit. Nachdenklich absolviert er sein Trainingsprogramm. Unter der warmen Dusche denkt er: Vielleicht hat das ja was für sich, das Alter, vielleicht ist es ja doch ganz nett. Auf der Parkbank sitzen, die Vögel beobachten, fünfe grade sein lassen, alles relaxter sehen. Kein Stress mehr mit der Libido vor allem, keine Praxistests mehr, aber gottlob auch keine Diskussionen.
Er verlässt das Fitnessstudio und geht in den Park. Auf einer Bank sitzt ein Greis, die Hände auf den Stock gestützt, regungslos vor sich hinstarrend.
Achim setzt sich neben ihn, stellt seine Sporttasche auf den Boden, und schaut auf die Vögel im Himmel. Da müsste man jetzt sein, denkt er. Ungebunden fliegen können und sich nicht mit den Marketingproblemen eines Autohauses rumschlagen müssen.
Plötzlich dreht sich der alte Mann zu ihm und stupst ihn unvermittelt am Arm.
"Haben Sie mal ne Zigarette?"
"Nee, habs mir abgewöhnt."
"So, abgewöhnt." Kurze Pause. "Einer von diesen Gesundheitsaposteln, was?"
"Nee, damit hat das nix zu tun."
"Wie? Etwas lauter bitte!"
"Mit Gesundheitsapostel hat das nix zu tun", wiederholt Achim. "Ist nur wegen dem Sport." Dämliche Antwort, das kommt doch aufs selbe raus, denkt er.
"Soso, Sport,", knautscht der Alte. "Na, dafür bin ich schon zu alt. Bin überhaupt für alles zu alt. Darf nicht mehr rauchen, nicht mehr trinken, schaff keine Treppen mehr. Kein dies, kein das, keine Pommes und nicht mal Krabben, wegen dem Cholesterin. Und jetzt nehmen uns diese Banditen in Berlin auch noch die Rente weg! Was bleibt mir da noch zum Leben? Wenn wenigstens die Gesundheit noch mitspielen würde, aber ich habs überall, im Rücken, im Bauch, in den Beinen, meine Prostatata, alles kaputt, alles kaputt! Was schätzen Sie, wie alt ich bin?"
"Achtundsiebzig, höchstens", sagt Achim mit höflichem Lächeln.
"Achtundsiebzig? Pah! Ich werd 92 nächsten Monat!"
"So sehen Sie gar nicht aus."
"Papperlapapp! Werden Sie bloss keine 92! Ich mach bald Schluss, auf die Fensterbank und dann runter. Geht ganz schnell!"
"Sagen Sie doch nicht sowas."
"Was?"
"Sie sollen nicht sowas sagen."
"Wieso nicht? Wen interessiert's? Meinem Sohn bin ich doch scheißegal, und sonst hab ich keinen mehr. Wer vermisst mich schon?"
"Ich", sagt Achim, "ich würde Sie vermissen."
"Sie?"
"Ja, ich."
"Schwul, oder was?"
"Nee, ich bin nicht schwul. Aber Sie haben mir eben was klar gemacht."
Achim steht auf, geht durch den Park, über die große Straße, in ein kleines Café an der Ecke. Er setzt sich an einen Tisch draußen auf dem Bürgersteig. Ein paar Kinder spielen auf dem Rondell am Brunnen, Leute gehen im Supermarkt ein und aus.
Die Kellnerin kommt. "Was darfs sein?"
"Ein Milchkaffee", sagt Achim, "und das größte Stück Sahnetorte, das Sie haben."
"Okay", sagt sie und lacht.
Kurze Zeit später steht Beides auf dem Tisch. Achim trinkt einen großen Schluck Kaffee und beißt herzhaft in die Sahnetorte. Zum Teufel mit den Scheiß-Speckröllchen!
Er schließt die Augen und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Der Sommer ist herrlich, denkt er, aber das merkt man nicht, wenn man dem Frühling nachjammert und Angst vor dem Herbst hat.
Auf dem Nachhauseweg kommt er an einem Papierkorb vorbei. Er nimmt das Haarfärbemittel aus dem Rucksack. Einen Moment zögert er noch. Der Bon steckt in seinem Portemonnaie – soll er es nicht lieber ins Kaufhaus zurückbringen? Das Zeug war sauteuer.
Nein. Silber ist auch eine schöne Farbe.
Er streckt die Hand aus und will die Packung in den Schlitz werfen. Aber das wäre auch wieder Verschwendung.
Neben dem Papierkorb steht eine Bank. Er legt die Packung vorsichtig auf die Lehne.
Dann dreht er sich um. Auf dem Bürgersteig liegt ein kleiner Stein. Achim kickt ihn in die Büsche und geht vergnügt pfeifend nach Hause, ohne sich umzusehen.

 

Schreiberling schrieb über seine Geschichte:

Hallo Leute, ich möchte mich in diesem Forum mit einem Beitrag vorstellen. Ich bin 46 Jahre alt, männlich, und wohne in Berlin. Ich freue mich über Anregungen, Fragen oder Kritik (und über Lob natürlich auch). Erstmal wünscht Euch viel Spaß beim Lesen
Schreibling

Hier nun mein Text:


herzlich willkommen. :)

 

Hallo!

Nette kleine Geschichte, hat mir gefallen. Gerade in der heutigen Zeit, in der jeder Angst davor hat zu altern, bekommen die meisten schon Panik, wenn sie auf die Dreißig zugehen. Dabei ist 47 doch eigentlich noch kein Alter.

Der Sommer ist herrlich, denkt er, aber das merkt man nicht, wenn man dem Frühling nachjammert und Angst vor dem Herbst hat.

Schöner Satz, hat mir gefallen :)

Ein paar Sachen sind mir aber noch aufgefallen.:

es ist ein Donnerstag im Juli, ein ganz normaler Donnerstag.

Schreib doch einfach: "es ist ein ganz normaler Donnerstag im Juli."

Naja, auch das lässt nach, und der Gedanke erfüllt ihn mit Wehmut, dass die Uhr leider nur in eine Richtung läuft.

Ich finde, es liest sich etwas komisch.
Wie wäre es mit: "Naja, auch das lässt nach. Die Uhr läuft leider nur in eine Richtung und der Gedanke erfüllt ihn mit Wehmut,"

"Ist nur wegen dem Sport."

Ist nur wegen des Sports :teach:

Nur ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind. Vielleicht siehst Du noch mal über die Zeichensetzung, da war auch etwas, aber ich hab's mir nicht alles rausgeschrieben.

Liebe Grüße,
gori

 

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