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Schattenmann // Entlein

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02.08.2016
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Anmerkungen zum Text

Guten Abend an alle,

zuallererst, ich hoffe, Euch und Euren Lieben geht es gut, ihr könnt der vielen Zeit mit Euch selbst auch etwas Positives abgewinnen, wir schaffen das alle zusammen :) .

Meiner Kurzgeschichte ist ein kleiner Text vorangestellt, der den Ton für die darauffolgende Kurzgeschichte geben soll, vielleicht könnt ihr dem etwas abgewinnen :Pfeif:. Das Gesprochene in der KG ist in Dialekt verfasst und ich kann verstehen, wenn es störend ist und die Leselust nimmt, aber ich wollte mal experimentieren.

Macht's gut und viel Spaß beim Lesen!

Schattenmann // Entlein

Ein Schattenmann im Sommer


Er lässt sich auf ein Ästchen nieder, sein Blick entspannt und klar
Die Lider werden müde, der Atem ist jetzt tief
Aus dem Nichts doch, eine Lederhand, umschließt den ruh’nden Spatz
Ein Schattenmann mit rotem Haar, wächst aus dem Stamm heraus
Sie seh’n sich an, sie mustern sich, der Mann, er ist ein Kind
Ein Tränchen fällt, ein Flügel kracht, ein Seelchen schwebt hinfort
Von weit ertönt ein Mutterschrei, mein Herz, was treibst du da?
Mit schnellem Schritt und stolzer Brust, eilt es der Stimm‘ entgegen


Schau her, Mama, was ich da hab, davon hast du mir erzählt
Ein stummer Schrei, gib‘ her das Vieh, sieh zu, dass keiner schaut
Ein Grübchen in den Staub gescharrt, komm schnell, leg ihn dort ab
Mama, Mama, was hat er denn, er ist doch nur mein Freund
Er ist so müd‘, bewegt sich nicht, du musst schön leise sein
Das ist kein Schlaf, er wird nicht wach, du kommst jetzt mit, sofort!
Du bist zu jung, ganz eindeutig, verstehst doch nichts vom Leben
Über manche Dinge spricht man nicht, denk’ gar nicht drüber nach


Den Blick gesenkt, ganz schnell hier weg, wo sie war’n, nur Wirbelstaub,
wohin man geht, kein Blick zurück, der Herbst, er kommt bestimmt.

Das hässliche Entlein


Der Mann auf dem gegenüber liegenden Bahnsteig scharrt Schottersteinchen vor seinen Füßen zusammen und lässt einen dicken Spuckfladen darauf nieder. Er zieht tief und wütend an seiner Filterzigarette, die sich kaum von der vergilbten Haut seiner Hand unterscheidet. Es sieht so aus, als würde er ein Glutmenschchen zwischen Daumen und Zeigefinger zerdrücken wollen. Der Mann hustet, der ganze Körper macht mit und peitscht und beugt sich, fächert sich auf wie eine Ziehharmonika. Der Zug fährt ein. Er bremst und ich mach einen Schritt nach rechts. Da ist eine Tür, ich gehe hindurch und nehme Platz.

‚Der Hali hat mir letztens erzählt, also der mit dem Hund, der Kugler is‘ nimmer aufgstand‘n. Bahnhof vorne, weißt scho‘, Ausgang Kö‘ Passage, war’er bei den Punkern vorn, hat g‘schaut, ob die noch a weng was ham. Aber die war’n alle scho so wech oder immer noch, da hat’er keine Chance g‘habt bei denen. Ne, hat‘er wirklich net g‘habt, aber ich hab’s ihm immer wieder g‘sacht, geh‘ bis zu die Punker und net weider. Aber dann isser weider, weißt, hat wieder bloß den Nebel im Kopf g‘habt, kennst’n ja, da hast halt keine Chance net. Isser an die Russ’n vorbei unten mit ihre Kugeln da zum werfen und roll’n. Der Peter hat a mal welche geklaut von dene, des solltst net machng. Und weil die Russ’n immer ihr pantschtes Zeuch ham, des derfst net anfassen. Die halten des aus, die Russ’n ham da eh an Badscher, was des angeht. Aber des derfst dir net andreh‘n lass‘n, des packst net. Hab’s auch a mal fast net gepackt, der Tuschi hat mich dann zum Sanka bracht, hat’er selber fast net laufen können‘.

Ich drehe mich zur Stimme hin und sehe eine Frau. Sie trägt eine Bomberjacke, eine ganz alte, aufgetragene mit einem Streichholz in weißem Stick auf der Brust. Sie sieht aus dem Fenster und wippt leicht hin und her. Dann neigt sie ihren Kopf in Richtung ihrer Hände, die sich voneinander lösen und sich öffnen, sie gar fragend ansehen.

‚Der Kugler hat aber dann halt doch bei die Russ’n vorbei g‘schaut und die ham ihm dann was mitgeb‘m, was kleins, weil er nix wollt von dene, a probierding halt. Isser aber dann, so hat’s der Hali g‘sacht, zu die Araber und die Franzosen vor, bei dene weißt halt, dass ma danach net die Hufe hoch macht. Auf’m Weg hat’er nochmal beim Baum dort’n mit der schönen Bank, is eh die schönste wo wir da ham im Graben ne, da hat er dann Pause g‘macht. Da ham’sn dann ang‘schifft wie er g‘schlafen hat. Arschlöcher, da sin‘ bloß noch Arschlöcher unterwegs, ich sag’s dir. Schiffen die dem Kugler einfach ins Maul und wie er dann so wach wird und der Kugler is‘ ja a Prügel Kerl, der hat früher drüb‘m bei ihm daheim immer die Pferde umgschmiss’n, weil ihm langweilig war, isser dene dann hinterher g‘rennt, aber die war’n halt schneller, weil der Jüngste isser ja nimmer, der Kugler und hat dann aufgehm‘.

Die Frau lacht dieses heißere Lachen, das sich so anhört, als ob es weh tun würde und auch kein Lachen ist, sondern eher ein Husten mit Grinsen. Sie nimmt einen Schluck aus ihrer verbeulten Bierdose und sieht sich im Fenster an. Sie lächelt und schiebt sich eine fettige Strähne hinter ihr Ohr und posiert im grauen Licht des Spätherbstes. Ihre Augen funkeln.

‚Der Kugler war scho‘ immer so a klassisches Mannsbild, mit dem hast nie Angst ham brauch’ng, aber der hat mich leider net so wirklich g’mocht, hab‘ ich des G’fühl gehabt, verstehst. Immer so an niederen Blick hat’er aufg‘setzt, wenn ma halt zusammen ballert ham, aber des hat vielleicht auch was mit seine Eltern zu tun g’habt, die ham nern net so gern g’mocht. Hat vo‘ uns keiner verstanden halt, aber so is‘ halt amal bei dene g’wesen. Vo‘ dene ganzen Kinder, die ich g’habt hab, hätt‘ ich des vom Kugler scho gern g’habt, wegen dem hätt‘ ich auch aufg’hört, verstehst, aber die ganz’n andern, die war’n vo‘ Anfang an verkorkst, bei dene Väter, da hast glei‘ g’merkt, die ham böses Blut, die wär’n net glücklich wor’n auf derer Welt. Aber vielleicht sind’s des ja etz, ich weiß ned, von dene hab’ich nix mehr g’hört. Dem Kugler seins hätt’ich behalten. Fei echt, aber der hat sich aufg’ehm‘.

Ein Schatten legt sich über ihr Gesicht und mir wird ganz schwer. Die Luft hat sich verändert. Der Zug bremst und die Schreie der Bahngleise werden immer greller, bis sie mich unaushaltbar vereinnahmen. Der Zug steht und meine Ohren brummen überrascht von der plötzlichen Stille. Die Frau ist eingenickt und das Brummen wird immer lauter.

‚Halt dei‘ Maul, halt doch dei‘ dreggats Maul! Hau ab, ich will dich da nimmer seh’n, du wass‘d genau, dass du a Arschloch bist, lass‘ den Kugler in Fried’n, ich bring’di um!‘

Wie vom Blitz getroffen reißt die Frau ihre Augen auf. Ihre Bierdose knallt gegen die Lehne des Vordersitzes und fällt zu Boden. Der Spuckrest siecht kriechend aus der aufgeplatzten Mitte. Zwei schnelle Faustschläge folgen der Dose und der Mann, der vor ihr sitzt, steht auf, murmelt etwas und läuft ans andere Ende des Abteils.

‚Hast scho‘ recht, du Wichser, hau‘ ner ab. Alle hau’ns immer ab vo‘ mir, aber du bist doch der Grund, warum wir immer noch den Rotz bei die Russ’n hol’n müssen, du verreckter Lackaffe. Du und deine ander’n Anzugträger, ihr habt’s alles kaputt g’macht nach’m Kriech, des ham mir meine Eltern scho‘ g’sacht und du wass‘d des scho auch ganz genau, aber hauptsach‘ du spielst mit‘.

Allmählich entsteht ein Summen im Zugabteil. Wie an einem Frühlingsmorgen im April, wenn der Wind durch das noch junge Geblätt zischt und die Insekten brummend Blumen belagern und sich auf ihnen niederlassen. Mehr Köpfe werden nun abgekapselt von ihren Endgeräten und drehen sich mit interessierter Empörung in ihre Richtung, ohne sie anzusehen. Dieses mit Blicken kaschieren und verurteilen, sie haben es über die Jahre hinweg perfektioniert. Die Frau weint.

‚Dann war’er bei die Franzosen und die Araber und hat’si dann eindeckt mit dem Zeuch. Wass‘d, gstunk’ng hat’er wie a Betz, ang’schifft, zittert hat’er, ham’s g‘sacht. Der Jean, mit dem kannst immer weng quatschen, der spricht weng deutsch, hat’n dann a frisches T-Shirt geben woll’n, aber der Kugler hat net g’mocht, da war’er zu stolz dafür. Der Jean hat’n dann wegg‘schickt, dass die Bullerei halt bei dene dann net auf der Matt’n steht und dann ham’s in Kugler auch nimmer g’sehn‘.

Die Frau sieht sich neben sich um, ergreift einen Informationsflyer und putzt sich laut und wütend die Nase.

‚Der hat’s dann gleich g’schossn, der Kugler, hat’er immer g’macht, den hast seit fünf Jahr‘ net ohne Nebel g’sehn. Wenn der net so a Prügel g’wesen wär, dann hätt’er des Tempo net überlebt, so wie der sich wegg’richtet hat. Ich hätt‘ aufg’hört, hätt’i dem sein Kind g’habt, aber der wollt net, hat mich ja net so g’mocht‘.

Die Frau ist in sich zusammengesunken und spricht mit leiser Stimme, während sie weiter langsam vor und zurückwippt. Die Tränen sind versiegt, nur an den Spuren in ihrem Gesicht sieht man, dass sie geweint hatte. Ihr Blick ist jetzt wieder starr aus dem Fenster gerichtet, als könne sie durch alles hindurchsehen.

‚Der Walle hat’n dann es letzte Mal g’sehn, den Kugler, aber der hat ihn halt nimmer g’sehn. Da hat der Walle scho‘ g’wusst, dass da was is‘ mit’m Kugler, wie er so nach vorn g’stiert is‘, so schnell wie’ma halt kann in dem Zustand. Wo er hingeht, hat der Walle den Kugler g’fragt, aber der hat nix g’hört und is immer weider g’loffm und wie’er dann an der Straß‘ war, da hat er sich nochmal um‘dreht, zum Walle, des mags’d dir net vorstellen. A letzt’s Augenzwinkern hat’er gekriegt, der Walle, aber der hat’s dann auch g’wusst. Scho‘ bevor der Kugler dann auf die Straße g’laufm is und si‘ von dem LKW hat derfahr’n lassen, scho‘ davor hat’er’s gwusst, der Walle. Der Kugler hat’si aufg‘ehm‘.

Eine blechern klingende Frauenstimme kündigt den nächsten Halt an, als der Zug schon fast steht. Die Frau erhebt sich, schlurft in Richtung Tür, schaut in meine Richtung, bevor sie den Blick durch das Abteil schweifen lässt. Niemand sagt etwas und alle schauen zu Boden. Die Frau macht auf dem Absatz kehrt und verlässt den Zug.

Ein Alarmsignal ertönt und die Tür verschließt sich mit einem Rumsen. Es ist, als wäre plötzlich wieder Luft im Abteil und ein Schnattern ertönt, vereinzelte erleichterte Lacher sind zu vernehmen. Ich beobachte sie, wie sie sich gegenseitig zusichern, dass sie dazwischen gegangen wären, wenn die Frau noch länger sitzen geblieben wäre, dass man da mal was hätte sagen sollen, am hellichten Tag, unerhört. Ein Jugendlicher persifliert die Frau, begleitet vom treibenden Gelächter seiner Freunde und blickt aufmerksamkeitsheischend über die Gesichter der Anderen. Vereinzeltes zustimmendes Nicken und ein ‚Jawohl‘ sind für ihn zufriedenstellende Antwort genug und er setzt sich wieder, klatscht sich mit seinen Freunden ab.

Der Zug hält und ich steige aus. Ich beobachte die Menschen, wie sie sich aufgeregt unterhalten, sich am Alltag ergötzen. Ich bleibe stehen und der Zug zieht sich an mir vorbei. Solange wir so weitermachen wie bisher, denke ich mir, weiß niemand wie wir uns tatsächlich fürchten.



 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @mikkel,

so ganz kommentarlos sollte mMn kein Text hier durchflutschen, vor allem keiner, der sprachliche Qualität in sich birgt. Allerdings kommt es für mich nicht gut, wenn jemand den letzten Kommentar unter seiner Geschichte unbeantwortet lässt (Kellerkind) und für acht(!) eingestellte Geschichten zwar Kommentare eingefahren hat, jedoch nur einen einzigen(!) zu einem fremden Text (Achillus: Nordic Doom) geschrieben hat. Es muss nicht immer quid pro quo laufen, doch hier stimmt für mich die Gewichtung beim Geben und Nehmen nicht, oder habe ich was übersehen?

Der vorangestellte lyrisch angehauchte Kurztext würde für mich unter Flash Fiction funktionieren. Der "Schattenmann", der eigentlich ein psychopatisch veranlagter Junge ist, lauert dem Spatz auf und zerdrückt ihn mit der Hand. Dadurch, dass er nicht weiß, was er tut, obwohl es für den Leser offensichtlich verwerflich ist, durch seine Moralfreiheit erhält der Vorgang etwas Monströses, das die Mutter erschreckt und zur schnellen Beseitigung, zum Wegkehren und Überdecken zwingt. Ein Kurztext im Gedichtrhythmus und doch reimfrei, der mir mehr gibt als der Haupttext.

Das hässliche Entlein (wieso dieses Bild?) besteht aus nett zu lesende Wortkonstruktionen, interessanten Neologismen (Glutmenschchen, kein Lachen, ein Husten mit Grinsen), kryptisch, oft unverständlich, anstrengend und ja, es wird etwas erzählt, in Form eines Monologs, laut vorgetragen und doch nach innen gerichtet, es geht um eine Frau in der U-Bahn und um den Kugler, der vor den LKW gerannt ist, um verlorene Kindern und gepanschten Schnaps/Drogen und dann fliegen noch Fäuste. Eine stringente Handlung fehlt, die Rahmenhandlung trägt zum Plot selbst nichts bei und so bleibt es schwere Kost. Das Mundartliche will den Text authentisch machen, doch es erhöht für mich die Verschlüsselung. So weit so gut, allerdings schleppt der Text für mich durch die formale Aufstellung auch einiges an Ballast mit. Beim Lesen schält sich aus diesen Worthülsen für mich nicht viel heraus, jedenfalls nichts, was mich iwie bewegt, weil letztlich doch die leicht manierierte Form im Vordergrund steht und nicht der Inhalt, sonst würdest du es anders, nüchterner, zugänglicher präsentieren. Mag sein, dass es schlicht Geschmacksache ist, wenn dem so ist, ist es momentan einfach nicht meins. Soweit meine ganz subjektive Lesart.

Peace, linktofink

 

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