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Scheidungsurteil
Scheidungsurteil
Die Frau drehte sich zu ihrem Gegenüber um.
Ihr schönes Antlitz verzog sich zu einer bösen Fratze.
„Wo ist Adam? Ich bezahle Sie dafür, dass sie ihn finden und möchte nicht länger ihre blöden Ausreden hören. Immerhin habe ich das Recht auf meiner Seite.“
Walter zog die Schultern hoch. Die Frau jagte ihm Angst ein, aber er konnte nicht auf den Auftrag verzichten. Es war schon fast Monatsende und er hatte die Miete immer noch nicht bezahlen können. Die Arztrechnung für den Kleinen war hoch gewesen. Hilde hatte sich zwar nichts anmerken lassen, aber er wusste, dass sie Angst hatte, mit der ganzen Familie auf der Strasse zu sitzen.
Walter würde sich nicht von seiner neuen Kundin einschüchtern lassen.
Er würde nicht seine Frau enttäuschen.
Er straffte die Schultern.
„Machen sie sich keine Gedanken. Ich werde ihnen Adam bringen.“
Keiner der Beiden nahm die Gestalt wahr, die sich langsam in den dunklen Schatten zurück zog und in seinem Schutz bis zum Waldrand gelang. Als sich die Beiden in Richtung des Fensters wandten, hatte das dichte Unterholz den fliehenden Mann schon längst verschluckt.
Erschöpft lehnte sich Adam gegen einen Baum. Seit der Urteilsverkündung war er ständig auf der Flucht. In seinem Gesicht hatten die Tage ohne Schlaf ihre Spuren hinterlassen, lange würde er sich nicht mehr verstecken können. Früher oder später würde man ihn entweder aufspüren, oder er würde vor Erschöpfung zusammenbrechen. Sein Anwalt hatte die Berufung schon eingereicht, aber bis man vom Gericht keine Zusage erhielt, dass man den Fall neu aufrollen würde, durfte er nicht gefasst werden. Einmal vollstreckt würde ihm auch eine Berufung nicht mehr helfen.
Adam hatte sich bis zu Evas Haus geschlichen, um sie zu bitten, ihm ein wenig Aufschub zu gewähren, aber ihr Gesichtsausdruck hatte ihm bestätigt, dass sie sich nicht beirren lassen würde.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen den Fall Julius, dem alten Familienanwalt anzuvertrauen, aber niemand hatte mit dieser Wendung im Prozess gerechnet.
Immerhin handelte es sich nur um eine Scheidung und nicht um einen Mordfall.
Adam wollte alles richtig machen und hatte sofort alle Schuld auf sich genommen. Er wusste, dass man ihr das Paradies zusprechen würde, auch wenn sie und diese falsche Schlange schuld daran waren, dass man sie einst aus ihm verbannt hatte. Auch dass er die Hälfte seines Gehalts an sie überweisen würde, bis die Kinder groß sein würden, war ihm schon vor Prozessbeginn klar gewesen. Er war bereit gewesen auf alle materiellen Dinge zu verzichten und ein neues Leben zu beginnen. Erst am letzten Tag hatte sie ihre letzte Forderung ausgesprochen.
Niemand hatte gedacht
, dass der Richter ihrem Wunsch nachgeben würde. Doch ihr Anwalt hatte seine Begründung gut vorbereitet und als Zeugen hatte er Adams gesamte Familie hinzugezogen. Natürlich hatten sie nicht lügen können, denn Adam hatte die Worte, die ihn verurteilt hatten, in der Kirche gesprochen und den lieben Gott als seinen Zeugen gerufen. Ein hämisches Grinsen breitete sich im Gesicht von Evas Anwalt aus, als er zum letzten vernichtenden Schlag ausholte.
„Haben sie diese Zeilen geschrieben?“, hatte er Adam mit drohender Stimme gefragt.
„Ja das habe ich.“, hatte ihm Adam kleinlaut geantwortet.
„Lesen Sie doch bitte dem hohen Gericht einmal vor, was Sie ihrer geliebten Ehefrau versprochen haben.“
Adam wusste, dass er damit verlieren würde, aber trotzdem folgte er der nickenden Aufforderung des Richters.
„Ich schenke Dir, meiner geliebten Ehefrau, mein Herz und verspreche, dass es Dir gehören wird, bis ans Ende unser Tage.“
Las er mit leiser Stimme dem Gericht vor. Einen Moment lang hatte er geglaubt, Mitleid in den Augen des Richters zu sehen. Doch schnell verschwand jede Regung im Gesicht des Beamten. Julius versuchte noch, für Adam einen Ausweg zu finden, aber die Beweise waren zu schwerwiegend. Auch der Versuch an die Menschlichkeit zu appellieren wurde vom Richter abgeschmettert.
„Eva wurde aus Adams Rippe geschaffen und wir können die Beiden aus diesem Grund nicht als zwei einzelne Personen sehen und da es der Beklagte selber war, der dieses Versprechen von sich gegeben hat, sehe ich mich gezwungen dem Antrag stattzugeben. Das Herz ist seiner Besitzerin in den nächsten 48 Stunden auszuhändigen.“
Noch bevor der Richter den Hammer senkte, war Adam aus dem Gerichtssaal geflohen. In seinem Kopf surrte der letzte Satz.
Sechs Tage waren seitdem vergangen. Er hatte weder geschlafen, noch viel gegessen, seine Kräfte waren am Ende. Der Privatdetektiv, den Eva beauftragt hatte, war ihm immer dicht auf den Fersen. So leicht würden sie es nicht haben. Adam war nicht gewillt, sich fangen zu lassen.
Die Dämmerung war schon wieder hereingebrochen. Adam fröstelte. Er musste sich auf die Suche nach etwas Essbarem machen, auch auf die Gefahr hin, dass man ihn fassen würde. Seine Beine taten ihm weh, als er aufstand. Einen Moment hielt er sich an dem Baumstamm fest, der ihm in den letzten Stunden Schutz geboten hatte, bevor er sich in Richtung Zivilisation auf den Weg machte.
Die Stadt lag im tiefen Dunkel. Geduckt schlich sich der Fliehende zu dem Haus, dass einst sein Heim war. Seine Mutter würde tief schlafen und er hoffte, unbemerkt in die Speisekammer zu gelangen. Mit viel Glück würde sich auch eine wärmende Decke finden lassen.
Die Hunde wedelten, als sie seine Ankunft bemerken und verzogen sich wieder in ihre Hütte. Es rührte sich nichts in dem dunklen Haus. Vorsichtig öffnete er die Hintertür, wie immer wurde er von einem leisen Quietschen begrüßt. Auch wenn er damit gerechnet hatte, erschrak er zutiefst. Seine alte Mutter würde vor Schreck erbleichen, wenn sie ihn hier sehen würde. Noch nie hatte diese gottesfürchtige Frau etwas gegen den Staat getan, sie hatte stets auf die Gerechtigkeit der Gesetze gepocht und Adam zweifelte, dass sie heute eine Ausnahme machen würde.
Leise trat er in die dunkle Küche ein. Der Geruch nach Essen ließ ihn beinahe ohnmächtig werden. Seine Mutter hatte ihren Lieben heute Roastbeef gekocht. Adam hoffte, dass noch etwas davon übrig geblieben war. Er schlich in Richtung Speisekammer. Im Dunkeln konnte er die Umrisse der schlafenden Katze ausmachen, die sich vor der Heizung zusammen gerollt hatte. Er war so in das friedliche Bild versunken, dass er den Angreifer erst bemerkte, als es zu spät war.
Walter warf sich über den Flüchtling, der nur noch ein Schatten des Mannes war, den man ihm auf den Hochzeitsbildern gezeigt hatte. Adam roch das Roastbeef im Atem seines Angreifers. Leicht konnte Walter den schwachen Mann überwältigen. Er hatte ihm schon die Hände gefesselt, als das Licht aufflammte. Die beiden Männer auf dem Küchenfußboden blinzelten erschreckt.
„Mama es ist nichts, begib dich wieder ins Bett.“
Adam war der erste der seine Sprache wieder fand. Die alte Frau setzte sich an den Küchentisch.
„Adam mein Junge, was machst Du nur für Sachen.“
Traurig stützte sie ihr faltiges Gesicht in die Hände.
„Du weißt, mein Junge, ich habe Deinem seligen Vater versprochen, dass ich mich nie gegen das Gesetz wenden werde und ich darf ihn nicht enttäuschen. Du musst das verstehen. Walter ist ein guter Mann. Er muss seinen Auftrag ausführen, sein kleines Kind ist krank und Eva wird ihm genug bezahlen, um den Arzt zu bezahlen. Du musst jetzt zu Deinem Versprechen stehen und ihr geben, was du einmal geschenkt hast. Versprochen ist versprochen, mein Junge.“
Sie blickte ihrem Sohn tief in die Augen. Verschämt wandte ihr Ältester den Blick ab.
„Ja Mama, ich werde mit ihm gehen und mein Versprechen einlösen.“
„So ist es gut mein Junge. Was Recht ist, soll auch Recht bleiben. Möchtest Du noch etwas essen, bevor ihr geht? Sie vielleicht auch noch eine Kleinigkeit Walter?“, wandte sie sich an Adams Angreifer.
„Oh ja gern, gute Frau, ihrem Roastbeef kann keiner widerstehen. Noch ein Bitte, hätten sie vielleicht ein kleines Stück für meine Jungs? Sie lieben Roastbeef.“
„Aber sicher junger Mann, vielleicht besuchen sie mich ja einmal mit ihrer Familie.“
Eine Stunde später wurde Adam dem Richter vorgeführt. Der weise Mann sah traurig zu Adam.
„Aber junger Mann wie kamen sie denn nur dazu ihrer Frau ihr Herz zu versprechen?“
Nachdenklich blickte Adam auf seine Hände.
„Ich habe sie geliebt und ich habe gedacht, dass es für immer wäre.“
„Ein Irrtum, wie wir heute wissen. Nichts desto trotz muss ich heute Recht sprechen.“
Der Richter hob seinen Hammer.
„Ich verfüge, dass ihnen, Adam, sofort das Herz, das sie einst ihrer Gemahlin versprachen, abgenommen wird und an seine rechtmäßige Besitzerin übergeht. Der freigewordene Platz wird durch einen Stein derselben Größe ersetzt.“
Der Schlag des Hammers war das letzte, was Adam hörte, bevor er in eine tiefe Ohnmacht fiel.