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Schicksalshafte Begegnung

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14.01.2007
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Schicksalshafte Begegnung

„Falsch“ war das erste Wort, das Tom durch den Kopf schoss. Er betrat die leere Auffahrt des Fabrikhofes, näherte sich dem Tor und kratzte sich am Kinn. Das sollte es sein? Wo war das Geratter der Maschinen, wo die LKWs? Kein Mensch war zu sehen und der einzige vernehmbare Laut war der eines Pappbechers, den der Wind über die Pflastersteine fegte. Verdammt wenig los für einen florierenden Produktionsbetrieb mit hervorragender Auftragslage, der dringend einen Mitarbeiter suchte. Da hatte ihn jemand verarscht, hatte ihn her bestellt und saß wahrscheinlich hinter einem der Fenster da oben und lachte sich ins Fäustchen, weil er echt geglaubt hatte, irgendwer würde ihn einstellen wollen.
Absurd, einfach absurd, dass er trotzdem näher an das heruntergelassene Rolltor heran ging und nach einer Klingel Ausschau hielt. Zu Toms Überraschung gab es tatsächlich eine. Er drückte den Knopf und nachdem ein surrendes Geräusch ertönt war, öffnete sich die Tür.

„Ach, endlich. Sie müssen Herr Berger sein! Ich habe Sie bereits erwartet!“

„Mhm, ja, und Sie sind...?“
Tom ergriff die ihm entgegengestreckte Hand.

„Schick! Ich habe Sie angerufen. Siegfried Alfons Ludwig Schick! Ein passender Name für die Textilindustrie, nicht wahr?“ Herr Schick lachte als wäre er im Stimmbruch. „S.A.L. Schick! Freut mich! Treten Sie doch bitte ein!“

„Kommen wir gleich zur Sache“, sagte Schick, als die beiden im Büro angekommen waren und Platz genommen hatten. „Sie sind schon länger auf Arbeitssuche, wie?“
Bevor sich die Röte in Toms Gesicht ausbreiten konnte, fuhr Schick fort: „Und das macht gar nichts! Ich suche genau Sie! Sie sind mein Mann! - Wir sind ein international agierendes Familienunternehmen, das Stoffe produziert. Stoffe, aus dem die Träume sind!“ Schick lächelte so breit, dass Tom seine nicht ganz so makellosen Zähne sehen konnte.
„Ich suche jemanden, der Erfahrung mit Webmaschinen hat und den ich ohne große Einarbeitungszeit an den elektrischen Webstühlen einsetzen kann. Für Sie als Experten ist die Arbeit sehr leicht. Ihnen würde die Überwachung des tadellosen und reibungslosen Ablaufes obliegen. Eventuell müssten Sie hin und wieder Hand anlegen und kleinere Fehler beheben, aber den Rest macht die Maschine ganz allein. Rüsten entfällt, denn die Maschine läuft immer in derselben Einstellung. Es gibt keine Stückzahl, die Sie täglich erreichen müssen und Sie werden sich im Schichtdienst – Vollzeit und unbefristet - gemeinsam mit den langjährigen Mitarbeitern Huber, Krüger und Upsalla um Ihre Maschine kümmern. Da einer unserer Mitarbeiter leider kürzlich verstorben ist, haben wir nun erneut Bedarf. - Na, ist das nichts?“

Schick schob Tom einen Vertrag hinüber, aufgeschlagen auf der prekären, pekuniären Seite. Wow, das war deutlich mehr als Hartz IV. Er ergriff den Kugelschreiber, den Schick ihm hin hielt und unterschrieb. Endlich wieder Arbeit! Endlich wieder Geld in der Tasche und nicht mehr wie ein Versager dastehen!
„Na, wunderbar, wusste ich es doch!“, Schick lächelte ölig, „Meine Argumente sprechen für mich! Dann kommen Sie mal mit und ich zeige Ihnen Ihren Arbeitsplatz! Sie fangen gleich an, ja?“

„Der neuste Stand der Technik.“ sagte Schick schmunzelnd und Tom staunte. Endlose Reihen von Maschinen, klein, jede bedient von nur einem einzigen Maschinenführer. Kein Klappern und Hämmern, wenn die Webschiffchen ihre Arbeit taten, nur ein leises Surren erfüllte die riesige Halle. Die Maschinenführer standen ruhig rechts neben dem Webstuhl auf einem roten Punkt, der auf den Boden aufgebracht war, und beobachteten konzentriert das Blinken der vielen bunten Lämpchen und die Displays vor ihnen.
Schick musste seine Gedanken erraten haben, denn er sagte: „Wie Sie sehen - eine sehr angenehme, vergleichsweise leichte Arbeit. Und das hier ist jetzt Ihr Tätigkeitsfeld!“ Er wies auf den roten Punkt neben der unbesetzten Maschine vor ihnen. „Bitteschön! - Diese Maschine ist nagelneu und wird ...“, Herr Schick schaute auf seine Armbanduhr, „genau jetzt, um 14 Uhr und 2 Minuten in Betrieb genommen.“ Er drückte den großen, grünen Schalter auf dem Einstand. Das Display begann zu pulsieren und der rote Kreis auf dem Fußboden leuchtete ein Mal kurz auf. „Herr Upsalla wird Sie in acht Stunden ablösen. Haben Sie noch Fragen?“

Tom brach der Schweiß aus. „Ja, werde ich denn nicht eingearbeitet?“
Schick lächelte. „Also, ich muss ja bitten! Sie sind doch ein Experte und keine ungelernte Kraft. Sie wissen doch, was zu tun ist. Schauen Sie auf Ihr Display!“ Mit diesen Worten wandte er sich zum Gehen.
„Nein, nein, nein, ich verlange eine Einarbeitung! Sie können mich doch nicht einfach hier an die Maschine stellen und sie einschalten und mir nicht sagen, was ich genau tun soll!“ Tom trat aus dem Kreis hinaus und machte zwei Schritte auf Schick zu. Die Maschine begann zu stottern wie ein Auto, dessen Tank nach Benzin lechzte, und eine Sirene ertönte, so ohrenbetäubend, dass Tom vor Schreck wieder zwei Schritte zurückwich. Die Sirene erstarb augenblicklich.
Schick drehte sich wieder zu ihm um. „Ts,ts,ts. Gerade noch konnten Sie nicht schnell genug unterschreiben und nun verweigern Sie direkt die Arbeit, für die ich Sie so fürstlich bezahle! Bringen Sie Leistung für Ihr Geld.“ Schick kicherte. „Ich rate Ihnen dringlichst – schauen Sie auf Ihr Display!“

Verwirrt tat Tom, wie ihm geheißen. Auf dem flimmernden Bildschirm war eine Gruppe Menschen zu erkennen. Einige von ihnen waren in weiß gekleidet. Eine Frau lag in einem Bett, der Mann an ihrer Seite streichelte einem Baby, das ein grünlicher Farbkreis umspielte, über sein bläuliches Gesichtchen. Einen der Weißgekleideten hörte er durch die Lautsprecherrillen beruhigend sagen: „Ja, ja, jetzt atmet er!“
„Was... Was ist das für ein Ding?“ Tom keuchte.
„Dort rechts finden Sie Ihre standardisierte Arbeitsanweisung.“
Toms sah auf den laminierten Zettel, den er erst jetzt neben seinem Display entdeckt hatte.

Produktinformation:
Max Tietze
* 03.01.2008, 14:02
† 29.03.2072, 16:38 - Schlaganfall während eines Segelausflugs auf dem Ijsselmeer –
Charakteristika:
Sternzeichen: Steinbock, Aszendent Widder
Wesen: Introvertiertheit: 55%, Extrovertiertheit: 45%
Charakterliche Disposition: Analytik: 67%, Emotionalität: 33%
Lebensziel: Auf- und Abbau von Versagensängsten

1. Betrachten Sie die Aktionen im Display (--> vgl. rechts) um den Verlauf der Fäden zu kontrollieren und die qualitativ hochwertige Produktion zu gewährleisten.

2. Nehmen Sie ggf. Einfluss auf Verlauf der Fäden durch Betätigung der Aktionstasten (<-- vgl. links). Entnehmen Sie die Evaluation Ihrer Tastenauswahl (vgl. Produktinformation oben) der Farbgebung des (grünen/roten) Produktinformationskreises.

Hinweis: Wird die Qualitätskontrolle unterbrochen (Verlassen der roten Markierung Fußboden / Warnsignal), sind planmäßige Fertigung und Auslieferung des Produktes gefährdet. Der Produktzyklus wird unterbrochen (Ausschuss) und die Maschine stoppt nach max. drei Minuten Karenzzeit automatisch (Karenzzeit variiert nach Konstitution).

„Was soll der Quatsch? Ich verstehe nicht... .“

Schick tippte mit dem Finger auf ein kleines, bronzenes Schild, das sich links unten an der Maschine befand.
„Nehmen Sie sich Zeit und machen Sie sich mit Ihrer neuen Lebensaufgabe vertraut. Leben ist Arbeiten, nicht wahr? Oder warum fühlen Sie sich sonst so nutzlos, seit Sie keine Arbeit mehr haben? - Ob Sie es glauben oder nicht, aber das Produkt und Sie selbst haben einiges gemeinsam. Vielleicht können Sie ja noch etwas lernen.“
Schick lächelte, klopfte Tom fast väterlich auf die Schulter und wandte sich um.
„Ach, eines noch: Bitte versagen Sie nicht! Herr Faber, besagter Mitarbeiter, der vor Kurzem das Zeitliche gesegnet hat und dessen Platz Sie einnehmen, hat es getan und ich sage Ihnen, er wurde seines Lebens nicht mehr froh. Der Arme konnte nicht verkraften, dass er Schuld war an unscheduled downtime. Seine Maschine ist unplanmäßig ausgefallen... tödlich für die produzierende Industrie! Also, machen Sie es gut. Oder vielleicht eher: Machen Sie es besser!“

Tom reckte seinen Hals, um einen Blick auf das bronzene Schild werfen zu können, auf das Schick verwiesen hatte.

„Schicksalswebstuhl“ stand darauf.

 

Die Geschichte ist ganz nett, eher gemächliche Unterhaltung, die man liest und dann auch wieder vergisst. Blpß der Titel stört, er ist etwas sehr dramatisch und wirkt nicht grade anziehend, finde ich.

 

Hallo TheRaven,

die Geschcihte erscheint mir als solche und auch in der Wahl der Rubrik leider nicht ganz stimmig.
Gut, Tom Berger ist langzeitarbeitslos, ALGII-Empfänger und bekommt einen Job, um den er sich offensichtlich nicht bewerben muss, sondern der ihm angeboten wird. Soweit der gesellschaftliche Bezug. Und dann wird es mystisch-esoterisch, denn die Aufgabe besteht darin, Schicksale zu weben. Der gesellschaftliche Bezug geht hier für mich verloren.
Vom reinen Plot her ist die Geschichte durchaus möglich, was mir unstimmig erscheint, sind Details. Bergers erstem Auftritt nach hätte sich schon fast jeder potentielle Arbeitgeber gegen ihn entschieden. Er kommt so sehr zu spät, dass er die Ungeduld herausfordert und mit den Worten "Na endlich" gegrüßt wird und antwortet darauf unentschlossen mit "Mhm, ja", weist das Gegenüber aber sofort auf eine Unhöflichkeit hin: "und Sie sind ...?"
Der neue Arbeitgeber weist im Gespräch auf "ohne große Einarbeitungszeit" hin, nicht auf gar keine, auch wird nicht klar, warum es so eilig ist, funktionierte die Erde doch in den letzten Tagen wohl auch ohne diese zusätzliche Schicksalswebmaschine. Warum hat also nicht wenigstens genügend Zeit bestanden, die Machine zu erklären?
Und wenn neben dem Display schon Todestag und Todesart stehen, was kann dann noch passieren, was durch die Fäden wieder unter Kontrolle zu bekommen wäre, was kann passieren, wenn die Maschine unbeobachtet läuft? Wozu braucht Herr Schick Tom also?
Ebenfalls stellt sich die Frage, wie viel Personal Herr Schick bräuchte, wenn jeder Webstuhl nur für das Schicksal eines Menschen zuständig ist? Dann kommt er sicher nicht mit den vier Mitarbeitern aus, wenn sich aber vier Mitarbeiter immer nur um ein einziges Schicksal kümmern müssen, kommt er nicht mal mit der Weltbevölkerung an Mitarbeitern aus, denn die bräuchte er ja mal 4. Und wenn die Schicksalsweber schon an der Quelle sitzen, warum nehmen sie nicht Einfluss auf ihr eigenes Schicksal, warum stand nicht auf dem Laminat neben Herrn Fabers Lebensschicksal: stirbt beim Weben von Schicksalen?
Du merkst, die ganze Geschichte wirkt auf mich, wie eine nicht zuende gedachte Idee - leider ohne gesellschaftskritischen Bezug.

Wo war das Geratter der Maschinen, wo die LKWs?
kann so nicht in einem Prädikat zusammengezogen werden, da Satzobjekt im Singular, das andere im Plural steht. Also wo waren die die LKWs?
„Ach, endlich. Sie müssen Herr Berger sein! Ich habe Sie bereits erwartet!“
Ist Tom so viel zu spät?

Lieben Gruß
sim

 

Hi,

vielen Dank für euer Feedback!

@NikitaF

eher gemächliche Unterhaltung,
Danke! :-) Genau die wollte ich auch mal schreiben.

Blpß der Titel stört, er ist etwas sehr dramatisch und wirkt nicht grade anziehend, finde ich.
Okay, kann ich nachvollziehen. Hatte es gar nicht unbedingt dramatisch gemeint, sondern eher fast wörtlich, weil der Arbeitgeber ja S.A.L Schick heißt.

@Sim

Gut, Tom Berger ist langzeitarbeitslos, ALGII-Empfänger und bekommt einen Job, um den er sich offensichtlich nicht bewerben muss, sondern der ihm angeboten wird. Soweit der gesellschaftliche Bezug.

Ich war mir auch nicht sicher, ob GESELLSCHAFT, ALLTAG oder SELTSAM sinnvoll gewesen wäre...

was mir unstimmig erscheint, sind Details.

Hast recht - war mir nicht bewusst.

Und wenn neben dem Display schon Todestag und Todesart stehen, was kann dann noch passieren, was durch die Fäden wieder unter Kontrolle zu bekommen wäre, was kann passieren, wenn die Maschine unbeobachtet läuft? Wozu braucht Herr Schick Tom also?

Tom sollte die Fäden so führen, dass sein "Produkt" den Weg einschlägt, der ihm ermöglicht, seine Lebensaufgabe zu erfüllen...das war der Gedanke.

wenn sich aber vier Mitarbeiter immer nur um ein einziges Schicksal kümmern müssen, kommt er nicht mal mit der Weltbevölkerung an Mitarbeitern aus, denn die bräuchte er ja mal 4.

Zwei Fliegen mit einer Klappe, dachte ich, denn während Tom sich um das Schicksal des einen kümmert, kümmert er sich um seines gleich mit, weil seine Aufgabe ebenfalls der Abbau von Versagensängsten ist.


Werd die Geschichte noch einmal überdenken ;-)

Vielen Dank und liebe Grüße, TR

 

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