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Schlafen/Wachen
''Neun'', schnaufte er, sein Kopf lehnte gegen den Spiegel seines Schrankes, er atmete schwer unter seinen Schmerzen.
Langsam erhob sich sein Arm zum nächsten und letztem gerechten Hieb. Die Tränen unterdrückend griff er den Riemen fester.'' Du hast es nicht anderst verdient'', presste er hinaus und betrachtete kurz sein Spiegelbild mit aufsteigendem Ekel. '' Nicht anderst verdient. '', wiederholte er, wie um sich selbst zu bestätigen und lies die improvisierte Peitsche ein letztes mal auf seinem entblößten Rücken herniederfahren. '' Zehn '', konnte er gerade noch stöhnen bevor er den Spiegel entlang herunterrutschte und regungslos liegen blieb.
Nach einer halben Stunde in einem nahezu komatösem Zustand hatte er genug Kraft um sich an seinem schwarzen Lederstuhl hochzuziehen. Er betrachtete sich in dem in den Schrank eingearbeiteten Spiegel. Blut lief warm an seinem vor Schmerzen zitterndem Körper nieder. Er betrachtete sein eigenens schmerzverzerrtes Gesicht und dachte bei sich : '' Diese Strafe war eigentlich noch viel zu mild für eine solch minderwertige Kreatur wie dich. '', er konnte seine Tränen nun kaum mehr unterdrücken, so sehr schmerzten die Peitschenhiebe auf seinem Rücken. Die Welt verschwamm unter der aufsteigenden Tränenflüssigkeit und aus lauter Verzweiflung schrie er ohne daran zu denken wie dünn die Wände seiner Wohnung sein konnten, sein Spiegelbild an '' Ich hasse dich !! Du bist widerlich und minderwertig. So etwas wie du hat es nicht einmal verdient zu leben!! ''.
Er konnte nun seine Tränen nicht mehr zurückhalten und kroch unter Schmerzen, schluchzend fort von dem Spiegel zu seiner ausgeklappten Schlafcouch hin. Trotz seines Willens die Couch so schnell wie möglich zu erreichen konnte er es nicht lassen auf halbem Wege ein letztes Mal in den Spiegel zu blicken und sich zu betrachten: Er blickte seinen nackten Oberkörper auf und nieder. Er untersuchte zitternd aber kühl, mit nahezu maschineller Genauigkeit jede einzelne, schwächliche Muskelpartie seines im Spiegel sichtbaren Leibes und wusste sogleich , dass es gerechtfertigt war sich zu züchtigen, denn was sonst hatte eine solch minderwertige und schwächliche Hülle verdient? Was sonst, außer Bestrafung, konnte eine solch faule, prokrastinierende Lebensform dazu bringen sein Bestes zu geben? Besser zu sein als Andere! Besser zu sein als jeder seiner Konkurrenten in unmittelbarer Umgebung! Seine Gegner zu vernichten , seine Feinde zu unterwerfen, jeden, der sich ihm in den Weg stellte, zu unterdrücken und ihre Schwächen der Öffentlichkeit preiszugeben um sie somit psychisch zu zerstören. Aber wie sollte ein Körper dies schaffen, wenn er selber nicht allen anderen überlegen ist? Wie konnte eine solch ineffektive, hassenswerte Biomasse dies bewältigen?
'' Optimierung durch Bestrafung '', schnaufte er mehrmals seinem ekelhaften Spiegelbild entgegen während er sich an seiner orange-roten Couch emporzog.
Er legte sich flach auf seinen Bauch, zog seine blaue Decke, die sich schrecklich mit der Farbe seiner Schlafcouch biss, bis knapp über seinen Po. Zwar war es diese Nacht nicht sonderlich warm, allerdings traute er sich nicht die Decke über seine stark brennenden Wunden zu ziehen, da der unglaubliche Schmerz wohl noch gesteigert würde, wenn seine Wunden mit etwas Festem in Berührung kämen.
Wie nicht selten dachte er, wie er so, geplagt von seinen sich selbst zugefügten Schmerzen, da lag, aber noch weit mehr geplagt des schlechten Gewissens seiner nicht erfüllten Pflichten wegen, Pflichten, die sich aus seiner bloßen Existenz begründeten, über die Auslöschung eben dieser Existenz nach.
Stark war für ihn die Verlockung sich zu verabschieden aus dieser Welt mit der, bedingt durch seine Natur, nicht die kleinste Faser seines Körpers konform war. Endlich einschlafen zu können ohne wieder aufwachen zu müssen , den wunderbartesten Schlaf zu schlafen den es gab, einen der ihn nicht mehr in eine Welt, die ihn Mal für Mal, wenn er wachte, an die Grenzen des für ihn Erträglichen brachte und kein anderes Ziel kannte als sein sowieso jämmerliches Dasein noch zu verschlechtern, einen Schlaf der ihm für immer seine Ruhe ließ, der ihm endlich die ganze Last seiner Pflichten abnahm.
Wie gut konnte er auf seine Rechte doch verzichten, die nur dazu da waren ihm Pflichten aufzuzwingen. Pflichten die ihn ohne sein tieferes Einverständnis lenkten, Bindungen die ihm von Geburt an auferlegt wurden, vor denen er sich rechtfertigen musste ohne es zu wollen, Abhängigkeit in die sie ihn zwangen aus denen er sich befeien wollte.
'' Rechte, die zur Sicherung der Freiheit dienen '', dachte er '' Und doch entstehen mit jedem neuen Recht nur neue an eben dieses Recht gebundene Pflichten, sodass man wieder gefangen ist und zum Schluss, ironischer und lächerlicher Weise, wohl weniger frei ist als ohne all seine Rechte zusammen. Ja schon allein das Recht auf die Geburt also auf das Geboren werden, auf das Leben ist nur wieder gekoppelt an die Verpflichtung, die Bindung, die Abhängigkeit z.B. den Eltern gegenüber so, dass ich wohl nur frei wäre wenn ich dieses sogenannte Recht auf Geboren werden, auf Leben nicht in Anspruch nähme. Doch wird mir eben dieses Recht aufgezwungen, ich werde ja kaum gefragt ob ich das Zwielicht der Welt erblicken möchte, sodass ein Leben von Anfang an nicht gerecht und auf meine Freiheit gerichtet sein kann und alles in und auf der Welt somit eine ungerechte und schlechte Grundlage hat und dadurch in seinem Wesen eben so schlecht und ungerecht ist.''.
Nach dem er für sich diese Überlegung formuliert hatte und somit der Überlegung seinem quälendem Dasein ein Ende zu setzen noch begründeten Nährstoff zugesetzt hatte, heulte wie lachte er diesen Gedanken in sein Kissen hinein: '' Aber eben das ist ja das Ziel der Welt, mich mit dieser Erkenntnis und dieser Schlechtigkeit zu besiegen sich einen Scherz mit mir zu machen, mich in den Kampf zu schicken um mich mit dieser Erkenntnis gleich wieder zum Aufgeben zu zwingen, doch dieses Recht und diese Pflicht schaffe ich mir selbst: ' Ich werde den sadistischen Plan nicht befolgen und auch wenn ich die Welt nicht bezwingen kann, so werde ich ihr doch zeigen dass ich selbst innerhalb ihrer Spielregeln stärker bin als sie, ich werde nicht als Feigling gehen' ''.
Da er einmal mehr an seinem Ziel gezweifelt hatte, wollte er sich sogleich wieder selbst bestrafen, damit er für das nächste Mal wusste, dass derartige Überlegungen wie er sie über seine Lebensbegründung anstellte nur ebendem Ziel, sich gegen diese schlechte Welt zu stemmen entgegen wirkten und evtl. sogar zur Vereitlung dieses Plans beitrugen.
Als er aber sich daran machte seine neuverdiente Bestrafung durchzuführen, schoss ihm beim Versuch aufzustehen ein gewaltiger Schmerz durch seinen aufgeschlagenen Rücken. Er sackte nieder und eine mentale wie körperliche Schwäche machte sich in ihm breit, die er nur hasserfüllt verfluchen konnte.
Da er in seinem verachtenswertem und schwächlichem Körper nicht genug Willenskraft fand um sich einer weiteren gerechten Bestrafung zu unterziehen, blieb er liegen und ließ seine Gedanken um seine Schwäche drehen, die wohl vorhanden war und ihm mit Sicherheit eines Tages die Erfüllung seines Plans verhindern würde, wenn er es nicht schaffte diese widerlichste Eigenschafft all seiner widerlichen Eigenschafften und derer besaß er vieler, aus sich heraus zu züchtigen. Obwohl er unendlich erschöpft war und sein Kopf schon von diesen Gedankengängen und ihrer Unbestechlichkeit schmerzte, konnte er lange Zeit nicht einschlafen und wand sich, soweit es sein zerschlagener Rücken zuließ, bis in die späten Nachtstunden auf seiner Couch umher bevor er einem unruhigen Schlaf verfiel.