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Schlaflos
Wieder einmal lag ich wach...
Durch die Gardine drang das schwache Licht einer Straßenlaterne. Vorüberfahrende Autos warfen mit ihren Scheinwerfern kleine Lichtkegel gegen die Wand. Die Leuchtziffern der Funkuhr zeigte schon weit nach Mitternacht.
Ich konnte nicht schlafen, wälzte mich wieder einmal ruhelos von einer Seite auf die andere. Ich begann Schäfchen zu zählen...eins, zwei, drei, vier, fünf...nachdem ich 148 Schafe gezählt hatte, gab ich es auf. Vielleicht sollte ich ein bisschen lesen...lesen lenkt ja bekanntlich ab. Ich griff nach dem Schmöker auf meinem Nachttisch und versuchte, mich auf das Buch zu konzentrieren. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass ich es verkehrt herum hielt; ein Indiz, dass ich nicht ganz bei der Sache war. Nun reiss dich mal zusammen Ingeborg-Marie-Kristin, schalt ich mich innerlich. Mit vollem Namen nenne ich mich nur, wenn ich etwas ärgerlich auf mich bin. Dann begann ich erneut zu lesen. Der Inhalt rauschte ohne Sinn und Verstand an mir vorbei. Am Ende einer Seite war ich genauso schlau wie zuvor. Nachdem ich die erste Seite bereits zum dritten Mal las, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was ich da las, klappte ich es wieder zu. Ich nahm ein anderes Buch zur Hand, das mir ein Kollege empfohlen hatte: “Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche. Mein lieber Herr Gesangsverein...nach wenigen Seiten fing es an, mich überall zu jucken und ich machte mir langsam Sorgen, man könne allein vom Lesen schon, Charlottes Hämorrhoiden bekommen. Als ich auf Seite 19 angekommen war und erfahren musste, was Frau Roche als Parfum benutzt; sich wie und wohin schmiert, hat es mich fast aus den nicht vorhandenen Socken gehauen.
Meine Fußnägel lugten unter der Bettdecke hervor, schlaftrunken nahm ich wahr, dass ich sie wieder einmal lackieren müsste, aber dazu fühlte ich mich zu faul und schläfrig. Mein Magen knurrte; ich bekam Lust auf etwas Süßes. Schokolade soll ja angeblich stimmungsaufhellend wirken. Naja, nachdem ich eine ganze Tafel verputzt hatte, fiel mir plötzlich schlagartig wieder ein, dass ich auf Diät war; was dann doch eher frustrierend auf mich wirkte. Ich schlurfte ins Wohnzimmer, machte es mir in meinem Ohrensessel bequem und zappte mit der Fernbedienung durch die Programme.
In Pro7 lief ein Porno...wow - diese Stellung kannte ich noch nicht! Ingeborg-Marie-Kristin, ermahnte ich mich, glaubst du wirklich, dass dieser Streifen deiner Müdigkeit dienlich ist? Seufzend schaltete ich um und landete in einer Liebesschnulze.
Ah, den Schauspieler kannte ich...wie hiess er doch gleich nochmal ?
Ich zermarterte mir das Gehirn, aber kam nicht auf seinen Namen. Ist ja auch egal, versuchte ich mir einzureden und ging wieder zu Bett. Ob ich es noch einmal mit Schäfchen zählen probieren sollte? Jedenfalls besser, als über den Namen des Schauspielers nachzudenken. Ich kannte ihn aus irgendeiner Soap; soviel war sicher...aus welcher Serie kannte ich ihn bloß? Ich hatte den Namen auf der Zunge...ich grübelte und grübelte. Bevor ich nicht seinen Namen wusste, würde ich mit Sicherheit nicht schlafen können. Wozu hat man gute Freunde? Ich langte nach meinem Handy und drückte die Nummer meiner besten Freundin Mary. Komisch, irgendwie klang sie gar nicht begeistert, mich zu hören. Ihre Stimme kam von weit her, sie sprach etwas undeutlich. „Sag mal, weißt du, wie spät es ist?“, nuschelte sie an meinem Ohr. Als ich ihr vorgetragen hatte, warum ich sie anrief, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass ich nicht mehr länger ihre beste Freundin war. Da fiel mir plötzlich - oh Wunder - der Name von ganz alleine ein. Hatte sie mich gerade "Blöde Kuh" genannt? Das letzte Wort, womit mich Mary bedachte, bevor sie auflegte, ließ mich dann allerdings tatsächlich an unserer Freundschaft zweifeln. Trotzdem wir das nun mit dem Namen alles so wunderbar geklärt hatten, konnte ich immer noch nicht einschlafen.
Es war zum aus der Haut fahren! Ob ich es einmal mit einem Mantra versuchen sollte?
ooooooooooooooooooooooooooooooom...ooooooooooooooooooooooooooooooooooom
Ich wiederholte es mehrmals, bis ich lachen musste. Meine Güte, Ingeborg-Marie-Kristin, du hast doch ein Rad ab. Einen an der Klatsche, wie meine - nun wahrscheinlich Ex - Freundin es immer so charmant formulierte. Autogenes Training hatte ich auch schon ausprobiert.
Ich bin ganz ruhig...ich bin ganz ruhig...ich bin ganz ruhig ...ich bin ganz ruhig. Weil die erwünschte Wirkung auf sich warten ließ, reagierte ich allmählich doch ein wenig gereizt; bis ich schließlich nur noch zähneknirschend, mit zusammengekniffenen Lippen hervorpresste: Ich bin gaaaaanz ruhig...ich bin gaaaaanz ruhig. Nein verdammt! Ich bin überhaupt nicht ruhig, wetterte ich nun laut. So würde diese Übung wohl ihre Wirkung verfehlen, sinnierte ich. Ich keiferte immer lauter :
ICH BIN GANZ RUHIG! So ein Schmarrn!
Daaaa...lautes Klopfen an der Wand. Oha, mein Nachbar war auch noch wach. Warum schlief der Simpel nicht? Jeder halbwegs vernünftige Mensch schlief doch um diese Zeit! Wie spät war es eigentlich?
Ein Blick zur Uhr gab mir den Rest; es war bereits nach 1.30 Uhr.
Na toll! Alle schliefen längst, nur ich nicht! Ich maulte leise vor mich hin.
Mit Augenringen wie ein Marathonläufer, antriebslos und übelst gelaunt, würde ich also den Kollegen wieder einmal den Tag vermiesen. Ich schaltete das Radio ein und versuchte, mich bei sanften Klängen zu entspannen. Es wurde ein schönes Lied gespielt...ein Evergreen. Wie hiess gleich der Sänger?
Oh nein, bitte nicht schon wieder! So ein Mist! Wen interessierte schon der dämliche Name?
Es war zum Mäuse melken! Ob ich mal eben kurz Mary...? Das Lied war zu Ende - Mary hatte Glück - die Radiosprecherin nannte seinen Namen. Ich atmete erleichtert auf. Leise summte ich die Melodien mit, bis meine Gedanken wieder abschweiften. Statt hier dumm rum zu liegen, sollte ich vielleicht ein Buch schreiben. Ich werde reich und berühmt wie Charlotte Roche, die ständig von ihrem “Blumenkohl“ um die “Rosette“ schwärmt. Während ich mir ausmalte, wie ich irgendwo im Süden in meiner Luxusvilla am Pool liege, aus der Ferne Meeresrauschen höre und ein Butler mir den Schampus reicht...muss ich mit verklärtem Gesichtsausdruck endlich eingeschlafen sein.
Unsanft wurde ich aus meinen Träumen gerissen. Was zum Teufel...?
Es war Punkt 6.30 Uhr. Wie ein Pressluftbohrer drang die Musik an mein Ohr. Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen...na dann ist ja alles klar!
Ich hätte Jürgen von der Lippe erwürgen können!