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Schlag zwölf
Alle Augenpaare, aufgerissen von der Erzählung starrten den etwa fünfzigjährigen Mann, der eher wie siebzieg wirkte, erwartungsvoll an. Dann begann er wieder mit rauher Stimme zu sprechen: „Entgeistert und verwirrt starrten wir uns sekundenlang regungslos an. Der Schrecken saß uns in allen Gliedern. Mein Freund war kreidebleich und ich sah vermutlich auch nicht besser aus. Sekunden vergingen wie Minuten.
Dann riss uns der schlurfende Gang des Wirtes, den Herbert in sein Zimmer gerufen hatte und der eben zur Treppe herunterkam aus unseren Gedanken und meinte, dass er nichts sehen könne und dass sich der Herr Arzt wohl getäuscht haben müsse. Danach schlich er, bedächtig und gebückt in seine Kammer zurück, überließ uns unserem Schicksal und als das Krachen und Quietschen seines Bettes, in das sich der pummelige und somit schwere Wirt hatte fallen lassen, verstummt war, war weiters kein Laut mehr zu hören.
Herbert, von unerklärlichem Mut beseelt, wollte mit mir selbst noch einmal den Raum in Augenschein nehmen. Zuerst traute ich mir das nicht zu, denn schon allein die Vorstellung daran bereitete mir Unbehagen und ich fürchtete dem Wahnsinn zu verfallen, doch nach einigen Minuten, in denen er all seine Überredungskünste aufbieten musste, hatte er mich überzeugt – ich hatte aus unerklärlichen Gründen auch wieder mehr Zuversicht, dass vielleicht alles doch nur reine Einbildung gewesen sein könnte - und so folgte ich ihm langsam auf sein Zimmer.
Als wir vor der Tür standen, wollte ich mich umdrehen und vor Schauder entsetzt das Weite suchen, doch ich wurde an meinen Kleidern zurückgerissen. Herb ließ mich nicht flüchten.
Er gab der Tür einen vorsichtigen Stoß - sie ging bereitwillig und mit gespenstischem Knarren auf. Wieder bot sich mir der Anblick von gähnendem Schwarz, das mich langsam in sich aufzusaugen schien. Große Angst breitete sich in mir aus, so dass ich jedes meiner Organe krampfhaft zu spüren glaubte. Doch diesmal hatte ich wenigstens die Gewissheit nicht allein zu sein, denn mein Freund, der Arzt, hielt mich immer noch fest.
Plötzlich vernahm ich ein leises Knistern, der Atem stockte mir und mein Blut war kurz vorm Gefrieren. Gleich darauf sah ich jedoch, dass es nur ein Streichholz war. Ein erleichteter Seufzer entfuhr meiner Kehle.
Das leichte Flackern schuf eine noch unheimlichere, gespenstischere Atmosphäre und zeigte uns die bittere Wahrheit, denn der Sarg war nicht verschwunden und langsam wurde uns klar, dass nur wir ihn sehen konnten. Viel zu rasch erlosch das Hölzchen und wieder standen wir in dem alles umschließenden Dunkel. Iich wagte nicht mich von der Stelle zu bewegen, denn der Sarg wurde nun von einem grellen Leuchten umgeben. Als sich der Deckel hob und eine weibliche Gestalt aufstieg, ebenfalls umleuchtet, fühlte ich mein Herz bis zum Halse schlagen.
Angstvoll und aufmerksam vernahmen wir ihre Worte. Sie sagte, dass wir sie mit unseren unseligen Geisterbeschwörungen, die wir aus reiner Langeweile und einer Laune heraus betrieben hatten, aus dem Reich der Toten heraufbeschworen hatten und dafür büßen müssten, indem wir drei Freunde im Abstand von drei Tagen sterben sollten.
Als sie dies gesprochen hatte und das letzte ihrer Worte verklungen war, war der ganze Spuk vorbei. Es war mir, als ob ich von einem bösen Traum erwacht wäre, dem jedoch leider nicht so war, das wusste ich. Sogleich zündete Herbert ein weiteres Streichholz an und als ob ein Wunder geschehen wäre, der Sarg und auch die Gestalt waren verschwunden. Erleichtert und zugleich bestürzt über das eben Gehörte verließen wir das Zimmer und brachen sofort Richtung Heimat auf. In den frühen Morgenstunden erreichten wir dann mein Haus, wo wir bis zum Sonnenaufgang gemeinsam wachten, denn keiner von uns konnte jetzt zur Ruhe kommen.
Vormittags gingen wir zuerst zu unserem gemeinsamen Freund Peter Franklin, einem angesehenen Bürger dieser Stadt, der durch Diamantenminen ein reicher Mann geworden war, und erzählten ihm alles, was sich zugetragen hatte. Er meinte nur, dass er zwar auch einen Sarg gesehen, diesen Schwachsinn jedoch nie Ernst genommen hätte und fing daraufhin lauthals zu lachen an, offenbar belustigt von unserer Furcht.
Irgendwie beschämt schlichen wir beide in unsere eigenen Behausungen und taten drei Tage keinen Schritt mehr vor die Tür.
Am dritten Tag erreichte mich eine furchtbare Nachricht. Peter Franklin, der uns ausgelacht hatte, war von uns gegangen. Er war durch eigene Hand gestorben, wie es hieß, was für mich unglaublich schien, denn er war reich gewesen und hatte keinerlei Sorgen gehabt. Anscheinend hatte er sich seine Pistole an den Kopf gehalten und abgedrückt. Man munkelte, sein Verstand hätte ihn verlassen und er sei wahnsinnig gewesen. Das war auch die einzige Möglichkeit, die mein Gehirn zuließ. Schließlich hatte ich ihn bereits mehrere Jahre gekannt und sein Gemüt war mir bekannt gewesen. Nun hatte ich den unumstößlichen Beweis dafür, dass die Gestalt aus dem Sarg die Wahrheit gesprochen hatte – Herbert und ich würden sterben, denn unser Freund wäre nie aus eigenem Antrieb zu so seiner Tat fähig gewesen.
Erschüttert über diese Nachricht versuchte ich den Arzt zu erreichen, doch ich musste erfahren, dass er eine Reise per Schiff angetreten hatte. Bei mir dachte ich, er wolle so seinem vorausgesagten Schicksal entkommen. Dennoch kam mir nach weiteren drei Tagen die Nachricht zu Ohren, dass das Schiff, auf dem er sich befunden hatte, oder besser gesagt auf dem er die Flucht angetreten hatte, gesunken war und es keine Überlebenden gäbe. Nun war ich mir ganz sicher, dass ich meinem Tod auf keinem erdenklichen Wege entkommen konnte.“
Der Mann mit den traurigen, resignierten Augen hörte auf zu erzählen, räusperte sich ausgiebig und blickte in die fragenden, bestürzten Gesichter seiner Zuhörer. Dann begann er wieder zu sprechen, doch diesmal schwang ein betrübter Unterton in seiner zittrigen Stimme mit.
Mit gesenktem Blick sprach er langsam:“Nun sind weitere drei Tage voller Unruhe in meiner Seele ins Land gezogen. Ich weiß jetzt, dass ich dieser Strafe nicht entgehen kann. Heute noch werde ich sterben müssen, aber …“ Mitten im Satz wurde er vom Schlagen der großen Wanduhr unterbrochen. Es war spät geworden, denn die Zeiger der Uhr standen auf zwölf.
Alle Augen waren auf den Erzähler gerichtet, der nun mit schmerzverzerrtem Ge-sichtsausdruck nach Luft rang und seine rechte Hand auf sein Herz gepresst hatte. Wie erstarrt blickte das Publikum auf den Sterbenden, der noch etwas Unverständliches murmelte und dann auf den Boden niedersank und sich nicht mehr regte. Er war tot, noch bevor der letzte Schlag der Wanduhr verklungen war.